Neue Zürcher Zeitung - 05.10.2019

(Steven Felgate) #1

Samstag, 5. Oktober 2019 ∙Nr. 231∙240.Jg. AZ 8021Zürich∙Fr. 5.20 ∙€5.


Leichtfertige Kritik: Hätten wir uns wirklich besser verhalten als unsere Eltern? Seite 12


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«Online-Handel ist nichts


für Patek Philippe»


Patron Thierry Stern setzt auf Tradition – mit Erfolg


am.· Patek Philippe ist seitJahren höchst
erfolgreich unterwegs. Die Nachfrage
nach den Luxusuhrender GenferManu-
faktur übersteigt das Angebot deutlich;
aufgewisse Modelle müssendieKunden
jahrelang warten. Dabei geht dasFami-
lienunternehmen in vielen Belangen
einen eigenenWeg. Im Sponsoring etwa
istPatek, anders als die meistenKon-
kurrenten, überhaupt nicht präsent.Auf
Markenbotschafter, wie sie einem in vie-
len Uhrenwerbungen entgegenschauen,
verzichtet dieFirma ebenfalls. Und: «Für
Patek ist der Online-Handel nicht das
Richtige, zumindest nicht heute», sagt
Thierry Stern, der dieFirma in vierter
Generation führt, im Gespräch mit der
NZZ. Die Eigentümer des Unterneh-

mens bestehen darauf, dass man für den
Erwerb ihrer Uhren einFachgeschäft
aufsuchen muss.Weiter erklärt Stern im
Interview, wiePatek «tickt» und welche
Herausforderungen er sieht.
Kopfzerbrechen bereitet dem 49-Jäh-
ri gen derzeit derRun auf seineNauti-
lus-Uhren. Diese werden im Internet für
das Doppelte desVerkaufspreises ge-
handelt, was zeigt, dass die Uhren nicht
mehr für den Eigengebrauch, sondern
zu Spekulationszwecken gekauft wer-
den. Stern will dies bekämpfen. Smart-
watcheshingegen kümmern ihn nicht –
vor allem,seit er bei einemTr effen mit
Silicon-Valley-Grössen gesehen hat, dass
selbst diese mechanische Uhren tragen.
Wirtschaft, Seite 28, 29

THE MARKET
VERLAGSBEILAGE

Das schadet dem Erfolgsmodell


Durch den sonderbaren Credit-Suisse-Krimi werden sich in der Schweiz viele in ihren Vorurteilen gege nüber hochbezahlten


Bankern und Spitzenmanagern bestätigt sehen. Das greift zwar zu kurz. Doch der Skandal sollte Unternehmensspitzen und


Verwaltung sräte dazu bringen, sich offener um Führungsstil, Legitimität und Reputati on zu kümmern.Von Peter A. Fischer


Der Skandal, mit dem die Credit Suisse (CS) in den
letzten beidenWochen viele Medien in Atem ge-
halten hat, trägt alle Züge eines billigen Krimis mit
übergrossen Egos und einem unglücklichenAus-
gang. Dasind ein Grossbankenchef und sein erfolg-
reicher Zögling, die sich unversöhnlich einen Streit
liefern, in den auch ihrePartnerinnen verwickelt
sind. Daistein Nachbarschaftsstreit an bester
Adresse.Auch eine mysteriöse Beschattungsaktion
mitsamtVerfolgung imAuto gehört dazu. Der von
den Ereignissen offenbar überraschteVerwaltungs-
rat der Grossbank hat sich zwar hinter den amtie-
renden CEOTidjaneThiam gestellt und zwei die-
sem untergeordnete Manager für die ungebührliche
Beschattungsaktion verantwortlich gemacht. Doch
auch wennkeine belastenden Hinweise gefunden
wurden, fällt es schwer, zu glauben, dass der CEO
von der Aktion gegen seinen scheidendenKontra-
hententatsächlich nichts gewusst hat. ÜberThiam
hängt der Schatten eines befremdlichen Disputs.


Zu ein sam an der Spitze


Der Skandal in derFührungsetage der CS hat
zum tragischen Suizid eines mit der Beschattungs-
aktion betrauten Mittelsmannes und zum wahr-
scheinlichen Ende einer Detektei geführt und der
Grossbank einen erheblichenReputationsverlust
beschert.Viele werden sich in ihrenVorurteilen
gegenüber überbezahltenBankern, die mit über-
steigertem Selbstbewusstsein ein abgehobenes Le-
ben führen, bestätigt fühlen. Solch vernichtende
Pauschalurteile sind natürlich auch jetzt noch
falsch.TidjaneThiam wurde zur CS geholt, weil
sich unter seinerFührung der Aktienwert des briti-
schenVersicherers Prudential mehr als verdoppelt
hatte. Derin Côte d’Ivoiregeborene, inFrankreich
aufgewachsene Manager hat in der CS das kapi-
talintensive Investment-Bankingredimensioniert,
dieKosten gesenkt, auf ein stärker kundenfokus-
siertesVermögensverwaltungsgeschäft sowie auf
Wachstum in Asien gesetzt. Sein bisherigesWir-
ken war gemessen an den operativen Ergebnissen
durchaus erfolgreich.


Im persönlichen Umgang kann der international
gut vernetzte und zweifellos sehr intelligenteThiam
durchaus charmant und gewinnend auftreten. Im
Innenverhältnis hat er sichaberoffenbar mit hartem
Durchgreifen, einem Hang zu einsamen Entscheiden
und cholerischenReaktionen auf KritikFeinde ge-
schaffen. Mit diesenWesenszügen ist er allerdings
keineswegs allein. Spitzenmanager müssen oft ein-
sam schwierige Entscheide fällen. Sie führen ein Le-
ben, in dem sie dem Beruf alles unterordnen und
häufig pausenlos unterwegssind. Ihregrosse Macht
zieht Leute an, die von dieser profitieren wollen. Die
Versuchung ist gross,sich mit einemkleinenTeam
vonJa -Sagern und (vermeintlichen oder echten) Be-
wunderern zu umgeben. So verliert der Chef schnell
die Bodenhaftung.Verhaltensökonomische Studien
haben nachgewiesen, dassKonzernchefs, die von den
Medien als besonders erfolgreich dargestellt wur-
den, in denFolgejahren systematisch schlechtere Er-
gebnisse ablieferten.Das mediale Interesse anPer-
sonifizierungen verstärkt dabei Starallüren. Die ge-
feierten Manager neigen dazu, sich zu überschätzen
und zu risikoreich und selbstherrlich zu agieren. Ge-
rade in der auf dasPekuniäre ausgerichtetenFinanz-
welt wird dabei häufig das unmittelbarepersönliche
Einkommen mitErfolg verwechselt, was kurzfristi-
gem DenkenVorschub leistet.
Sowohl aus betrieblicher wie aus gesamtwirt-
schaftlicher Sicht deutet der CS-Skandal auf gene-
rellen Handlungsbedarf in SachenFührung und
Verantwortung in mindestens vier Punkten hin:


  1. SelbstherrlicheAutokraten sind nicht mehr
    zeitgemäss.Das vielleicht eindrücklichste Bei-
    spiel hat der Skandal umRaiffeisen geliefert. Im
    Nachhinein ist schwierig nachzuvollziehen, wieso
    PierinVincenz dort jahrelang nach Belieben schal-
    ten und waltenkonnte. Immer auf der Suche nach
    noch mehr Macht, Einfluss und Geld,verantwortete
    er eine Akquisitions- und Diversifikationsstrategie,
    die nicht zu der mittelständischen Genossenschafts-
    gruppe passte und inzwischenkostspielig abge-
    wickelt werden musste. Persönlich stets mit150 Pro-
    zent Einsatz unterwegs und vermeintlich blendend
    erfolgreich, versagten offensichtlich sämtlicheKon-


trollmechanismen. DerVerwaltungsrat vernachläs-
sigte seineAufsichtsfunktion sträflich; seine Mitglie-
der und auch die damaligen Geschäftsleitungsmit-
glieder, die denWiderspruchnichtgewagt hatten,
mussten dies mit demVerlust ihrer Ämter bezahlen.
Bei der CS hatVerwaltungsratspräsident Urs
Rohner zwar bereits AnfangJahr eine gütliche
Einigung zwischen den StreithähnenTidjaneThiam
und Iqbal Khan herbeizuführen versucht. Doch ers-
tens ging dies letztlich gründlich schief, und zwei-
tens bleibt offen, wiesoes überhaupt so weit kam.
Unternehmen sindkeine basisdemokratischen
Organisationen,Verantwortlichkeiten müssen klar
geregelt werden. Aber die heutigen Herausforde-
rungen an eine sokomplexe Organisation spre-
chen gegen eine einsame, autokratische Spitze
und für eine Unternehmenskultur mit Checks and
Balances. Ein starkerVerwaltungsrat solltesicher-
stellen, dass es auch in derGeschäftsleitung eine
offene Gesprächskultur mitsamt «Hofnarren» gibt,
die dem Chefrechtzeitig den Spiegel vorhalten und
konstruktivenWiderspruch wagen.


  1. Nicht alles,was lega l ist, ist legitim.Obsich
    Vincenz strafrechtlichrelevanteVergehen zuschul-
    den hatkommen lassen,istvorläufig offen. Und ein
    Unternehmen wie die CS kann in der Schweiz auch
    legal Detektive beauftragen und bis zu einem gewis-
    sen Grad Mitarbeiter beobachten und beschatten las-
    sen. Doch ebenso klar ist, dass die Öffentlichkeit von
    hochbezahlten Spitzenmanagerneinmoralisch ein-
    wandfreiesVerhalten erwartet. Bei Unternehmens-
    verkäufen (verdeckt) an beiden Enden mitwirken,
    Finanztransaktionen tätigen, um von geheimem In-
    siderwissen zu profitieren, oder eben auch mit Über-
    wachungsaktionen gegen eine offeneFirmenkultur
    verstossen ist nicht mehr akzeptabel.Während das
    Legale klar definiert ist, hat Legitimität mitKultur
    zu tun. Spitzenmanager sollten deshalb eine Unter-
    nehmenskultur nicht nur auf demPapier festhalten,
    sondern im Alltag vorleben und durchsetzen.

  2. Reputation istkostbar.Im vermeintlichen
    Gegensatz zwischen Shareholder- und Stakeholder-
    ValuegehtdieReputation vergessen. Natürlich hat


eine Unternehmensleitung dieAufgabe, den Unter-
nehmenswert für ihre Eigner zu maximieren. Doch
nimmt dieReputation Schaden,sind schnell auch
guteKunden und Mitarbeiter verloren und ist der
Erfolggefährdet. Glaubwürdigkeit bei den Stake-
holdern undReputationsmanagement sollten ein
Thema für denVerwaltungsrat und Chefsache sein.


  1. GlobaleKonzerne müssen ihre lokale Basis
    pflegen.Zwarfehlt es nicht an hämischenKommen-
    taren aus demAusland, aber der CS-Skandal zeigt
    auch die Spannung zwischen globalem Aktionariat
    und lokalerVerwurzelung. Während in der Schweiz
    die Entrüstung über das «unschweizerische»Verhal-
    ten gross ist,liesseneinzelne internationale Gross-
    aktionäre früh verlauten, sie stündenaufalleFälle
    hinter dem CEO und dessen Leistungen. Doch die
    Finanzkrise hat gezeigt, dassKonzerne zwar glo-
    bal erfolgreich seinkönnen, im Krisenfallaber stets
    national sterben oder gerettet werden. Gerade in der
    Schweiz, wo zentrale Standortfaktoren an der Urne
    bestimmt werden, sollten deshalbVerwaltungsrat
    und Geschäftsleitung vonhier beheimateten inter-
    nationalenKonzernen dieVerbundenheit mit dem
    Standort stärker als strategischeAufgabe verstehen.


DieCS solltein sich gehen


Die Schweiz verdankt einen wesentlichenTeil ihres
Erfolgs ihren multinationalenKonzernen und dem
exportorientiertenFinanzplatz. DieFirmen sind
mit der Schweiz gross geworden. Ein Management,
das die Bodenhaftung verliert und Stoff für boule-
vardeske Krimis liefert, untergräbt dieses gegen-
seitige Einvernehmen genauso wie wirtschafts-
feindliche Entscheide an der Urne.DerVerwal-
tungsratspräsident der CS hat sich zwar klar und
deutlich entschuldigt, doch das Image der Gross-
bank, das gerade bei einemVermögensverwalter
absolut intakt sein sollte, hat gelitten. Die CS sollte
in sich gehen.Mittelfristig werden solide Geschäfts-
zahlen und eine zugängliche und integreFührung
den Schaden am ehesten wiedergutmachen. Doch
die Scharteist noch nicht ausgewetzt.

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