Handelsblatt - 02.09.2019

(Barré) #1
Thomas Mersch Köln

B


ei der Beratung von
Flottenmanagern kann
den IT-Spezialisten Jo-
chen Kock wenig über-
raschen. „Es gibt nichts,
was es nicht gibt“, sagt der Projektlei-
ter Fleet Consulting beim Tüv Rhein-
land. „Mal werden die Belege noch in
Schuhkartons gehortet. Dann wieder
werden Rechnungen sofort gescannt,
und alle Prozesse sind durchdigitali-
siert.“ Unabhängig berät Kock Unter-
nehmen, wie sie ihren Fuhrpark bes-
ser verwalten können.
Einsparpotenziale ermitteln, Kos-
ten besser im Blick haben, rechtliche
Vorgaben einhalten – und zugleich
die Umwelt entlasten: etliche Anfor-
derungen müssen Flottenmanager
meistern. Software verspricht dabei
Unterstützung. Doch die Wahl des
passenden IT-Dienstleisters und der
richtigen Software ist alles andere als
einfach. „Fuhrparks sind alle indivi-
duell gestrickt“, sagt Kock. Es gilt, ei-
ne genau auf die Bedürfnisse zuge-
schnittene Lösung zu finden und
Abhängigk eiten zu vermeiden. Pau-
schale Aussagen seien angesichts der
enormen Bandbreite unmöglich. „Da
würde man nur vorbeizielen.“

Excel ist oft noch an Bord
Viele Unternehmen stehen beim digi-
talen Flottenmanagement noch am
Anfang. Laut einer Studie des Markt-
forschers Dataforce aus dem Früh-
jahr nutzen 64 Prozent der Fuhrpark-
verantwortlichen keine speziellen
Programme. Elf Prozent verwenden
Excel, um die Firmenflotte zu steu-
ern. „In kleineren Fuhrparks funktio-
niert das offenbar“, sagt Boris Win-
ter, Projektleiter Marktforschung bei
Dataforce. Ein Viertel nutze teils Pro-
gramme größerer Anbieter wie SAP,
einige wenige hätten eigene Software
programmiert. Generell gilt: „Je grö-

ßer ein Fuhrpark ist, desto wichtiger
ist eine Software, die auch Anwen-
dungen wie Telematik integriert.“
Vor dem Einstieg steht bei Tüv-Be-
rater Kock die Analyse. „Wir setzen
uns zunächst einen Tag zusammen
und stellen den Status quo fest“, sagt
er. Dann zeigt er auf, wie sich Prozes-
se auch mit IT-Lösungen verbessern
lassen. „Die Software muss den Fuhr-
parkmanager in die Lage versetzen,
aktiv zu steuern“, sagt Kock. „Er
muss Daten sehen und entscheiden
können, wie er seine Flotte aufstellt.“
Das Risiko bei Standardlösungen:
„Software, die zu groß ist, droht die
Anwender förmlich zu erschlagen“,
sagt Dataforce-Experte Winter. „Sinn-
voll ist für die IT-Dienstleister daher,
möglichst einzelne Pakete anzubie-
ten, die kombiniert werden können.“
Zudem sei eine Schnittstelle zur Fi-
nanzabteilung wichtig: „In der Buch-
haltung landet letztlich alles.“
Auf kombinierbare Softwarebau-
steine setzt das Berliner Start-up
Vimcar. Vor sechs Jahren legte es mit
einem elektronischen Fahrtenbuch
los. „Wir haben das zunächst an Mini-
Fuhrparks verkauft“, sagt Mitgründer
und Geschäftsführer Andreas Schnei-
der. Das Leistungsspektrum wächst:
Heute hilft Vimcar-Software auch bei
der Routendokumentation oder der
Disposition der Fahrzeuge.
Selbst Unternehmen mit weniger
als fünf Fahrzeugen sieht Schneider
als potenzielle Kunden. „Man kann
mit Excel die allereinfachsten Dinge
zwar selbst abfangen“, sagt Schnei-
der. „Aber wenn man ein Kostenma-
nagement aufsetzen oder Telematik-
daten berücksichtigen will, dann
funktioniert das nicht mehr.“ Auch
Tankkarten sind inzwischen bei Vim-
car angedockt. „Transaktionen flie-
ßen über Schnittstellen automatisch
in die Software ein – und man wird

benachrichtigt, wenn bei den Tank-
kosten etwas aus dem Ruder läuft“,
so Schneider. „Wir zapfen Datenquel-
len an, die schon da sind, und wollen
Informationen clever kombinieren.“
Großkunden wie Allianz, Ford
oder Zalando seien eher die Ausnah-
me, sagt Schneider. „Optimiert ist die
Software für den Mittelstand mit bis
zu 250 Fahrzeugen.“ Teils bieten Lea-
singfirmen oder Fuhrparkmanage-
ment-Dienstleister eigene Software
gleich mit an. „Was kein Mittelständ-
ler brauchen kann, sind zehn ver-
schiedene Lösungen, die alle das
Gleiche machen“, sagt Schneider.

Den Spielraum erweitern
Vimcar will hersteller- und anbieter-
übergreifend operieren – und so den
Fuhrparkmanagern Spielraum ge-
ben. „Die eingesetzte Software darf
auch einem Wechsel etwa des Lea -
sing anbieters nicht im Wege stehen“,
sagt Schneider. Dataforce-Experte
Winter bestätigt, dass parallel bereit-
gestellte Software des Leasinganbie-
ters aus Kundensicht problematisch
sein könne. „Aber die Abhängigkeit
ist natürlich aus Sicht der Anbieter
genau das, was beabsichtigt ist. Es er-
schwert einen Wechsel.“
Auf größere Fuhrparks ab 20 bis
hin zu mehreren Tausend Fahrzeu-
gen zielt das junge Unternehmen Av-
rios in Zürich. Deutschland sei ein
Hauptmarkt, sagt Gründer und CEO
Andreas Brenner. Er grenzt sich ab:
„Klassische Software ist nur eine Da-
tenbank, in die der Fuhrparkmana-
ger Daten eintippen kann. Das lässt
sich besser strukturieren, unterschei-
det sich aber nicht wirklich von Ex-
cel“, sagt er. „Wir wollen den Fuhr-
parkmanager in die Lage versetzen,
strategischer zu arbeiten.“
„Kosten überwachen, mit Lieferan-
ten verhandeln, Verträge strukturie-

ren“, nennt Brenner als Kernaufga-
ben der Flottenchefs. Lästige Tipp-
Arbeit soll dank Künstlicher Intelli-
genz weitgehend entfallen. Avrios-
Software könne verschiedene Doku-
mente erkennen und verarbeiten, so
Brenner – von der Rechnung einer
kleinen freien Tankstelle bis hin zum
Leasing- und Wartungsvertrag.
Mit wachsender Fuhrparkgröße ge-
rät laut Brenner das Schnittstellen-
prinzip an seine Grenzen. Allein die
800 Avrios-Kunden unterhielten in
Summe Geschäftsbeziehungen zu
40 000 Firmen. Deren Rechnungen
oder Verträge müssen eingepflegt
werden. „Kein Softwareunterneh-
men könnte eine Lösung mit 40 000
Schnittstellen bauen und pflegen, um
alle Daten zu übertragen“, sagt Bren-
ner. Zudem seien viele Dienstleister
von der kleinen Tankstelle bis zur
Reifenhändler-Kette noch nicht im-
stande, die Daten in elektronischer
Form zu übermitteln.
Die Avrios-Lösung arbeitet laut
Brenner als Plattform, in der Daten
unabhängig von Format oder Quelle
dank lernfähiger Software automa-
tisch aufbereitet werden. Manuelles
Erfassen und Prüfen entfallen. Zudem
wertet die Software die Daten aus
und zeigt Handlungsoptionen. „Flot-
tenmanager erhalten etwa Hinweise,
ob das tatsächliche Nutzungsverhal-
ten bei den Dienstwagen sich mit den
Leasingbedingungen deckt – auch um
Nachzahlungen etwa für zu viel gefah-
rene Kilometer zu verhindern.“
Leasinganbieter sieht Brenner
nicht als Konkurrenz: „Sie mussten
sich angesichts des harten Preiswett-
bewerbs auch über IT-Services diffe-
renzieren. Wirklich gerne machen sie
das nicht“, sagt er. „Im Kern ist ihr
Geschäft die Fahrzeugfinanzierung.
So wie bei uns die Digitalisierung von
Fuhrpark-Informationen.“

Informationstechnik


Mehr Durchblick im Fuhrpark


Software soll Flottenchefs entlasten. Doch die passende Lösung zu finden ist durchaus knifflig.


Kein


Anbieter


könnte eine


Lösung mit


40 000


Schnittstellen


bauen.


Andreas Brenner
CEO Avrios

Verkehr
in Berlin:
IT erleichtert
Flotten -
managern die
Disposition.

Jochen Eckel/SZ Photo/laif

Bjørn Jansen

Spezial Flottenmanagement & Firmenwagen
MITTWOCH, 2. OKTOBER 2019, NR. 190
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