Die Welt Kompakt - 09.10.2019

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8 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH, 9. OKTOBER 2019


A

m 15. August 2018
schickt Monika F.
(Name von der Re-
daktion geändert) ei-
nen Tweet ab. „Wieso sind
schwule alman Männer so kras-
ser Abfall“, steht seitdem auf
ihrem Twitteraccount @zuge-
zogenovic. Auf Türkisch bedeu-
tet „Alman“ Deutscher. Sinnge-
mäß steht da also „Wieso sind
schwule deutsche Männer so
krasser Abfall?“ Wenn deut-
sche, schwule Männer also Ab-
fall sein sollen, dann passiert
Folgendes mit ihnen: Sie wer-
den weggeworfen, anschlie-
ßend gesammelt, am Schluss
verbrannt.


VON FRÉDÉRIC SCHWILDEN

Der freie Journalist Boris Po-
falla, der auch für WELT arbei-
tet, bringt den Tweet zur An-
zeige. Pofalla ist schwul. Homo-
sexuelle, egal ob deutsch oder
nicht, werden und wurden sys-
tematisch diskriminiert und be-
nachteiligt. Etwa 100.000 Men-
schen wurden in der NS-Zeit in
deutschen Konzentrationsla-
gern inhaftiert. Etwa 53.
wurden dort ermordet. Bis 1994
existierte unter dem Titel „Ho-
mosexuelle Handlungen“ der
Paragraf 175 im deutschen
Strafgesetzbuch. Bis heute ist
zumeist männliche Homose-
xualität in mehr als 30 vor-
nehmlich afrikanischen Län-
dern illegal. Im Iran, in Brunei,
im Jemen, in Saudi-Arabien,
den Vereinigten Arabischen
Emiraten, Mauretanien, im Su-
dan, in Nigeria und Somalia
wird die Todesstrafe für Schwu-
le verhängt. Für lesbische Frau-
en gibt es meist keine Todes-
strafe. Sie werden aber zu bis
zu 100 Peitschen- oder Stock-
hieben verurteilt.
Insgesamt, so vermeldete es
die Bundesregierung 2017, stei-
ge die Zahl homo- und trans-
phobischer Übergriffe in
Deutschland. Von 2016 bis 2017
war es eine Steigerung um 27,
Prozent. In diesem Jahr wurden
bis zum Juni bereits 245 Fälle
homo- und transphobisch moti-
vierter Hasskriminalität er-
fasst. Im gesamten Jahr 2018
waren es 351. Die Staatsanwalt-
schaft Berlin ist die einzige
Staatsanwaltschaft in Deutsch-
land und eine der ganz wenigen
Staatsanwaltschaften europa-
und weltweit, die einen eigenen
Fachbereich für LSBTI, also für
Kriminalität gegen Lesben,
Schwule, Bisexuelle, trans- und
intergeschlechtliche Menschen,
hat. Und diese Abteilung nahm
auch die Ermittlungen gegen
die Betreiberin des Twitterac-
counts @zugezogenovic wegen
Volksverhetzung auf. Am Tele-
fon erklärt die Staatsanwalt-
schaft, dass man sehr gut mit
den Betreiberfirmen sozialer
Netzwerke zusammenarbeite.
„Das klappt meistens reibungs-
los auch ohne Durchsuchungs-
beschluss.“ Wie im konkreten
Fall von @zugezogenovic er-
mittelt wurde, will die Behörde
aus ermittlungstaktischen


Gründen nicht sagen. Die Iden-
tität konnte jedenfalls festge-
stellt werden. Es kam zu einem
Verfahren gegen Monika F.
Die Hauptverhandlung fand
am 10. September in Saal 307
des Amtsgerichts Tiergarten
statt. Die Verteidigung von Mo-
nika F. argumentierte während
des Verfahrens mit der Mei-
nungsfreiheit, wie Prozessbe-
obachter und die Staatsanwalt-
schaft bestätigten. Sie habe in
zugespitzter Form ihre Mei-
nung vertreten. Zu keinem
Zeitpunkt argumentierte die
Verteidigung damit, dass der
Tweet von Monika F. ein künst-
lerischer Beitrag wäre, der von
der Kunstfreiheit gedeckt sei.
Interessanterweise ergänzte
Monika F. ihre Account-Be-
schreibung trotzdem zwischen-
zeitlich um den Zusatz „witzige
Satire (beruflich)“.
Die Staatsanwaltschaft for-
derte schließlich auch einen
Freispruch für Monika F., dem
das Gericht nachkam. Vor dem
Verfahren sah das noch anders

aus: Da hatte die Staatsanwalt-
schaft den Tweet noch als „eine
unerträgliche Äußerung“ ge-
wertet und erklärt, eine „Wer-
tung als Satire war nie ange-
dacht“. Aus ihrer Sicht „erfüllte
die Äußerung den Tatbestand
der Volksverhetzung“.
In der Hauptverhandlung ar-
gumentierte die Staatsanwalt-
schaft schließlich nach eigenen
Angaben, dass es nicht eindeu-
tig sei, wer mit „schwule alman
Männer“ konkret gemeint sei.
„Alman“, so die Staatsanwalt-
schaft, sei ein Begriff, der nicht
nur deutsche, sondern auch
„sich typisch deutsch verhal-
tende“ oder „allgemein Spießer
meinen“ könnte. Deswegen
komme Volksverhetzung nicht
infrage, weil „schwule alman
Männer“ keine abgrenzbare
Personengruppe seien.
Fraglich ist die Argumentati-
on trotzdem. Liest sich die Be-
gründung doch wie eine Anlei-
tung zum rechtlich erlaubten
Schwulenhass. Reicht es schon,
ein Wort in einer anderen Spra-

che zu benutzen, um den Straf-
tatbestand der Volksverhet-
zung zu umgehen? Und auf
Schulhöfen werden Kinder
auch „Jude“ genannt, was von
den Tätern als Schimpfwort be-
nutzt wird, ohne dass es sich
bei den Opfern zwangsläufig
um Juden handeln muss. Ist das
nicht trotzdem Judenhass?
In einem Telefonat erwähnte
die Staatsanwaltschaft als Bei-
spiel für einen schwulen Alman
übrigens den rechtspopulisti-
schen Theologen David Berger,
der durch sein Auftreten zum
Alman werde, aber nicht durch
seine Nationalität. Ferner, so
die Staatsanwaltschaft Berlin,
könnten auch Türken oder Ara-
ber „alman“ sein, wenn sie sich
so verhielten. Die Frage ist na-
türlich trotzdem, wie dieser
Tweet zu verstehen ist. Diese
Frage wurde vor Gericht nicht
beantwortet. Interviewanfra-
gen per Mail beantwortete Mo-
nika F. nicht, obwohl sie vorher
per Twitter verkündete, Inter-
views geben zu wollen. Schließ-
lich forderte sie per Twitter
Geld für ein Interview.
Wer ist Monika F.? Auf einem
Foto von 2015 sehen wir eine
junge Frau. In dieser Zeit arbei-
tete sie für Linke-Bundestags-
abgeordnete als studentische
Hilfskraft im Rahmen des Inter-
nationalen Parlaments-Stipen-
diums (IPS). In der Beschrei-
bung des Stipendiums heißt es:
„Der Deutsche Bundestag ver-
gibt mit der Freien Universität
Berlin, Humboldt-Universität
zu Berlin sowie der Techni-
schen Universität Berlin jähr-
lich etwa 120 Stipendien für jun-
ge Hochschulabsolventen aus
44 Nationen.“ Schirmherr des
Stipendiums ist der Bundes-
tagspräsident. Die Ziele des Sti-
pendiums sind: „Beziehungen
zwischen Deutschland und den
Teilnehmerländern zu fördern,
demokratische Werte und Tole-
ranz zu festigen, Verständnis
für kulturelle Vielfalt zu vertie-
fen, friedliches Zusammenleben
in der Welt zu sichern.“ Wir
hätten Monika F. gerne gefragt,
inwieweit ihr Twitterverhalten
demokratische Werte und Tole-
ranz festigt und Verständnis für
kulturelle Vielfalt vertieft.
Am 21. September 2019
schrieb Monika F. über ihren
Account @zugezogenovic:
„möchte mich bei allen für die
Soli bedanken fürs Nachfragen
und Dasein über die gesamten
10 Monate insbesondere bei de-
nen die bei der Verhandlung da-
bei waren @MartinaRenner
@leogfischer @mon_ferri @mi-
riamino (und nicht-User) ohne
euch hätt ich das nicht über-
standen.“ Am Ende setzte sie
noch ein Herz. @leogfischer ist
der Account von Leonhard Fi-
scher, dem ehemaligen Chefre-
dakteur der Satire-Zeitschrift
„Titanic“. Auf der Crowdfun-
ding-Plattform Leetchi sam-
melt Fischer derzeit übrigens
Geld für Monika F. Sie sei der-
zeit von einer „Abschiebung be-
droht“ und „benötigt dafür fi-
nanzielle Unterstützung“,

schreibt Fischer dort. Eine In-
terviewanfrage, wie seine Un-
terstützung während des Ver-
fahrens aussah, beantwortete
Fischer nicht.
@MartinaRenner ist der Ac-
count von Martina Renner, der
stellvertretenden Parteivorsit-
zenden der Linken. Sie war auch
in der Verhandlung vom 10. Sep-
tember anwesend. Nach mehre-
ren Telefonaten und der Versi-
cherung, man werde sich mel-
den, kam schließlich die Absage
eines Gesprächs. Renner ist im
Kuratorium der Bundeszentrale
für Politische Bildung und im
Beirat des Bündnis für Demo-
kratie und Toleranz vertreten.
Bei einer Rede vor Kurzem im
Bundestag trug Renner einen
Anstecker der Antifa. Sie the-
matisierte unter anderem die
Hetze gegen „emanzipierte
Frauen und Menschen, die sich
für Minderheiten und Humanis-
mus einsetzen“. Warum Renner
eine Frau unterstützt, die
schwule Männer als Abfall be-
zeichnet, erklärte sie uns nicht.
Überhaupt will bei der Lin-
ken niemand über Monika F. re-
den. In einem Chat äußerte sich
dann ein Mitglied anonym über
die Tweets von Monika F. Das
Mitglied versteht nicht, warum
ein Journalist sich dafür inte-
ressiert. „Ich bekomme jeden
Tag Schlimmeres“, schreibt es.
Und weiter: „Ich mag den Ac-
count weil er intelligent übliche
ressentiments und stammtisch-
parolen umdreht und vielen
Privilegierten radikal den Spie-
gel vorhält.“ Inwieweit Schwule
privilegiert sind, die häufig Op-
fer von Gewalt werden, sei da-
hingestellt.
Politiker anderer Parteien
sind auch vorsichtig mit State-
ments. Renate Künast (Grüne),
die gerade mit dem Slogan
„#nohatespeech“ einen Appell
gegen digitale Gewalt gestartet
hat, könne aus terminlichen
Gründen nicht. Jens Spahn
(CDU) will sich nicht äußern.
Und Klaus Lederer (Linke) lässt
schließlich ein Statement ver-
schicken, in dem es um ein Ge-
richtsurteil im Fall Künast geht.
Vor wenigen Wochen urteilte
ein Gericht, dass man Künast
straffrei „Drecksfotze“ nennen
könne. Schließlich äußert sich
der frühere Grünen-Abgeord-
nete Volker Beck gegenüber
WELT: „Volksverhetzung ist die
Aussage in der Tat nicht. Aber
es ist eine besonders krasse
Form der Kollektivbeleidigung:
Wer Menschen als Abfall be-
zeichnet, wertet sie ab und will
sie eben wie Abfall entsorgen.
Will das Gericht wirklich, dass
diese Aussage sagbar sein soll?“
Michael Roth (SPD), Staats-
minister im Auswärtigen Amt,
kandidiert derzeit mit Christi-
na Kampmann für den Vorsitz
der SPD, seit 2012 mit seinem
Mann verheiratet, schreibt
WELT: „Dieses Gerichtsurteil
beschämt mich. Niemand ist
‚krasser Abfall‘, weder ‚schwule
Almans‘ noch sonst irgend ein
Mensch.“ Besser kann man das
nicht ausdrücken.

Anleitung zum


Schwulenhass


Eine Frau bezeichnete Homosexuelle


als „krassen Abfall“. Dafür bekommt


sie aus der Linkspartei und von einem


Satiriker „Solidarität und


Unterstützung“


GETTY IMAGES
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