Neue Zürcher Zeitung - 03.11.2019

(Barré) #1

Donnerstag, 3. Oktober 2019 FEUILLETON 39


«Weisst du


wohin?»


Der Schlagersänger Karel Gott ist
im Alter von 80 Jahrengestorben

JÜRG ZBINDEN

Der deutsche Schlager lebt seit den
1950er Jahren nebst der Liebe von
der Sehnsucht nach einer unbekann-
ten Ferne. Von fern ertönten viele der
populärsten Stimmen des leichten Gen-
res: Gitte ausDänemark, Siw Malmkvist
aus Schweden,Peggy March aus Eng-
land,Vicky Leandros aus Griechenland,
DaliahLavi aus Israel, BillRamseyaus
den USA und eben Karel Gott aus der
damaligen TschechoslowakischenRepu-
blik bzw. Tschechoslowakei, dem heuti-
gen Tschechien.
Es war die Zeit des Kalten Kriegs, des
EisernenVorhangs, den «die goldene
Stimme aus Prag» in der «ZDF-Hit-
parade»unter demJubel des Publikums
mühelos zerschnitt. Karel Gott und Prag
gehörten zusammen wie SophiaLoren
und Neapel oder Edith Piaf undParis.
Dass Karel Gott1939 eigentlich im west-
böhmischen Pilsen den ersten Schrei
tat und nicht in der «Goldenen Stadt»,
kümmerte dieFans ebenso wenig wie
der PragerFrühling – diePolitik hat im
Schlager bis heute nichts verloren.

Keine Politik


Karel Gotts für einen Mann leicht
merkwürdiger zweiter Beiname lau-
tete «die goldene Nachtigall», benannt
nach dem tschechischen Publikums-
preis, zum Dritten pries man ihn als
«Sinatra des Ostens».
Des Schlagers Natur ist rundweg
fröhlich,voller Optimismus, Eigenschaf-
ten , die der explizitregimetreue Tsche-
che stets mitVehemenz vertrat. Nach
einem dreijährigen Gesangsstudium
am PragerKonservatorium versuchte
er sich zunächst in Englisch,aber der
Durchbruch gelang ihm erst1967 auf
Deutsch:«Weiss t du wohin?» hiess die
Single, die er1971 unter demTitel «Schi-
wago-Melodie» mit derFrage «Weisst
du wohin?» als Untertitel ein weite-
res Mal aufnahm.Dass es dem Tsche-
chen anno1970 der falscheRusse Ivan
Rebroff zwischendurch nachmachte,
spricht für die Beliebtheit der Melodie
zum erfolgsträchtigenFilm-Epos «Dok-
tor Schiwago» (1965).
In den 1970er Jahren fehlte der
Schlagersänger mit der glockenhellen
Stimme in kaum einer Samstagabend-
show.WennPeter Alexander,Rudi Car-
rell und die Orchester von Max Gre-
ger undJamesLast guteLaune verbrei-
teten, war die Crème de la Crème der
Unterhaltungsmusik eingeladen: Cate-
rinaValente,Udo Jürgens, Vico Torriani,
Mir eille Mathieu, Gilbert Bécaud, Mar-
lène Charell und natürlich «die goldene
Stimmeaus Prag».
Besonders angetan waren die Zu-
schauerinnen und Zuhörer von «Einmal
um die ganzeWelt», einerKomposition,
die mit einerrapide wachsendenReise-
lustkorrespondierte: «Einmal um die
ganzeWelt und dieTaschenvoller Geld,
dass mankeine Liebe undkein Glück
versäumt.Viele fremdeLänder sehn, auf
dem Mond spazieren gehn, davon hab
ich schon als kleiner Bub geträumt.»

Ein Vermächtnis


In puncto Beliebtheit wurde dieWelt-
reise einzig von einem Liedchen des
tschechischenKomponisten KarelSvo-
boda und desTexters Florian Cusano
übertroffen. Es dauerte exakt dreiein-
halb Minuten, und jederkennt es: «Die
Biene Maja». DerTitelsong zur deutsch-
japanischen Zeichentrickserie – die Ori-
ginalaufnahme datiert von1976 – ist ein
Meisterwerk der Unschuld, an dem sich
Gross und Klein erfreuenundwozu alle
unweigerlich mitträllern.
Lange blieb es still um den Schla-
ge r, dieFans wurden älter.Vor zehn
Jahren heiratete der Sänger, mit seiner
Frau hatte er zweiTöchter, zwei weitere
Töchter entstammen früheren Bezie-
hungen. 2015 bereits erfuhr die Öffent-
lich keit von Karel Gotts Krebserkran-
kung. Nun ist er im Alter von 80Jahren
einem neuerlichen Krebsleiden erlegen.
Ein Kinderlied ist Karel Gotts vielleicht
schönstesVermächtnis.

Harald Schmidt ist wieder da

Mit einem politisch astrein unkorrekten Solo kehrt der deutsche Kabarettist zurück auf die Bühne


BERND NOACK, STUTTGART


Im Stuttgarter Schauspiel ist der eiserne
Vorhang heruntergelassen. Laut er-
schallt ein Choral von Henry Purcell, so
schön und fein, dass es einem warm um
Herz und Seele zu werdendroht. Dann
geht er klassisch langsam hoch, der
«Eiserne», und gibt den Blick frei auf ein
Bühnenbild mit unzähligen Bierbänken.
Gleissendes Scheinwerferlicht blendet,
und aus derTiefe desRaumeskommt
lässig krawattenlos im dunklen Anzug:
Harald Schmidt.
«Seit 41Jahren», sagt er, habe er auf
diesenAugenblick gewartet: ganzallein
auf der grossen Bühne! Hingearbeitet
gar? Schmidt, der Kabarett-Entertainer,
wird denRaum in den nächsten knapp
neunzig Minuten nutzen wie einer, der
sich einenTraum erfüllt; vielleicht auch
als jemand, der einen Platz besetzt und
ihn verteidigen will: «Keine – wie heisst
das?», fragt er und blickt umsich:«Kol-
legen! Nichts!»
Man muss sich diesen Harald Schmidt
also in dieser kurzen Zeit als glücklichen
Menschen denken.Das Theater ist seine
Welt –erhat auch schon einmalBeckett
und beiRené Pollesch gespielt, trittge-
rade in einer Sprechrolle in der Oper
nebenan auf –, mit echten Menschen im
Parkett. Nicht das sterileFernsehstudio,
mit akklamationsgedrillten Zuschauern,
die grinsend in vorbeisausende Kameras
winken und denLacheinsatz vomTele-
prompter ablesen.


Spiesser mit absolutemGehör


Im Theater kann Schmidt auch einmal
gefahrlos und passend ein Heiner-Mül-
ler-Zitat platzieren – «Optimismus ist
derMangel an Information» –, kann
mit musikalischemFachwissen impo-
nieren (auch wenn er wegen «Elfen-
bein-Allergie» ein verhinderter Pianist
ist), sich über deutschesKulturgut lustig
machen –«Wagner ist dieRosamunde


Pilcher der Musik» – und mit melan-
cholischem Ernst über dieRenaissance
des Wörtchens «töricht» sinnieren. Im
Grunde ist er ein Bildungsbürger,nur
halt einer, der über das absolute Gehör
verfügt, wenn es um quietschende Quer-
lagen in der Gesellschaft geht.
Schmidts erster nicht abendfüllen-
der und dennoch vollständiger Satz auf
einerTheaterbühnesoll «Nur herein
hier» gewesen sein.Das war inAugs-
burg, wo er in «Nathan derWeise» in
den1980erJahren den zweiten Mame-
luk gab. Harald Schmidt hatte in Stutt-
gart Schauspiel studiert, doch an der
dortigen Bühne reüssierte er nicht.
Einst alsoAugsburg, mit wenigAussicht
auf mehr als diesen knappen Szenen-
auftritt, dann kam er nachDüsseldorf
zum legendärenKom(m)ödchen und zu
Kay Lorentz.
Danach endlichFernsehen, aus dem
er auf dem Scheitelpunkt seiner berüch-
tig ten Berühmtheit freiwillig ausschied.
Der Dreck, in dem «Dirty Harry»
wühlte, staubte ihm längst zu sehr. Die
Realität hatte die Satire schon beidseitig
überholt und hinter sich gelassen.

Intellektueller Ausverkauf


Jetzt steht er da in Stuttgart in der
Dekoration der Produktion «Italie-
nische Nacht», dem Horváth-Stück,
das der «Skandalregisseur»–Schmidt
zitiert feixend denBoulevard – Calixto
Bieito inszeniert hat. Man hat sie
nicht zuletzt ausKostengründen gar
nicht wegräumt für das Comeback des
Harald Schmidt, der hier den erstenTeil
seiner «Show der ehrlichenWorte» prä-
sentieren will, die Reihe wird allmonat-
lich frisch fortgesetzt.
Das Ambientekönnte an diesem
Abend nicht passender sein.Wie Hor-
váth dieDumpfheit der Bürgeram Vor-
abend der faschistischen Machtüber-
nahme zeigt, so sieht Schmidt unsere
Gesellschaft heute scharf am Rand

ihres eigenenintellektuellenAusver-
kaufs. Und während man meint, die
dumme Meinungshoheitüber den Bier-
bänken dort auf der Bühne wabern zu
sehen, zelebriert zwischen dem trüge-
rischen Interieur der Gemütlichkeit
Schmidt sein politisch astrein unkorrek-
tes Solo als grossen Abgesang auf alles,
was einem lieb und wert seinkönnte.
Zwar weist er noch darauf hin, dass
der österreichische Dichter «Parodie,
Satire und Dialekt» nicht mochte, fügt
aber selbstironisch gleich hinzu: «Das
wäre jetzt ein geiler Abend für ihn.»
Natürlich ist es auch ein kleines Heim-
spiel für Harald Schmidt in Stuttgart.
Öfters verfällt der ehemalige Schüler
des – natürlich – Hölderlin-Gymnasiums
im baden-württembergischen Nürtingen
ins Schwäbelnde, bisweilen gibt er den
Lokalpatrioten.
Die Idee für diesen Abend, der mehr
sein will als eine fortgesetzte Harald-
Schmidt-Show, weil er eben weniger
drumherum bietet, quasi pur ist, kam
dem Kabarettisten zusammen mit dem
Schauspieldirektor BurkhardC. Kos-
minski bei «Ützel Brützel». Man muss
wissen, dass das ein stadtbekannter
Döner-Laden ist, an dem man hier ge-
nauso wenig vorbeikommt wie an Maul-
taschen, die Schmidt noch amVormittag
auf dem Schlossplatz gegessen haben
will. Hierkonnte er jedenfalls leicht
und imVorbeigehen dieThemen auf-
sammeln, die er dann am Abend aufs
Tapet brachte.
Schmidt ist viel zu klug, als dass er
sich nur lustig machen wollte über das,
was auch im Scherz noch schmerzt. Die
Historie hat er intus:«Wir denkenKen-
nedy vom Ende her», die Gegenwart ist
ihm suspekt: «Wie klimaschädlich sind
Kinder?»,für die Zukunft legterkeine
Hand insFeuer: Es gebe Zeitgenossen,
meint er, «bei denen wäre künstliche
Intelligenz ein Gewinn».
Dann sind da Momente, in denen
Schmidt nichts sagt. Ein Satz bleibt un-

vollständig, ein Blick nur ergänzt das
Abgebrochene, eine Geste dasVer-
schwiegene. Man würde nie ein schlech-
tes Wort von ihm über GretaThun-
berg hören – lieber garkeins, und ihren
Namen vernuschelt er kunstvoll.
Bei diesemWechselspiel zwischen
zotigem Abgrund, in den er sich trot-
zig-rotzig traut – «Ich bin oft genug bei
Ärz tekongressen aufgetreten» –, geist-
sprühendem Aufschwung, Weltweh
und dosierter Selbstüberschätzung –
«Könnte einRoboter meinenJob ma-
chen?»– zeigt si ch Harald Schmidtin
seinem Element.

Diese törichteWirklichkeit


Wenn er von Nachhaltigkeit hört, wird
er haltlos; das «gute, alteBaumster-
ben» begrüsst er als etwasWiedergän-
gerisches, worauf wenigstensVerlass ist.
Die brennendenThemen der Zeit fin-
det er unter der Asche der Beliebigkeit:
Ethik, Moral,Verantwortung – alles ab-
gehakt in seiner Kladde, die statt eines
Laptops auf dem Biertisch neben einem
tickendenWecker liegt.
Zum Ausklang plaudert Schmidt
dann noch mit einem «Stargast», dem
Stuttgarter Generalmusikdirektor Cor-
nelius Meister, der kurz vorbeischaut
wie zum Schlummertrunk.Da geht es
anekdotisch um klassischeFeinheiten,
um Quintenundein Fis, das nur ganz
wenige Menschen einwandfrei heraus-
hörenkönnen, und man hat fast das Ge-
fühl, als störe man ein bisschen bei die-
ser privaten kleinen Nachtmusik.
So viel Harmonie muss sein nach
einemAbend des Abgesangs auf eine
«törichte»Wirklichkeit. Irgendwie ist
Harald Schmidt nicht aus dieser Zeit,
zumindest fällt er immer wieder ausfal-
len d a us ihr undreisst seine Zuschauer
mit in dieTiefe des Zweifels: «Als ob es
ein Morgen gäbe!» Und falls wider Er-
warten doch? «Als ob Sie da noch da-
bei wären!»

41 Jahre hat er auf diesenAugenblickgewartet: Ganzallein steht Harald Schmidt auf der grossen Bühne. BJÖRN KLEIN

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