Handelsblatt - 02.09.2019

(Barré) #1

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Axel Novak / Redaktion


B


essere Energieerzeugung, bessere Industrie-
prozesse, weniger Konsum – so könnten die
Gesellschaften der Industriestaaten ihren

Energieeinsatz und CO 2 -Ausstoß massiv verringern.


Sie gilt als schlafender Riese, die Energieeffizi-

enz. Und die Zeit drängt: Der Weltklimarat zeigt,


dass die Menschheit nur noch 420 Gigatonnen Koh-


lendioxid in die Atmosphäre ausstoßen darf, wenn


das 1,5 Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen


von 2015 mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei


Dritteln erreicht werden soll. Das erscheint enorm.


Doch emittiert derzeit die Menschheit pro Jahr rund


50 Milliarden Tonnen CO 2.


Dabei ist es einigen Staaten gelungen, den Aus-

stoß von CO 2 zu verringern. 905 Millionen Tonnen


des Gases hat beispielsweise Deutschland 2017 frei-


gesetzt, 4,7 Millionen weniger als 2016. Effizienteres


Wirtschaften scheint sich auszuzahlen für ein Land,


das jedes Jahr mehr Produkte und Dienstleistungen


herstellt und exportiert. Doch der Schlüssel, um


den Ausstoß von CO 2 schnell und deutlich zu ver-


ringern, die Energieeffizienz, ist bislang zu wenig


genutzt worden. Dabei ist sie die wichtigste noch


unerschlossene Energiequelle in Deutschland.


WAS IST EFFIZIENT?

Die Energieeffizienz umschreibt nach Defini-

tion des Umweltbundesamtes das Verhältnis eines


bestimmten Nutzens zu dessen Energieeinsatz:
Wird zum Beispiel für Licht oder Wärme weni-
ger Energie eingesetzt, ist das Produkt energieef-
fizienter. Wer die einzelnen Sektoren betrachtet,
der sieht enormes Potenzial für mehr Effizienz.
Im industriellen Bereich zum Beispiel: Wich-
tigster Energieträger der deutschen Industrie ist
Gas mit einem Anteil von gut 27 Prozent, gefolgt
von Strom und Mineralöl. Erneuerbare Energien
spielen mit etwa drei Prozent in diesem Bereich
nur eine untergeordnete Rolle, so das Bundeswirt-
schaftsministerium. Mehr Effizienz aber betrifft
nicht nur die Erzeugung von Energie, sondern
auch die Kraftstoffnutzung, zum Beispiel durch
kombinierte Kraft-Wärme-Erzeugung.
Bei den industriellen Prozessen wiederum geht
es auch um Technologien wie hocheffiziente elek-
trische Antriebe, Wärmepumpen, oder die Ge-
bäudeautomatisierung. Während Maschinen und
Prozesse energetisch weitgehend optimiert sind,
sollen künftig Prozessketten und das energetische
Zusammenspiel vom Rohstoff bis zum fertigen Pro-
dukt effizienter gestaltet werden. Hier ermöglichen
Energiemanagementsysteme in Verbindung mit de-
zentralen Energielösungen viel Flexibilität bei der
Bereitstellung von Energie und bei der Nachfrage.
Eine intelligente Lastverlagerung setzt eine immer
stärkere Vernetzung von Erzeugung, Speicher und
Verbrauch voraus – um die nachhaltigen und vola-
tileren Energiequellen in den konstanten Bedarf der
Industriegesellschaft einzubinden.

EFFIZIENZ IN GEBÄUDEN

Auch in den Gebäuden steckt viel Potenzial für
den besseren Energieeinsatz: Im Gebäudebestand
werden in Deutschland rund 35 Prozent der gesam-
ten Endenergie verbraucht – und rund 30 Prozent
der Treibhausgase in Deutschland ausgestoßen.
„Die Art, wie wir wohnen und bauen, wirkt
sich unmittelbar auf das Klima aus. Wenn wir
unsere ambitionierten Klimaziele erreichen
wollen, müssen wir auch im Gebäudebereich
ansetzen“, hat Bundesbauminister Horst See-
hofer erkannt.
Zwar wurde in die Energiesanierung investiert,
und die Energieeffizienz der Wohngebäude ist bis
2012 kontinuierlich gestiegen. Im Neubau ist in
den letzten Jahren viel geschehen. Doch seit-
dem werden nur noch Mehrfamilienhäuser
effizienter, nicht Einfamilienhäuser. Zu-
dem sind fast zwei Drittel der Gebäude
in Deutschland vor mehr als 40 Jahren
errichtet worden. Sie genügen zum Teil
längst nicht mehr modernen Standards.
Und der Widerstand gegen strengere
Vorgaben wächst: Der Zentralverband
des Deutschen Baugewerbes warnt bereits
vor teurem Wohnungsbau durch strenge
Energiestandards.
Und dann gibt es natürlich noch den Hebel,
den Menschen am einfachsten bedienen können –
der private Konsum. Hier sind hohe Effizienzstei-
gerung zum Beispiel bei vielen Elektrogeräten mög-
lich. Klar, neue Geräte nutzen Strom effizienter. Die
kontinuierliche Erneuerung der Geräte hat dazu ge-
führt, dass der Stromverbrauch der Haushalte 2016
gegenüber 2008 um 7,9 Prozent gesunken ist. Doch
es ist paradox: Geschirrspülmaschinen verbrauchten
im Jahr 1990 im Schnitt 490 Kilowattstunden pro
Jahr, heute sind es weniger als die Hälfte. Allerdings
ist der Stromverbrauch für die Geschirrspüler in
Deutschland insgesamt leicht gestiegen, weil immer
mehr Menschen Geschirrspüler nutzen.
Besonders widersprüchlich wirkt das Thema En-
ergieeffizienz im Verkehr: Im Schienenverkehr zum
Beispiel sanken seit 1995 sowohl der spezifische wie
der absolute Energieverbrauch. Pech für die Bahn:
Der Anteil des Schienengüterverkehrs am Gesamt-
aufkommen ist in den vergangen Jahren gesunken.
Auch auf der Straße haben moderne Fahrzeuge die
alten Stinker abgelöst. Doch tatsächlich benötigten
Lkw und Flugzeuge 2017 deutlich mehr Energie als
noch 1995. Das Verkehrswachstum im Güter- und
Personenverkehr hat die technischen Verbesserungen
an den Fahr- und Flugzeugen längst kompensiert.

ANREIZE UND FÖRDERUNG

Energieeffizienz zu fördern und staatlich zu
lenken ist schwierig. Ein ehrgeiziges Ziel mit ver-
bindlichen politischen Vorgaben könnte den Weg
zu mehr Effizienz unterstützen. Klare Investiti-
onsanreize, zum Beispiel über öffentliche Förder-
programme oder Steuergutschriften, gehören dazu.
Auch der Preis für CO 2 ist ein wichtiges Element für
die politische Steuerung. Während viele Fachleute
davon ausgehen, dass dieser Preis für eine wirkliche
Lenkungswirkung die echten Kosten erfassen soll,
die mit Kohlenstoffemissionen verbunden sind, hat
ihn die Bundesregierung mit zehn Euro pro Tonne
niedrig angesetzt. Doch Beobachter trösten sich zu-
mindest mit dem Signal, dass die Bundesregierung
ausgesandt hat: Die Anerkennung der Tatsache,
dass irgendwann einmal irgendetwas geschehen
muss. Der schlafende Riese Energieeffizienz wird
so sicher nicht geweckt. Aber möglicherweise etwas
deutlicher wahrgenommen.

Schlafender Riese


Dämmung, Einsparung, Steuerung – die Deutschen könnten viel weniger Energie


verbrauchen, wenn sie wollten. Das Potenzial ist enorm.

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