Handelsblatt - 02.09.2019

(Barré) #1

Bank von der Abwicklung bis zum Risikomanage-
ment. Deshalb erschließt sich mir überhaupt nicht,
warum wir ausgerechnet in Deutschland, dem
Markt mit den niedrigsten Baufinanzierungsmar-
gen, anfangen sollten, Kredite mit negativen Zinsen
zu vergeben.


Sind Sie sich sicher, dass das alle Ihre Konkurren-
ten auch so sehen?
Ich bin für einen vernünftigen Wettbewerb, ich bin
aber auch für eine vernünftige Preispolitik. Meiner
Meinung nach müssen wir aufpassen, dass sich
Bankgeschäfte überhaupt noch lohnen. Wenn wir
jetzt anfangen, Kredite zu verschenken, dann spre-
chen wir bald nicht mehr über Eigenkapitalrendi-
ten von vier Prozent, sondern von Werten deutlich
darunter.


Bei Ihrer neuen Strategie fällt uns vor allem auf,
dass Sie Ihr Wachstumstempo drosseln.
Wir wollen weiterwachsen, nur nicht so kräftig wie
in den vergangenen Jahren. 250 000 Nettoneukun-
den im Jahr sind schließlich auch eine Hausnum-
mer. Aber wir nehmen beim Wachstum die Erträge
stärker in den Fokus. Außerdem sollen die Kosten
im Privatkundengeschäft um 300 Millionen Euro
sinken.


Bislang sind sie also unbesonnen gewachsen?
Unsere Strategie „Commerzbank 4.0“ war erfolg-
reich. Wir haben unsere Plattform One gestartet,
das Ratenkreditgeschäft integriert und das Daten-
management verbessert. Das von uns angepeilte
Ziel von 1,5 Millionen neuen Kunden in diesem Jahr
werden wir mit hoher Wahrscheinlichkeit errei-
chen – und die von uns angepeilten 400 Milliarden
Euro Volumen an Einlagen, Krediten und Wertpa-
pierdepots haben wir bereits heute deutlich über-
troffen.


Warum hinken Sie dann bei den Erträgen so hin-
terher?
Ganz einfach: Unsere Prognosen für die erzielba-
ren Margen trafen nicht zu. Das Zinsumfeld der
vergangenen drei Jahre hatten wir so nicht antizi-
piert. Wenn man sagt, Ertrag ist Menge mal Preis,
dann hat zwar die Menge mehr als gestimmt – aber
nicht der erzielbare Preis. Dennoch: Ein Drittel un-
serer Erträge, das sind etwa 850 Millionen Euro,
kommt aus dem Neukundenwachstum. Ohne die
neuen Kunden hätten wir die Erträge nicht stabili-
sieren können.


Wenn dieses Wachstum so lukrativ war, warum
drosseln Sie es jetzt?
Sie können nicht alles gleichzeitig machen. Das ist
einfach zu teuer. Sie müssen priorisieren. Deshalb
legen wir unseren Fokus jetzt mehr auf Ertrag und
Profitabilität. Derzeit wächst das mobile Geschäft
am stärksten. Deshalb soll das Smartphone in den
nächsten vier Jahren zur Filiale in der Hosentasche
werden. Dazu sind Investitionen nötig.


Wenn Mobile Banking so wichtig ist, war es dann
kein Fehler, das Projekt Kopernikus einzumotten?
Sie wollten Ihre polnische Tochter M-Bank zum
Kern einer europäischen Mobilbank machen.
Kopernikus war von der Grundidee richtig und hät-
te es uns erlaubt, das vom Rest des Konzerns rela-
tiv getrennte polnische Geschäftsmodell besser zu
nutzen. Das wäre sicher zukunftsgerichtet gewe-
sen, aber letztlich gerade in der Anfangszeit so teu-
er, dass es der Markt nicht akzeptiert hätte. Denn
in den ersten Jahren hätte man mit diesem Ge-
schäftsmodell kein Geld verdienen können.


Aber muss man die profitable M-Bank deshalb
gleich verkaufen?
Am Ende lässt sich von den Produkten und Prozes-
sen der M-Bank zu wenig auf Deutschland übertra-
gen, etwa wegen der unterschiedlichen Rechtssys-
teme. Wenn wir jedes Mal alles umbauen müssen,
wenn wir ein Produkt aus Polen übernehmen wol-
len, macht uns das nicht schneller und effizienter.
Mithilfe des Verkaufs können wir in unsere neue
Strategie investieren.


Sie bauen im Rahmen der Strategie Tausende Stel-
len ab – auch in den Filialen?
Das besprechen wir mit den Gremien.

Kritiker bezeichnen viele Ihrer Filialen als unter-
besetzt. Machen Sie jetzt aus 1 000 unterbesetzten
Filialen 800 unterbesetzte Filialen?
Natürlich gibt es Filialen, die urlaubs- und krank-
heitsbedingt geschlossen bleiben. Richtig ist auch:
Der Kunde will eine Filiale in der Nähe. Und das
wollen wir ihm bieten. Im Übrigen liegt unsere Fi-
lialöffnungsquote bei rund 99 Prozent.

Die Kunden wollen also die nahe Filiale – und Sie
schließen jede fünfte davon? Müssen wir das ver-
stehen?
Wir haben uns das genau angeschaut. Bei vielen
der 200 Filialen, die wir schließen, handelt es sich
um Dubletten, bei denen eine andere Zweigstelle
fußläufig entfernt ist. Außerdem haben wir Filia-
len, die signifikant weniger stark wachsen und we-
niger Erträge erzielen als der Durchschnitt des Fi-
lialnetzes.

Zu Ihrer Strategie gehören auch höhere Gebüh-
ren. Wollen Sie Ihre Kunden verprellen?
Unsere Preise sehen wir uns immer an, wie jedes
andere Unternehmen auch. Wir müssen unser Pri-
cing aber so gestalten, dass unsere Kunden bereit
sind, diese Preise auch zu zahlen, und wir neue
Kunden gewinnen. Sonst funktioniert das nicht.
Dafür ist der Wettbewerb in Deutschland zu groß.
Die Kunst wird darin bestehen, mehr mit unseren
Kunden zu machen. Wir werden über höhere Ge-
bühren sicherlich nicht die Erträge verdoppeln.

Wird es ein bedingungsloses Gratiskonto geben?
Wir werden weiterhin ein kostenloses Girokonto
und günstige Basisprodukte anbieten. Ob es kos-
tenlos bleibt, hängt aber von der Nutzung ab. Au-
ßerdem werden wir unsere Premium-Produktpa-
lette weiter ausbauen. Auch bei Streamingdiensten
können Sie wählen, welche Extrapakete Sie zukau-
fen, wenn Sie zusätzliche Leistungen wollen. Sol-
che Baukastenmodelle sind typisch für die digitale
Welt. Der Kunde kann also künftig wählen, wie viel
er wofür ausgeben will.

Was bedeutet die Integration der Comdirect für
die Konditionen von Kunden Ihrer Tochter?
Das Ziel muss sein, dass sich für die Comdirect-
Kunden, die ja sehr zufrieden sind, möglichst we-
nig ändert. Wir haben mit Bestandskunden be-
stimmte Bedingungen vereinbart, daran wollen wir
nichts ändern. Was wir in der Neukundengewin-
nung machen, ist eine ganz andere Frage. Wir wol-

len stärker nach Kundenverhalten bepreisen und
weniger nach Produktangebot der Bank.

Was hat die Commerzbank von der Integration
der Comdirect?
Die Chance einer Integration besteht aus Sicht der
Commerzbank auch darin, dass wir nicht alles dop-
pelt machen. Wir müssen nicht alles zweimal ent-
wickeln.

Und was kann die Commerzbank von der Com -
direct lernen?
Die Commerzbank kann lernen, wie man innovati-
ve Prozesse schnell einführt und ausprobiert – und
die Comdirect ist auch weiter darin, Prozesse zu di-
gitalisieren. Die Comdirect kann von der Com-
merzbank lernen, wie man ganzheitlich Kunden-
probleme löst und wie man bestimmte Kunden-
gruppen gezielter ansprechen kann, etwa im
W ealthmanagement. Der durchschnittliche Ertrag
pro Kunde ist in der Filialbank deutlich höher als in
der Comdirect. In der neuen Bank wird also hof-
fentlich der Commerzbank-Teil etwas schneller
und dynamischer und der Comdirect-Teil etwas er-
tragreicher. Dann wäre es ein echter Gewinn.

Sie haben M-Bank und Comdirect immer als Ihre
beiden Schnellboote bezeichnet. Nun verkaufen
Sie das eine Schnellboot, und das andere wird in-
tegriert. Wie groß ist das Risiko, dass aus einem
Schnellboot ein lahmer Dampfer wird?
Bei der Comdirect werden wir nicht wie die römi-
schen Truppen in Gallien einmarschieren und da-
bei den Zaubertrank vernichten. Wir wollen die
großen Stärken der Comdirect behalten und diese
Stärken für alle Commerzbank-Kunden zugänglich
machen.

Für die Integration der Comdirect bietet die Com-
merzbank deren Aktionären eine Prämie von
25 Prozent. Sollte das nicht klappen, soll die Toch-
ter ohne Squeeze-out direkt auf die Commerz-
bank verschmolzen werden. Warum geht man
nicht gleich diesen Weg ohne Erwerbsprämie?
Es geht auch um Geschwindigkeit. Und das Er-
werbsangebot mit anschließendem Squeeze-out ist
dafür der effizienteste Weg. Wir denken, dass die
Prämie ein sehr starkes Argument ist, um die Com-
direct-Aktionäre zu überzeugen. Sollten wir die für
einen Squeeze-out notwendige Anteilsquote von
mindestens 90 Prozent nicht erreichen, dann ist
natürlich auch die Prämie hinfällig.

Die neue Strategie soll die Commerzbank auch fit
für die Konsolidierung machen. Ist das ganze Pro-
jekt vielleicht nur dazu da, die Bank für einen Käu-
fer aufzuhübschen?
Wir haben Anfang des Jahres ernsthafte Verhand-
lungen mit der Deutschen Bank geführt. Jetzt geht
es darum, eine Strategie für die eigenständige Zu-
kunft der Bank zu entwickeln. Dafür steht unsere
Strategie, und dafür bauen wir das Privatkunden-
geschäft komplett um.

Wenn Sie kein Kaufkandidat sind, dann vielleicht
ein Käufer? Herr Zielke hat klargemacht, dass er
gerne Sparkassen kaufen würde. Eine gute Idee?
Wenn man in Deutschland wirklich eine Konsoli-
dierung des Bankenmarktes will, dann wird man
nicht darum herumkommen, die drei Säulen des
Marktes aus Sparkassen, Genossenschaftsbanken
und privaten Geldhäusern zu hinterfragen.

Eine Alternative wären internationale Übernah-
men.
Dazu bräuchten wir eine echte europäische Ban-
kenunion. Solange wir 28 oder nach dem mögli-
chen EU-Austritt der Briten 27 getrennte Banken-
märkte mit eigenen Gesetzen haben, sind größere
europäische Fusionen und Übernahmen nur
schwer vorstellbar.

Herr Mandel, vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellten Michael Maisch und
Yasmin Osman.

Der Manager Mandel
ist seit 2016 Privat-
kundenvorstand der
Commerzbank. Als
der heutige Vor-
standschef Martin
Zielke die Sparte noch
leitete, war Mandel als
Bereichsleiter und
Comdirect-Chef einer
von Zielkes engsten
Mitarbeitern.

Der Privatmann Der
52-jährige Bremer
hält dem Fußballver-
ein Werder Bremen
die Treue. Beim Inter-
view trinkt er seinen
Kaffee zur Feier eines
2:2 Werders gegen
Dortmund aus einer
Werder-Tasse.

Michael Mandel

Wir werden


nicht wie die


römischen


Truppen


in Gallien


einmarschie-


ren und den


Zaubertrank


vernichten.


Kunst im Büro:
Die Fotografie eines tauchenden
Elefanten schmückt die Wand
hinter Mandels Schreibtisch.

Bert Bostelmann für Handelsblatt

Bert Bostelmann für Handelsblatt

Finanzen & Börsen
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MITTWOCH, 2. OKTOBER 2019, NR. 190
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