Die Welt Kompakt - 09.10.2019

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DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,9.OKTOBER2019 THEMA DES TAGES 3


Gleichzeitig kontrollieren die
SDF Gefängnisse, in denen IS-
Terroristen einsitzen. Sollte es
wirklich zu Gefechten zwischen
Türken und Kurden kommen,
könnten IS-Kämpfer in der un-
übersichtlichen Lage leichter
entkommen. Das ist auch für Eu-
ropa ein Sicherheitsrisiko.
Für Erdogan aber sind die
SDF Terroristen. Er lehnt be-
sonders eine Gruppe, die inner-
halb der SDF kämpft, vehement
ab: die kurdische Volksverteidi-
gungseinheit YPG. Die YPG ist
der bewaffnete Arm der kur-
disch-syrischen Partei der De-
mokratischen Union (PYD), die
ein de facto autonomes Gebiet
in Nordsyrien verwaltet: Rojava,
auf Deutsch Westkurdistan. Für
Erdogan ist das Feindesgebiet.


KURDEN IN DER TÜRKEI


Denn die YPG ist eng mit dem
türkischen Zweig der bewaffne-
ten Kurden verbunden: der mili-
tanten Untergrundorganisation
PKK, der Arbeiterpartei Kurdis-
tans. Die PKK kämpft in der Tür-
kei für kurdische Autonomie
und ist dort verboten. Auch in
der EU und den USA steht sie
auf der Terrorliste. Für Erdogan
ist die YPG eine Bedrohung. Er
hat immer wieder den Westen
aufgefordert, nicht mit der
Gruppe zu kooperieren, und
sieht die Türkei von kurdischen
Autonomie- und Unabhängig-
keitsbestrebungen bedroht.
Weil die YPG aber im Kampf ge-


gen den IS so entscheidend ist,
kamen weder die USA noch die
EU der Aufforderung nach.
Auch im eigenen Land geht
Erdogan mit harter Hand gegen
die Kurden vor. Seit 1984 gibt es
bewaffnete Auseinandersetzun-
gen zwischen der türkischen Ar-
mee, PKK-Kämpfern und Para-
militärs. Türkische Kurden lei-
den unter Diskriminierung, lan-
ge war der offizielle Gebrauch
der kurdischen Sprache verbo-
ten. Zwar startete Erdogan zwi-
schenzeitlich einen Friedens-
prozess, 2013 gab es sogar einen
Waffenstillstand. Doch der hielt
nur zwei Jahre.
Denn 2015 wurden die Kurden
Erdogan auf einmal innenpoli-
tisch gefährlich. Bei den natio-
nalen Wahlen zog die prokurdi-
sche HDP ins Parlament ein und
brachte Erdogans islamisch-
konservative Partei AKP damit
um die absolute Mehrheit. Der
HDP wird nachgesagt, Verbin-
dungen zur PKK zu unterhalten.
Prokurdische Politiker stellten
sich klar gegen Erdogans autori-
tären Kurs. Nach einem An-
schlag durch die PKK, bei dem
zwei türkische Polizisten star-
ben, kündigte die türkische Re-
gierung den Friedensprozess
auf. Die Armee rückte in den
Südosten des Landes ein, in dem
hauptsächlich Kurden wohnen.

KURDEN IM IRAK

Da die PKK in der Türkei verbo-
ten ist, hat die Führung Zuflucht

im angrenzenden Irak gesucht.
Ihr Hauptquartier liegt in den
Kandil-Bergen. Doch das Ver-
hältnis der irakischen Kurden zu
den PKK-Vertretern ist ange-
spannt. Denn die Situation der
Kurden im Irak ist eine gänzlich
andere als in Syrien oder der
Türkei.
Die irakischen Kurden haben
politisch am meisten erreicht.
Seit den 90er-Jahren ist die ira-
kische Region Kurdistan offi-
ziell unabhängig und autonom
verwaltet. Erbil ist ihre Haupt-
stadt, hier sitzt auch die regio-
nale Regierung. Anders als die
PKK oder die YPG setzen die
irakischen Kurden ihre Anliegen
eher auf diplomatischem Wege
durch, statt zu den Waffen zu
greifen.
Dabei hilft ihnen die interna-
tionale Anerkennung. Auch
Deutschland hat eine diplomati-
sche Vertretung vor Ort. Und
mit Ankara unterhält Erbil ver-
hältnismäßig enge Beziehungen
und lässt sogar zu, dass die Tür-
kei die PKK auf irakisch-kurdi-
schem Gebiet bekämpft. Die Re-
gionalregierung fordert die PKK
immer wieder auf, die Waffen
niederzulegen.
Im Gefecht gegen den IS ha-
ben die militärischen Einheiten
der irakischen Kurden zusam-
men mit den anderen kurdi-
schen Gruppen eine zentrale
Rolle gespielt. Sie heißen Pe-
schmerga und sind so etwas wie
eine irakisch-kurdische Armee.
Obwohl zwischen ihnen und der
PKK sowie der YPG Spannungen
herrschen, haben die Peschmer-
ga an ihrer Seite gegen den IS
gekämpft. Dabei unterstützte
sie auch Deutschland, unter an-
derem mit militärischer Ausrüs-
tung. Die Bundeswehr hat zu-
dem geholfen, Peschmerga-
Kämpfer für den Anti-IS-Einsatz
auszubilden.
Obwohl die irakische Zentral-
regierung die Autonomie der
Kurden im Land weitgehend res-
pektiert, lehnt Bagdad die Unab-
hängigkeit Erbils ab. Ein Unab-
hängigkeitsreferendum im Ok-
tober 2018 verurteilte die iraki-
sche Regierung als illegal und
verfassungswidrig. Die Empö-
rung war so groß, dass sogar die
alten Feinde Irak und Iran ein
gemeinsames Militärmanöver
abhielten – das erste seit rund
40 Jahren. Auch im Iran leben
sechs Millionen Kurden, Tehe-
ran aber hat keinerlei Interesse
an einer kurdischen Unabhän-
gigkeit. Beide Länder, Irak und
Iran, fürchten sich vor einer
weiteren Desintegration der Re-
gion.
Das dürfte auch der Grund
sein, warum Teheran alarmiert
auf einen türkischen Militärein-
satz in Nordsyrien blickt. Nach
der Ankündigung Erdogans
schloss sich Teheran den inter-
nationalen Warnungen vor ei-
nem Einmarsch an. Der irani-
sche Außenminister Mohammed
Dschawad Sarif forderte sein
türkisches Gegenüber Mevlüt
Cavusoglu in einem Telefonat
auf, Syriens Integrität und Sou-
veränität zu respektieren.

AFP

/ DELIL SOULEIMAN

T


raurig“, „lächerlich“, „ge-
fährlich“, „ein Sieg für Iran
und Assad“, „großer Feh-
ler“, „katastrophaler Fehler“. So
redeten am Montag republikani-
sche Parteifreunde über die Au-
ßenpolitik des amerikanischen
Präsidenten, genauer gesagt:
über seinen Plan, die US-Truppen
aus dem nördlichen Syrien abzu-
ziehen. Solch frontale Attacken
aus dem eigenen Lager musste
Donald Trump schon lange nicht
mehr ertragen – zuletzt Ende
2018, als er plötzlich alle rund
2000 amerikanischen Soldaten
aus Syrien abziehen wollte. Da-
raus ist bekanntermaßen nichts
geworden.

VON DANIEL-FRIEDRICH STURM
AUS WASHINGTON

Es sind in diesen Tagen politi-
sche Gewitterstürme, gegen die
sich Trump wappnen muss. Da
sind die Enthüllungenzum Ukrai-
ne-Skandal, die dazu führen, dass
die Demokraten nun ein Amtsent-
hebungsverfahren gegen den Prä-
sidenten erwägen. Da gibt es un-
ter den Amerikanern Umfragen
zufolgeeine zunehmende Unzu-
friedenheit mit Trump. Und jetzt
gibt es noch den offenen Wider-
stand der eigenen Leute gegen
dessen Außenpolitik. Gut mög-
lich, dass sich darin bei etlichen
Republikanern der grundsätzliche
Frust mit Trump entlädt. In der
Ukraine-Affäre, Trumps jüngstem
politischen Tabubruch, ausländi-
sche Regierungen um Munition
gegen innenpolitische Gegner zu
bitten, haben sich seine Republi-
kaner bisher zurückgehalten.
Sollte auch dieser Damm jetzt
brechen? Das Problem: Wenn
Trump unter Druck steht, agiert
er noch unberechenbarer und ir-
rationaler als ohnehin üblich.
Das Weiße Haus hatte den
Truppenabzug am Sonntagabend
gegen 23 Uhr angekündigt. Trump
habe am Sonntag mit seinem tür-
kischen Amtskollegen Recep
Tayyip Erdogan telefoniert und
ihm zugesagt, die US-Truppen im
nördlichen Syrien zurückziehen.
Sie würden bei der „lange geplan-
te Operation“ der türkischen
Streitkräfte – gemeint: gegen die
kurdischen Volksverteidigungs-
einheiten (YPG) – nicht ein-
schreiten. Nur wenige Stunden
später verließen die US-Soldaten
ihre Schlüsselstellungen in Ras al-
Ain und Tal Abjad. Der erwartete
Einsatz richtet sich gegen die kur-
dische YPG-Miliz, Verbündete
des Westens, von Ankara aber we-
gen ihrer Nähe zur PKK als Ter-
rororganisation eingestuft.
Während Trump und Erdogan
also längst Realitäten auf dem
Boden geschaffen hatten, braute
sich in den USA das innerpartei-
liche Gewitter gegen den Präsi-
denten zusammen. Es waren in-

des nicht etwa Hinterbänkler
oder Senatoren auf dem Weg in
den Ruhestand, die Trump kriti-
sierten. Sondern zum Beispiel
Mitch McConnell, der mächtigste
Republikaner nach Trump und
Mehrheitsführer im Senat. In al-
ler Offenheit demonstrierte er
seinen Dissens mit Trump und
forderte ihn mit einer kleinen
Boshaftigkeit auf, „Führung“ zu
zeigen und seine Entscheidung
zu überdenken. Ein Rückzug der
US-Truppen aus Nordsyrien
schwäche die nationale Sicher-
heit der USA und stärke mögli-
cherweise die Terroristen des Is-
lamischen Staates (IS).
Die Demokraten wiesen
Trumps Schritt ohnehin zurück.
„Impulsiv und erratisch“ habe
Trump mal wieder agiert, sagte
Joe Biden, Ex-Vizepräsident und
möglicher Herausforderer
Trumps bei der Präsidentschafts-
wahl. Trump habe seine Entschei-
dung nach einem Telefonat mit
einem ausländischen Regierungs-
chef getroffen und sogleich kund-
getan, sich aber nicht mit dem ei-
genen Verteidigungsministerium
beraten. Trump handele „ohne je-
de klare Strategie und gegen den
Rat unserer militärischen Füh-
rungsleute“, sagte der demokrati-
sche Fraktionschef im Repräsen-
tantenhaus, Steny Hoyer. Der de-
mokratische Senator Chris Murp-
hy und der republikanische Sena-
tor Mitt Romney verlangten in ei-
ner gemeinsamen Erklärungeine
Anhörung des Kongresses zu
Trumps Entscheidung, und zwar
„so schnell wie möglich“.
Wo Trump die Kritik der De-
mokraten vermutlich kalt lässt,
müssen ihn die Attacken aus dem
eigenen Lager umso mehr
schmerzen. Und bei den Republi-
kanern hagelte es nur so Kritik.
Senator Patrick Toomey verlang-
te, Trump müsse seine Entschei-
dung „unverzüglich überdenken“.
Die Kritik seines „Freundes“, des
einflussreichen Senators Lindsey
Graham, dürfte Trump besonders
treffen, zumal wegen ihrer gepfef-
ferten Wortwahl. „Traurig“ und
„gefährlich“ sei dessen Ankündi-
gung, schrieb Graham, der ein re-
gelmäßiger Golf-Partner des
mächtigsten Mannes der Welt ist.
„Präsident Trump mag müde vom
Kampf gegen den radikalen Islam
sein“, twitterte Graham. Die Isla-
misten aber seien „nicht müde,
gegen uns zu kämpfen“. Eine Be-
merkung Grahams dürfte bei den
Republikanern als besonders bis-
sig wahrgenommen werden: Hät-
te er nicht Trumps Namen auf
dem entsprechenden Tweet gele-
sen, hätte er gedacht, dies wäre
Barack Obamas einstige Begrün-
dung für den Abzug aus dem Irak
gewesen, schrieb Graham. Ex-
Präsident Obama ist bei den Re-
publikanern, vor allem Trump,
geradezu verhasst.

Aufstand der Republikaner


gegen Syrienpolitik


Führende Parteifreunde warnen US-Präsidenten


vor Konsequenzen und fordern ein Überdenken

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