Handelsblatt - 02.09.2019

(Barré) #1
Vermögensteuer

Vermögende


wollen mehr


Steuern zahlen


Martin Greive Berlin

V


ermögende haben es derzeit
nicht leicht in Deutschland.
Besonders die SPD hat sich
auf die besser Betuchten einge-
schossen: Sie will die Vermögen-
steuer wiedereinführen und den
Spitzensteuersatz anheben. Wie
sehr sich die Leistungsträger der
Gesellschaft missverstanden fühlen,
zeigt nun eine repräsentative You-
gov-Umfrage der digitalen Vermö-
gensverwaltung Liqid, die dem Han-
delsblatt vorliegt.
Die große Mehrheit der Wohlha-
benden findet demnach, Deutsch-
land sei eine „Neidgesellschaft“. Da-
bei haben laut Umfrage Wohlhaben-
de ein Bewusstsein für ihre
gesellschaftliche Verantwortung: So
sind Vermögende mit großer Mehr-
heit für eine Vermögensteuer. „Das
zeigt, dass eine grundsätzliche Be-
reitschaft für höhere Abgaben
durchaus vorhanden ist“, sagt
Christian Schneider-Sickert, Grün-
der von Liqid. „Diese sollten aber so
aufgesetzt sein, dass sie nicht demo-
tivierend wirken oder die Falschen
treffen.“
So findet jeder zweite Vermögen-
de mit mindestens 100 000 Euro
Vermögen, er werde steuerlich
„eher geschont“. Lediglich 28 Pro-
zent der Wohlhabenden sind der
Meinung, sie zahlen mehr als genug
Steuern. Viele Vermögende sind
deshalb bereit, mehr an den Fiskus
abzugeben: 76 Prozent sind für eine
Vermögensteuer, 27 Prozent wollen
eine Sonderabgabe schon ab einem
Vermögen von einer Million Euro,
was nicht einmal die SPD fordert.
„Das ist nicht selbstverständlich
und zeigt, dass der Solidaritätsge-
danke in Deutschland nicht tot ist“,
sagt Schneider-Sickert.
Die Mehrheit der Vermögenden
findet daher, sie werde von der Ge-
sellschaft falsch eingeschätzt. Jeder
Zweite moniert, die Bevölkerung
habe eine falsche Vorstellung von
Vermögenden. Für 72 Prozent ist
Deutschland zudem eine „Neidge-
sellschaft“. Lediglich neun Prozent
der Befragten finden, es gebe in
Deutschland keinen Neid gegenüber
Reichen.
Yougov befragte in zwei repräsen-
tativen Umfragen normale Bürger
(2 006 Teilnehmer) und Bürger mit
einem Vermögen ab 100 000 Euro
(423 Teilnehmer). Auftraggeber Li-
qid ist ein Fintech, an dem HQ
Trust beteiligt ist, das Multi-Family-
Office der Familie Harald Quandt.

Steuerpolitik

Aufziehender Steuerwahlkampf


Nach der CDU legt auch der
SPD-Wirtschaftsflügel ein
Steuerkonzept vor: Der Soli
soll für alle fallen, aber der
Spitzensteuersatz steigen.

Martin Greive, Jan Hildebrand
Berlin

I


n der Steuerpolitik herrscht in
Deutschland Ruhe. Friedhofsru-
he. Seit der Steuerreform Ger-
hard Schröders ist die Einkommen-
steuer nahezu unverändert geblie-
ben, nur Topverdiener müssen etwas
mehr zahlen. Und auch bei den Fir-
mensteuern lautet das Motto seit
zehn Jahren: beständiger Stillstand.
Doch nun kommt neuer Schwung
in die Debatte. Nachdem am Montag
bereits die Union eine Reihe von
Steuervorschlägen vorgelegt hatte,
konterte einen Tag später der Seehei-
mer Kreis, der Wirtschaftsflügel der
SPD, mit einem Konzept. „Wer zwi-
schen 50 000 und 80 000 Euro im
Jahr verdient, hätte mit unserem
Steuermodell deutlich mehr Geld im
Portemonnaie“, sagte der Sprecher
des Seeheimer Kreises, Dirk Wiese.
Nach seinen Vorstellungen soll der
Spitzensteuersatz von 42 Prozent
künftig erst ab einem höheren Ein-
kommen zum Tragen kommen. Statt
wie heute ab einem zu versteuernden
Jahreseinkommen von 56 000 Euro
soll er künftig erst ab 90 000 Euro
greifen. Auch soll der Solidaritätszu-
schlag fallen, und zwar für alle. Die
Koalition schafft den Zuschlag auf die
Einkommensteuer 2021 zwar für 90
Prozent aller Steuerzahler ab, Topver-
diener sollen ihn aber weiter zahlen.
Bis hierhin könnte die Union die
Vorschläge des SPD-Wirtschaftsflü-
gels gutheißen. Doch das Konzept
der SPD-Wirtschaftspolitiker sieht
auch eine Reihe von Steuererhöhun-
gen vor: Ab einem Einkommen von
125 000 Euro im Jahr soll der Steuer-
satz auf 45 Prozent steigen. Bislang
muss diesen „Reichen-Steuersatz“

nur zahlen, wer mehr als 250 000
Euro verdient. Für diese Einkom-
mensgruppe will der Seeheimer
Kreis den Steuersatz ebenfalls anhe-
ben, von 45 auf 49 Prozent.
Auch sollen Erben und Vermögen-
de stärker herangezogen werden.
Oberhalb eines Freibetrags von einer
Million Euro soll jedes Erbe, egal, ob
für Privatleute oder Firmenerben,
mit zehn Prozent besteuert werden.
Das wäre gegenüber heute eine deut-
liche Anhebung, gerade Firmenerben
zahlen in der Regel überhaupt keine
Erbschaftsteuer. Außerdem hält der
Seeheimer Kreis die Debatte über ei-
ne Wiedereinführung der Vermögen-
steuer für „gut“.

Abgeltungsteuer soll weg
Auch unterstützt der Parteiflügel die
Pläne von Bundesfinanzminister Olaf
Scholz zur Einführung einer Finanz-
transaktions- und einer Digitalsteuer.
Zudem will er die Abgeltungsteuer auf
Kapitalerträge in Höhe von 25 Prozent
abschaffen und Gewinne etwa aus Ak-
tienanlagen wieder dem persönlichen
Einkommensteuersatz unterwerfen,
also mit bis zu dann 49 Prozent.
Keine Angaben macht der Seehei-
mer Kreis dazu, welche Aufkom-
menswirkung das Konzept für den
Fiskus hätte. Mehr Geld wollen die
Wirtschaftspolitiker unter anderem
durch einen härteren Kampf gegen
Steuerbetrug einnehmen. Hier bezie-
hen sie sich auf eine Studie, wonach
allein Deutschland im Jahr 125 Milliar-
den Euro an Einnahmen durch Steu-
ertricksereien entgehen. Allerdings
gilt diese Studie in Fachkreisen als
methodisch höchst angreifbar und
damit zweifelhaft.
Zweifel haben auch manche in der
SPD, was der Wirtschaftsflügel mit
dem Konzept bezwecken will. In Tei-
len ähnelt es dem SPD-Steuerkonzept
aus dem Bundestagswahlkampf,
auch hier wollte die SPD schon den
Spitzensteuersatz erhöhen und ihn
im Gegenzug erst ab einem höheren
Einkommen greifen lassen.

Auch kommt das Konzept just in
der Zeit, in der die Kandidaten für
den SPD-Vorsitz Steuerkonzepte vor-
legen. So plant gerade das Kandida-
tenteam Saskia Esken und Norbert
Walter-Borjans einen Großumbau
des Steuersystems, durch den eine
größere Umverteilung von oben nach
unten organisiert wird. Ideen seien
zwar gut, sagt ein Genosse. Aber zu
viele Konzepte nebeneinander seien
für die Partei auch nicht zielführend.
Auch der CDU-Vorstand hatte sich
am Montag für eine Reform der Ein-
kommensbesteuerung ausgespro-
chen – mit dem erklärten Ziel, „die
Leistungsträger in der Mitte unserer
Gesellschaft“ zu entlasten. Das
Grundsatzpapier für den Parteitag im
November sieht ebenfalls vor, die
Einkommensgrenze, ab der der Spit-
zensteuersatz fällig wird, anzuheben.
Auch soll der „Mittelstandsbauch“,
also der starke Belastungsanstieg bei
niedrigen und mittleren Einkommen,
abgebaut werden. Konkrete Werte
nennt die CDU anders als der Wirt-
schaftsflügel der SPD nicht. Auch für
Unternehmen soll die Steuerlast sin-
ken, die CDU will sie bei 25 Prozent
deckeln. Dazu steht wiederum im Pa-
pier des Seeheimer Kreises nichts.
Doch auch wenn beide Parteien ei-
ner Meinung sind, heißt das nicht,
dass sie ihre Vorschläge in einer ge-
meinsamen Regierung tatsächlich
umsetzen. Vor der Wahl 2017 legten
Union und SPD identische Konzepte
vor, wie untere und mittlere Einkom-
men entlastet werden sollten. Be-
schlossen wurden sie in den Koaliti-
onsverhandlungen trotzdem nicht.
Die Opposition hält die Vorschläge
deshalb für wenig glaubwürdig. „Wer
glaubt, dass diese Bundesregierung
den Soli komplett abschafft und zu-
sätzliche Steuersenkungen auf den
Weg bringt, glaubt auch, dass Anne-
gret Kramp-Karrenbauer die nächste
Bundeskanzlerin wird“, ätzt FDP-
Fraktionsvize Michael Theurer.

> Leitartikel Seite 16

Jachthafen
in Spanien:
Der Spitzensteu-
ersatz soll erst
später greifen,
fordern Politiker
unterschiedlicher
Parteien.

Prisma Bildagentur


Wer glaubt,


dass diese


Regierung den


Soli abschafft,


glaubt auch,


dass AKK


nächste


Kanzlerin


wird.


Michael Theurer
FDP-Fraktionsvize

Vermögensteuer

27


PROZENT
der Befragten wollen eine Sonder-
abgabe schon ab einem Vermögen
von einer Million Euro.

Quelle: Yougov

Wirtschaft & Politik
MITTWOCH, 2. OKTOBER 2019, NR. 190
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