Neue Zürcher Zeitung - 03.11.2019

(Barré) #1

Donnerstag, 3. Oktober 2019 INTERNATIONAL


Nichtangriffspakt mit einem Terroristen

1985 schlos s Frankreichs Geheimdienst ein Abkommen mit dem Palästinen ser Abu Nidal – die Schweiz war logistische Drehscheibe


ADRIAN HÄNNI


Die Nachricht vom geheimen Abkom-
menrauschte MitteAugust inWindes-
eile durch den internationalen Blätter-
wald:Französische Geheimdienste und
die terroristische Abu-Nidal-Organisa-
tion (ANO) schlossen in den1980erJah-
ren einen Nichtangriffspakt. Abu Nidal
sicherte zu,keine Anschläge auf franzö-
sischem Gebiet oder gegen französische
Interessen mehr zu verüben. Im Gegen-
zug sollten Mitglieder der ANO inFrank-
reich nicht länger behelligt werden. Dies
berichtete die französische Zeitung «Le
Parisien» anhand vonAussagen, die der
damalige Direktor des französischen In-
landsgeheimdiensts DST,Yves Bonnet,
zuBeginn desJahres gegenüber einem
Untersuchungsrichter gemacht hatte.
Tatsächlich lässt sich die Existenz
einessolchenHandels durch eine sorg-
fältige Analyse des historischen Quel-
lenmaterials ohne jeden Zweifel bestä-
tigen. DerVerlauf der sich über meh-
rereJahre hinziehendenKontakte kann
dank Geheimdienstdokumenten sowie
den Memoiren undAussagendirekt be-
teiligter Akteure auf beiden Seiten so-
gar erstaunlich gutrekonstruiert wer-
den. Die ganze Geschichte wird hier
erstmals erzählt.Dabei wird sich zei-
gen, dass Bonnet zumindest eine bri-
santeKomponente desPakts mit dem
«Teufel» Abu Nidalverschwiegen hat –
diese enthält auch einen wichtigen Be-
zug zur Schweiz.


Pariser Geheimdienstdiplomatie


Die Initialzündung für eines der unge-
wöhnlichsten Kapitel der französischen
Diplomatiegeschichte lieferte ein bruta-
ler Anschlag der ANO imAugust 1982
auf dasRestaurant «Jo Goldenberg»
mitten im jüdischenViertel vonParis.
6Menschen kamen ums Leben, 22 blie-
ben schwer verwundet zurück. Die Zei-
tungen sprachen von der grösstenTr agö-
die für die französischenJuden seit dem
ZweitenWeltkrieg.
Abu Nidal und mögliche staatliche
Hintermänner wollten die Franzosen
mit diesem Gewaltakt offenbar für die
Unterstützung bestrafen, die sie im Som-
mer1982 der PLO umYasir Arafat zu-
kommen liessen. Als sich die PLO nach
dem Einmarsch der israelischen Armee in
Libanon im bombardierten Beirut einge-
schlossen sah, trugen französische Diplo-
maten undTr uppen entscheidend dazu
bei, dass die PLO-Kader nachTunis eva-
kuiert werdenkonnten. Arafat entging
damit einem wohl sicherenTodesurteil.
DieRettung der PLO erzürnte die ANO,
die sich alsTodfeind von Arafats PLO ver-
stand und ab 1978 reihenweise friedens-
bereite PLO-Kader ermordet hatte. Die
von Sabri al-Banna alias Abu Nidal gelei-
teteBande wareineder brutalstenTerror-
organisationen der1980erJahre.
ZurVerfolgung ihrer Ziele – primär
die Zerstörung Israels und dieTotal-
opposition gegenüber jeglicher Ver-
handlungslösung des Nahostkonflikts



  • verübte sie überall in Europa An-
    schläge aufJuden, moderate Araber
    und die Zivilbevölkerung. DieANO
    war säkular, ihre willkürlichen Massa-
    ker,die HunderteTodesopfer forder-
    ten, ähneln aber jihadistischen Gewalt-
    akten von al-Kaida und IS. Frankreich
    sah sich damit erstmals direkt imFaden-
    kreuz des nahöstlichenTerrorismus.Zu-
    nächst versuchten die französischen Ge-
    heimdienste über die staatlichen Unter-
    stützer der ANO mässigend auf die
    Terrorgruppeeinzuwirken. Nachdem
    Abu Nidal sich imJahr 1974 von Ara-
    fatsFatah abgespalten und seine eigene
    Organisation aufgebaut hatte, wurde er
    zunächst äusserst grosszügig vom iraki-
    schenBaath-Regime unterstützt, ehe die
    Gruppe zu Beginn der1980erJahre ihr
    Hauptquartier nachDamaskus verlegte.
    Im Herbst1982 ermahnten deshalb
    hohe französische Geheimdienstoffiziere
    Vertreter derRegierungen des Iraks
    undSyriens in geheimen Gesprächen,
    weitere Operationen der ANO gegen
    Frankreich zu unterbinden. Gerade in
    Bagdad hatte die französische Geheim-


dienstdiplomatie ein starkes Druckmittel
in der Hand. Schliesslich leisteteFrank-
reich dem Irak damals ausgiebig Militär-
hilfe für den Krieg gegen Iran.
Womöglich war es der Druck seiner
staatlichen Gönner, der Abu Nidal be-
reits im Spätherbst1982 seine Bereit-
schaft zuVerhandlungen mit französi-
schen Diensten signalisieren liess.Die
Aufnahme von Gesprächen leitete er
aber erst ein knappesJahr später über
den österreichischen GeheimdienstBVT
ein. MitVertretern der österreichischen
Regierung war die ANO inBagdad näm-
lich schon seit Ende1982 im Gespräch.
Im August 1983 übermittelte der
Direktor desBVT seinen französischen
Kollegen eine Nachricht von Abu Nidal.
DerTerrorchef wünsche auch mitFrank-
reich in einen Dialog zu treten. Eine

hochrangige Delegation ausParis um
StaatssekretärJosephFranceschi und
DST- Direktor Bonnetreiste sofort nach
Wien,wounter anderem mit Innenminis-
ter Karl Blecha dasFür undWider eines
solchen Unterfangens erörtert wurde.
Nach demWienerTr effen machte sich
der Inlandsgeheimdienst inParis dafür
stark, zur ANOKontakt aufzunehmen.
Präsident François Mitterrands Kabi-
nettschef beschloss aber gemeinsam mit
den engsten Beratern derAussen- und
Innenminister, sich nicht voreilig in sol-
che politisch riskantenGespräche zu stür-
zen. Die Entscheidung, den DST mitVer-
handlungen zu betrauen,sollte erst zu
einem späteren Zeitpunkt gefällt werden
und der Geheimdienst dann genaueVo r-
gaben für dieKontakte mit denTerroris-
ten erhalten. Zunächst wurde der franzö-
sische Botschafter im Irak angewiesen,
mit einem führenden ANO-Mitglied die

Lage zu sondieren. DieKontakte mit Abu
Nidal waren demnach stark von der fran-
zösischenRegierung gelenkt undkeine
weitgehende Eigeninitiative des DST, wie
die jüngstenAussagen von Bonnet sugge-
rieren.Führende Minister und ihre Stäbe
waren laufend gut informiert und in die
Entscheidungsfindung eingebunden.

«Du bistmein Bruder»


Im Sommer1984 erhielt Bonnet aus
dem Elysée-Palast schliesslich grünes
Licht für geheime Gespräche mit der
ANO. Diese politische Entscheidung lei-
tete eine lange Serie vonTr effen ein, die
Mitte1985 zu dem eingangs beschriebe-
nen Nichtangriffspakt führten. Zuvor
hatte man sich inWien getroffen, dann
inLyon und inParis, wo im historischen
Pariser Cabaret «Le Lido» bei einem ge-
diegenen Abendessen diskutiert wurde.
«Es galt zwischen ihnen und uns lang-
sam ein Klima desVertrauens zu schaf-
fen, damit sie uns alsFreunde betrach-
ten würden», erinnert sich derranghohe
DST- FunktionärRaymond Nart, einer
derVerhandlungsführer auf französi-
scher Seite, in seiner Biografie.
Tatsächlich gelang es dem DST,lang-
sam eineVertrauensbasis zu den Emis-
sären Abu Nidals aufzubauen. Die Stim-
mung war offenbar ziemlich entspannt,
Bonnet beschrieb seine Gesprächspart-
ner späterals«nicht unangenehm».Von
Abu Nidalerhielter nach seiner Abset-
zung als DST- Direktor im Spätsommer
1985 eine vielsagende Nachricht: «Sie
sind abgetreten, aber sie bleiben unser
Freund.» So erzählte es Bonnet in den
1990erJahren zumindest dem britischen
JournalistenJohnFollain. Gleiches be-
richtetRaymond Nart. «Du bist mein
Freund, meinBruder», soll ihm Abu Nidal
versichert haben, als er und der französi-
sche «Meisterspion» PhilippeRondot im
algerischenBade-Resort «Club des Pins»
zu einem wegweisendenTr effen mit dem
Terrorchef zusammenkamen, an dem die
Modalitäten desPakts festgelegt wurden.
EineKernkomponente dieses Deals
liess Yves Bonnet bei seinen jüngsten
Aussagen unerwähnt. Seit Beginn der
Terrordiplomatie war die vorzeitigeFrei-

lassungvon zwei inFrankreich inhaftier-
tenWaffenbrüdern ein zentrales Anlie-
gender ANO.Die beiden SoldatenAbu
Nidalshatten imJahr1978 den mode-
raten PLO-Vertreter inParis, Ezzedine
Kalak, ermordet. Der zwischen DST und
ANO ausgehandelte Deal sah vor, dass
die beiden Kalak-Mörder nachVerbüs-
sung der Hälfte ihrer 15-jährigen Haft-
strafen zu Beginn desJahres1986 frei-
gelassen würden. Nach einigem Hin und
Her gab Präsident Mitterrand sein Pla-
zet, und die zwei ANO-Kämpfer wurden
imFebruar1986 auf freienFuss gesetzt.
Offen bleibt vorerst, welcheVerein-
barungen zusätzlich zu denKernbestim-
mungen des Abkommens, das mindestens
bis1988 in Kraft blieb,getroffen wurden.
Als gesichert gelten kann, dass dieKon-
takte zwischen DST und ANO zu einem
regelmässigenAustausch von nachrich-
tendienstlichen Informationen führten,
was sich für die französische Seite als sehr
nützlich erwies. Die Beziehung ging also
zweifellos über ein gegenseitiges «Still-
halten» hinaus. Dazu gibt es starke, bisher
allerdings nicht belegbare Hinweise, dass
dieFranzosen einen geheimen ANO-Ver-
treter inFrankreich zuliessen, den Mit-
gliedern derTerrorgruppe gelegentlich
Visa gewährten, ihr in Libanon Ambu-
lanzfahrzeuge zurVerfügung stellten und
einigen Mitgliedern sogar Behandlungen
in französischen Spitälern ermöglichten.
Abu Nidal wiederum dürfte in mindes-
tens einemFall zwischenFrankreich und
einer palästinensischen Splittergruppe
vermittelt haben, die damals inFrank-
reich Anschläge verübte.

DubioseFirma in derSchweiz


Gemäss dem mit derAusschaffung be-
trautenRaymond Nartreisten die bei-
den Kalak-Mörder Anfang1986 in die
Schweiz aus, wo sie von ihrer Orga-
nisation in Empfang genommen wur-
den.Tatsächlich besass die ANO Mitte
der1980erJa hreeine starke Präsenzin
der Schweiz.Auf dreiBankkonten in
Genf und Zürich lagen über 10 Millio-
nenFranken, weshalbregelmässigFüh-
rungsmitglieder der Organisation die
Schweiz besuchten.Unter ihnen befand

sich, trotz internationalem Haftbefehl,
auch Abu Nidal. Ab1985 betrieb die
ANO im zürcherischen Opfikon die In-
termadorAG,einen Ableger ihres inter-
nationalen Handelsimperiums, mit dem
die terroristischen Aktivitäten finan-
ziert und logistisch unterstützt wurden.
Das Import-Export-Unternehmen han-
delte mit Medikamenten, Chemikalien
und Sprengstoffutensilien, aber auch
mit veganer Zahnpasta. Mutmasslich
wurden zudem Gelder aus dem illega-
lenWaffenhandel verwaltet.
Belegen lässtsich, dass ANO-Ka-
der von kleinen Schweizer Unterneh-
men hochentwickelte, vom westlichen
Embargo gegen den Ostblock betrof-
fene Elektronik erwarben, umsie an den
polnischen Militärgeheimdienst weiter-
zugeben.Im Gegenzug belieferten die
Polen die ANO mitWaffen aus der hei-
mischenRüstungsindustrie. Dazuzähl-
ten auch die Maschinenpistolen vom
Typ PM-63 RAK, die beim Anschlag auf
dasRestaurant «Jo Goldenberg» inParis
eingesetzt wurden.
Die Schweiz spielte eine wichtigeRolle
als logistische Drehscheibe in Abu Nidals
Terrormaschinerie.Diese Aktivitäten
blieben der Bundespolizei nicht verbor-
gen. Naheliegend ist, dass deren Mitarbei-
ter versuchten, dieTerrorgruppe nach-
richtendienstlich aufzuklären. Dennoch
stellen sich interessanteFragen:Welche
Kontakte bestanden zwischen Schweizer
Behörden und der ANO? Schloss die
Schweiz, wie ihre NachbarländerFrank-
reich und Österreich, ein geheimes Ab-
kommen mit Abu Nidal? InFrankreich
verlangen politischeKreise alsReaktion
auf die jüngsten Medienberichte eine par-
lamentarische Untersuchungskommis-
sion. Anwälte der Opfer im «Jo Golden-
berg» fordern von Präsident Emmanuel
Macron dieFreigabe aller sachdienlichen
Dokumente. Sollte es dazukommen, las-
sen sich vielleicht auch einige derFragen
zur Beziehung zwischen der Schweiz und
Abu Nidal beantworten.

AdrianHänniist promovierterHistoriker und
forscht zuGeheimdiensten,Terrorismus und
Propaganda. Derzeit lehrt er ander Fernuni
Schweiz und ander Universität Zürich.

Die französischePolizei nimmt am 3.August 1978 inParis einen der ANO-Terroristen fest, die den PLO-Vertreter Ezzedine Kalak ermordet hatten. GAMMA-RAPHO / GETTY

Yves Bonnet
Früherer Direktor
des französischen
IMAGO Inlandsgeheimdiensts
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