Handelsblatt - 02.09.2019

(Barré) #1
Martin Greive, Jan Hildebrand,
Silke Kersting Berlin

A


m Mittwoch wird Fi-
nanzminister Olaf
Scholz (SPD) schon
zum zweiten Mal in die-
sem Jahr einen Haus-
haltsentwurf für 2020 in das Kabinett
einbringen. Ende Juni hatte die Bun-
desregierung seinen Etatplan bereits
beschlossen. Doch darin fehlte ein
entscheidender Posten: das milliar-
denschwere Klimapaket.
Darauf hatte sich die Große Koaliti-
on erst vor eineinhalb Wochen ver-
ständigt. In den vergangenen Tagen
waren die Experten in Scholz’ Minis-
terium damit beschäftigt, den Klima-
kompromiss mit all seinen neuen
Einnahmen, Förderprogrammen und
Steueranreizen in Zahlen zu gießen.
Nun kann das Kabinett den Ergän-
zungshaushalt beschließen und da-
mit die Finanzierung des Klima -
pakets sicherstellen. Das Papier liegt
dem Handelsblatt vor.
Das Klimapaket sieht bis zum Jahr
2023 Maßnahmen mit einem Gesamt-
volumen von 54,4 Milliarden Euro
vor. Eigentlich plant die Bundesregie-
rung sogar bis 2030. In diesem Zeit-
raum summierten sich die Klima-
maßnahmen auf schätzungsweise 150
Milliarden Euro, hieß es in Regie-
rungskreisen. Das ist aber nicht in
Scholz’ Zahlenwerk enthalten, da die
Finanzplanung nur bis 2023 reicht.
Ein Ziel war dem Finanzminister
besonders wichtig: Trotz der zusätzli-
chen Ausgaben im Haushalt 2020
komme man „ohne neue Schulden“
aus, wird in der Kabinettsvorlage be-
tont. Den Ausgaben stehen nämlich

auch neue Einnahmen gegenüber.
Hauptbestandteil des Ergänzungs-
haushalts ist der Wirtschaftsplan für
den Energie- und Klimafonds (EKF),
über den die meisten Klimaschutz-
maßnahmen finanziert werden. Das
Volumen beträgt zwischen 2020 und
2023 insgesamt knapp 39 Milliarden
Euro. Hinzu kommen rund 15,5 Milli-
arden Euro, die direkt aus dem Bun-
deshaushalt finanziert werden.
Der EKF soll sich vor allem aus
zwei Einnahmequellen speisen: So
rechnet die Bundesregierung damit,
dass die CO 2 -Bepreisung der Sektoren
Gebäude und Verkehr bis zum Jahr
2023 Gesamterlöse von 18,8 Milliar-
den Euro einbringt. Hinzu kommen
die Erlöse aus dem bestehenden Zer-
tifikatehandel im Bereich Energie.
Hier rechnet die Bundesregierung
zwischen 2020 und 2023 mit rund
zwölf Milliarden Euro Einnahmen.
Zudem verfügt der EKF derzeit noch
über eine Rücklage von sechs Milliar-
den Euro, die im kommenden Jahr
genutzt werden soll.
Mit den Mitteln aus dem EKF und
aus dem Bundeshaushalt sollen ver-
schiedene Klimaschutzmaßnahmen
finanziert werden. So soll das Pro-
gramm für die energetische Gebäu-
desanierung auf 2,5 Milliarden Euro
jährlich erhöht werden, heißt es in
dem Haushaltsentwurf. Im Bereich
Verkehr will die Bundesregierung die
Elektromobilität fördern. Ziel sei es,
dass bis 2030 sieben bis zehn Millio-
nen Elektrofahrzeuge zugelassen sei-
en. Dazu soll die Kaufprämie verlän-
gert und erhöht werden. Hierfür
stünden bis 2030 zwei Milliarden
Euro zur Verfügung, heißt es in der
Kabinettsvorlage.

Daneben soll es ab 2021 eine Kauf-
prämie für Nutzfahrzeuge geben. Da-
für sei eine Milliarde Euro vorgese-
hen. Zudem will die Bundesregie-
rung die Anzahl der Ladesäulen bis
2030 auf eine Million erhöhen. Dazu
plant die Regierung mit öffentlichen
Ausgaben von insgesamt 3,3 Milliar-
den Euro bis 2023. Insgesamt soll
Verkehrsminister Andreas Scheuer
(CSU) im nächsten Jahr eine Milliarde
Euro mehr bekommen, Entwick-
lungsminister Gerd Müller (CSU) 500
Millionen Euro.

Steuer auf Flüge statt
Bahnfahrten
Die Ausgaben aus dem Bundeshaus-
halt werden gegenfinanziert durch
höhere Abgaben an anderer Stelle. So
will die Bundesregierung die Mehr-
wertsteuer für Bahnfahrten senken.
Das kostet rund 500 Millionen Euro.
Das Geld soll wieder reinkommen, in-
dem die Ticketsteuer für Flüge ent-
sprechend erhöht wird. Mehreinnah-
men bringt auch die geplante Reform
der Kfz-Steuer. Sie soll sich ab 2021
stärker am CO 2 -Ausstoß orientieren.
Das Finanzministerium rechnet bis
2023 mit zusätzlichen Einnahmen
von insgesamt einer Milliarde Euro.
Mit dem Klimaschutzpaket 2030
bringt die Regierung auch ein lange
diskutiertes Förderprogramm für die
besonders energieintensive Industrie
auf den Weg. Während viele Konzer-
ne bereits angekündigt haben, in den
nächsten zwei bis drei Jahrzehnten
klimaneutral agieren zu wollen, sieht
sich vor allem die energieintensive
Industrie vor erhebliche Probleme
gestellt, um auf eine nahezu CO 2 -freie
Produktion umzustellen, also weg

von den fossilen Brennstoffen. Hier
fehlt es nicht am Willen, sondern an
technischen Möglichkeiten. Um das
zu beschleunigen, will die Bundesre-
gierung die energieintensive Indus-
trie in den kommenden Jahren finan-
ziell unterstützen – und zwar in einer
Größenordnung von zunächst einer
Milliarde Euro. Das „Nationale Dekar-
bonisierungsprogramm“ ist Teil des
Klimapakets.
„Durch die mit dem Klimaschutz-
programm angestoßenen zusätzli-
chen Investitionen wird auch ein
starker Impuls für die Konjunktur ge-
geben und die deutsche Industrie
beim notwendigen Strukturwandel
unterstützt“, heißt es in der Kabi-
nettsvorlage. Zudem trage die Bun-
desregierung sowohl durch die direk-
te Förderung von Forschung und
Entwicklung als auch durch verschie-
dene Marktanreize dazu bei, dass
Deutschland seine Stellung als „Spit-
zentechnologieland für klimafreund-
liche Technologien weiter ausbaut“.
Dazu sei das Klimaschutzprogramm
„sozial ausgewogen“. Die Fördermaß-
nahmen würden gezielt so ausgerich-
tet, „dass auch Menschen mit klei-
nem oder mittlerem Einkommen auf
umweltfreundlichere Alternativen
umsteigen können“.
Opposition, Umweltaktivisten,
aber auch Umweltexperten hatten
das Klimapaket scharf kritisiert.
Ihnen gehen die Maßnahmen der
Bundesregierung nicht weit genug.
Insbesondere die Erhöhung der
Pendlerpauschale sowie der niedrige
Einstiegspreis bei der CO 2 -Bepreisung
sorgen für Diskussionen. Die Koaliti-
on erwägt deshalb, das Klimapaket
noch einmal aufzuschnüren.

Klimapaket


Gutes Klima im Haushalt


Mit einem Ergänzungshaushalt stellt Olaf Scholz die Finanzierung des Klimapakets


sicher. Die Maßnahmen summieren sich auf 54 Milliarden Euro bis 2023.


Neuen Förderprogrammen stehen höhere Abgaben und Steuern gegenüber.


Finanzminister
Olaf Scholz:
Milliarden für
das Klima.

Photothek/Getty Images

Durch die


Investitionen


wird auch ein


starker


Impuls für


die


Konjunktur


gegeben.


Kabinettsvorlage des
Finanzministeriums

Wirtschaft & Politik
MITTWOCH, 2. OKTOBER 2019, NR. 190
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