Süddeutsche Zeitung - 09.10.2019

(sharon) #1
Berlin– Argentinien ist nun endgültig in
eineMischung aus Nostalgie und Helden-
verehrung verfallen. Vor ein paar Tagen
lief in dem südamerikanischen Land die
Dokumentation „Maradona“ an, ein Film,
der nicht das ganze Leben von Diego Mara-
dona erzählt, ihn aber meisterhaft erklärt.
Pünktlich zu dessen erstem Sieg als neuer
Trainer von Gimnasia y Esgrima La Plata
sozusagen, am Wochenende bei Godoy
Cruz. Der Weltmeister von 1986 überschat-
tet alles, was sich im argentinischen Fuß-
ball tut. Natürlich auch die aktuelle Genera-
tion der Nationalmannschaft, die am Mitt-
wochabend in Dortmund zum Freund-
schaftsspiel gegen Deutschland antritt; ei-
ne Generation, die Revanche nehmen könn-
te fürs verlorene WM-Finale von Rio 2014,
wären die Umstände nicht, wie sie sind.
Von jener Mannschaft ist gerade noch
ein Spieler dabei, Marcos Rojo von Man-
chester United. Lionel Messi fehlt, weil er
den Funktionären des südamerikanischen
Fußballverbandes Conmebol bei der Copa
América Korruption vorwarf und daher für
drei Monate gesperrt wurde. Messi, so
heißt es in seinem Umfeld, passe das gut in
den Kram: weil sein Saisonauftakt von Ver-
letzungen überlagert war und er sich der
Körperpflege widmen kann; weil seine Ab-
wesenheit viel Druck von den 25 Spielern
nimmt, die Nationaltrainer Lionel Scaloni
berufen hat; weil Scaloni testen kann, ohne
durch die bloße Präsenz Messis zum Sieg
gegen Deutschland gezwungen zu sein.
Dass Scaloni noch immer Nationaltrai-
ner ist, kann man als Wunder sehen oder
als Sinnbild der aktuellen nationalen Kri-
se. Sie verlangt den Argentiniern viel Im-
provisationskunst ab, die der Verband
auch beim Nationaltrainer walten ließ.
Scaloni, 41, kam kurz nach der enttäu-
schenden WM in Russland 2018 ins Amt, er
war Teil des Trainerstabs von Jorge Sam-
paoli gewesen, brachte ansonsten als Refe-
renzen keine Erfahrung als Cheftrainer
mit. Den Argentiniern fällt es noch immer
schwer, sich mit dem Gedanken abzufin-
den, dass Scaloni ihr Trainer ist. Vor Be-
ginn der Südamerika-Meisterschaft im Ju-
ni galt als sicher, dass er nach dem Turnier
gehen müsse. Erst recht, als er es sich mit
wichtigen Spielern wie Sergio Kun Agüero
verscherzt zu haben schien: Sie hatten es
ihm übel genommen, dass eine Aufstel-
lung an die Medien durchgesickert war.

Doch siehe da: Als das Turnier zu Ende
war, hatten nicht wenige Argentinier den
Eindruck, dass die Mannschaft sich bei der
Copa América schrittweise verbessert hat-
te und vergleichsweise ehrenvoll gegen
Gastgeber Brasilien ausgeschieden war.
Dem Verband wiederum kam zupass, dass
Scaloni sich mit einem Salär von angeblich
weniger als einer Million Euro begnügt.
Das ist weniger als ein Zwanzigstel des Ge-
halts, das Diego Simeone bei Atlético Ma-
drid bezieht, und sogar weniger als ein
Siebtel des Honorars von Marcelo Gallardo
(River Plate). Vor allem aber ist es so, dass
der Discount-Trainer Scaloni eine Gemein-
samkeit mit Ernesto Valverde vom FC Bar-
celona aufweist: Er genießt den Rückhalt
von Messi. Nach der Copa América sprach
er Scaloni das Vertrauen aus, unlängst wie-
derholte er es am Rande der Wahl zum
Weltfußballer. Der Coach wurde bis zur
WM 2022 im Amt bestätigt – und fühlt sich
nun sicher: „Ich bin kein Trainer auf Probe
mehr“, sagte er im September vor einem
Länderspiel gegen Chile (0:0).
Das war eine dieser Partien, die allen-
falls Aufschluss über das Potenzial, nicht
aber über den Zustand der Argentinier ge-
ben konnten. Deutschland ist der erste star-
ke Gegner seit Jahren; zustande kam der
Test nur, weil beide Verbände den gleichen
Ausrüster haben. Ansonsten hat sich Ar-
gentinien mit Gegnern wie Guatemala,
Irak oder Nicaragua herumgeschlagen, zu-
letzt wurde eine bessere B-Mannschaft Me-
xikos 4:0 vom Platz geschossen. Eine B-Elf
bringen die Argentinier nun ihrerseits
nach Deutschland mit, sie kommen ohne
den gesperrten Messi, ohne Ángel Di Ma-
ría, obwohl dieser bei Paris St. Germain zu
guter Form aufläuft, und auch ohne Kun
Agüero, der auf Bitten von Pep Guardiola,
seines Trainers bei Manchester City, ge-
schont wird. Auf die Spieler von Boca Juni-
or und River Plate, den miteinander ver-
feindeten Traditionsklubs aus Buenos Ai-
res, muss Scaloni aus anderen Gründen
verzichten: Die Teams duellieren sich im
Halbfinal-Rückspiel der Copa Libertado-
res, der Champions League Südamerikas.
Das bietet Platz für Experimente, schon
mit Blick auf die Copa América 2020. Scalo-
ni berief Emiliano Martínez, den Ersatztor-
wart vom FC Arsenal, und damit schon den
neunten Keeper seiner Amtszeit. Zudem
dürfen drei Spieler, die sich in Deutsch-
land verdingen, Argentiniens Trikot über-
streifen: Dortmunds Regionalligaspieler
Leonardo Balerdi, Nicolás González vom
Zweitligisten VfB Stuttgart und Lucas Ala-
rio vom Bundesligisten Bayern Leverku-
sen. Die beiden Stürmer stehen aber im An-
sehen hinter Lautaro Martínez von Inter
Mailand. Es heißt schon länger, dass er in
Barcelona landen könnte – an der Seite von
Messi. javier cáceres

Dortmund– So viele Absagen vor einer
Länderspielrunde, sagte am Tag vor dem
Testspiel gegen Argentinien der Bundes-
trainer, habe es „selten oder auch nie gege-
ben“, aber in gewisser Weise ist natürlich al-
les schon mal dagewesen. Rudi Völler zum
Beispiel könnte davon berichten, wie er im
WM-Jahr 2002 auf knapp ein Dutzend an-
geschlagene Spieler verzichten musste –
und wie sein Team dann mit Thomas Brda-
ric im Angriff und Frank Rost im Tor 4:2 ge-
gen die USA gewann. Und Völlers Vorgän-
ger Erich Ribbeck erlebte beim Testspiel
gegen die Schweiz zwei Jahre zuvor außer
auffallend vielen Abwesenheiten sogar
eine konzertierte Fahnenflucht im Dienst,
als sich während der ersten Halbzeit meh-
rere Spieler mit Verletzungen auswechseln
ließen, die nicht mal der große Druide
Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt zu dia-
gnostizieren wusste.
Die seltsam akute Epidemie von „Mus-
kelproblemen“ durfte als Akt des passiven


Widerstands interpretiert werden: Als Teil
des Versuchs, den Bundestrainer Ribbeck
vor der EM 2000 doch noch zum Rückzug
zu bewegen. Nicht zuletzt Uli Hoeneß hatte
sich in der Oppositionsbewegung engagiert


  • bekanntlich vergebens.
    Mit Äußerungen des Münchner Spitzen-
    funktionärs Hoeneß zu den Geschehnis-
    sen bei der Nationalmannschaft sah sich
    auch Jogi Löw zuletzt konfrontiert. Der FC-
    Bayern-Präsident hatte versprochen, den
    Leuten vom DFB „Feuer“ zu machen („das
    können wir!“), weil sie angeblich nicht hin-
    reichend pfleglich mit Manuel Neuer um-
    gingen. Aber der solcherart bedrohte Bun-
    destrainer sah nicht so aus, als fürchte er
    das flammende Schwert des Uli H., als er
    jetzt vor dem Ländermatch in Dortmund
    die Lage schilderte. Es sei ihm „vollkom-
    men egal, was da aus München kommt“,
    hat Löw gesagt, und er sprach diesen Satz
    nicht so aus, als wollte er damit einen kraft-
    vollen Gegenschlag landen. Auch wenn er


nun gegen Argentinien Marc-André ter Ste-
gen ins Tor schickt und Manuel Neuer auf
die Bank ist das nicht als Provokation zu
verstehen, sondern exakt im Sinne seiner
Worte: Weil ihm das Thema offenbar wirk-
lich egal ist.

Löw vermag keinen Großkonflikt auf
der Torwartposition zu erkennen, das Bin-
nenverhältnis zwischen der Nummer 1 Ma-
nuel Neuer und der Nummer 1B Marc-An-
dré ter Stegen bereitet ihm keine Sorgen.
Die Torwart-Abteilung in seinem Team –
„das ist für mich das allerkleinste Pro-
blem“, versicherte er. So klein, dass der
Coach meint, in dieser Frage sei schlecht-
hin gar kein Eingreifen erforderlich – „es
ist die kleinste, nein: es ist überhaupt keine

Baustelle!“, rief Löw energisch in den Saal.
Ein paar Minuten vorher hatte ter Stegen
am gleichen Ort die mehr oder weniger glei-
che Botschaft vorgebracht. Es gebe zwi-
schen ihm und Neuer „keine Diskussion,
keinen Streit und keinen Moment, wo man
sagen muss, wir müssten unbedingt mit-
einander sprechen“.
Die ungewöhnlichen Umstände dieses
Testlaufs bringen es mit sich, dass just die
Torwartposition nahezu der einzige Pos-
ten ist, der sich für den klassischen Konkur-
renzkampf im Team überhaupt eignen
könnte. Die planmäßig angereisten Torhü-
ter ter Stegen, Neuer und Bernd Leno sind
bei bester Gesundheit – der Rest der Mann-
schaft hingegen stellt sich quasi von selbst
auf. Zehn Spieler haben aus Verletzungs-
gründen den Weg nach Dortmund erst gar
nicht angetreten, mindestens drei weitere
werden lediglich als Zuschauer anwesend
sein, in der Hoffnung, am Sonntag beim
EM-Qualifikationsspiel in Estland dabei
zu sein. Mit säuerlicher Miene zählte Löw
auf: Jonathan Tah und Timo Werner haben
eine Erkältung, Ilkay Gündogan hat „eine
leichte muskuläre Verletzung“, Marco
Reus eine Reizung im Knie.
Anders als in der späten Ribbeck-Ära be-
ruhen die vielen Absagen nicht darauf,
dass die Spieler Abstand vom Bundestrai-
ner suchen, so viel ist sicher, aber für Löw
ist das ein schwacher Trost. Dieses Länder-
spieljahr steht für ihn unter keinem besse-
ren Stern als das vorige. Nach der missrate-
nen WM in Russland ist Löw angetreten,
ein neues turniertaugliches Team aufzu-
bauen, aber die Gelegenheiten, an diesem
Projekt zu arbeiten, haben Seltenheits-
wert: Im ersten Halbjahr 2019 beschränkte
sich die Begegnung auf einen einzelnen
Termin im März, im Juni musste Löw we-
gen eines Unfalls im Fitness-Studio selbst
fernbleiben, im Herbst störte die herbe Nie-
derlage gegen die Niederlande den Be-
trieb, nun steht ihm keine komplette Mann-
schaft zur Verfügung. „Wir haben wahnsin-
nig wenig Zeit, um an unseren Ideen zu ar-
beiten“, klagte Löw. Die Begegnung mit Ar-
gentinien hatte er für hochwertige Experi-
mente vorgesehen, Pflichtspiele wie in Est-
land oder im November gegen Weißruss-

land eignen sich dafür allenfalls bedingt.
„So habe ich es nicht erwünscht“, stellte
Löw indigniert fest und richtete einen Ap-
pell an die Fußball-Funktionäre in aller
Welt, bei der Planung neuer Wettbewerbe
an die Hauptdarsteller zu denken: „Die
Spieler sind absolut am Limit angelangt.“

Für die Besetzung des Argentinien-
Spiels sind dem DFB-Intendanten Lösun-
gen eingefallen, auf die sicher nicht jeder
gekommen wäre, inklusive der Betroffe-
nen: Auf sein Comeback im Nationalteam
hatte Sebastian Rudy zuletzt wohl selbst
kaum zu hoffen gewagt, aber für Löw ist
der Hoffenheimer Mittelfeldspieler ein im-
mer gern gesehener Gast. „Er hat Spiel-
rhythmus und kennt den Betrieb“, erklärte
der Bundestrainer. Auch Schalkes Suat Ser-
dar und Freiburgs Robin Koch profitieren
vom Notstand, sie dürfen erwarten, bei ih-
rer ersten Visite gleich zum ersten Einsatz
zu kommen, zumindest aushilfsweise. Ver-
teidiger Niklas Stark (Hertha BSC) und An-
greifer Luca Waldschmidt (SC Freiburg)
hat Löw die Beförderung in die Startelf be-
reits zugesagt – falls sie es nicht doch noch
schaffen, sich bei Tah oder Werner anzuste-
cken. philipp selldorf

von jürgen schmieder

Chicago/Los Angeles– Eswerden nun
zahlreiche Anekdoten erzählt über Bastian
Schweinsteiger, es gibt ja unfassbar viele
über diesen wunderbaren Fußballspieler:
wie er vom „Hax“ zu „Basti“ wurde und spä-
ter zum „Fußballgott“. Wie er am 13. No-
vember 2002 seine erste Partie bei den Pro-
fis des FC Bayern absolvierte, gleich in der
Champions League. Wie er während der
Weltmeisterschaft 2006 gemeinsam mit
Lukas Podolski zum Maskottchen und spä-
ter auch zur Symbolfigur des deutschen
Fußballs wurde. Wie er seinen Elfmeter
beim „Finale dahoam“ 2012 an den Pfos-
ten setzte, und wie er die Champions
League ein Jahr später gewann. Wie er im
WM-Finale 2014 trotz einer Platzwunde
im Gesicht bis zum Ende durchhielt.


Wenn die Leute solche Geschichte erzäh-
len, erzählen sie immer auch ein bisschen
von sich: wo sie gewesen sind, mit wem sie
das erlebt haben. Es kann deshalb passie-
ren, dass ein paar Anekdoten fehlen, weil
Schweinsteiger die letzten drei Jahre sei-
ner Laufbahn in den USA verbracht hat, bei
Chicago Fire. Dort hat der 35-Jährige am
Dienstag verkündet, seine Karriere zu be-
enden. Sein Vertrag läuft nach der Saison
aus, sein Team hat die Playoffs bereits ver-
passt, am Sonntag war der letzte Spieltag
der Punkterunde gewesen, Chicago ge-
wann 5:2 gegen Orlando City.
Marcel Reif, der große Fußballdeuter,
hat die Klubs in den USA mal „Orlando Hot-
zenplotz“ genannt. Schweinsteiger spielte
also drei Jahre gewissermaßen bei Chicago
Schlagmichtot. Es werden nicht besonders
viele Leute darüber reden und davon erzäh-
len – dabei ist diese Station für den Men-
schen Bastian Schweinsteiger die wohl be-
deutendste gewesen.
Es fällt schwer, das Fire-Stadion zu be-
schreiben, ohne dass es nach Schlagmich-
tot klingt. Es liegt im Südwesten von Chica-
go, zwischen Provinzflughafen, Güter-
bahnhof und einem Haus, bei dem drei Jah-
re nach Schweinsteigers Ankunft noch im-
mer nicht klar ist, ob es gebaut oder abge-
rissen wird. Die Heimspiele sind selten aus-
verkauft, weil die Mannschaft selten ge-


winnt und es in den beliebteren Sportarten
legendäre Klubs gibt in der Stadt wie die
Bulls (Basketball), Bears (Football), Cubs
(Baseball). Immerhin: Beim ersten Spiel
von Schweinsteiger hing ein Plakat mit der
Aufschrift „Fußballgott“ auf der Tribüne.
Ein Spitzname sagt immer auch, wie
weit es einer gebracht hat, wie die Leute ei-
nen sehen. Der FC Bayern hat Schweinstei-
ger im Jahr 2015 wegen fehlender Perspek-
tiven fortgeschickt, die Laufbahn in der Na-
tionalelf hat er ein Jahr später nach 121 Par-
tien beendet. Der Trainer José Mourinho
hat ihn bei Manchester United nicht nur
nicht berücksichtigt, er hat ihn regelrecht
gedemütigt. Er war damals 32, sollte er da
vielleicht, wie es Stefan Effenberg einst ge-
tan hat, zum VfL Wolfsburg wechseln, dem
Schlagmichtot der Bundesliga?
Schweinsteiger entschied sich für die
Major League Soccer (MLS), für Chicago Fi-
re. „Schadenfreude“ ist eines der wenigen
deutschen Worte, für die es keine Überset-
zung gibt, weil den Amerikanern das Ki-

chern über das Leid des anderen eher
fremd ist. In Deutschland gab es nicht weni-
ge, die schadenfroh über das Niveau der
„Operettenliga“ lästerten, Schweinsteiger
sagte nach ein paar Spielen selbst: „Der Un-
terschied ist schon gewaltig.“
Schweinsteiger war das, was sie sich in
der MLS immer gewünscht hatten: ein Star
von internationaler Strahlkraft, der noch
so spielte, wie er das zuvor in Manchester
oder München getan hatte. Wer die Spiele
von Chicago Fire verfolgte, der sah einen,
der nicht im Mittelkreis herumstand, die
Mitspieler dirigierte und sich über sie auf-
regte, sondern einen, der rannte und
kämpfte, sich in Zweikämpfe warf, stets
voranging. Schweinsteiger spielte bis auf
Torwart jede Position, selbst Innenverteidi-
ger. Sagt das nicht mindestens so viel über
einen Fußballer aus wie eine Meisterschaft
in der Bundesliga, wenn er die Karriere
nicht ausklingen lässt, sondern sich selbst
in dieser Liga reinhängt, als ginge es um
den WM-Titel?

Sie haben Schweinsteiger in Chicago
nicht gehuldigt für das, was er mal gewe-
sen ist, sondern für das, was er noch immer
war. Im Fernsehen wurde als Lustmacher
auf andere Partien oft sein 30-Meter-
Traumtor gegen Real Salt Lake gezeigt (das
wurde dann durch einen 40-Meter-Knal-
ler von Zlatan Ibrahimovic ersetzt), bei Nie-
derlagen ließen sie ihn in Ruhe. Schwein-
steiger ist Profi geworden in einer Zeit, in
der Nationalspieler „Bratwürste“ und „Fla-
schen“ geschimpft worden sind, er selbst
ist mal mit dem despektierlichen Spitzna-
men „Chefchen“ bedacht worden. In der
MLS, in Chicago, da war Schweinsteiger
noch immer der „Fußballgott“.
Wer sich in den USA nicht für Fußball in-
teressiert, und das sind noch immer eine
Menge Menschen, der interessierte sich
auch nicht für Schweinsteiger. Er konnte al-
so durch eine der schönsten Metropolen
der Welt schlendern, ohne erkannt und fo-
tografiert zu werden. In den schicken Res-
taurants bekam er dennoch sofort einen

Tisch; die Leute applaudierten, wenn er
bei Spielen der Cubs auf der Tribüne saß.
Seine Frau, die serbische Tennisspielerin
Ana Ivanovic, hatte ihre Karriere schon be-
endet, die beiden gemeinsamen Kinder
wachsen ohne Paparazzi auf. Ist das nicht
das Paradies für jeden Promi: die Vorzüge
des Berühmtseins genießen zu können, oh-
ne allzu viele Nachteile zu haben?
Schweinsteiger hat mit dem Wechsel in
die USA sehr viel richtig gemacht. Der
„Hax“ aus Kolbermoor hat sich zu einem
der wenigen Männer von Welt entwickelt,
die der deutsche Sport derzeit zu bieten
hat. Nicht wenige wünschen sich diesen Ty-
pen zurück, der Bundestrainer Joachim
Löw sagte bereits: „Wir werden immer ei-
nen Platz für ihn haben.“ Schweinsteiger
sagt: „Ich fühle mich ein bisschen wehmü-
tig, aber ich freue mich auf die Herausfor-
derungen, die nun auf mich warten. Dem
Fußball werde ich treu bleiben.“ Die Anek-
doten, die künftig über ihn erzählt werden,
will er am liebsten selbst schreiben.

DEFGH Nr. 233, Mittwoch, 9. Oktober 2019 HMG 23


Hochphase 2013/2014
Bastian SchweinsteigersKarriere im Überblick

Waldschmidt im Sturm
Die voraussichtlichen Mannschaftsaufstellungen

Profiteure des Notstands


Gegen Argentinien wollte Bundestrainer Löw ursprünglich den Konkurrenzkampf schüren, doch dafür sind ihm die Spieler ausgegangen


Zum Discount-Preis:
Lionel Scaloni brach-
te bei seiner Beförde-
rung zu Argentiniens
Nationaltrainer kei-
nerlei Erfahrung als
Chefcoach mit.
FOTO: FADEL SENNA / AFP

Zwischen Hax und Fußballgott


Weltmeister und Champions-League-Gewinner Bastian Schweinsteiger, 35, beendet in Chicago seine Profikarriere –
damit verlässt einer der wenigen Männer von Welt die große Bühne, die der deutsche Sport noch zu bieten hat

Es gebe mit Manuel Neuer „keine
Diskussion“ und „keinen Streit“,
versichert Marc-André ter Stegen

SPORT


Trainer von


Messis Gnaden


Argentinien kommt mit einer
besseren B-Mannschaft zum Test

Vereine als Profi
2002 – 2015 FC Bayern München
2015 – 2017 Manchester United
2017 – 2019 Chicago Fire
Länderspiele
121 (2004 – 2016) mit 24 Toren
Größte Erfolge
Weltmeister 2014
EM-Zweiter 2008
Champions-League-Sieger 2013
Klub-Weltmeister 2013
Europa-League-Sieger 2017
achtmal deutscher Meister
siebenmal DFB-Pokalsieger
einmal Pokalsieger in England (2016)
Deutschlands Fußballer des Jahres 2013

Beim DFB die Nummer 1 und die Nummer 1B: Manuel Neuer (rechts) und Marc-André ter Stegen. FOTO:JULIA RAHN / IMAGO

Deutschland:ter Stegen/FC Barcelona (27 Jah-
re/22 Länderspiele) – Klostermann/Leipzig
(23/4), Süle/FC Bayern (24/22), Stark/Hertha BSC
(24/0), Halstenberg/Leipzig (28/4) – Kim-
mich/FC Bayern (24/44), Can/Juventus (25/22) –
Havertz/Bayer Leverkusen (20/5) – Gnabry/FC
Bayern (24/10), Waldschmidt/SC Freiburg (23/0),
Brandt/Dortmund (23/27). – Trainer: Löw.
Argentinien:Marchesin/FC Porto (31/5) – Fo-
yth/Tottenham (21/7), Pezzella/AC Florenz
(28/13), Otamendi/Manchester United (31/67),
Tagliafico/Ajax Amsterdam (27/22) – de Paul/Udi-
nese (25/13), Paredes/Paris St. Germain (25/20),
Rodriguez/CF America (25/5), Pereyra/Watford
(28/18) – Dybala/Juventus (25/26), Lautaro Marti-
nez/Inter Mailand (22/13). – Trainer: Scaloni.
Schiedsrichter:Clement Turpin (Frankreich)

Der größte Moment: Bastian Schweinsteiger beim WM-Triumph 2014 im Stadion Maracana von Rio de Janeiro. FOTO: REGINA SCHMEKEN
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