Die Welt Kompakt - 09.10.2019

(ff) #1

Der Wirtschaftspodcast


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sollte, darüber möchte ich jetzt
noch nicht spekulieren. Natür-
lich sind 34 Milliarden ein An-
fang. Entscheidend wird sein,
dass die 19 Mitglieder der Euro-
Zone die Summe der externen
Ressourcen erhöhen können, ge-
rade bei einer Krise. Europa soll
nie wieder in die Situation kom-
men, dass es in einer Krise nicht
ausreichend reagieren und sei-
nen Mitgliedern helfen kann. Es
muss vielmehr in unser aller In-
teresse sein, die Grundlagen da-
für zu schaffen, dass sich Mitglie-
der der Euro-Zone nach einer
Krise schnell erholen können.
Das gemeinsame Budget wäre ein
Instrument, um die Euro-Zone
zu stärken und dafür zu sorgen,
dass der Euro mit dem Dollar
konkurrieren kann.


Die Ära Merkel geht zu Ende,
Macron etabliert sich als neuer
starker Mann in Europa, und
die französische Wirtschaft
strotzt vor Kraft. Steht uns eine
goldene Dekade Frankreichs
bevor?
Ich wünsche mir eine goldene
Dekade für Europa mit einer bes-
seren Zusammenarbeit zwischen
den Mitgliedern. Deutschland
hat sehr erfolgreich weitreichen-
de Entscheidungen getroffen,
um Arbeitsplätze zu schaffen
und seine Wettbewerbsfähigkeit
zu steigern. Niemand hat ein In-


teresse an schwachem Wachs-
tum in Deutschland, am allerwe-
nigsten Frankreich. Niemand
kann in Europa vorankommen,
wenn nicht alle miteinander Er-
folg haben. Umso wichtiger ist
es, dass wir uns einig sind in der
gegenwärtigen schwierigen wirt-
schaftlichen Lage mit niedriger
Inflation und Zinsen, die teilwei-
se sogar negativ sind. Das ist ein
völlig neues ökonomisches Um-
feld und es wäre ein großer Feh-
ler, darauf nicht zu reagieren.
Genau deshalb habe ich wieder-
holt dazu aufgerufen, in Ländern
wie Frankreich Strukturrefor-
men anzugehen und in Ländern
mit dem entsprechenden fiskali-
schen Spielraum wie Deutsch-
land mehr zu investieren. Nie-
mand wird erfolgreich sein,
wenn keiner von uns für sich er-
folgreich ist.

Es gibt in Deutschland das
Sprichwort, dass jeder am bes-
ten vor seiner eigenen Haustür
kehre. Was tut denn Frank-
reich, um seine eigenen Defizi-
te anzugehen?
Frankreich macht seine Arbeit.
Wir haben wichtige Reformen
durchgezogen und sind wettbe-
werbsfähiger geworden, haben
unsere staatlichen Ausgaben re-
duziert und das exzessive Defi-
zit zurückgefahren. Unsere Neu-
verschuldung wird 2020 bei 2,

Prozent liegen, das wird der bes-
te Wert seit 20 Jahren sein. Ziel
muss es sein, mehr Wachstum,
mehr Wohlstand, mehr Innova-
tionen und mehr Jobs zu schaf-
fffen. Ein ausgeglichener Haus-en. Ein ausgeglichener Haus-
halt ist nur Mittel zum Zweck,
aber nicht das Ziel, und sollte
sich dem Konjunkturzyklus an-
passen.

Sie meinen, Olaf Scholz irrt,
wenn er die Schwarze Null ver-
teidigt?
Wir müssen mit unseren deut-
schen Partnern intensiv über die
Schwarze Null diskutieren. Mei-
ne beiden Freunde Olaf Scholz
und Peter Altmaier erzählen mir
immer, dass die staatlichen In-
vestitionen in Deutschland aus-
reichen. Ich bleibe überzeugt,
dass höhere Investitionen mög-
lich sind, und viele Konzernchefs
in Deutschland bestätigen mir
das. Als ich bei einer Konferenz
vor 1500 deutschen Firmenchefs
für mehr Investitionen plädiert
habe, habe ich dafür sehr viel Un-
terstützung bekommen.

Frustriert es Sie, dass die Bun-
desregierung so gar nicht zu-
hört?
Nein, ich bin sehr zuversicht-
lich, dass wir am Ende schon zu
einer gemeinsamen Sicht auf die
Dinge kommen werden. Als ich
2 017 nach Berlin kam, um mit

dem damaligen Finanzminister
WWWolfgang Schäuble zu verhan-olfgang Schäuble zu verhan-
deln, sagte er mir: „Ein gemein-
sames Budget für die Euro-Zone
wird es nie geben, niemals.“ Und
jetzt haben wir uns mit Deutsch-
land eben doch darauf verstän-
digt. Das wird uns auch in der
Frage der richtigen ökonomi-
schen Strategie gelingen, da bin
ich mir ganz sicher. Der deutsch-
fffranzösische Motor war schonranzösische Motor war schon
immer stark, er wird auch in Zu-
kunft funktionieren. Darüber
mache ich mir keine Sorgen,
aber um Europa mache ich mir
sehr wohl Sorgen. Wenn wir un-
sere Volkswirtschaften nicht
besser integrieren, ist die Euro-
Zone in Gefahr.

Haben Sie Angst vor einem Zu-
sammenbruch der Euro-Zone?
Das Wort will ich nicht in den
Mund nehmen. Aber die Euro-
Zone ist noch längst nicht krisen-
fest. Einige Länder denken, dass
die Währungsunion bereits fertig
ist, aber das ist nicht der Fall. Ei-
ne gemeinsame Währung ohne
gemeinsames Budget ist ein öko-
nomischer Fehler.

Was erwarten Sie von der fran-
zösischen EZB-Präsidentin
Christine Lagarde?
Die EZB ist unabhängig, deshalb
werde ich hier keine Ratschläge
geben. Aber die lockere Geldpoli-

tik, die sie momentan betreibt,
ist relevant. Trotzdem kann die
Geldpolitik die Arbeit nicht allei-
ne leisten.

Weil die Inflation tot ist?
Die lockere Geldpolitik jetzt zu
beenden, wäre eine Gefahr für
das Wirtschaftswachstum in Eu-
ropa. Geldpolitik allein ist natür-
lich nicht genug. Das ist eine Vo-
raussetzung, aber nicht die wirt-
schaftliche Lösung. Die Länder,
die es sich leisten können, sollten
mehr investieren und ihren fiska-
lischen Spielraum ausnutzen, um
das Wachstum in der Euro-Zone
als Ganzes zu befeuern. Wir soll-
ten mehr in Technologien inves-
tieren, denn das wird letztlich
über Europas Souveränität ent-
scheiden.

Aber wenn Sie Draghi recht ge-
ben...
Mario Draghi hat Recht.

...dann wird es auf sehr lange
Sicht kein Ende des Gelddru-
ckens und Schuldenmachens
geben.
Ich kenne die Debatte in
Deutschland und nicht nur in
Deutschland. Ich teile die Ein-
schätzung nicht. Die EZB unter
Draghi hat genau das Richtige ge-
tan, um der Euro-Zone zu helfen.
Es reicht nur als einzige Maßnah-
me nicht aus.

DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT MITTWOCH, 9. OKTOBER 2019 INTERVIEW 19


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