Handelsblatt - 02.09.2019

(Barré) #1

den Farben. Trotzdem soll sie nahbar wirken. Auf
Instagram überträgt Warren Anrufe mit Kleinspen-
dern, postet Videos von ihrem Hund oder dem
Abendessen, das meist Ehemann Bruce zubereitet.
Politisch ist sie allerdings keine Kuschelkandida-
tin. Sollte sie Präsidentin werden, dürfte es mit
dem unternehmerfreundlichen Trump-Kurs vorbei
sein. Der TV-Sender CNBC sprach kürzlich mit ei-
ner Reihe anonymer Großspender von der Wall
Street, die allesamt drohten: Wenn ihr Warren auf-
stellt, bekommt ihr keinen Cent von uns – eher
würde man sich Trump zuwenden. Warren hat
sich als gnadenlose Kritikerin von Kreditkartenfir-
men, Großbanken, Lobbyisten und Financiers der
Wall Street eine Nische erarbeitet. „Das System
funktioniert immer besser und besser für eine im-
mer dünnere und dünnere Schicht“, sagt sie auf
Kundgebungen. Wer mehr als 50 Millionen US-Dol-
lar verdiene, so Warren, soll für jeden weiteren
Dollar zwei Cent zahlen, die in Kinderbetreuung,
Unis, Lehrergehälter fließen. Eine solche Vermö-


gensteuer wird von Republikanern als sozialistisch
angeprangert, als Strafe für die Leistungsträger der
Nation. Sie ist auch unter Demokraten umstritten.
Doch Warren ist Umverteilerin aus Überzeu-
gung. In Iowa erzählt sie zwischen Kürbissen und
Heuballen ihre Geschichte: Als sie zwölf Jahre alt
war, bekam ihr Vater einen Herzinfarkt und verlor
seinen Job als Teppichverkäufer. Ihre Mutter über-
brückte die Zeit mit Aushilfsjobs, doch auch der
neue Hausmeister-Posten des Vaters konnte eine
weiterführende Ausbildung nicht finanzieren. Erst
Warrens Talent im Debattierklub verschaffte ihr
ein Hochschulstipendium. Sie heiratete mit 19,
wurde mit 22 Mutter, ließ sich scheiden, heiratete
erneut und studierte Jura. Wegen ihrer Forschung
über Privatinsolvenzen wurde sie 1992 als Profes-
sorin an die Elite-Universität Harvard berufen.
Frauen mit Kindern, belegte Warren in einem
Buch, das sie gemeinsam mit ihrer Tochter
schrieb, seien am anfälligsten für finanziellen Ruin
nach Schicksalsschlägen. Nach der Finanzkrise

2008 sorgte sie als Beraterin der Obama-Regierung
federführend für eine Verbraucherschutzbehörde
im Finanzsektor, die Hypotheken, Studentendarle-
hen, Kredite und andere Finanzprodukte strenger
reguliert. Mit 63 Jahren zog sie schließlich als Sena-
torin für Massachusetts in den US-Kongress ein.
Jetzt soll der nächste, der ultimative Karriere-
schritt folgen.

Das Biden-Lager zeigt sich
zunehmend nervös
Warrens Aufstieg macht das Lager Bidens zuneh-
mend nervös. „Wir brauchen mehr als nur Pläne.
Wir brauchen einen Präsidenten“, sagte er kürz-
lich. Damit hat er nicht unrecht. Seine Unterstützer
hoffen, dass er jene Wähler, die die Demokraten an
Trump verloren haben, zurückgewinnen kann. Bi-
den will zwar auch die Mittelklasse stärken, seine
Ideen sind aber weniger kontrovers als Warrens. So
möchte er die private Gesundheitsvorsorge erhal-
ten, und er würde Trumps Steuersenkungen rück-
gängig machen, aber keine neuen Steuern erhe-
ben. Auch sein außenpolitisches Profil ist ausge-
prägter als das von Warren. „Wenn Trump weitere
vier Jahre im Amt bleibt, gibt es danach keine Nato
mehr“, warnte er in Iowa. Grundsätzlich hält er am
Freihandel fest. Warren hingegen bleibt vage: Sie
will Handelsabkommen nutzen, um bessere Ar-
beits- und Umweltstandards durchzusetzen, äußert
sich jedoch nicht näher zu Protektionismus. Auch
die Frage, ob die staatliche Krankenversicherung,
für die sie kämpft, unterm Strich die Kosten für die
Mittelklasse erhöhen würde, hat sie nicht klar be-
antwortet. Diese Unentschiedenheit könnte ihr am
Ende Schwierigkeiten bereiten.
Nicht zu unterschätzen sind zudem die Sympa-
thien, die Biden in breiten Wählergruppen genießt,
bei Moderaten, Schwarzen und Älteren. In South
Carolina, einem Bundesstaat mit hoher afroameri-
kanischer Bevölkerungsdichte, liegt er in Umfragen
20 Prozentpunkte vor Warren. Warrens Anhänger
hingegen sind überwiegend weiß, links und gebil-
det. „Joe Biden repräsentiert jeden“, sagt Jennifer
Seerew, die aus dem Umland nach Des Moines ge-
reist ist. „Er ist Demokrat, aber er hört auch ande-
ren Meinungen zu, um die besten Entscheidungen
zu treffen. Er kann das Land zusammenbringen.“
Seerew verortet sich im progressiven Lager, doch
sie glaubt nicht, dass eine Linke gegen Trump ge-
winnen kann: „Die Wahl ist zu wichtig, um etwas
aufs Spiel zu setzen. Wenn wir nur zwischen rechts
und links schwanken, kommen wir nie vorwärts.
Biden kann Dinge schrittweise bewegen. Das ist
hundertmal besser, als wenn wir stillstehen.“
Doch Warren-Fans sehen längst keine Alternative
mehr zu ihr. „Ich mag Joe. Aber Warren hat deut-
lich mehr Energie“, sagt der 69-jährige Bill Kala-
hurka aus Des Moines. Er steht im Regencape in
der Fotoschlange und verpasst dafür „schweren
Herzens“ das Fußballturnier seiner Enkelin. „War-
ren hat einen Plan für alles, sie ist eine beeindru-
ckende Frau. Sie hat ihr ganzes Leben für die Mit-
telklasse gekämpft.“ Und der 23-jährige Shane
McGrinder aus Wisconsin ist überzeugt: „Warren
hat den meisten Antrieb. Wir müssen die Partei
neu erfinden. Wenn es jemand schaffen kann,
dann sie.“
Tatsächlich reicht der Konkurrenzkampf zwi-
schen Biden und Warren lange zurück. In den
90ern und frühen 2000ern kämpften Kreditunter-
nehmen darum, Privatinsolvenzen zu erschweren,
damit Firmen nicht auf den Kosten sitzen bleiben.
Biden, dessen Heimat Delaware viele Finanzdienst-
leister beherbergt, setzte sich für ein entsprechen-
des Gesetz ein, doch Warrens Verbündete in Wa-
shington blockierten die Richtlinie. Auf Youtube
wird man Zeuge eines Schlagabtauschs von 2005,
als Biden im Justizausschuss saß und Warren als
Expertin geladen war. Biden nannte Warren da-
mals „leicht demagogisch“, räumte aber ein: „Sie
sind sehr gut, Professor.“ Das Gesetz trat trotzdem
in Kraft. Vielleicht folgt die Revanche schon bald –
im Februar, bei den Vorwahlen in Iowa.

Wir brauchen


mehr als nur


Pläne.


Wir


brauchen


einen


Präsidenten.


Joe Biden
Ex-Vizepräsident

1.4.2019 1.10. Economist/Yougov

BidenWarren BidenWarren
Quinnipiac

40


30


20





0

Warren kämpft sich vor


Umfragewerte1 der wichtigsten demokratischen Anwärter
auf die Präsidentschaftskandidatur


Zwei Umfragen sehen Elizabeth
Joe Biden Warren sogar vor Joe Biden.
Elizabeth Warren
Bernie Sanders

27,2 %
23,0 %
17, %

Umfragewerte (Auswahl)

26 %27 % 25 %27 %

HANDELSBLATT 1) Durchschnitt der großen Umfragen; 2) 22.9.–24.9.; 3) 19.9.–23.9. • Quelle: Real Clear Politics


Warren-Fans:
Die Präsident-
schaftsbewerberin
liegt in einigen
Umfragen erstmals
vor Biden.

AP

Ex-Vizepräsident
Joe Biden und
seine demokratische
Rivalin Warren:
Die Ukraine-Affäre
könnte eine entschei-
dende Rolle spielen.

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Wirtschaft & Politik


MITTWOCH, 2. OKTOBER 2019, NR. 190
7

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