Süddeutsche Zeitung - 09.10.2019

(sharon) #1
In vollem Gange ist in Ochsenfurt in Unter-
franken die Zuckerrübenkampagne 2019,
wie die Branche Ernte und Verarbeitung
des Rohstoffs nennt. Hier auf dem Bild, bei
der Südzucker AG, steigt Rauch aus einem
Kamin auf. In dem Werk in Ochsenfurt ar-
beiten rund 330 Mitarbeiter, dort werden
im Jahr bis zu 320 000 Tonnen Zucker pro-
duziert. Beliefert wird das Werk von 4000
Landwirten aus Franken. Die letztjährige
Kampagne dauerte 105 Tage; in dem Zeit-
raum wurden 1,5 Millionen Tonnen Rüben
angeliefert und verarbeitet. Wegen des Hit-
zesommers beklagten Bauern geringere Er-
träge als sonst. Jetzt wird eine „durch-
schnittliche Ernte“ erwartet. Die deutsche
Zuckerindustrie sieht sich insgesamt in ei-
ner „prekäre Lage“, man leide unter Wett-
bewerbsverzerrungen in der EU und auf
dem Weltmarkt sowie schlechten Ernten.
Unter Druck gesetzt fühlt sich Südzucker
durch eine von Kinder- und Jugendärzten
geforderte Zuckersteuer – diese löse nicht
das Problem von Übergewicht, sagte ein
Unternehmenssprecher. Es gehe vielmehr
um fehlende Bewegung und die gesamte
Kalorienzufuhr: „Zucker darf nicht zum
Sündenbock abgestempelt werden.“ sz

Rauch und Rüben


in Unterfranken


Rosenheim– Fast die Hälfte aller Bayern
fährt täglich oder zumindest mehrmals in
der Woche mit dem Rad. Dies geht nach An-
gaben des bayerischen Verkehrsministeri-
ums aus dem am Dienstag veröffentlich-
ten „Fahrradmonitor 2019 für Bayern“ her-
vor, einer Online-Umfrage unter mehr als
700 Teilnehmern für den nationalen Rad-
verkehrsplan des Bundes. Verkehrsminis-
ter Hans Reichhart (CSU) betont, dass die
Bayern laut dieser Befragung etwas öfter
mit dem Rad fahren, als es alle Deutschen
im Durchschnitt tun. Außerdem hätten in
Bayern mit 43 Prozent der Befragten auch
überdurchschnittlich viele Menschen ange-
kündigt, künftig noch öfter radeln zu wol-
len. Während Reichhart dies als Erfolg der
freistaatlichen Radverkehrsförderung in-
terpretiert, sammeln in immer mehr größe-
ren Städten Bürger Unterschriften für
„Radentscheide“, um die lokalen Bedingun-
gen für Radler zu verbessern. Während die
Initiative in Regensburg ihre Unterschrif-
tensammlung an diesem Donnerstag been-
den will, hat ein entsprechendes Bündnis
in Rosenheim gerade damit angefangen.


Die Rosenheimer Initiative setzt Reich-
harts Zahlen eine andere entgegen: Noch
immer würden in der recht flachen und da-
mit zumindest topografisch fahrrad-
freundlichen Stadt 60 Prozent aller Wege
unter fünf Kilometern mit dem Auto zu-
rückgelegt. Um das zu ändern, ähneln die
Ziele in Rosenheim denen in anderen Städ-
ten: Das Bündnis, das unter anderem vom
Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club,
dem Bund Naturschutz sowie mehreren
Parteien unterstützt wird, fordert unter an-
derem ein lückenloses Radwegenetz sowie
bessere Abstellmöglichkeiten für Räder –
Wünsche, die auch viele Befragte im Fahr-
radmonitor Bayern geäußert haben.
Um einen Bürgerentscheid herbeizufüh-
ren, in dem alle wahlberechtigten Rosen-
heimer über entsprechende Maßnahmen
abstimmen können, benötigt das Bündnis
rund 2700 Unterschriften. In Bamberg wä-
ren für einen solchen Entscheid rund
3300 Unterschriften nötig gewesen. Dort
sammelte eine lokale Initiative vor zwei
Jahren fast das Dreifache und machte ihr
Anliegen so zum erfolgreichsten Bürgerbe-
gehren der Stadtgeschichte. Der Bamber-
ger Stadtrat übernahm die Forderungen
schließlich Anfang 2018 ohne Bürgerent-
scheid. Gleiches geschah in diesem Som-
mer in Würzburg und München. kpf


von dietrich mittler

München– Derzeit sind bei der Bayeri-
schen Landesärztekammer mehr als
64 000 berufstätige Ärztinnen und Ärzte
gemeldet. Die zunächst hoch erscheinende
Zahl täuscht jedoch. Vielerorten im Frei-
staat werden aktuell Ärzte gesucht. Insbe-
sondere in ländlichen Krankenhäusern
der Grund- und Regelversorgung ist der
Mangel mit den Händen zu greifen. Gerald
Quitterer, der Präsident der Landesärzte-
kammer, ist deshalb froh um jeden Kolle-
gen aus dem Ausland, der in Bayern seinen
Dienst aufnimmt. Bei einigen sieht Quitte-
rer indes Handlungsbedarf – nämlich bei
jenen, die nicht aus EU-Staaten kommen.
Für sie fordert der Kammerpräsident stren-
gere Standards bei der Überprüfung der
fachärztlichen Fähigkeiten.
Einen entsprechenden Antrag will Quit-
terer am Wochenende auf dem 78. Bayeri-
schen Ärztetag in München durchbringen.
„Wir brauchen eine umfänglichere Fach-
arztprüfung für Ärztinnen und Ärzte aus
Drittstaaten“, sagte er am Dienstag in Mün-
chen. Aus Gründen der Patientensicher-
heit sei das absolut geboten. Letztlich erhö-
he dies aber auch die Stellung der ausländi-
schen Ärzte innerhalb der eigenen Kolle-
genschaft und bei den Patienten.
Aktuell leben im Freistaat laut Quitterer
rund 9800 ausländische Ärzte, davon wie-
derum gut 3820 aus Ländern außerhalb
der EU und der europäischen Freihandels-
assoziation (EFTA). Einer von ihnen ist Mo-
hammad Mohsen Lawang, Facharzt für
Chirurgie aus Afghanistan. Um sieben Uhr
morgens hatte Lawangs Schicht am Kran-
kenhaus im oberbayerischen Schongau be-
gonnen – bislang verläuft der Tag für ihn
ruhig: Visite, Röntgenbilder anfordern, Pa-
tienten auf ihre Operation vorbereiten. Leb-
hafter wird wahrscheinlich der Spätdienst,
wenn in der Notaufnahme die Patienten
reindrücken. Am Tag zuvor waren zwei
akute Blinddarm-Entzündungen zu behan-
deln. Doch das gehört zum Geschäft. „Die-
ses Krankenhaus ist wie ein Zuhause“, sagt
der 40-Jährige.
Seit Anfang Februar gehört Mohammad

Mohsen Lawang nun mit zum Schongauer
Chirurgen-Team. „Wir sind durch und
durch Multikulti“, sagt Michael Platz, ärztli-
cher Direktor des Krankenhauses. „In die-
sem Team gibt es unter den Assistenzärz-
ten nur noch einen, dessen Muttersprache
deutsch ist.“ Die anderen stammen aus Me-
xiko, Saudi-Arabien, Tunesien, Georgien,
der Ukraine und aus Indonesien. Das
Schongauer Krankenhaus ist damit längst
keine Ausnahme mehr, sondern eher Sinn-
bild für all die vielen weiteren Krankenhäu-
ser der Grund- und Regelversorgung in
Bayern, auf deren Stellenanzeigen sich
kaum noch deutsche Ärzte melden.
Der Grund dafür: Die kleinen Häuser
können nicht die Vielfalt bei der Facharzt-
ausbildung bieten, die in Universitätsklini-
ken oder in größeren Häusern die Regel
sind. Besonders eklatant wirkt sich dieser
Umstand in Niederbayern aus. Dort be-
trägt der Anteil ausländischer Ärzte nach

Angaben der Landesärztekammer mittler-
weile 22,9 Prozent. Magnus Ott, der Vorsit-
zende des Ärztlichen Kreisverbands Deg-
gendorf-Regen, hat die Situation in sei-
nem Kreisverband analysiert: „Es gibt Ar-
beiten, die möchten andere nicht mehr ma-
chen für das Geld, und dazu gehört es, als
Facharzt in Niederbayern zu arbeiten“,

sagt er. Seit einigen Jahren habe sich das
Problem verschärft. Zunächst seien viele
Ärztekolleginnen und -kollegen aus Tsche-
chien gekommen. „Die haben sehr gute
Sprachkenntnisse gehabt, und sich sehr
schnell integriert“, sagt Ott. Dann seien die
Ungarn gekommen, und die hätten sich
ebenfalls auch im Bereich der niedergelas-

senen Ärzte gut etabliert. Inzwischen seien
unter den neuen Ärzten viele „Flüchtlinge
dabei, Iraker, aber auch Syrer und sehr vie-
le Ukrainer“. Da blieben Sprachprobleme
nicht aus, und offensichtlich würden bei
der Prüfungsbehörde längst „auch die Hüh-
neraugen zugedrückt“, damit ausländi-
sche Kollegen eine vorläufige Arbeitser-
laubnis bekommen. Und dann als Retter
die Lücken stopfen? „Einige von denen be-
setzen die Planstellen, sagen wir es mal
so“, gibt Ott zur Antwort. Aber, natürlich, ei-
nige von ihnen seien auch „richtig gut, so-
dass man sagen könne: Ohne die geht es
nicht.“
Dass die Landesärztekammer bei Kolle-
gen aus Drittländern die Prüfung ihrer
fachärztlichen Qualifikation von bislang ei-
ner halben Stunde nun auf bis zu 120 Minu-
ten aufstocken will – die Überprüfung
praktischer Fertigkeiten eingeschlossen –,
findet Ott „im Prinzip ein bisschen kurz ge-
sprungen“. Für Kammerpräsident Gerald
Quitterer ist das indes ein unabdingbarer
wichtiger Schritt in die richtige Richtung:
Beim bisherigen Prüfverfahren sei nicht
nachvollziehbar gewesen, ob die ausländi-
schen Facharzt-Diplome im Vergleich zu
den deutschen gleichwertig sind.
Thomas Lippmann, dem Geschäftsfüh-
rer der kommunalen Krankenhäuser im
Kreis Weilheim-Schongau, wäre es ohne-
hin am liebsten, wenn er auf deutsche Ärz-
te zurückgreifen könnte. Denn: Es sei mo-
ralisch höchst fragwürdig, aus anderen
Ländern die Ärzte abzugreifen. Lippmann
bietet den ausländischen Ärzten in seinem
Haus kostenlose Sprachkurse an. Und das
lohnt sich. Doch nicht immer sind die Er-
fahrungen mit Ärzten aus Drittstaaten gut.
Dreien musste Lippmann die Kündigung
überreichen – bei einem wurden fachliche
Probleme deutlich, einer hatte überdies ei-
ne Einstellung zu Frauen, die sich nicht
mit den westlichen Werten vereinbaren
lässt. „Und der Dritte, der hatte überhaupt
keine Ausbildung“, sagt Michael Platz, der
Ärztliche Direktor. Doch über die meisten
ausländischen Kollegen will er nichts kom-
men lassen: „Man hat manchen Tränen
nachgeweint, als sie uns wieder verließen.“

München– Trotz großer Zurückhaltung
in der Parteiführung spricht sich erstmals
eine klare Mehrheit der CSU-Mitglieder
für ein schwarz-grünes Bündnis auf Bun-
desebene aus. Das geht aus einer repräsen-
tativen Umfrage hervor, die das Meinungs-
forschungsinstitut GMS in der ersten Okto-
berwoche im Auftrag von Sat.1 Bayern vor-
genommen hat. Demnach halten 62 Pro-
zent der CSU-Anhänger eine solche Koaliti-
on für vielversprechend, bei den Grünen
sind es sogar 65 Prozent. Von allen befrag-
ten Bayern können sich immerhin 53 Pro-
zent Schwarz-Grün in Berlin vorstellen.
Der stellvertretende CSU-Chef Manfred
Weber dürfte sich durch die Werte bestä-
tigt fühlen. Er hatte Schwarz-Grün als „Zu-
kunftsmodell für Deutschland“ bezeich-
net und dafür einen Rüffel von CSU-Gene-
ralsekretär Markus Blume erhalten. Blu-
me sagte, die Frage stelle sich im Moment
nicht; Webers Beitrag sei nicht mit der Par-
teispitze abgestimmt. Der SZ sagte Blume:
„Man verzwergt sich, wenn man ständig
auf Koalitionsoptionen schaut.“ Auch ande-
re CSU-Politiker nannten Webers Worte
„wenig sinnvoll“ in Zeiten, in denen die gro-
ße Koalition um Handlungsfähigkeit be-
müht sei. Weber vertritt die Ansicht, nur
Schwarz-Grün könne die gesellschaftli-
chen Konflikte in Deutschland befrieden.
Ein schwarz-grünes Bündnis im Frei-
staat bewerten die Bayern zurückhalten-
der: 46 Prozent sind dafür, 49 Prozent da-
gegen. Aber auch hier sehen Anhänger von
CSU (61) und Grünen (72) eine solche Koali-
tion überwiegend positiv. 44 Prozent der
Grünen finden sogar, Markus Söder sei ein
guter Ministerpräsident. Am meisten Zu-
stimmung findet Söder bei den Freien Wäh-
lern (80) – noch vor seiner eigenen Partei
(72). Insgesamt sind 59 Prozent der befrag-
ten Bayern mit Söders Arbeit zufrieden, da-
mit liegt er knapp vor der Staatsregierung
(57). Nur 21 Prozent der Bayern goutieren
hingegen die Arbeit von CDU-Chefin Anne-
gret Kramp-Karrenbauer. Wäre am Sonn-
tag Landtagswahl in Bayern, läge die CSU
mit unveränderten 37 Prozent vor den Grü-
nen (22), Freien Wählern (11), AfD (10), SPD
(8), FDP (5) und der Linkspartei (3). wiw

von olaf przybilla

W


enn dereinst Historiker auf die
beiden Jahrzehnte nach der
Jahrtausendwende in Nürnberg
blicken, so werden sie diese wohl als au-
ßergewöhnlich werten. Gleich zweimal in
dieser Zeit wählte der Landtag einen
Nürnberger zum Ministerpräsidenten.
Und in der Stadt regierte in jenen Tagen
ein Mann, dem Meinungsforscher als-
bald das Etikett „beliebtester Oberbürger-
meister einer deutschen Großstadt“ an-
hefteten. Wie gesagt: besondere Zeiten.
Historiker suchen ja gerne nach Ding-
symbolen, an denen entlang sie erzählen
können, und für diese Jahre wäre der
Wöhrder See nicht ungeeignet. Noch, um
kurz aus dem Geschichtsbuch herauszu-
treten, ist der eine Baustelle. Und es ist be-
reits abzusehen, dass es am Ende eine
zweistellige Anzahl von Jahren gewesen
sein wird, an denen dieser doch eher über-
sichtliche Innenstadtsee permanent
work in progresswar. Der Fortschritt, wer-
den die Historiker attestieren, war mit-
hin auch in der großen Söder&Maly-Epo-
che eine Schnecke. Aber er fand statt.
Ein trister Tümpel war dieses Gewäs-
ser einst, geeignet vor allem als müffeln-
des Beispiel für Naturpessimisten. Heute
gibt’s dort Sandstrand, Wasserspielplatz,
Söderbucht, einen direkten Zugang zur
Musikhochschule – und allerlei Dauerfra-
gen: Was macht eigentlich das coole Café,
von dem seit etwa fünf Jahren die Rede
ist – und wie weit ist die Umweltstation?
Aber er geht voran, wenn auch lang-
sam. Das bundesweit registrierte Gänse-
problem? Im Einsatz ist nun ein Kotsau-
ger, der ursprünglich bei Reitsportveran-
staltungen fürs Beseitigen von Pferdeäp-
feln gedacht war – muss man drauf kom-
men! Gänse dürfen also weiter düngen,
aber wo bitte sind hier adäquate Toilet-
ten für Menschen? Ah, stopp, da steht
jetzt eine: ohne Wasseranschluss, um die
Umwelt zu schonen, dafür transportiert
ein Mitarbeiter die mit Holzspänen ver-
setzten Hinterlassenschaften zweimal
täglich ins Kompostwerk. Gibt’s so noch
nicht in Bayern, verspricht der Hersteller.
Nürnberg ist nun also auch noch auf
dem Weg zur High-Tech-Fäkalienbeseiti-
gungs-City. Gut, das wird später eher ei-
ne historische Fußnote – aber immerhin.


München– Nach dem Willen der Staatsre-
gierung soll das 365-Euro-Jahresticket für
Schüler und Auszubildende vom Schuljahr
2020/21 an in Bayern deutlich ausgeweitet
werden. Am Montag hat Ministerpräsident
Markus Söder (CSU) das Modell für den Ver-
kehrsverbund Nürnberg vorgestellt, am
Dienstag hat das Kabinett die rechtlichen
Voraussetzungen für weitere Ballungsräu-
me geschaffen. So soll das 365-Euro-Ti-
cket auch in den Verkehrsräumen Mün-
chen, Augsburg, Regensburg, Ingolstadt
und Würzburg kommen. Ziel sei es, Schü-
ler und Jugendliche frühzeitig für den um-
weltfreundlichen öffentlichen Nahverkehr
zu gewinnen. Wie Staatskanzleichef Flori-
an Herrmann mitteilte, sollen fast eine Mil-
lion junge Menschen davon profitieren.
Ob das Ticket eingeführt wird, entschei-
den die jeweiligen Städte und Landkreise
in den Verbünden. Der Freistaat bietet an,
zwei Drittel der Mindereinnahmen auszu-
gleichen. Ein 365-Euro-Ticket für Erwach-
sene, wie es CSU und Freie Wähler in ihrem
Koalitionsvertrag angekündigt haben,
scheitert derzeit an den Kosten. Dies bleibe
ein langfristiges Ziel, sagte Söder. Thomas
Beyer, Landeschef der Arbeiterwohlfahrt,
lobt das Ticket als „verkehrs- und umwelt-
politisch richtig“, es müsse aber auch für
andere Altersgruppen gelten – „insbeson-
dere für Seniorinnen und Senioren mit oft
kleiner Rente“. wiw

Regensburg/Geiselhöring – Der mut-
maßliche Wahlfälscher von Geiselhöring
hat einen juristischen Erfolg errungen.
Das Regensburger Landgericht entschied
am Dienstag, dass Spargelbauer Karl B. kei-
nen Schadenersatz dafür zahlen muss,
dass die Kommunalwahl 2014 im Land-
kreis Straubing-Bogen wiederholt worden
ist. Damit hat das Gericht entsprechende
Zivilklagen des Landkreises und der Stadt
Bogen abgewiesen. Die beiden Kommunen
hatten Karl B. auf rund 124 000 Euro ver-
klagt. Auf diesen Kosten für die Neuwahl
könnten Landkreis und Stadt nun sitzen
bleiben.
Man teile „in keinster Weise“ die Ent-
scheidung des Landgerichts, hieß es in ei-
ner Mitteilung des Straubinger Landrats-
amts nach dem Urteil. Landrat Josef Lau-
mer (CSU) hat bereits angekündigt, in Beru-
fung zu gehen. „Wir sind es schon allein
den Bürgerinnen und Bürgern im Land-
kreis schuldig, nicht gleich aufzugeben“,
teilte Laumer mit. Und: „Wir werden mit
der Hoffnung in die Berufung gehen, dass
uns das Oberlandesgericht recht gibt.“ Für
die Berufung zuständig ist das Oberlandes-
gericht Nürnberg.
Spargelbauer B. soll Briefwahlzettel ma-
nipuliert haben, indem er mehr als
400 Erntehelfer aus Rumänien angestiftet
haben soll, für bestimmte CSU-Kandida-

ten zu stimmen. Dazu zählten B.s Ehefrau,
die für den Kreistag kandidierte, außer-
dem sein Cousin, eine Mitarbeiterin seiner
Firma und der Freund seiner Tochter, die
sich jeweils für den Stadtrat bewarben.
Nach Bekanntwerden des Fälschungsver-
dachts erklärte die Regierung von Nieder-
bayern die Wahl für ungültig. Nicht nur die
Kommunalwahl in Geiselhöring wurde wie-
derholt, auch die Kreistagswahl im Land-
kreis Straubing-Bogen.

Doch war die teure Neuwahl überhaupt
nötig? Davon konnten Landkreis und Stadt
Bogen das Regensburger Gericht nicht hin-
reichend überzeugen. Auch deshalb wur-
den die Schadenersatzklagen „als un-
schlüssig eingestuft“, wie das Gericht mit-
teilt. Womöglich hätte es gereicht, das Er-
gebnis von ungültigen Stimmen zu bereini-
gen oder nur in Geiselhöring neu abstim-
men zu lassen. Die Ausgaben für eine Neu-
wahl wären dann niedriger gewesen oder
komplett weggefallen. Nach dieser Logik
hätte sich der Landkreis die Kosten selbst
eingebrockt. Und nicht etwa der mutmaßli-
che Wahlfälscher.

Doch selbst wenn das Gericht zum Er-
gebnis gekommen wäre, dass die Schaden-
ersatzansprüche gegen Karl B. berechtigt
sind – er hätte die 124 000 Euro trotzdem
nicht zahlen müssen. Wegen Verjährung.
Hintergrund: Der Landkreis hatte seine
Klage erst Ende 2018 eingereicht, fast vier
Jahre nach der mutmaßlich manipulierten
Wahl. Zu spät, hat das Gericht nun entschie-
den, denn die Verjährungsfrist liegt bei
drei Jahren. Der Landkreis muss sich also
vorwerfen lassen, Fristen verbummelt und
somit öffentliches Geld aufs Spiel gesetzt
zu haben.
Zu hohe Neuwahl-Kosten, verbummel-
te Fristen – womöglich kann man das Ur-
teil des Regensburger Landgerichts so zu-
sammenfassen: selbst schuld, Kommu-
nen! Denn auch die Stadt Geiselhöring
kommt nicht gut weg in der Begründung
der Richter. Darin ist die Rede von einem
„Sowieso-Schaden“. Soll heißen: Weil die
Stadt Geiselhöring im Vorfeld der Kommu-
nalwahl Fehler gemacht hat, wäre die Wahl
sowieso ungültig gewesen, auch ohne Ma-
nipulation durch den mutmaßlichen Wahl-
fälscher. Das Gericht kritisiert, dass die
Stadt für mehr als 400 „erkennbar nicht
wahlberechtigte“ Saisonarbeiter Wahl-
scheine ausgestellt hat – und damit quasi
erst die Voraussetzung für eine mögliche
Manipulation schuf.

Die wichtigste Frage bleibt aber weiter
ungeklärt: Ist Karl B. wirklich Drahtzieher
einer Wahlfälschungsaffäre, so wie es ihm
die Staatsanwaltschaft vorwirft? Er bestrei-
tet, Illegales getan zu haben. Doch bei der
nun abgewiesenen Klage ging es nur um
Schadenersatz, nicht um strafrechtliche
Schuldfragen. Der Strafprozess gegen B.
ist derzeit abgesetzt. Der Grund: Überlas-
tung. Weil in Regensburg 18 Richter feh-
len, haben vorerst Verfahren den Vorrang,
bei denen Angeklagte in Untersuchungs-
haft sitzen.
Der Strafprozess war von Anfang an ge-
prägt von Pannen und Widrigkeiten. Ur-
sprünglich sollte der Prozess im Januar
2018 beginnen. Doch weil die Staatsanwalt-
schaft den Strafverteidigern nicht alle Be-
weismittel zugänglich gemacht hatte, wur-
de das Verfahren kurzfristig wieder abge-
sagt. Beim zweiten Anlauf im Oktober
2018 wurde der Prozess nach zwei Tagen
ausgesetzt. Diesmal, weil die Verteidiger
keinen Zugang zu allen digitalen Ermitt-
lungsakten bekommen hatten. Der dritte
Anlauf im März 2019 scheiterte, weil der
angeklagte Spargelbauer krank und damit
nicht prozessfähig war. Den nächsten An-
lauf plant das Landgericht im ersten Halb-
jahr 2020. Dann soll die Wahlfälschungsaf-
färe endlich einen Abschluss finden. Nach
sechs Jahren. andreas glas

Ohne Zuwanderer würde das deutsche Gesundheitssystem nicht mehr funktionie-
ren –hier zwei Assistenzärzte im Klinikum Dortmund. FOTO: BERND THISSEN/DPA

Multikulti im OP


Mexiko, Saudi-Arabien, Tunesien, Georgien, Afghanistan – die Zahl ausländischer Ärzte an Krankenhäusern wächst.
Die Fachkräfte sind willkommen, doch bei der Prüfung der Qualifikation will die Ärztekammer genauer hinschauen

Es sei moralisch höchst
fragwürdig, aus anderen
Ländern die Ärzte abzugreifen

MITTEN IN NÜRNBERG

Plumpsklo


als Fußnote


365-Euro-Ticket für


weitere Ballungsräume


Fahrradmonitor lobt


strampelnde Bayern


Erfolg für den Spargelbauern


Vielerorts fordern Bürger aber Angeklagter im Wahlfälschungsprozess von Geiselhöring muss keinen Schadenersatz zahlen


eine bessere Infrastruktur


Weil die Stadt Fehler gemacht hat,
wäre die Wahl sowieso ungültig
gewesen, auch ohne Manipulation

FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAND/DPA

Mehrheit für


Schwarz-Grün


Bayerns Bürger favorisieren
Bündnis auf Bundesebene


DEFGH Nr. 233, Mittwoch, 9. Oktober 2019 R11


BAYERN

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