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Mirko Heinemann / Redaktion
F
ast 40 Prozent des gesamten deutschen CO 2 -
Ausstoßes erzeugt die Energiewirtschaft, vor
allem ihre Braunkohlekraftwerke. Dahinter
folgt die Industrie mit Stahlproduktion, Raffine-
rien, Zement- und der Chemie-Industrie. Platz Drei
nimmt der Verkehr ein, mit Individualverkehr, Stra-
ßengüterverkehr und Luftfahrt. Danach kommt der
Wärmebereich, also die Gebäudeheizung. Und den
Schluss bildet, mit knapp zehn Prozent der CO 2 -
Emissionen, die Landwirtschaft.
Um den CO 2 -Ausstoß merklich herunterzufah-
ren, müssen Verbrennungsprozesse auf Basis fossiler
Energieträger in all diesen „Sektoren“ sukzessive
eingeschränkt werden. Entweder werden Prozesse
elektrifiziert, also Maschinen, Fahrzeuge, Stahlgie-
ßereien und Heizungen durch Strom aus erneuer-
baren Energien – etwa Wind-, Wasserkraft, Photo-
voltaik – betrieben. Oder die fossilen Energieträger
werden durch andere, aus erneuerbaren Quellen
gewonnene Energieträger ersetzt. Etwa dort, wo
die Speicherung von großen Strommengen schwie-
rig ist. Ein Beispiel ist Wasserstoff, der in Tanks
gelagert werden kann und bei seiner Verbrennung
reinen Wasserdampf erzeugt. Gewonnen wird das
Gas, indem Wasser per Elektrolyse in Sauerstoff
und Wasserstoff aufgespalten wird. Dafür braucht
es wiederum elektrischen Strom, der aus erneuer-
baren Quellen gewonnen werden kann. Die Kopp-
lung aller Sektoren in einem Gesamtsystem, dessen
Basis Energie aus erneuerbaren Quellen ist, macht
den entscheidenden Teil der Energiewende aus.
Der von der Bundesregierung erarbeitete Ent-
wurf für ein Klimaschutzgesetz enthält zum ersten
Mal ein Instrument zur Steuerung von Emissionen
über alle Sektoren hinweg. Bisher gab es solch ein
Instrument nur in den Sektoren Energie und Indus-
trie – und zwar in Form des europäischen Emissi-
onshandels ETS. Hier werden die Emissionen von
europaweit rund 11.000 Anlagen der Energiewirt-
schaft und der energieintensiven Industrie erfasst,
die zusammen rund 40 Prozent der Treibhausgas-
emissionen in Europa erzeugen. Seit 2012 ist auch
der innereuropäische Luftverkehr in den EU-ETS
einbezogen – Flüge aus der EU und in die EU blei-
ben allerdings bis 2021 von CO 2 -Abgaben befreit.
In dem Entwurf für ein nationales Klimaschutz-
gesetz wird erstmals ein CO 2 -Preis genannt: Der
Ausstoß einer Tonne CO 2 soll demnach zu Beginn
zehn Euro betragen. Ab dem Jahr 2026 soll der
Preis steigen. Im Entwurf zum Klimaschutzgesetz
ist außerdem verankert, dass sich die Bundesregie-
rung dafür einsetzen werde, einen europaweiten
übergreifenden Zertifikatehandel aller Sektoren
einzuführen. In einem ersten Schritt soll der beste-
hende Emissionshandel für Energie und Industrie
um einen „moderaten europäischen Mindestpreis“
ergänzt werden.
Kaum war der Gesetzentwurf in der der Öffent-
lichkeit, hagelte es Kritik von Wissenschaftlern. Mit
diesem Gesetz werde das bis 2030 angepeilte CO 2 -
Reduktionsziel bestenfalls zu einem Drittel erreicht,
erklärte Patrick Graichen, Direktor des Thinktanks
Agora Energiewende. „Der angesetzte Startpreis
von zehn Euro pro emittierter Tonne CO 2 ist viel zu
niedrig, um eine Wirkung zu entfalten.“ In ihrem
Impuls-Papier, das Agora Energiewende im Mai
dieses Jahres vorlegte, hatten die Energieexperten
einen Startpreis von 50 Euro pro Tonne CO 2 über
alle Sektoren hinweg empfohlen.
Dahinter steht der Gedanke, dass jegliche Ver-
schmutzung Geld kosten muss, das wiederum in die
Beseitigung der Verschmutzungsfolgen fließen soll.
Schließlich zahlt jeder für die Entsorgung von Müll
eine Gebühr – diese wird demnächst auch für den
Ausstoß von CO 2 in die Atmosphäre fällig. Damit
wird die Nutzung erneuerbarer Energien automa-
tisch attraktiver. Ihr Anteil im deutschen Energiemix
soll laut Klimaschutzplan der Bundesregierung bis
zum Jahr 2050 auf 100 Prozent steigen. Damit ori-
entiert sich die Bundesregierung am Ziel des Pariser
Abkommens, wonach in der zweiten Hälfte dieses
Jahrhunderts weltweit Treibhausgasneutralität er-
reicht werden soll. Nur eine bis dahin weitgehend
CO 2 -freie globale Wirtschaft gewährleistet, dass der
Anstieg der Temperatur auf der Erde auf maximal
1,5 bis zwei Grad Celsius begrenzt werden kann.
Während Finanzminister Olaf Scholz glaubt, das
Klimaschutzgesetz könne den Klimawandel aufhal-
ten, sind Wissenschaftler skeptisch. In allen Sektoren
würden die Ausbauziele verfehlt, so Agora-Direktor
Patrick Graichen. Die avisierten steuerlichen För-
derbeträge für die energetische Gebäudesanierung
von 152 Millionen im Jahr 2021 bis 455 Millionen im
Jahr 2023 seien ebenfalls zu niedrig, um bis 2030 das
Ziel einer Sanierungsrate von 1,8 Prozent pro Jahr
zu erreichen – Agora hatte das Fördervolumen auf
fünf Milliarden Euro pro Jahr beziffert.
Für den Sektor Verkehr erklärte Christian Hoch-
feld, Geschäftsführer von „Agora Verkehrswende“,
der aktuelle Gesetzentwurf belasse den Verkehr in
seiner Rolle als „Sorgenkind der Energiewende“.
„Mit den avisierten Maßnahmen ist nicht abzuse-
hen, dass die Klimaziele in Reichweite kommen“,
sagte Hochfeld. Die Erhöhung der Pendlerpauscha-
le zum Ausgleich für höhere Benzinpreise sei gar ein
Signal, das in die falsche Richtung weise. „Der An-
reiz zu pendeln wird verstärkt.“ Damit werde der
Individualverkehr eher weiter zunehmen.
Direktor Graichen kritisierte außerdem die man-
gelnde Festlegung auf einen klaren Ausbaupfad der
erneuerbaren Energien im Gesetzentwurf. Sowohl
bei der Photovoltaik als auch bei der Windenergie
an Land fehlten konkrete Ausbauziele und somit
die Antwort auf die Frage, wie der Anteil an er-
neuerbaren Energien auf 65 Prozent im Jahr 2030
gesteigert werden könne. Angesichts des stagnie-
renden Ausbaus etwa der Windenergie an Land
ist dieses Ziel wieder in die Ferne gerückt. Der
Energieexperte sieht ab 2021 Milliardensummen
auf die Bundesrepublik zukommen, denn falls die
nationalen Einsparziele nicht erreicht werden, muss
Deutschland bei anderen EU-Mitgliedern über-
schüssige Nicht-ETS-Emissionsrechte kaufen, um
die Unterdeckung auszugleichen.
Ein Anfang ist gemacht
Das neue Klimaschutzgesetz weist den Weg. Aber erst die vollständige
Kopplung aller Sektoren wird die Energiewende vollenden.