Die Welt Kompakt - 09.10.2019

(ff) #1

18 INTERVIEW DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,9.OKTOBER


B

runo Le Maire, der
französische Supermi-
nister für Wirtschaft
und Finanzen verfolgt
wie Staatspräsident Emmanuel
Macron konsequent eine euro-
päische Agenda: europäische
Champions, staatliche Industrie-
politik und Geschlossenheit ge-
genüber den US-Tech-Konzer-
nen. Von diesem Politikstil hat er
offenbar auch seinen deutschen
Kollegen Peter Altmeier (CDU)
überzeugt.


VON ANJA ETTEL UND TOBIAS KAISER

In dieser Woche wird Le Maire
bei den Treffen der europäischen
Finanzminister mit Bundesfi-
nanzminister Olaf Scholz (SPD)
verhandeln. Bei den Themen, die
dabei zur Debatte stehen, sind
sich Deutschland und Frankreich
weniger einig. Im Gespräch am
Rande des WELT European Sum-
mit in Paris appelliert Le Maire
allerdings an die deutsch-franzö-
sische Achse.


WELT:Die Finanzminister der
Euro-Zone werden in dieser
Woche einmal mehr über die
Bankenunion beraten. Das aus
deutscher Sicht umstrittenste
Thema dabei steht nicht auf
der Tagesordnung: die gemein-
same Einlagensicherung. Glau-
ben Sie, dass sich die Euro-
Staaten darauf in den kommen-
den Monaten einigen werden?
Oder ist dafür eine neue Krise
nötig?
BRUNO LE MAIRE: Europa
braucht eine echte Bankenunion,
genauso wie es eine Kapital-
marktunion braucht. Wir müssen


dringend die verbliebenen Bar-
rieren überwinden und das finan-
zielle Fragmentieren in Europa
verringern. Dass wir nach wie vor
keine vollständige Bankenunion
mit starken europäischen Insti-
tuten haben, erlaubt es US-Ban-
ken, ihre Marktanteile in Europa

immer stärker ausweiten. Und
dass wir keinen gemeinsamen
Kapitalmarkt haben, ist ein
Grund dafür, dass es keine euro-
päischen Technologie-Riesen
gibt. Wir müssen deshalb jetzt
endlich vorankommen bei diesen
Themen.

Viele Menschen in Deutschland
lehnen eine Bankenunion ab,
weil sie keine gemeinsame Ein-
lagensicherung wollen. Können
Sie deren Sorgen verstehen?
Wir stehen in Europa immer vor
der gleichen Frage: Wollen wir
mehr Integration oder nicht?
Oder anders formuliert: Wollen
wir in der Lage sein, den USA
und China die Stirn zu bieten,
oder nicht? Natürlich kann ich
die Bedenken vieler Deutscher
verstehen, die keine gemeinsame
Einlagensicherung wollen. Aber
solch eine gemeinsame Einla-
gensicherung würde den euro-
päischen Bankensektor stärken,
der teilweise immer noch schwä-
chelt, auch in Deutschland.
Wenn es uns nicht gelingt, die
europäischen Banken zu stärken,
gehen noch mehr Jobs bei euro-

päischen und deutschen Banken
verloren und wir öffnen die Tü-
ren weit für US-Wettbewerber.
Wenn es uns nicht gelingt, ris-
kieren wir auch erhebliche Tur-
bulenzen im Fall einer neuen Fi-
nanzkrise, und das zu vermeiden
ist auch im Interesse Deutsch-
lands und Frankreichs.

Die Angst vieler Menschen ist
doch vor allem, dass eine ge-
meinsame Einlagensicherung
eine Umverteilung von Erspar-
nissen bedeutet.
Bei den Vorschlägen, die Frank-
reich auf europäischer Ebene
macht, geht es nicht darum, den
Deutschen ihre Ersparnisse zu
nehmen. Wir wollen einfach ei-
nen Solidaritätsmechanismus
schaffen, der Solidarität unter
ganz bestimmten Bedingungen
gewährt. Ein gemeinsames Bud-
get für die Euro-Zone beispiels-
weise soll künftig verfügbar sein,
um Strukturreformen und Inves-
titionen zu finanzieren.

Das klingt in der Theorie schön,
hat in der europäischen Praxis
aber noch nie funktioniert.

Denken Sie nur an den Stabili-
täts- und Wachstumspakt.
Es gab in der Vergangenheit Pro-
bleme, keine Frage. Nehmen Sie
nur Frankreich oder Italien als
Beispiel. Es ist richtig, dass wir
in den vergangenen Jahren nicht
genügend Strukturreformen
durchgeführt haben. Wir sollten
beides tun: Strukturreformen
durchführen und Solidarität or-
ganisieren. Dazu gehören auch
mehr Investitionen in Ländern
wie Deutschland. Es ist besser
für uns alle, wenn die Wirt-
schaftspolitik in der Euro-Zone
stärker koordiniert wird.

Über das gemeinsame Budget
für die Euro-Zone wollen Sie
und Ihre Kollegen aus den an-
deren Mitgliedstaaten eben-
falls diese Woche verhandeln.
Inzwischen hat es nur noch ei-
nen Umfang von 34 Milliarden
Euro über zehn Jahre. Das ist
so wenig; warum verschwenden
Sie darauf überhaupt Zeit?
Wie groß das gemeinsame Bud-
get für die Euro-Zone ist, das ist
erstmal nicht das Thema. Wir
wollen zunächst einen struktu-
rellen Rahmen setzen. Wir müs-
sen bei der geplanten Budgethö-
he auch die angespannte finan-
zielle Situation in einigen Mit-
gliedstaaten berücksichtigen. Ich
habe keinerlei Zweifel, dass die
Größe des Budgets sich im Laufe
der kommenden Jahre entwi-
ckeln wird, ganz besonders,
wenn es eine Krise gibt.

Wie groß hätten Sie es denn
gerne?
Wie groß das Budget für die Eu-
ro-Zone in der Endstufe sein

Bruno Le Maire ist Finanz- und Wirtschaftsminister, aber auch mit Landwirtschaft kennt er sich aus

PICTURE ALLIANCE/ DPA

/QUENTIN TOP

„Frankreich macht


seine Arbeit“


Superminister Bruno Le Maire über Bankenunion, Integration,


Wettbewerbsfähigkeit – und die deutsch-französische Achse


Der liberale Gaullist Bruno
Le Maire,50, begann
seine politische Laufbahn
bei den Konservativen als
Mitarbeiter von Domini-
que de Villepin. Unter
Präsident Nicolas Sarkozy
war er Landwirtschafts-
minister. Im Wahlkampf
unterstützte er Emmanu-
el Macron – und wurde
nach dessen Wahlsieg mit
dem Finanz- und Wirt-
schaftsministerium be-
lohnt.

Unterstützung
für Macron
Free download pdf