Neue Zürcher Zeitung - 03.11.2019

(Barré) #1

Donnerstag, 3. Oktober 2019 WIRTSCHAFT 29


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Landwirtschaft hat nichts Romantisches

Martin Richenhagen hat aus einem Spleen seines Vorgängers einen Weltkonzern für Landmaschinen gemacht – und er verdient gut daran


CHRISTOF LEISINGER, DULUTH


Vom Religionslehrer zu einem der best-
bezahltenFirmenchefs in den USA –
und zum Multimillionär. Das ist die Ge-
schichte von Martin Richenhagen. Der
CEO vonAgco hat den amerikani-
schenKonzern zu einem der weltgröss-
ten Landmaschinenhersteller gemacht.
Der Deutschamerikaner spricht gern
deutsch und deutlich. Grund genug, ihn
in seinemgrosszügigen Chefbüro in der
Firmenzentrale inDuluth zu besuchen.
Der enormeVerkehr im Speckgürtel
Atlantaskostet zwar zunächst Nerven,
aber danach fühlt sich das Umfeldbei-
nahe schon ländlich an – nicht zuletzt
auch dank den vor dem Gebäude ste-
hendenTraktoren.


Eine Frage der Strategie


DerManager stammt ausKöln, hat
in BonnTheologie, Philosophie und
Romanistik studiert und dann anfäng-
lich als Religionslehrer gearbeitet.
Offensichtlich wurdeihm aber nach der
Verbeamtung langweilig. So ging er in
die Industrie und war unter anderem
für Schindle r, Forbo undClaas tätig.
Im Jahr 2004 schliesslich wurde er Chef
von Agco, einem vor gut dreissigJahren
unter beinahe schon abenteuerlich an-
mutenden Umständen aus einem Ma-
nagement-Buyout entstandenenLand-
maschinenhersteller, weil er den Grün-
der BobRatliff kannte. Der inzwischen
verstorbene Exzentriker habe spät in


seinem Leben mit diesem Geschäft an-
gefangen, obwohl er vonLandwirtschaft
keine Ahnung gehabt habe,erzählt Ri-
chenhagen.
«Ich habeimmer versucht heraus-
zufinden, was seine Strategie war. Ich
glaube, er hattekeine, sondern nur die
Ide e, etwas Grosses zu schaffen.»Tat-
sächlich scheint es damals ziemlich
hemdsärmlig zugegangen zu sein.«Wir
hattenkein Kreditrating, wir hatten keine
Investor-Relations,wir hatten keinen Per-
sonalchef, wir zahltenkeine Dividende,
und wir hattenkeine PublicRelations.»
Ratliff wollte offensichtlich immeralles
selber machen. Selbst bei einer ganzen
Serie von Zukäufen scheint er unkonven-
tionell vorgegangen zu sein, immer ge-


mäss dem Motto «Bevor dieWall Street
und deinAufsichtsrat überhaupt kapie-
ren, was du da tust, musst du schon die
nächste Übernahme machen, damit die
das nicht mehr vergleichenkönnen».Am
Ende desTages seien 26 Marken wild vor
sich hin gewuchert und hätten ohne Inte-
grationan Wert verloren.
«Als ich bei Agco angefangen habe,
sass ich hier in diesem Büro und war
plötzlich Chef von einem Unterneh-
men. Der Schreibtisch war voller Dos-
siers. Dann habe ich angefangen,wie bei
einem Puzzle einTeil nach dem ande-
ren zusammenzufügen, ohne zu wissen,
welches Bild am Ende herauskommen
wird», beschreibt Richenhagen seine
damaligen Empfindungen. Heute ist er


stolz auf das Ergebnis. «Wir machen mit
wenigen bekannten Marken wieFendt,
MasseyFerguson,Valtra,Challenger
oder auchFella etwa 10 Mrd. $ Umsatz,
der Börsenkurs ist etwa zehnmal so
hoch wie damals, wir haben ein Kredit-
rating, wir zahlen eine ordentliche Divi-
dende, und wir haben diese bisher jedes
Quartal erhöht.»

Die Investitionen zählen


Er glaubt, ein gutes Image an derWall
Street zu haben, in den Medien bekannt
zu sein, und behauptet selbstbewusst:
«Wir haben das beste Produktprogramm
in der Branche, weil wir Milliarden in
die Entwicklung investiert haben – im
Unterschied etwa zuKonkurrenten wie
Case und New Holland.» Als er ange-
fangen habe, hätten dieAusgaben für
Forschung und Entwicklung gerade so
gereicht,um mit den üblichenQuali-
tätsproblemen fertigzuwerden. «Heute
investieren wir jedesJahr zwischen 350
bis 400 Mio.$in neue Produkte. Das tut
am Anfang weh, weil es voll auf das Er-
gebnis durchschlägt.» Inzwischen zahle
sich aber aus, früh Zukunftstechnolo-
gien wie etwa das Precision-Farming
ausgemacht und alleWerke aufgeräumt
zu haben. «Manche haben uns für be-
scheuert erklärt, als wir 500 Mio. $ in das
Fendt-Werk inBayern investiert und die
Teilefertigung in Sachsen-Anhalt aufge-
zogen haben.» DieBayern seien jedoch
sehr produktiv, und in Ostdeutschland
gebe eskein Sprachproblem, tiefe Perso-
nalkosten – und die Löhne stiegen nicht
so stark wie weiter im Osten.
Was den Führungsstil anbelangt,
«lege ich grossenWert auf eine ordent-
liche Unternehmenskultur, um Intri-
gantentum zu vermeiden», sagt Richen-
hagen. Er vereinbare mit seinemTeam
knallharte Ziele, aber auf Diskussions-
basis und nicht von oben herab. Dann
überlässt er den Mitarbeitern denWeg
zum Ziel –auch, was die Entwicklung
von neuen Produkten und von Zu-
kunftsfeldern anbelangt. Es gelte, «her-
auszutüfteln, was dieKunden und die
Händler wollen, was derWettbewerbin
petto hat und welche Ideen die eigenen
Ingenieure haben». Schliesslich lautet
die Erfolgszauberformel: Ein Produkt
sollte möglichst einfach sein, und «alles,
was das Ergebnis desLandwirts verbes-
sert, ist grundsätzlich für diesen von In-
teresse, und das kann man dann auch
verkaufen». Zum Beispiel mehrKom-
petenz im IT-Bereich. «Landmaschinen
können Unmengen vonDaten erfas-
sen.» Diese gehörten denKunden, und
so sollten sie künftig möglichst intuitiv
mit ihnen umgehenkönnen. Oder die

Einführung autonomerFahrzeuge.In
vielenLändern fehlten bald dieArbeits-
kräfte für einfacheTätigkeiten,und folg-
lich «werden in zehn bis zwanzigJahren
DrohnenWeinberge in Steilhanglagen
pflegen oderRoboter Spargeln stechen».
Richenhagens Gottvertrauen auf
den technologischenFortschritt in der
Landwirtschaft hat durchaus etwas Be-
ruhigendes. Denn hat errecht, wird die
Landwirtschaft in denkommendenJah-
ren noch einmal doppelt so viele Nah-
rungsmittel produzieren wie jetzt.
Genug also, um die wachsendeWelt-

bevölkerung zu versorgen. Allerdings
kritisiert er in diesem Zusammenhang
die «Gehirnwäsche», die es in Europa in
Bezug auf genverändertes Saatgut gebe.
Letztlich gehe es dabei nur darum, den
«mendelschen Prozess» zu beschleuni-
gen, also die züchterischeVerbesserung
von Nutzpflanzen. «Monsanto arbeitet
an Maissorten, die 80% wenigerWasser
brauchen, die bei minus 20 Grad funk-
tionieren oder bei plus 40 Grad in der
Wüste – und dann sollen diese neuen
Sorten auch nochgegen Schädlinge
resistent sein.»

Technologiestatt Kitsch


Er nervt sich über «dieromantisch ver-
kitschteLandwirtschaft, wie die grüne
Lehrerin aus Berlin siegerne zeichnet».
DieseLandwirtschaft habe es inWirk-
lich keit nie gegeben.Das Getreide sei
früher mit Pilzen verseucht gewesen
und dieEier mit Salmonellen.Heute be-
laste das idealisierte Zerrbild das Image
der Agrarwirtschaft.Künftig sei «mehr
Klugheit als in derVergangenheit» nö-
tig, um dieLandwirtschaft aus ihrer
«Wahrnehmungskrise» herauszuholen,
und das möchte er fördern. Statt bei
Angriffen von Kritikern aufKonfronta-

tion zu gehen, müsstenLandwirte und
Verbände signalisieren:«Wir haben eure
Botschaft verstanden,und jetzt erklären
wir euch einmal, wie es wirklich ist.»
Handwerklich gut gemachte Produkte
liessen sich immer verkaufen – und
statt Konsumenten umerziehen zu wol-
len, solle man besser auf das Qualitäts-
bewusstsein setzen. «Ich habeFreunde
mit spezialisierten Hofläden,denen geht
es supergut,weil sie gute, wennauch teu-
rere Produkte herstellen.Das gibt es in
der Schweiz auch, und in den USA lässt
sich das am Erfolg des Bio-Supermarkts
Whole Foods ablesen.»
Mit Blick auf die gegenwärtige Er-
tragskrise bei den Getreidefarmern im
MittlerenWesten der USA fällt sein
Urteil differenziert aus. «Die Liefer-
ströme haben sich verlagert. Die Chi-
nesen haben auf die amerikanischen
Sanktionenreagiert, indem sie ihre
Sojabohnen,ihren Mais, ihre Hühnchen
und ihr Schweinefleisch nicht mehr in
den USA kaufen, sondern vor allem
in Brasilien und Argentinien.Das ist
ein Riesenproblem, weil dieseKunden
nicht mehr so schnell zurückkommen


  • selbst wenn es eine Einigung in den
    Handelsgesprächengibt»,argumentiert
    der Manager. Der Landmaschinen-
    markt sei aus diesem Grund schon im
    drittenJahr rückläufig.
    Daneben sei das Umfeld noch in
    Ordnung,weil sich die amerikanische
    Regierung weiter für die Landwirt-


schaft interessiere – im Gegensatz zu
vielen anderenLändern. DieFarmer
seien für Präsident DonaldTrump eine
wichtigeWählerbasis, viele stünden trotz
den Schwierigkeiten weiterhin zu ihm.
«Das Problem aber ist, dass der Präsi-
dent auf niemanden hört.Ich betrachte
ihn als vollkommen beratungsresistent»,
so Richenhagen.

Mangelnder Mut


Im äusserstenFall werdeTrump noch
einmal für vierJahre gewählt, fürchtet
der Wahlamerikaner und legt nach: «Es
ist nicht akzeptabel, dass Trump lügt,
polarisiert, einWomanizer undRassist
ist und dass das in einem politisch so
oberkorrektenLand einfach alles so hin-
genommen wird.» In einem Industrie-
verband habe er einmal vorgeschlagen,
dem Präsidenten einen Brief zu schrei-
ben und ihn zu bitten,mit seinen beleidi-
genden undrassistischen Bemerkungen
aufzuhören.«Da war auf einmal Mucks-
mäuschenstille im ganzenRaum.»Kei-
ner habe «die Eier» dazu; der eine ma-
che Staatsgeschäfte,der andere solche
mit dem Militär. Es sei eine absolute Ka-
tastrophe, dass die Amerikaner «sich da
nicht zusammenraufenkönnen»,sagt er
und regt sich auf.
Doch mit Blick auf seine Zukunft
beruhigt er sich wieder, denn er wird
aufhören.«Ichbin am 1. Juli diesesJah-
res 67 Jahre alt geworden. Ich mache
das jetzt15 Jahre, und das ist eigentlich
auch genug, obwohl derJob einen Rie-
senspass macht und gut bezahlt wird.»

Wie in Amerika üblich,spricht Martin
Richenhagen offen über Zahlen. Eine
gute Entlohnung gilt dort alsAusdruck
des persönlichen Erfolgs. Er sei nicht
unbedingt stolz darauf, aber im ver-
gangenenJahr «war ich der höchst-
bezahlte CEOin Atlanta, Georgia,
und unter denTop Twenty in Ame-
rik a».Angefangen habe er mit null,
nun befinde er sich in der luxuriösen
Situation, sich zu überlegen, was er
mit seinem über dieJahre angesam-
meltenVermögen mache. Neben einer
gewissenWohltätigkeit und Aktivitä-
ten mit derFamilie wird er sich dann
wohlmehr Zeit nehmen für seine Lei-
denschaften – diePferdezucht und die
Dressurreiterei.

Eine industrielle Nahrungsmittelproduktionund Umweltbewusstsein müssensichnicht ausschliessen. PD

«Bevor dieWall Street
und dein Aufsichtsrat
kapieren, was du da
tust, musst du schon
die nächste Übernahme
machen, damit die das
nicht mehr vergleichen
können.»

Bob Ratliff
Gründervon Agco

Martin Richenhagen
KEYSTONE Chefvon Agco

Hat er recht, wird die
Landwirtschaft in den
kommenden Jahren
doppelt so viele
Nahrungsmittel
produzieren wie jetzt.

«In zehn bis zwanzig
Jahren werden Drohnen
Weinberge in
Steilhanglagen pflegen
oder Roboter
Spargeln stechen.»

Martin Richenhagen

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