Handelsblatt - 02.09.2019

(Barré) #1

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Julia Thiem / Redaktion


W


ährend draußen Klimaaktivisten die
Eingänge blockieren, präsentieren Au-
tomobilhersteller drinnen noch immer

ihre großen SUVs mit ausgefallenen Sonderlackie-


rungen. Die diesjährige Internationale Automobil-


ausstellung IAA in Frankfurt hat polarisiert und


deutlich weniger Besucher angelockt als noch vor


zwei Jahren. Natürlich wurden auch zahlreiche,


teils innovative Elektrofahrzeuge auf der IAA prä-


sentiert, die einen Ausblick darauf geben, wie die


Mobilität der Zukunft aussehen könnte. Den Prote-


stierenden draußen vor der Tür geht dieser Wandel


jedoch weder weit noch schnell genug.


Ein ähnlich zweigeteiltes Bild zeigt das frisch

verabschiedete Klimapaket der Bundesregierung.


CSU-Chef Markus Söder twitterte fröhlich, es sei


ein „positiver Freitag fürs Klima“ und man nehme


die „Menschen mit durch Anreize statt Verbote“.


Umweltministerin Svenja Schulze von der SPD ist


hingegen einfach nur „froh, dass nun die gesamte


Regierung hinter dem Kompromiss steht“. Ge-


wünscht hätte sie sich offenbar mehr – vor allem


einen höheren CO 2 -Preis.


Dennoch hob die deutsche Politik-Elite – beflü-

gelt von diesem „Kompromiss“ – geschlossen aber


leider nicht gemeinsam Richtung New York zum


UN-Klimagipfel ab. Gleich vier Minister flogen mit


vier verschiedenen Maschinen, im gerade verabschie-


deten Klimapaket soll die Luftverkehrsteuer ja auch


erst zum 1. Januar 2020 angehoben werden. Und


vielleicht kommt es den Politikern derzeit einfach


nicht so darauf an. Schließlich weiß Angela Merkel,


dass die selbstgesteckten Klimaziele 2020 ohnehin


nicht mehr zu erreichen sind. Für 2030 gibt es ja noch


einmal Ziele, möglich, dass man die erreicht.


Dass wir respektive unser Klima diese Zeit eigent-

lich nicht mehr haben, zeigt nun eine neue Studie der


Weltwetterorganisation WMO, die endlich belegt,


was jeder fühlt: Die letzten fünf Jahre waren die


heißeste Periode seit Beginn der Messungen vor 150
Jahren. Die Temperatur lag um 1,1 Grad höher als in
der vorindustriellen Zeit. Die Studienmacher beto-
nen außerdem, dass die Treibhausgas-Konzentration
zwischen 2015 und 2019 auf ein neues Rekordniveau
angestiegen sei, womit wir die globale Erwärmung
wohl den nächsten Generationen unausweichlich
weitervererben. Die CO 2 -Werte seien im Vergleich
zu vor fünf Jahren um 20 Prozent schneller gestie-
gen. „Die Gründe für den Kli-
mawandel sowie seine Aus-
wirkungen nehmen eher zu
als ab“, betont auch WMO-
Generalsekretär Petteri Taalas.
„Die Herausforderungen sind
immens. Besonders wichtig ist
es, die Treibhausgase zu redu-
zieren, allen voran aus der En-
ergieproduktion, der Industrie
und dem Transport. Andern-
falls lassen sich weder der Klimawandel stoppen
noch die Ziele von Paris erreichen.“
Besonders der CO 2 -Ausstoß ist derzeit in aller
Munde und ein CO 2 -Preis zentraler Bestandteil
des Klimapakets. Somit soll sichergestellt werden,
dass diejenigen, die besonders viel CO 2 in die At-
mosphäre blasen, auch dafür zahlen müssen. Er soll
2021 mit einem Festpreis für Verschmutzungsrechte
von zehn Euro pro Tonne Kohlendioxid starten. Bis

zum Jahr 2025 soll er dann stufenweise auf 35 Euro
steigen. Erst danach soll ein Handel die Preisbil-
dung regulieren. Für Achim Wambach, Präsident
des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirt-
schaftsforschung – sind die vielen Einzelmaßnah-
men allerdings des Klimapaktes Fluch und Segen
zugleich: „Damit die CO 2 -Bepreisung als zentrales
Leitinstrument im Maßnahmenkatalog des Klima-
kabinetts richtig wirkt, sollte sie durch ergänzende
Fördermaßnahmen und zu-
sätzliche Eingriffe nicht ver-
wässert oder konterkariert
werden.“
Außerdem gibt es viel Kri-
tik am niedrigen Festpreis
von nur zehn Euro. Einige
Experten sind sogar der Mei-
nung, man solle komplett auf
einen Festpreis verzichten, da
der Emissionshandel wirke
und wesentlich effizienter sei. Das belegt nun auch
eine Studie des Düsseldorfer Institut für Wettbe-
werbsökonomie (DICE) im Auftrag der Initiative
Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Untersucht
wurden die derzeit weltweit 27 Emissionshandels-
systeme zur Regulierung des CO 2 -Ausstoßes. Das
Ergebnis: Sie reduzieren CO 2 deutlich zuverläs-
siger, als häufig dargestellt, und könnten den Aus-
gangspunkt zu einem weltweit vernetzten CO 2 -
Deckel bilden.
Studienautor Prof. Dr. Justus Haucap zeigt dabei,
wie zielgenau das größte und vielleicht auch bekann-
teste europäische Zertifikatehandelssystem EU-ETS
funktioniert: „2020 werden die Emissionen in den
erfassten Sektoren um 21 Prozent unter dem Ni-
veau von 2005 liegen. Dieser Erfolg ist umso größer
zu werten, wenn man bedenkt, dass die Wirtschaft
gleichzeitig kräftig gewachsen ist. Die Effizienz des
Systems spricht dafür, den Emissionshandel zu er-
weitern und auf weitere Sektoren wie den Verkehr
auszuweiten.“ Damit würde laut Haucap auch die
aufgeheizte Klimadebatte in Deutschland versach-
licht. Die Argumentation dahinter: Wenn der CO 2 -
Ausstoß auch im Gebäude oder Verkehrssektor
gedeckelt ist, sind selbst die großen SUVs für das
Klima egal, wenn an anderer Stelle entsprechend
gespart wird. Woher die Reduktion kommt, ist Ne-
bensache, solange sie kommt.
Natürlich ist das kein Freifahrtschein für die
Automobilbranche, sich weiter auf große, benzin-
fressende Fahrzeuge zu konzentrieren. Vielmehr
brauchen wir sowohl für die Mobilität als auch für
unsere Gebäude eine gewisse Technologieoffenheit,
die auch das Klimapaket der Regierung fordert.
Nur auf Elektrofahrzeuge zu warten, die derzeit
noch sehr teuer sind und für die die nötige Infra-
struktur noch nicht geschaffen wurde, ist sicher kei-
ne Lösung. Auch andere, bereits vorhandene Tech-
nologien müssen verstärkt auf die Agenda kommen.
Gerade die Automobilbranche ist hier gefragt, die
nun erstens einen neuen Chef für ihre Autolobby
finden muss und dann zwei Jahre Zeit hat, die IAA
ganz neu zu erfinden.

Klimawandel im Autoland


Die Diskussion über die Zukunft des Automobils ist im vollen Gange.


Über die Maßnahmen zum Klimaschutz scheiden sich jedoch die Geister.


Eine Bestandsaufnahme der Reduktionssziele mit Schwerpunkt Verkehr.


»Wenn der CO 2 -


Ausstoß auch im Gebäude


oder Verkehrssektor


gedeckelt ist, sind selbst die


großen SUVs für das


Klima egal.«

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