Neue Zürcher Zeitung - 03.11.2019

(Barré) #1

Donnerstag, 3. Oktober 2019 ZÜRICH UNDREGION 19


Rot-Grün fordert «neue Familienpolitik»

Einelinke Allianz will, dass der KantonZürichdie externe Kinderbetreuung mitfinanziert


NILS PFÄNDLER


Corina Gredig hatte es bereits angekün-
digt. Als Mitte September im Kantons-
rat über dieKosten der externen Kin-
derbetreuung diskutiert wurde, meldete
sich die Co-Präsidentin der Grünlibe-
ralen zuWort. DieKosten der Betreu-
ung in den Krippenkönnten nicht nur
durch einen Abbau derVorschriften ge-
senkt werden, wie es die Bürgerlichen
vorgeschlagen hätten. Das Problem liege
anderswo, sagte Gredig – und kündigte
Vorstösse an.
Gut zweiWochen später hat die linke
Ratshälfte nun ein Massnahmenpaket
zur Förderung der familienergänzenden
Kinderbetreuung präsentiert. DieFrak-
tionen von SP, Grünliberalen, Grünen,
EVP und AL haben drei entsprechende
Motionen eingereicht. Diese enthalten
neben einer substanziellen finanziellen
Unterstützung vom Kanton und von
den Gemeinden auch sogenannte Be-
treuungsgutscheine und höhereSteuer-
abzüge. In der gemeinsamen Medien-
mitteilung ist von einer «neuenFami-
lienpolitik» dieRede. Diese dürfte den
Kanton viel Geldkosten und stösst auf
bürgerlicher Seite bereits heute auf
Gegenwehr. Konkret schlagen die fünf
FraktionenFolgendes vor:


Finanzielle Beteiligungvon Gemein-
den und Kanton:DasAngebot an fami-
lienergänzender Betreuung von Kindern
imVorschulalter soll künftig von den Ge-
meinden und vom Kanton mit je 20 Pro-
zent mitfinanziert werden. Bis anhin
seien die Gemeinden für die Betreuung
zuständig.Weil aber neben den Eltern
und Kindern auchdie Wirtschaft und
die Gesellschaft im ganzen Kanton da-
von profitiere, sei ein stärkeres finanziel-
les Engagement der öffentlichen Hand
gerechtfertigt, heisst es im Motionstext.


Betreuungsgutscheine:Eltern sol-
len in Zukunft sogenannte subjektorien-
tierte Betreuungsgutscheine vom Kan-
ton erhalten, die den Besuch einer Kita
oder einerTagesfamilie vergünstigen.
Die Gutscheine sind abhängig vom Ein-
kommen,Vermögen und von derFami-
liengrösse und ermöglichen laut den
Motionären eine gezieltere, effizientere
und transparentere Unterstützung der
Familien. Die Städte Bern und Luzern
haben ein ähnlichesSystem bereitsein-
geführt.Anders inder Stadt Zürich:Laut
dem SozialvorsteherRaphael Golta (sp.)
birgt das Modell die Gefahr, dass die
Tarife der Kitasansteigen und dieseso-
mit für Eltern mit den geringsten Ein-
kommen nicht mehr erschwinglich sind.


Steuerabzüge:Die Kosten für die
Drittbetreuung sollen künftig für jedes
Kind mit je bis zu 20000 Franken vom


Einkommen abgezogen werdenkönnen.
Derzeit sind sowohl auf Bundesebene
als auch im Kanton Zürich lediglich
10100 Frankensteuerlich abzugsfähig.
Der Abzug soll so ausgestaltet werden,
dass dieKosten an die effektiv nötigen
Betreuungskosten gekoppelt sind und
somitkeine «Luxuslösungen» unterstüt-
zen.DieseMotionwird von der Grünen-
Fraktion nicht unterstützt.

Wie teuer dieVorschläge den Kanton zu
stehenkommenkönnten, wirdweder in
der Medienmitteilung noch in den drei
Motionstexten erwähnt.Stattdessen wird
auf die Eltern verwiesen, die im Kanton
Zür ich vergleichsweise hoheKosten zu
tragen hätten. Selbst in der Stadt Zürich,
die ein grosses finanzielles Engagement
leiste, sei die Belastungfür sie viel höher
als in vielen europäischenLändern und
anderen Kantonen.
Die Fraktionsvertreter verweisen in
der Mitteilung und den Motionstexten
zudem mehrfach auf die positiveRück-
wirkung, die eine höhere Beteiligung
der öffentlichen Hand zurFolge habe.
Alle dreiVorstösse würden dazu bei-
tragen, die Vereinbarkeit vonFami-
lie und Beruf zu stärken und damit
das Fachkräftepotenzial für denWirt-
schaftsstandort Zürich besser auszunüt-
zen. Selbst steuerlicheMindereinnah-

men durch die Steuerabzüge würden
dank positiven Beschäftigungsimpulsen
auf längere Sichtkompensiert oder gar
überkompensiert werden.

Enormer finanzieller Aufwand


Kantonsrätin Astrid Furrer (fdp.,
Wädenswil)reagiert skeptisch auf die
Vorstösse. Auch sie ist der Meinung,
dass Krippen günstiger werden müssen.
Sie war deshalb Erstunterzeichnerin des
bü rgerlichenPostulats für einenAbbau
von Krippenvorschriften. An dendrei
Motionen kritisiertFurrer , dass diekon-
kreten Kosten für den Kanton mitkei-
nemWort erwähnt würden. Dabei wären
die Veränderungen mit einem enormen
finanziellenAufwand verbunden.
Auch den tatsächlichen Nutzen der
Vorstösse zweifeltFurrer an.Betreuungs-
gutscheinekönnten beispielsweise dazu
führen,dass viel mehrLeute eineexterne
Betreuung in Anspruch nähmen. Die
Krippen kämen zudem zu einem Gratis-
einkommen, ohne ihreWirtschaftlichkeit
beweisen zu müssen.«Es ist fraglich, ob
das gut ist für die Qualität», hinterfragt
Furrer. Grundsätzlich müsse dasThema,
wie Familien in der Kinderbetreuung
unterstützt werdenkönnen, breiter an-
geschaut werden. «Krippen sind nur
ein Faktor», sagt Furrer , «der Bereich

der Tagesschulen ist mindestens ebenso
wichtig.»Für dieseFragen fehlt im Kan-
ton Zürich aber eine solideDatenbasis.
Furrer hat diesen Sommer deshalb mit
einemPostulat einen Bericht eingefor-
dert, der die finanziellen Situationen der
Familien im Kanton analysiert. «Sonst
wird Pflästerlipolitik betrieben, was die
Probleme nicht wirklich löst.»

FehlendeVerantwortung


Auch bei derFinanzdirektion dürften
die drei Motionen auf wenig Unterstüt-
zung stossen.SVP-Regierungsrat Ernst
Stocker hat sich erst kürzlich in einem
Gastbeitrag in dieserZeitungbeschwert,
dass dieFinanzpolitik im Kanton ausser
Rand undBand geraten sei. «Im Kan-
tonsrat herrscht derzeit die Haltung vor,
dass es im Staatshaushalt auf ein paar
hundert MillionenFranken nicht an-
kommt», kritisierte Stocker.
Die Motionäre dürfte das wenig be-
unruhigen. Der veränderten Kräftever-
hältnisse im Kantonsrat sind sie sich
bewusst. «Dass die neue Mehrheit die
Weichen in derVerkehrs-, Klima- und
Umweltpolitik neu stellen kann, hat sie
bereits mehrfach bewiesen», heisst es in
der Mitteilung. «Mit demVorstosspaket
zur Kinderbetreuung bringt sie nunauch
Bewegung in die Gesellschaftspolitik.»

Mit Betreuungsgutscheinen vom Kanton soll die Kita für einkommensschwacheFamilien erschwinglicherwerden. SIMONTANNER / NZZ

Zürcherinnen und Zürcher schätzen kulturelle Vielfalt


Aus Sicht einer Mehrheit klappt die Integration der ausländischen Bevölkerung gut –grösstesProblem ist die Sprache


STEFAN HOTZ


Sind vorgefasste Meinungen über be-
stimmte Gruppen der Bevölkerung per
se schlecht? Nicht zwingend,schreibt das
Statistische Amt des Kantons Zürich in
einer neuen Studie.Abgesehen davon,
dass festgefahrene Einstellungen auch
wohlwollend seinkönnen,helfen sie, sich
in einerkomplexenWelt zurechtzufin-
den.Probl ematisch sind aber kategorisch
abwertende Bilder anderer Menschen.


Anteil Ausländerakzeptiert


Wie sieht es damit bei uns aus? Die Sta-
tistiker haben am Mittwoch eineAus-
wertung zur Zürcher Stichprobe einer
Erhebung von 2018 veröff entlicht, die
der Bund alle zweiJahre schweizweit
vornimmt.Weil die Anzahl der Befrag-
ten über das «Zusammenleben in der
Schweiz» mit rund 500Personen eher
klein ist,ist die Unschärfe relativ gross.


Gleichwohl gibtes ein paar sehr deut-
licheResultate.So kann man den Zür-
cherinnen und Zürchernkeine generelle
Fremdenfeindlichkeit nachsagen. Eine
Mehrheit von 58 Prozent derWohn-
bevölkerung lehnt dieAussage ab, wo-
nach zu vieleAusländer in der Schweiz
leben.Von den gut 40 Prozent, die dem
zustimmen,glaubt die Mehrheit,dass der
Ausländeranteil weiter steigen wird.
Eine klare Mehrheit sieht in der Zu-
wanderung wirtschaftlicheVorteile.Die
Resultate sind auch zwiespältig: Ist es
positiv, wenn 70 Prozent der Befrag-
ten sagen,dass ausländische Erwerbstä-
tige jeneArbeiten übernehmen,die «an-
dere nicht erledigen wollen»?Das kann
abschätzig gemeint sein oder anerken-
nen, dass wir aufAusländer angewiesen
sind.Jedenfalls finden 59 Prozent,dass
dieWirtschaft und die Sozialwerke ohne
sie nicht funktionieren.
Dagegen findet nur einViertel der Be-
fragten, dassAusländer dieArbeitslosig-

keit erhöhen.Aber fast die Hälfte stimmt
der Aussage zu, dass sie dasSystem der
Sozialleistungen missbrauchen.Die bunte
Vielfalt aber wird geschätzt.Für 72 Pro-
zent der Befragten müssen Menschen aus
demAusland ihre Herkunftskultur nicht
aufgeben, um akzeptiert zu werden. 40
Prozent sind dafür, dass sie mehr politi-
sche Mitsprache erhalten.
Das Fremde kann auch stören. Zür-
cherinnen und Zürcher wollen bei der
Arbeit gerne soreden, wie ihnen der
Schnabel gewachsen ist.Die grössteBar-
riere ist die Sprache: 22 Prozent der Be-
fragten hat Mühe mitFremdsprachigen,
in erster Linie am Arbeitsplatz. Das be-
ziehtsich nicht nur aufAusländer, son-
dern ebenso auf anderssprachige Schwei-
zer oder deutschsprachigeAusländer. Im
Gegensatz dazu halten sich weniger als
10 Prozent der Befragten überReligion,
Hautfarbe oder Nationalität auf.
18 Prozent empfinden eine nicht sess-
hafte Lebensweise von Mitmenschen als

störend.Das beziehe sich nicht etwa auf
die Minderheit derFahrenden,präzisiert
auf AnfrageJulie Craviolini,Verfasserin
der Zürcher Studie.Die Frage sei offen
formuliert bezüglich Menschen ohne fes-
tes Zuhause. Es können also auchWel-
tenbummler oderDauer-Camper ge-
meint sein.

Rassismusist ein Problem


Mehr als die Hälfte der Bevölkerung er-
achtetRassismus als ernstes Problem,
etwa gleich viele sind aber auch der Mei-
nung, dagegen werde genügendgetan.
Wenig überraschend hatten in den letzten
fünf Jahren mehrAusländer als Einhei-
mische das Gefühl, diskriminiert worden
zu sein. Insgesamt zeigt die Erhebung,
dass das Zusammenleben im Kanton
Zürich, wo 2018 fast 27 Prozent der Be-
wohnerkeinen SchweizerPass und über
40 Prozent einen Migrationshintergrund
hatten,recht gut funktioniert.

DERMARKTBUMMLER


Die Essenz


des Herbstes


Peter Brunner∙ Kürbisse – ein schwie-
riges Kapitel. Einerseits locken sie in
ihren skurrilen Formen und prächti-
ge n Herbstfarben an jeden Gemüse-
stand.Andererseits sind sie für mich ge-
schmacklich das zweitlangweiligste Ge-
müse derWelt, gleich nach den noch
langweiligeren Zucchetti.Kein Wun-
der,denkt kein MenschanFood-Waste,
wenn daraus Halloween-Masken ge-
schnitzt werden, die später im Abfall
landen.Wie dieregelmässigen Leser
dieserKolumne aber wissen,reizt mich
ein solcherWiderstand jeweils ganz be-
sonders. In der Einfachheit eines Ge-
schmacks wie beimKürbis kann auch
ein besondererReiz liegen, und den gilt
esherauszukitzeln.
Natürlich ist das mit etwas Arbeit und
Sorgfalt verbunden, das Einfache ist be-
kanntlich oft auch das Schwierige.Wich-
tig ist wie immer zuerst der Einkauf.
Welche der unzähligenKürbisvariatio-
nen man auswählt, ist eine Geschmacks-
frage;ich mag beispielsweise den orangen
Knirps und den Muskat am liebsten, den
sehr populären Butternuss dagegen weni-
ger.Was zählt, ist vielmehr seine volle
Reife,sonst ist er hoffnungslos fad.Wie
findet man die heraus? Ein Muskat oder
Knirps sollte beispielsweise hohl tönen,
wenn man ihn abklopft.Ein gutverholzter
Stiel ist ein weiterer Hinweis. Bei einem
angeschnittenen Stück sieht man sehr gut,
ob das Fleisch bis an denRand hinaus
gleichmässig orange und damitreif ist.
Übrigens gibt es ab und zu bittere Exem-
plare, die man nicht essen sollte, weil das
zu Verdauungsstörungen führen kann.
Bei meinen folgendenRezepten geht
es um dieKonzentration desAromas. Das
erste ist etwas aufwendig und eigenartig,
für mich aber die Essenz des Herbstes.
Kürbisessenz:1,5 kgreifen Kürbis in
2 cm grosse Stücke schneiden. Mit den
Kernen undFäden in Butter 5 Minu-
ten dünsten. Mit8dlWasser bedecken
und sehr weichkochen. Mit dem Stab-
mixer leicht pürieren und 30 Minuten
ziehen lassen. Ein Sieb mit einem feinen
Küchentuch auslegen. Die Masse hin-
einfüllen, leicht beschweren und etwa
1 Stunde abtropfen lassen.DasTuch an
den Ecken zusammennehmen und die
Masse noch leicht auspressen. Übrig
bleibt etwa ein Liter tiefgoldene, wasser-
klare Flüssigkeit,die man nur noch leicht
salzen,pfeffern und aufkochen muss, um
eine reinduftendeKürbisconsommé zu
erhalten.Man kann sie nachWunsch mit
frischer Butter aufmixen,die ihr eine zu-
sätzl iche Geschmeidigkeit gibt. Das Kür-
bispüree benötigen wir nicht mehr.
Pikanter Muskatkürbis:für den Sud
1lWasser, 2EL Essig, Saft und Schale
von ½ Orange, 2 EL Honig, ½ Pe-
peroncino, 2 Nelken, 1 KL Ingwer-
scheiben, Salz. Alle Zutaten 10 Minu-
ten köcheln lassen. 1 kg Muskatkürbis
schälen, in Würfel schneiden und darin
knapp weichkochen.Kürbis herausneh-
men, den Fond durch einSieb streichen,
mit Salz, Honig und Zitronensaft kräf-
tig abschmecken. DieKürbiswürfel da-
mit vollständig bedecken und imKühl-
schrank mindestens zweiWochenreifen
lassen. (Bleibt imKühlschrank den gan-
zen Winter über haltbar.) ZurVerwen-
dung in feine Scheiben schneiden.Das
passt hervorragend, warm oder kalt, zu
Fisch, Fenchel,Rohschinken,Büffelmoz-
zarella, Risotto, Pasta.
Expressvariante pikanter Muskatkür-
bis:DenKürbis mit dem Sparschäler
oder Gemüsehobel in ganz dünne Strei-
fen schneiden. Marinade:1dl weisser
Aceto balsamico, 30 g Honig, 20 g Salz,
wenig feingeschnittene Peperoncini.
Einmal aufkochenund über dieKürbis-
st reifen giessen.Während 1 Stunde ab
und zu wenden, anschliessend die Mari-
nade weggiessen.

DerAutor beantwortetFragenrund umMarkt
und Küche: marktbummler @menu-dujour.ch
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