Süddeutsche Zeitung - 09.10.2019

(sharon) #1
von claus hulverscheidt

New York– Eineknappe Minute nur hielt
sich Kristalina Georgiewa mit Floskeln
und Höflichkeiten auf, dann ließ sich nicht
länger verbergen, was ihr bei der Erwäh-
nung ihrer Vorgängerin tatsächlich durch
den Kopf ging: Die „wunderbare“ Christi-
ne Lagarde, so Georgiewa am Dienstag bei
ihrer ersten Rede als neue Chefin des Inter-
nationalen Währungsfonds (IWF), sei ja
einst Mitglied des französischen National-
teams im Synchronschwimmen gewesen.
Und das Wort „synchron“ komme einem
auch heute wieder in den Sinn, denn die
Weltwirtschaft stecke „in einem synchro-
nen Abschwung“. Bereits für 2019 geht der
Fonds nach Georgiewas Worten davon aus,
dass das Wirtschaftswachstum beinahe
weltweit niedriger ausfallen wird als noch
im Vorjahr – mancherorts gar so niedrig
wie noch nie in diesem Jahrzehnt.
Nicht immer sind neue IWF-Direktoren
gleich in ihrer ersten Rede derart mit der
Tür ins Haus gefallen, wie es die Bulgarin
jetzt getan hat. Aber offensichtlich war sie
der Ansicht, dass angesichts der weltweit
wachsenden Rezessionsgefahr keine Zeit
für Geschwurbel bleibt. Zwar wies sie wie-
derholt darauf hin, dass es die Staatenge-
meinschaft selbst in der Hand habe, sich
dem Abschwung gemeinsam entgegenzu-
stellen. Sie deutete aber auch an, was pas-
sieren wird, wenn die gemeinsame An-
strengung ausbleibt: eine lang anhaltende
Stagnation, Währungskriege, ein weiterer
Anstieg des Populismus – kurzum, ein ris-
kanter, demokratiegefährdender Mix.

Interessant ist, dass Georgiewa bei ihrer
Rede in der Washingtoner IWF-Zentrale
keine taktischen Rücksichten nahm, son-
dern die Probleme offen ansprach. Zwar
nannte sie niemanden direkt beim Namen


  • aber sie rügte deutlich die Handelspoli-
    tik von US-Präsident Donald Trump, Chi-
    nas lange Praxis der Industriespionage
    oder die Weigerung finanziell starker Staa-
    ten wie Deutschland, mehr als bislang zur
    Stützung der Weltkonjunktur beizutragen.
    Für besonders kritisch hält die IWF-Che-
    fin dabei den Zoll-Konflikt zwischen den
    USA und China, der weltweit bereits zu ei-
    ner deutlichen Abschwächung der Indus-
    trieproduktion und der Investitionen ge-
    führt habe. „Es besteht die ernste Gefahr,
    dass sehr bald schon auch der Dienstleis-
    tungssektor und der Konsum in Mitleiden-
    schaft gezogen werden“, sagte Georgiewa.
    Allein 2020 könne der Handelsstreit die
    Welt rund 700 Milliarden Dollar an Wirt-
    schaftsleistung kosten – das entspräche
    dem Bruttoinlandsprodukt der Schweiz.
    Nimmt man das Brexit-Chaos und all
    die anderen politischen Spannungen auf
    der Welt noch hinzu, sieht das Konjunktur-
    bild aus Sicht der IWF-Chefin noch düste-
    rer aus. „Selbst wenn das Wachstum 2020
    wieder leicht anziehen sollte, könnten die
    gegenwärtigen Zerwürfnisse zu Verände-
    rungen führen, die eine ganze Generation
    lang zu spüren sein werden: zerstörte Lie-
    ferketten, isolierte Handelssektoren, eine
    ‚digitale Berliner Mauer‘, die Länder dazu
    zwingt, zwischen unterschiedlichen Syste-
    men zu wählen“, so Georgiewa.
    Ihr Pessimismus deckt sich mit dem vie-
    ler anderer Experten. Torsten Sløk etwa,
    Chefökonom der Deutschen Bank in New
    York, veröffentlichte allein in den vergan-
    genen Tagen ein ganzes Bündel an Grafi-
    ken, die zeigen, dass der Boom in den USA
    vorbei ist. Die Stimmung in den Firmen sei


schlecht, die Auftragseingänge aus dem
Ausland regelrecht miserabel, so Sløk sinn-
gemäß. „Es ist kein Ende des Abschwungs
in Sicht, das Rezessionsrisiko ist real.“
Georgiewa plädierte dafür, das Handels-
recht zu modernisieren und stärker auf die
sozialen Folgen von Globalisierung und Ar-
beitsteilung zu achten. „Der Schlüssel ist,
das System zu verbessern – nicht, es aufzu-
geben“, sagte sie. Hinzukommen müssten
jedoch eine global abgestimmte Geld- und
Finanzpolitik. Die IWF-Chefin mahnte, die
Leitzinsen dort, wo es wirtschaftlich gebo-
ten sei, niedrig zu halten – warnte aber
auch vor den Folgen. Nicht nur dass sich
Fonds, Lebensversicherungen und andere
Investoren wegen der niedrigen Zinsen zu
immer riskanteren Anlagestrategien ge-
zwungen sähen. Vielmehr bestehe bei ei-
ner längeren Rezession auch die Gefahr vie-
ler Firmenpleiten, weil sich unzählige Un-
ternehmen zu hoch verschuldet hätten.
Entscheidend für eine Konjunkturwen-
de sind aus Sicht des IWF aber nicht die No-

tenbanken, sondern die Regierungen. „Für
Länder mit Spielräumen im Etat ist jetzt
die Zeit, ihre fiskalische Feuerkraft einzu-
setzen“, sagte Georgiewa. Das gelte vor al-
lem für „Staaten wie Deutschland, die Nie-
derlande und Südkorea, wo höhere Ausga-
ben vor allem in die Infrastruktur sowie in

Forschung und Entwicklung die Nachfra-
ge steigern und das Wachstumspotenzial
stärken würden“. Die Forderung der IWF-
Chefin dürfte insbesondere bei CDU und
CSU auf Kritik stoßen, die selbst im Ab-
schwung auf einem ausgeglichenen Bun-
deshaushalt bestehen. Georgiewas Aussa-
gen decken sich allerdings mit der langjäh-
rigen Haltung des IWF und dem, was der
ganz überwiegende Teil angelsächsischer
Volkswirte empfiehlt. Auch in Deutsch-

land, wo die Ökonomie lange Zeit ein Eigen-
leben führte, dürften jene Wissenschaftler
mittlerweile deutlich in der Mehrheit sein,
die vor einem blinden Festhalten an der so-
genannten schwarzen Null warnen.
Mit Blick auf die Digitalisierung und die
Umwelt forderte Georgiewa mehr Bildung,
bessere Berufschancen für Frauen, weni-
ger Bürokratie und Korruption sowie ein
entschlossenes Vorgehen gegen den Klima-
wandel. „Wenn es darum geht, das Leben
der Menschen zu verbessern, beginnt die
harte Arbeit zu Hause“, sagte sie. Als Bulga-
rin, die hinter dem Eisernen Vorhang groß
geworden sei, habe sie erlebt, welch schlim-
me Folgen schlechte Politik habe, wie sich
die Dinge durch einen Politikwechsel und
Unterstützung aus dem Ausland aber auch
verbessern könnten. Nicht jeder jedoch hat
diese Zusammenhänge schon verstanden,
wie die IWF-Chefin andeutete: „Die Not-
wendigkeit einer internationalen Zusam-
menarbeit steigt“, sagte sie. „Die Bereit-
schaft, sich dafür einzusetzen, aber sinkt.“

Es ist genug Schweinefleisch für alle da.
Das war wohl die zentrale Botschaft der
chinesischen Regierung in den vergange-
nen Tagen, kurz bevor die Menschen in ih-
ren traditionellen Herbsturlaub starte-
ten. Die Nachricht aus Peking schien vie-
lerorts fast wichtiger als die Militärpara-
de zum 70. Jahrestag der Volksrepublik-
gründung Anfang Oktober. Davor hatten
sich im Internet bereits Videos von Men-
schen verbreitet, die auf Märkten um
Fleischstücke kämpften und sich bei Son-
derangeboten in den Supermärkten um
die Restposten stritten.
Kein Land konsumiert mehr Schweine-
fleisch. Es ist die Lieblingsspeise der meis-
ten Chinesen. Fleisch auf dem Tisch gilt
für viele Menschen immer noch als ein
Zeichen von Wohlstand und gehört zu je-
der Mahlzeit dazu. Seit Monaten kämpft
das Land aber mit den Folgen des Aus-
bruchs der Afrikanischen Schweinepest.
Die für Schweine hochansteckende Tier-
seuche hat sich seit Frühjahr auf alle Pro-
vinzen des Landes ausgebreitet. Die
Schweinefleischpreise liegen inzwischen
um die Hälfte über dem Vorjahr. Im Groß-
handel stiegen die Preise sogar um mehr
als 70 Prozent in diesem Jahr, während
die Schweinebestände im August gegen-
über dem Vorjahr um rund 40 Prozent
sanken. Um die Lage zu beruhigen, stellte
die chinesischen Regierung zum zweiten
Mal im September Schweinefleisch aus ih-
ren Lagerbeständen für den Markt bereit.

Der chinesische Vizepremier Hu Chun-
hua sprach zuletzt von der Gefahr einer
Versorgungslücke bis zur ersten Hälfte
des kommenden Jahres. Die Lage sei „ex-
trem ernst“. In diesem Jahr fehlen bis zu
zehn Millionen Tonnen Schweinefleisch.
Mehr, als auf dem internationalen Markt
verfügbar ist.
In Südchina reagieren die Bauern nun
mit einer ungewöhnlichen Maßnahme,
um der Aufforderung der Regierung nach-
zukommen, die Fleischproduktion zu stei-
gern, um die Inflation zu mildern. In der

Provinz Guangxi an der Grenze zu Viet-
nam züchten Landwirte Riesenschweine,
die bis zu 500 Kilo schwer werden – so
schwer wie ein ausgewachsener Eisbär.
Bei der Schlachtung erwirtschaften die
Bauern dreimal mehr als das monatliche
Durchschnittseinkommen in der Provinz.
Während die Schweine in der Größe von
Nashörnern eher ein extremes Beispiel da-
für sind, wie der Fleischmangel bekämpft
werden soll, setzen aber landesweit im-
mer mehr Bauern auf größere Tiere. Bei
Großbetrieben liegt das Durchschnittsge-

wicht der Tiere inzwischen bei 140 Kilo.
Das sind 30 Kilo mehr als noch vor der Kri-
se. Um rund ein Drittel konnten die Her-
steller ihre Gewinne dadurch erhöhen. In
der nordöstlichen Provinz Jilin liegt das
Durchschnittsgewicht der Tiere sogar bei
satten 175 bis 200 Kilogramm. Immerhin
50 Kilo über dem Durchschnitt der ver-
gangenen Jahre.
Das Problem ist, dass es den Behörden
trotz vieler Bemühungen nicht gelungen
ist, die Ausbreitung der Krankheit einzu-
dämmen. Auch andere Länder sind inzwi-
schen betroffen. Es gibt Fälle von Afrikani-
scher Schweinepest in der Mongolei, in Vi-
etnam, Südkorea, auf den Philippinen und
in Kambodscha. Das Schweinepestvirus
ist bei den Tieren hochansteckend, für
Menschen aber nicht gefährlich. Ist die
Seuche einmal in der Gegend, wird man
sie kaum noch los, da es im Vergleich zur
herkömmlichen Schweinepest keine Imp-
fungen gibt. Verbreitet werden die Viren
neben einer Übertragung durch bestimm-
te Zeckenarten über Kontakte zwischen in-
fizierten Tieren und deren Ausscheidun-
gen. Der Erreger bleibt über längere Zeit
infektiös. Eine wichtige Rolle spielen auch
Lebensmittel, die von infizierten Tieren
stammen. Vor dem Ausbruch lebten in Chi-
na fast 60 Prozent des weltweiten Bestan-
des an Tieren. Dreimal so viele wie in der
Europäischen Union gehalten werden. Die
Entwicklung sorgt auch für steigende Prei-
se in Deutschland. lea deuber

DEFGH Nr. 233, Mittwoch, 9. Oktober 2019 HF3 15


von detlef esslinger

V


ielleicht kann das gar nicht anders
sein in einer Organisation, zu deren
Historie Hammer und Amboss gehö-
ren: Es geht halt auch grob zu. In der IG
Metall galt es noch nie als wünschens-
wert, eine Einigung mit Arbeitgebern le-
diglich auszuhandeln. Sie musste immer
auch erkämpft werden. Das gilt für Tarif-
runden, und das gilt auch für die Gewerk-
schaftstage, die alle vier Jahre ausgetra-
gen werden; in dieser Woche in Nürnberg.
Allerdings: Die Delegierten – der pauscha-
le Plural trifft es in dem Fall – verwech-
seln Kampfbereitschaft mit Stillosigkeit.
Was sie bestenfalls für eine Art Folklore
halten, ist in Wahrheit gewerkschaftsschä-
digendes Verhalten.
Zwei Redner haben sich dort total ver-
griffen. In der Debatte um die Einführung
der 35-Stunden-Woche im Osten machte
ein Delegierter einen Namenswitz, was so-
wieso immer eine schlechte Entscheidung
ist. Weil der Hauptgeschäftsführer des Ar-
beitgeberverbandes Gesamtmetall mit
Nachnamen Zander heißt, gab der Redner
bekannt, Angler zu sein „und zu wissen,
was man mit einem Zander macht“.


Eine Kollegin sprach über die Arbeitge-
ber insgesamt, und in ihrem Manuskript
stand: „Der Feind steht auf der anderen
Seite.“ Das Interessante waren nicht so
sehr die beiden Hobby-Aufwiegler. Das In-
teressante waren ihre vielen hundert Zu-
hörer; wie sie reagierten: mit geradezu be-
geistertem Applaus und Gejohle. Und nie-
mand aus Tagungsleitung oder Vorstand
hielt es für nötig, Mäßigung einzufordern.
Vielleicht verschafft man sich so ein gu-
tes Gefühl. Vielleicht hilft es auch bei der
Binnensolidarisierung. Aber kann so et-
was im Interesse der IG Metall oder der Ge-
werkschaften insgesamt sein? Das Ver-
hältnis zu den Arbeitgebern der Metall-
und Elektroindustrie ist ohnehin labil, vie-
le haben in den vergangenen Jahren die
Tarifbindung aufgegeben, andere erwä-
gen es. Die Tarifverträge sind ihnen zu teu-
er und zu kompliziert. Im Geschäftsleben
ist es eigentlich so, dass eine Firma, der Ge-
schäftspartner abhanden kommen, ver-
sucht, um solche zu werben. In der IG Me-
tall halten sie es für eine Strategie, ihre ver-
bliebenen Geschäftspartner – die Arbeit-
geberverbände – zu verschrecken.


Das Klima zwischen beiden Seiten ist
ohnehin belastet. In der vergangenen Wo-
che sind Gespräche gescheitert, auch in
Ostdeutschland die 35-Stunden-Woche
einzuführen. Das war ein ebenso ehren-
wertes wie eigentlich unmögliches Vorha-
ben. Ehrenwert war es, weil es 30 Jahre
nach dem Fall der Mauer auch bei den Ar-
beitszeiten keine Mauer mehr geben soll-
te. Ehrenwert war es zudem, weil in der
ostdeutschen Industrie viel mehr Men-
schen die besonders belastende Schichtar-
beit verrichten müssen als im Westen;
wer würde ihnen keine Erleichterung gön-
nen? Unmöglich, jedenfalls nach den Ge-
setzen von Tarifverhandlungen, war das
Projekt, weil die IG Metall mit Streik nicht
einmal drohen konnte.
Weil die Arbeitszeit im Manteltarifver-
trag geregelt ist und die Gewerkschaft aus
Sorge um einige ebenfalls dort geregelte
Errungenschaften diesen auf keinen Fall
kündigen wollte, war sie in der Friedens-
pflicht. Ist eine Gewerkschaft aber in die-
ser, kommt es entweder auf den Goodwill
der anderen Seite an, oder ihre Verhand-
lungen sind kollektives Betteln.
Fragt man nun beim Arbeitgeberver-
band Gesamtmetall nach dem Grund für
das Scheitern, lautet die Antwort: weil die
IG Metall eine 35-Stunden-Woche nicht
nach und nach, bis 2030, einführen woll-
te, sondern sofort.
Fragt man bei der IG Metall, heißt es:
weil die Arbeitgeber nicht bereit waren,
verbindlich zuzusagen, dass 2030 überall
die 35 Stunden gelten. Das klingt nicht
nach unüberbrückbaren Gegensätzen.
Das klingt nach keinem Vertrauen und kei-
nem Goodwill.
Ein Gastredner, der Generalsekretär
der Internationalen Arbeitsorganisation,
beklagte am Dienstag die „neue Brutali-
tät“, in der Politik, auf der Straße, in Debat-
ten. Garantiert fühlte sich im Saal nie-
mand angesprochen. Und garantiert hat
sich auch niemand einen Kopf gemacht,
dass das Gerede von Feind und Zander
nur das Klischee von polternden Gewerk-
schaftern bedient, den Leuten mit Kraft-
ausdrücken und Trillerpfeifen. Mit der Re-
alität hat das wenig zu tun, aber darauf
kommt es nicht an, wenn man sich darum
bemüht, die Zahl der Mitglieder zu halten
oder gar wieder auszubauen.
Dass am selben Tag der Erste Vorsitzen-
de Jörg Hofmann zwar wiedergewählt
wurde, aber mit einem blamablen Ergeb-
nis, und dies, ohne dass es dafür nach all-
gemeiner Einschätzung ernsthaft Grund
gab, zeigt indes dies: Wer fies zu anderen
ist, ist es auch zu sich selbst.

Keine Zeit für Freundlichkeit


In ihrer ersten großen Rede als IWF-Chefin wird Kristalina Georgiewa gleich deutlich: Fast die ganze Welt steht
vor einem Abschwung, sagt die Ökonomin. Offen übt sie Kritik an Amerika, China – und auch Deutschland

Schwein oder nicht Schwein


WeilFleisch seit dem Ausbruch der Schweinepest in China knapp wird, züchten die Bauern nun größere Tiere


Luxus, das ist für Olga Alvarado, wenn sie
einfach dasitzen und ihren Hühnern beim
Picken zuschauen kann. Lange hatte sie
mit den Tieren in anderer Form zu tun: ge-
braten auf einem Burger oder frittiert als
Nuggets. Acht Jahre lang hat die junge
Frau aus Honduras Tagschichten bei der
amerikanischen Burgerkette McDonalds
und Nachtschichten beim Konkurrenten
Wendys geschoben, um sich diesen Luxus
leisten zu können. Sie lächelt, als sie davon
erzählt. Alvarado, 31, sitzt in einem Café in
Hannover, gerade ist sie mit Fairtrade
Deutschland unterwegs, um unter ande-
rem Schülern vom Leben und der Arbeit in
ihrer Heimat zu erzählen.
Olga Alvarado ist in eine Familie hinein-
geboren, die eine Kaffeefinca im Westen
von Honduras betreibt. Bis sie 16 Jahre alt
war, konnte sie zwar zur Schule gehen.
Aber am Wochenende hat sie geholfen,
und als die Schule vorbei war, war klar: Al-
varado musste sich überlegen, wie sie sich
und ihren kleinen Sohn ernähren kann.
„Es gibt sehr wenig Arbeit in Honduras“,
sagt Alvarado. „Wenn man der richtigen
Partei angehört, kommt man in guten Fir-
men unter. Wenn nicht, hat man ein Pro-
blem.“ Als ihr Sohn ein Jahr alt war, traf Al-
varado eine Entscheidung, wie sie täglich
Tausende Menschen in Zentralamerika fäl-
len: Sie machte sich auf den Weg in die
USA. Ihren Sohn ließ sie bei ihrer Mutter.
Wie lange sie weg sein würde, wusste sie
damals noch nicht, sie hoffte auf fünf Jah-
re maximal. Ihr Ziel war es, genug Geld zu
haben für eine eigene Kaffeefinca, wie klei-
nere Höfe heißen. Doch sie musste sich um-
gerechnet 6000 Dollar leihen für die
schwierige Reise über Guatemala und Me-
xiko in die Vereinigten Staaten, sie musste
Miete bezahlen für ein Bett in einem Mehr-
bettzimmer, in dem sie die ersten Monate
lebte, bis sie sich ein eigenes Zimmer gönn-
te. Immerhin hatte sie Glück: Ihr Bruder ar-
beitete bereits in Devon im Bundesstaat


New Jersey bei den zwei Fastfoodketten,
nur drei Tage nach ihrer Ankunft dort
stand sie selbst in den großen Küchen.
Es war harte Arbeit: Tagsüber Schichten
bei McDonalds, abends bei Wendys,
16 Stunden arbeitete sie am Tag, gelegent-
lich hatte sie einen Tag frei. Der einzige Vor-
teil ihrer Situation: Weil sie so viel in der
Küche stand, war die Gefahr geringer, von
der Polizei aufgegriffen und in ihre Heimat
geschickt zu werden. „Dort war man ver-
gleichsweise sicher“, sagt Alvarado.
Und die harte Arbeit lohnte sich: Schon
von den USA aus konnte sie über ihre Mut-
ter den Kauf eines Grundstücks organisie-
ren. 5000 Dollar kostet das umgerechnet.
Ihre Mutter und der Sohn sind auch diejeni-
gen, die ihr den Mut dafür gaben. Denn sie
ist Pionierin: „Dass Frauen so etwas ma-
chen, ist neu“, sagt Alvarado. „Noch ist Ma-
chismus sehr verbreitet in unserer Gesell-
schaft. Aber sie ändert sich.“
Dass sie diesen Weg erfolgreich gehen
konnte, hat auch einen anderen Grund.
Kurz nach ihrer Rückkehr schloss sie sich
auf Raten ihrer Schwiegereltern einer Fair-
trade-Kooperative an. Zwar ist der Begriff
„fair” an sich nicht geschützt. Aber für Ol-
ga Alvarado heißt das: Die Mitglieder unter-
stützen sich im Krankheitsfall, fördern
weibliche Eigenständigkeit und zahlen
Preise, von denen die Kaffeeproduzenten
leben können, was in der Branche häufig
nicht der Fall ist. Zu Alvarado kommen so-
gar Experten, wenn es mit den Pflanzen
Probleme gibt. „Das fühlt sich für mich wie
eine Familie an“, sagt sie. Im Gegenzug
gibt es strenge Vorgaben: Der Kaffee muss
biologisch produziert werden und Alvara-
do muss an Weiterbildungen teilnehmen.
„Heute arbeite ich mal zwei, mal acht
Stunden“, sagt sie, „ein Traum.“ Den sie
nun weiter träumt: Sie hofft, dass ihr Sohn,
der jetzt zwölf Jahre alt ist, eines Tages die
Finca übernimmt. Manchmal hilft er
schon, aber freiwillig. lea hampel

Deutschland müsste mehr in
Infrastrukturoder Forschung
investieren, fordert Georgiewa

WIRTSCHAFT


KristalinaGeorgiewa ist Ökonomin und kennt als langjährige Topmanagerin der Weltbank alle Fallstricke der internationa-
len Politik. Die neue IWF-Chefin gilt als offen und gradlinig. FOTO: MARK WILSON/AFP

NAHAUFNAHME


„Heutearbeite
ich mal zwei,
mal acht Stunden,
ein Traum.“
Olga Alvarado
FOTO: OH

Schweinefleisch ist die Lieblingsspeise der Chinesen. FOTO: JOHANNES EISELE/AFP

IG METALL

Mal wieder fies sein


Endlich eigenständig


WieOlga Alvarado sich ihre eigene Kaffeefinca erarbeitet hat


„Der Feind steht auf der anderen


Seite“, sagt eine Rednerin – und


bekommt dafür großen Applaus


2020 könnte der Handelsstreit
die Welt 700 Milliarden Dollar an
Wirtschaftsleistung kosten
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