Handelsblatt - 02.09.2019

(Barré) #1
EZB-Zentrale: Einlagensatz zuletzt
auf minus 0,5 Prozent gesenkt.

dpa

Negativzinsen

Zweifel an der Legalität


Die EZB hat ihre Kompetenzen
mit der Einführung von
Minuszinsen überschritten,
argumentiert ein
renommierter Bankrechtler.

Frank M. Drost Berlin

D


er Hamburger Professor für
Bank- und Kapitalmarkt-
recht, Kai-Oliver Knops, hält
die von der Europäischen Zentral-
bank (EZB) seit 2014 erhobenen Ne-
gativzinsen für Banken für nicht rech-
tens. „Der EZB-Rat war zu deren
Erlass formell und materiell nicht be-
fugt. Für derart weit reichende Maß-
nahmen fehlt es an einer ausreichen-
den Begründung und an einer parla-
mentarischen Mitwirkung“, heißt es
in einem Gutachten, das Knops am
Dienstag in Berlin vorstellte.
Auf mögliche Konsequenzen
macht die Berliner Kanzlei Schirp &
Partner aufmerksam. „Jetzt ist mit ei-
ner Rückforderungswelle gegen die
EZB und die nationalen Zentralban-
ken der Euro-Mitgliedsländer zu
rechnen“, glaubt Wolfgang Schirp.
Insgesamt dürfte sich der mögliche
Schaden in der Euro-Zone auf gut 40
Milliarden Euro belaufen. Deutsche
Banken sind von den Minuszinsen
mit bislang jährlich rund 2,5 Milliar-
den Euro überdurchschnittlich stark
betroffen. Diese Entgelte hätten zu
Unrecht die Gewinne der Banken
und ihrer Anteilseigner geschmälert,

argumentiert Knops. Folgt man sei-
ner Argumentation, dann hätten die
Banken auch kein Recht, die Minus-
zinsen an ihre Kunden weiterzuge-
ben. Nach Einschätzung des Juristen
hat die EZB mit der Einführung von
Negativzinsen ihre Kompetenzen ein-
deutig überschritten. Tatsächlich
handele es sich um eine Gebühr oder
Steuer mit Lenkungsfunktion, für die
aber keine Ermächtigung bestehe.
Doch welche Bank klagt gegen die
EZB, die auch für die Aufsicht über
die größten Banken in der Euro-Zone
zuständig ist, oder gegen nationale
Notenbanken, die in einigen Staaten

ebenfalls die Banken mitkontrollie-
ren? Noch gebe es keine klagebereite
Bank, räumt Knops ein. Zwei Banken
hätten allerdings Interesse an der Ma-
terie bekundet. Man müsse berück-
sichtigen, dass das Gutachten noch
ganz neu sei. Knops selbst könnte
sich einen Musterprozess mit einer
Bank vorstellen, die stellvertretend
den Streit um Negativzinsen führt. Al-
ternativ könnte auch eine Nichtig-
keitsklage beim Europäischen Ge-
richtshof erhoben werden, um eine
Klärung herbeizuführen.
Knops’ Gutachten ist keineswegs
unumstritten. So vertrat Professor
Robert Freitag, Professor für Deut-
sches, Europäisches und Internatio-
nales Privatrecht an der Uni Erlan-
gen-Nürnberg, 2018 in einem Aufsatz
eine andere Auffassung. Die aus-
schließliche Zuständigkeit der EU in
währungspolitischen Angelegenhei-
ten umfasse selbstverständlich auch
den Erlass privatrechtsrelevanter Re-
gelungen, „derer es zur Implementie-
rung der gemeinsamen Geld- und
Währungspolitik bedarf “. In einem
solchen Fall würde europäisches
Recht eventuell abweichendes natio-
nale Recht überlagern, so Freitag.
Kürzlich hat die EZB die Zinsen
von minus 0,4 Prozent auf 0,5 Pro-
zent gesenkt, gleichzeitig die Banken
aber mit Freibeträgen entlastet. Bis-
lang geben die meisten Banken Mi-
nuszinsen nur an Unternehmen,
Großinvestoren und sehr vermögen-
de Privatkunden weiter.

Fall PIM Gold

Insolvenzverwalter bestellt


Im Skandal um den Händler
PIM Gold bangen die
geprellten Anleger weiter um
ihre Ersparnisse.

D


ie Nachricht erreichte
Renald Metoja am Dienstag-
morgen: Der Anwalt und Sa-
nierungsexperte der Kanzlei Eisner
aus Lauda-Königshofen bei Würz-
burg ist zum Insolvenzverwalter
beim Goldhändler PIM Gold bestellt
worden. „Ich verschaffe mir einen
Überblick und rede mit den Mitarbei-
tern“, sagte Metoja dem Handels-
blatt. In den kommenden Wochen
wird Metoja mit einem Team von An-
wälten die mutmaßliche Betrügerfir-
ma aus Heusenstamm bei Offenbach
nach Vermögen durchforsten. Er
übernimmt zudem als Insolvenzver-
walter bei PGD, dem Vertriebsarm
von PIM Gold.
PIM musste Insolvenz beantra-
gen, nachdem die Staatsanwalt-
schaft Darmstadt Anfang September
sämtliche Vermögenswerte der Fir-
ma beschlagnahmt und Unterneh-
menschef Mesut P. in Untersu-
chungshaft genommen hatte. Die
Behörde wirft Mesut P. sowie vier
weiteren Verdächtigen unter ande-
rem gewerbsmäßigen Betrug vor.
Sie sollen Gold verkauft haben, das
es nicht gab. Ersten Ermittlungen
der Staatsanwaltschaft zufolge feh-
len mindestens 1,9 Tonnen Gold mit
einem Wert von rund 80 Millionen
Euro.

Auch Cornelia L. aus Leipzig bangt
um ihr Vermögen „Wir haben für
40 000 Euro Gold gekauft und bei
PIM im Safe gelagert, dafür sollten
wir eine ordentliche Rendite erhal-
ten“, sagt sie. Heute ist Cornelia L.
nur noch wütend: „Ich fühle mich
doppelt betrogen, denn die Anlage-
vermittlerin war auf der gleichen
Hochschule wie ich“, sagt sie. Corne-
lia L. hat sich einen Anwalt genom-
men. Er werde Schadensersatzan-
sprüche gegen die Vermittlerin prü-
fen, kündigt sie an.
Doch den geprellten PIM-Kunden
bleibe vorerst nur abzuwarten, sagt
Marc Gericke, Anlegeranwalt bei der
Kanzlei Göddecke aus Siegburg.

„Der Insolvenzverwalter muss erst
mal prüfen, ob genügend Masse vor-
handen ist, und sicherstellen, dass
nichts weiter abfließt“, sagt Gericke.
Nach zwei bis drei Monaten könnte
ein erstes Insolvenzgutachten An-
haltspunkte darüber liefern, wie viel
für die Anleger bei PIM und PGD
noch zu holen ist.
Spätestens zur Gläubigerversamm-
lung, die auf das Insolvenzgutachten
folgt, wissen die Anleger zudem, un-
ter wie vielen Gläubigern das verblie-
bene Vermögen aufgeteilt werden
muss. „Die Anleger müssen sich mit
allen anderen Gläubigern in die glei-
che Reihe stellen“, so Gericke.
Jakob Blume, Lars-Marten Nagel

ner. Er könne nicht für das Verhalten
einzelner Manager belangt werden.
Verantwortlich sollen der operati-
ve Chef Bouée und Sicherheitschef
Boccali gewesen sein. Bouée sei „be-
sorgt gewesen, dass Iqbal Khan ein
Risiko für die wirtschaftlichen und
rechtlichen Interessen der Credit
Suisse darstelle“. Im Klartext: Der
COO fürchtete wohl, dass Khan Mit-
arbeiter oder Kunden bei der CS ab-
werben und zu seinem neuen Arbeit-
nehmer mitnehmen könnte. Ende
August habe er deshalb den Überwa-
chungsauftrag an Sicherheitschef
Boccali übergeben. Das sei falsch ge-
wesen und entspreche nicht der Art,
wie die Bank Geschäfte mache, so


Verwaltungsratschef Rohner. Er bat
Mitarbeiter, Kunden und Aktionäre
um Entschuldigung. „Und ich ent-
schuldige mich bei Iqbal Khan und
seiner Familie für die Folgen der
nicht angemessenen Überwachung.“
Der Verwaltungsratschef äußerte
zudem sein Bedauern über den Tod
eines in die Affäre involvierten Si-
cherheitsexperten. Wie erst jetzt be-
kannt wurde, wurde der Mann be-
reits vergangene Woche tot aufgefun-
den. Er hatte im Auftrag der Bank als
Mittelsmann die Überwachung durch
die Detektei in die Wege geleitet. Sein
Name war aus bislang ungeklärter
Quelle an Journalisten gelangt. Die
Züricher Oberstaatsanwaltschaft be-
stätigte eine laufende Untersuchung.
„Wie üblich bei Todesfällen untersu-
chen Staatsanwaltschaft und Polizei
die Umstände des Todesfalls“, sagte
ein Sprecher. Nach derzeitigen Er-
kenntnissen gebe es keine Anzeichen
für eine Einwirkung durch Dritte.
Von dem Tod des Mannes habe
man „mit großer Trauer und Betrof-
fenheit Kenntnis genommen“, sagte
Verwaltungsratschef Rohner. „Wir
sprechen seinen Angehörigen unser
tief empfundenes Beileid aus.“ Darü-
ber hinaus wollte sich Rohner nicht
zu dem Vorfall äußern.
So steht am Ende der Beschat-
tungsaffäre nicht nur ein veritabler
Imageschaden, sondern auch viel
persönliches Leid – und all das offen-
bar völlig umsonst. Denn auch Iqbal
Khan wurde durch die Homburger-
Anwälte entlastet. Weder die Unter-
suchung der Kanzlei noch die Über-
wachung Khans hätten Hinweise da-
rauf ergeben, dass dieser entgegen
seinen vertraglichen Verpflichtungen
versucht habe, Mitarbeiter oder Kun-
den der Credit Suisse abzuwerben.
Khan hatte am Dienstag bei der
UBS seinen ersten Arbeitstag.



Kommentar Seite 30



Ich entschuldige


mich bei Iqbal Khan


und seiner Familie


für die Folgen der


nicht angemessenen


Überwachung.


Urs Rohner
Verwaltungsratschef der Credit Suisse


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MITTWOCH, 2. OKTOBER 2019, NR. 190
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