Neue Zürcher Zeitung - 03.11.2019

(Barré) #1

Donnerstag, 3. Oktober 2019 FINANZEN 31


«Trump weiss, mit einem starken

Dollar gewinnt er kaum die Wahl»

Droht der Welt di e nächs te Phase der Finanz- und Schuldenkrise? Der US-Anlageexperte Larry McDonald


sieht grosse Gefahren am Mark t für Unternehmensanleihen, wie er im Gespräch mit Michael Ferber sagt


Geopolitische Risiken dominieren die
Agenda an den Finanzmärkten.Der Han-
delskrieg zwischen den USA und China,
Unklarheit über den Brexit, Proteste in
Hongkong und Attacken auf Ölfelder
in Saudiarabien machen Schlagzeilen.
Trotzdem haben sich die Aktienmärkte
diesesJahr sehr gut entwickelt. Warum?
Man sollte nicht vergessen, dass in den
vergangenenanderthalbJahren welt-
weit sehr grosse Summen in Obligatio-
nen geflossen sind.Vor allem imVer-
gleich mit Obligationen sind Aktien wei-
terhinattraktiv–vor allem in Grossbri-
tannien oder Deutschland, nicht so sehr
in den USA.Was die Attacken auf saudi-
arabische Ölfelder angeht, gehen wich-
tige Marktteilnehmer nicht davon aus,
dass die USA gegenüber IranVergel-
tung üben werden. Dies hängt vor allem
mit den Präsidentschaftswahlen 2020 zu-
sammen.Wenn die US-Regierung etwas
in dieser Richtung tut, dann dürfte es eine
Attackeauf die Huthi-Rebellen inJemen
sein. Dies wäreaber wenigerdisruptiv als
eine Attacke auf Iran.


Mit der Flucht der Investoren in sichere
Häfen sind dieRenditen von als sicher
geltenden Obligationen noch mehr in den
Minusbereich gefallen.Wie lange geht
dieses Obligationen-Rally nochweiter?
Die Entwicklung an den Bond-Märkten
ist einkolossalesVersagen des gesunden
Menschenverstands. Ichgehe davon aus,
dass dieFiskalpolitik weltweit nächstes
Jahr expansiver werden wird. Dies wie-
derum solltedafür sorgen, dass Geld aus
Bonds in Aktien fliesst. Manche Investo-
ren dürfenkeine Obligationen mit nega-
tivenRenditen besitzen. Sie investieren
stattdessen in Anleihen mit einer schlech-
ten Kreditwürdigkeit, beispielsweise in
«collateralized loan obligations», soge-
nannte CLO.Dieskönnte ein Nachspiel
haben.


Bei CLO handelt es sich oft um gebün-
delte Unternehmenskredite aus verschie-
denen Branchen.Ihr Name erinnertan die
berüchtigten «collateralized debt obliga-
tions» bzw. CDO, die beimAusbruch der
Finanzkrise eineRolle gespielt haben.Zu
welchem Schluss kommen Sie,wenn Sie
die derzeitige Situation mit der damali-
gen vergleichen?
CLO sind vergleichbar mitCDO, in denen
damals Subprime-Hypotheken verpackt
wurden. In den vergangenenJahren ist
viel spekulatives Kapital in CLO geflos-
sen. DieseFinanzinstrumente sind aber
nur ein Beispiel.Auch in Unternehmens-
anleihen mit schlechteren Bonitätsbewer-
tungen, also in die Bereiche «BB» oder
«BBB», ist viel Geld investiert worden.


Glauben Sie, dass die nächste Phase der
Finanzkrise vom Markt für Unterneh-
mensanleihen ausgehen wird?
Ja, in den USAkönnte dies derFall sein.
Es gibt aber auch Probleme im amerika-
nischen Immobilienmarkt. In NewYork
City stehen viele Geschäftsimmobilien
leer, und die Preise für Liegenschaften
fallen bereits. Dies liegt an Überkapazi-
täten und demWegfallvonSteuerabzugs-
möglichkeiten. Global gesehen ist das
Problem mit den CLO allerdings grösser.


Sie sehen dieWelt also kurz vor einer er-
neuten Finanzkrise?
Ein «Lehman-Moment» steht nicht be-
vor. Schaut man sich aber die Märkte
für Staats- und Unternehmensanleihen
an, so gibt es ganz klar einen Schul-
denüberhang. DieWeltwirtschaft hat
Probleme zu wachsen mit einem solch
hohen Schuldenstand.


Die Zentralbanken verfolgen erneut eine
sehr expansive Geldpolitik,der Schulden-
berg könnte also nochweiter wachsen ...
Wichtige Signale gab es jüngst am Geld-
markt in den USA. Dieser war teils ein-
gefroren, wie zur Zeit des Lehman-Kol-
lapses. Die US-Zentralbank musste ein
Notprogramm starten.Wir gehen davon
aus, dass der Stress am Geldmarkt dieFed
2020 dazu führen wird, wieder mit einer
quantitativen Lockerung, einer unkon-
ventionellenAusweitung der Geldbasis,
zu beginnen.

Lässt sich so derAusbruch einer neuen
Phase der Finanzkrise bekämpfen?
In den USA wird auch ein schwächerer
Dollar alsWerkzeug gesehen. Präsident
Tr ump ist entsetzt über die Dollar-Stärke,
zumal 2020 die Präsidentschaftswahlen
anstehen. Der stärkere Dollar hat das
Wachstum derWeltwirtschaft gebremst.
Gleichzeitig erhöhte dieFed im vergange-
nenJahr die Zinsen.Tr ump hat gesagt, die
Fed habesich beimErhöhen der Zinsen
verrechnet und werde zurückrudern müs-
sen. Möglicherweise hat er das von einem
Vertreter eines Hedge-Fund gehört und
weiterverbreitet. Nunkönnte er aber ein-
mal mehrrecht bekommen, und niemand
wird das hören wollen (lacht).

Der starkeDollar ist also der Grund da-
für, dassTrump so viel Druck auf dieFed
aufsetzt, die Leitzinsen zu senken?
Ja.Trump weiss, dass er mit einem star-
kenDollar kaum dieWahlen gewinnen
wird. Der stärkere Dollar hat dafür ge-
sorgt, dass Arbeitsplätze in der Indus-
trie in den USA verloren gegangen sind.
Tr ump glaubt, dass es sich bei den Zins-

erhöhungen derFed um eineStrategie ge-
handelt hat, ihn aus dem Amt zu drängen.
Nachdem dieFed diesesJahr eineWende
in der Geldpolitik vollzogen und die Zin-
sen gesenkt hat,könnte man sagen, dass
Tr ump die ersteRunde gegendie Zentral-
bank gewonnen hat. Sollte dieFed noch
vorJahresende mit einer quantitativen
Lockerung beginnen, würde diesTr ump
wirklich helfen. Die Marktteilnehmer
erwarten das nicht, vielmehrrechnen sie
vorher mit weiteren Leitzinssenkungen.

Wiegross ist dieWahrscheinlichkeit,dass
Trump über ein Amtsenthebungsverfah-
ren stolpert, da er Druck auf die Ukraine
ausgeübt hat,gegen den Sohn seines Riva-
len Joe Biden zu ermitteln?
Im Senat braucht ein Impeachment-Ver-
fahren eine Zweidrittelmehrheit. Nach
derzeitigem Stand käme eine solche nicht
zustande. UmTr ump aus dem Amt zu ent-
fernen, brauchtees wohl mehr schädliche
Informationen.Auch scheint die öffent-
licheMeinung gegen ein Impeachment
zu sein. So sieht es derzeit danach aus,
als ob diese Saga negativ für die Demo-
kratenund insbesondereJoeBiden sein
könnte. So steigen die Chancen von Eli-
zabethWarren,dieebenfalls in denVor-
wahlen für die Präsidentschaftskandida-

turder Demokraten antritt und sich in die
Mitte bewegt hat.In den nächsten sechs
Monatenkönnte sich die Angst vorWar-
ren an denFinanzmärkten manifestieren.
Am Aktienmarkt muss dieses«Warren-
Risiko» eingepreist werden, dies gilt vor
allem für die SektorenTechnologie, Ban-
ken, Krankenversicherer und Energie.

Wie geht es im Handelsstreitzwischen den
USA und Chinaweiter?
Wichtige Geldgeber haben sich jüngst
vonTr ump entfernt, nachdem er an jenem
berühmtenFreitagnachmittag EndeAu-
gust zum Handelsstreit getwittert hatte.
Dabei wies er US-Unternehmen an,sich
nach einer Alternative zu China umzu-
sehen und in den USA zu produzieren.
Anschliessend bekamTr ump viel Druck,
einen weniger hartenKurs zu fahren. Ich
gehe davon aus,dassTr ump im Handels-
streit mit China bisJahresende einen klei-
neren Deal abschliessen wird.Wenn er zu
stark auf China einschlägt, trifft das die
Weltwirtschaft. Dies wiederum würde zu
einerRezession in den USA führen, und
Tr ump würde nicht wiedergewählt.

Wo sollten Anleger vor diesem Hinter-
grund investieren,welche Anlageklassen
sind derzeit interessant?
AngesichtsdesBrexits wurde bei briti-
schen Anlagen sehr viel Negatives ein-
gepreist.Ausserdem haben die Investo-
ren lange im Nebel gestochert, und es ist
zu starken Kapitalabflüssen aus Gross-
britannien gekommen.Ich bin ziemlich
sicher, dass dies imkommenden halben
Jahr vorbeigeht und dass vieles klarer
wird. Deshalb halte ich britische Aktien
derzeit für attraktiv,dasselbe gilt für das
Pfund.Wir beobachten, dass momentan
Geld von Hongkong oder den USA nach
Grossbritannien fliesst. Zu viele Investo-
rensind in den Dollar geflüchtet.Auch
haben Schwellenländer wie Brasilien
oder Südkorea unter den Spannungen
im Handel gelitten. Sie würden die USA
outperformen, wenn es zu einem Deal im
Handelsstreit käme. Sollte sich dieFed in
Richtung einer quantitativen Lockerung
bewegen, würden auch der Gold- sowie
der Silberpreis weiterhin profitieren.

«Die Entwicklung
an den Bond-Märkten
ist ein kolossales
Versagen des gesunden
Menschenverstands.»

EineWiederwahlTrumpswerdewesentlichdurchdie Politik der US-Zentralbank beeinflusst, sagt Larry McDonald.CHRISWATTIE / REUTERS

Anlageideen unter


politischen Risiken


feb.·Lawrence «Larry»
McDonald ist der Grün-
der des Investment-News-
letters «T he Bear Tr aps
Report», der sich mit poli-
tischen Risiken beschäftigt
und daraus Anlageideen
ableitet. Zuvor absolvierte er berufliche
Stationen bei denBanken Société Géné-
rale und Lehman Brothers. Zudem ist er
Koautor des Bestseller-Buchs «A Colos-
salFailure of Common Sense», in dem er
denAusbruch derFinanzkrise und den
Kollaps der US-Investmentbank Lehman
Brothers behandelt.

TAGESGESPRÄCH

Bodenbildung bei


Hypothekarzinsen


Minimale Differenzen zwischen
verschiedenen Laufzeiten

MICHAEL SCHÄFER

DerAusnahmezustand an der Zinsfront
hält an.Was für Sparer je länger, je mehr
zu einem Problem wird,kommt Immo-
bilienkäufern entgegen. Die ultraniedri-
gen Zinsen sorgen dafür, dass sich die Be-
lastung durch die Hypothek trotz hohen
Immobilienpreisenin Grenzen hält. Und
obwohl Experten schon mehrfach eine
Normalisierung der Zinsen prognosti-
ziert haben, sind diese bisher immer wie-
der nach unten gerutscht, so auch in den
vergangenenWochen.

Günstige Planungssicherheit


Der durchschnittliche Richtsatz derBan-
kenfür zehnjährigeFesthypotheken lag
laut dem Online-Vergleichsdienst Com-
paris Ende September bei 1,05%. Gegen-
über demVorquartal bedeutet das eine
weitereVerbilligung um 0,05 Prozent-
punkte (–5Basispunkte). ImAugust
sank dieserWert sogar erstmals kurz-
fristig unter denWert von 1%. Ebenfalls
nachgegeben haben die Richtsätze von
fünf- und zweijährigenFesthypotheken
auf 0,91% (–4Basispunkte) und 0,87%
(–1Basispunkt).Durch diese Entwicklun-
gen sind die historisch gesehen ohnehin
schon geringen Abstände zwischen den
Laufzeiten noch einmal geschrumpft.Für
Kreditnehmer bedeutet das, dass sie für
eine zusätzliche Planungssicherheit so
wenig bezahlen wie nie zuvor.
Deutlich grössereAbstände als zwi-
schenLaufzeiten gibt es zwischen An-
bietern. Derzeit offerieren etliche An-
bieter zehnjährige Hypotheken unter
1%. Allein deren 18 finden sich im On-
line-Vergleich der unabhängigen Bera-
tungsgesellschaftVermögenspartner.Sie
haben alle etwas gemeinsam: Sie sind
keine klassischeBank,sondernVe r-
sicherungen,Pensionskassen oder An-
bieter von Online-Hypotheken (hinter
denen eineBank stehen kann, wie bei
Fribenk dieFreiburger Kantonalbank).
Den günstigsten Richtsatz weist die
Zürich-Versicherung mit 0,75% auf.Auf
derWebsitevon Comparis werden zehn-
jährige Hypotheken ab 0,54% bewor-
ben, beim Hypothekenvermittler Money-
park ab 0,63%.Jenach Kreditgeberso-
wie Bonität undVerhandlungsgeschick
des Kreditnehmers lassensich die Sätze
noch unter die Richtwerte drücken.

SNB mithöheren Freibeträgen


Angesichts der international wieder
lockerer gewordenen Geldpolitik sowie
der unsicherenKonjunkturentwicklung
ist es unwahrscheinlich, dass die Zinsen
kurzfristig markant steigen. Aber auch
wenn sie nochmals sinken sollten – bei-
spielsweise hat die Schweizerische Natio-
nalbank (SNB) mehrfach betont, die
negativen Leitzinsen, falls nötig, noch-
malsreduzieren zukönnen –, ist zu er-
warten, dass die durchschnittlichen Hypo-
thekarzinsen eine solche Bewegung nicht
eins zu eins mitmachen würden.
Relativ einfach bewerkstelligenkön-
nen dasVersicherungen undPensions-
kassen, für die das Hypothekargeschäft
eine Anlageklasse darstellt.Für Banken,
die einklassisches Zinsdifferenzgeschäft
betreiben und sich mehrheitlichüber
Sparguthaben refinanzieren, wird der
Spielraum jedoch immer enger, solange
sie die Negativzinsen nicht an ihre Spar-
kunden weitergeben.
Der Druck, Negativzinsen auf Spar-
guthaben zu erheben, hat jüngst abge-
nommen, da die SNB denBanken grös-
sereFreibeträge auf Sichtguthaben ein-
räumt, für diekeine Negativzinsen zu be-
zahlen sind. DieWahrscheinlichkeit hat
sich erhöht, dassder Hypothekarmarkt,
gemessen an den durchschnittlichen
Richtsätzen, seinem Boden nahe ist.

Euro/Fr.
1,09270.65%

Dollar/Fr.
0,99700.36%

Gold($/oz.)
1497,701.06%

SMI
9757,28-1.96%

DAX
11925,25-2.76%

DowJones
26078,62-1.86%
Stand 22.1

Erdöl(Brent) 2Uhr
57,52-2.84%
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