Neue Zürcher Zeitung - 05.10.2019

(Steven Felgate) #1

Samsta g, 5. Oktober 2019 ZÜRICH UNDREGION 19


WIR STADTTIERE


Die wahre


Starparade


Urs Bühler·Welches Stadttier passt zu
einerWoche, in der Berühmtheiten aus
aller Filmweltin buntenRoben über den
grünenTeppich beim Zürcher Bellevue
stolzieren? Den Pfau gibt’s hier nur im
Zoo,weshalberwiedieGiraffeundder
Papagei nicht infragekommt.Von all
den Tierarten aber, die frei in den Stras-
sen, Wiesen,Wäldern und Häusern die-
ser Stadt vorkommen,könnten sich zu-
nächst einige mit ihren filmtauglichen
Namen aufdrängen.
Für das Horrorfach dürfte sich der
Schwarze Moderkäfer ebenso empfeh-
len wie sein engerVerwandter,der Ge-
rippteTotenfreund. Zusammen mit der
GemeinenBlutzikade, demNeuntöter,
dem Waldteufel, demTrauerschnäpper
und derTotengräbermilbe bilden sie
ein wahres Gänsehaut-Septett.Aber das
klingt uns dann doch alles etwas zu mor-
bid. Die Bett- und die Lederwanze wür-
den sich in einem Agenten- oderPolit-
thriller über die NSA gut machen, ehe
mandieAbortfliege samtallenTrash-Fil-
men dieser Zeit ins Klo wirftund spült.
Dann könnte man sich auchwiederauf
den Tanz derVampire einlassen, auf die
gestörteNachtigallundsolitäreTitelfig u-
ren wie den Maulwurf und dieVögel.
In die engereAuswahl kommen
ebenso die Maskenschnecke, die Säbel-
dornschrecke, die Blaugrüne Mosaik-
jungfer, aber auch den Bücherskorpion,
den es sicher auch als Leinwandadap-
tion gibt.Das ist fürwahr ein Kabinett
derskurrilenNamen.BlossistdieGefahr
nicht von der Hand zu weisen, dass sie
abenteuerlicherklingen,alsihreTrägeres
sind. Das gilt selbstverständlich auch für
den guten alten Hecht,der nicht immer
so toll ist, wie er selber glaubt.
All dieseTieresind in Zürich in den
letztenJahren gesichtet worden, oft in
erklecklicher Zahl, sie scheinen auf ihre
ganz eigene Art etwas Glamour, Grusel
oder beides zu verbreiten,vielleichtauch
nur einen Schuss Exzentrik.Aber ob sie
auch halten, was ihr Name verspricht?
Sowieso ist das alles doch etwas gesucht.
Dabei ist dieLösung, die mir mit einem
Schlagzufällt,sosimpel:derStar!Erist’s,
und er hat es verdient, dass wir ihm die
zweite Hälfte dieserKolumne widmen.
Schliesslich weilter nur nochein
paarWochen unter uns, ehe er das tut,
was sich so viele von uns heimlich wün-
schen: Er verbringt denWinter im Mit-
telmeerraum, zumindest bis imFebruar.
Nun aber, im Herbst, beweisen sich die
Stare als Sardinen der Lüfte: Man sieht
sie abends in Schwärmen am Himmel
ziehen, die mitunter mehrere tausend
Tiere umfassen. Schonviel ist geforscht
worden zu den kunstvollenFormatio-
nen, die einePatrouille Suisse ziemlich
alt aussehen lassen.Wenngleich sie nicht
ganzsovielDreckundLärmmachenwie
dies e, sind sie allerdings auch nicht ganz
emissionsfrei unterwegs, nicht nur ihrer
Schreie wegen: InRom beispielsweise
gilt ihr bestialisch stinkenderKot, den
si e nicht nur beim Überflug fallenlas-
sen, als geradezu epidemische Herbst-
plage. Um ihren Bestand muss man sich
hierzulandekeine Sorgen machen:Über
100000 Paare verzeichnet dieVogel-
warte Sempach, und der Brutbestand
ist laut diesen Statistiken seitJahrzehn-
ten ziemlichkonstant.
DieAngewohnheit undFähigkeit die-
ses Vogels, andere Kreaturen zu imitie-
ren,kann als Hohn aufgefasst werden,so
dassderBegriff«Spotten»dafürVerwen-
dung findet. Und hat er sich im mensch-
lichenAuge eingenistet, ist der Star gar
eine Gefahr und oft nur operativ zu ent-
fernen. Aber dashat ja garnichts mit
dem Tier zu tun, diesem munteren Ge-
selle n,dessenmetallischglänzendesUni-
sex-FederkleidjedenPailletten-Dressauf
dem grünenTeppich verblassen lässt. Es
ist der wahre Star, jedenfalls eher als so
manches dieser flügellosenPendants, die
nach dem englischen Stern benanntsind.

Porschefahrer brachte niemanden in Lebensgefahr


Staatsanwaltschaft stel lt Verfahren ein, wobei Videobil der von der Klima-Demo den Ausschlag gaben


RETO FLURY


Mehrere tausendPersonen marschierten
am Samstag, 6.April, durch die Zürcher
Innenstadt und demonstrierten für das
Weltklima.AmRand des Umzugs kam es
im Bereich Sihl- und Nüschelerstrasse zu
einem unschönenVorfall:Laut Medien-
berichten hattenAugenzeugen beobach-
tet, wie einAutofahrer seinenPorsche
mutwilligin den Demonstrationszug fuhr
und Gas gab. MehrereTeilnehmer seien
durchdasManövergefährdetworden,ein
DemonstranthabeseinKindgeradenoch
rechtzeitig zur Seite ziehenkönnen.
Die Staatsanwaltschaft eröffnete ein
Verfahren, nachdem im Anschluss an


die Klima-Demo mehrereAnzeigen ein-
gegangen waren. Sie prüfte, ob sich der
42-jährige Mann derVerletzung derVer-
kehrsregeln und der Gefährdung des
Lebensschuldig gemacht hat.DieserTat-
bestand ist laut Strafgesetzbuch erfüllt,
wenn jemand einen Menschen «in skru-
pelloserWeise in unmittelbare Lebens-
gefa hr» bringt. Das Delikt wird mit einer
FreiheitsstrafevonbiszufünfJahrenoder
einer Geldstrafe geahndet.
Mit Blick auf diesen Punkt hat die
Staatsanwaltschaft dasVerfahren einge-
stellt. Eine wichtigeRolle hatten die Bil-
der einer Überwachungskamera gespielt,
wie der«Tages-Anzeiger» amFreitag be-
richtet hat und die Oberstaatsanwalt-

schaft auf Anfrage bestätigt. Sie stam-
men von einerVideokamera an derSyn-
agoge der Israelitischen Cultusgemeinde
Zürich, die sich in der Nähe befindet.
Laut Staatsanwaltschaft ist auf den
Bildern zu sehen, wie der Mann denPor-
sche im Schritttempoindie Demonstra-
tion lenkte und mehrmals bremste. Da-
nach blieb derWagen in der Menschen-
menge rund fünf Sekunden stehen, ehe
der Fahrer «schwungvoll beschleunigte»
und dasAuto aus dem Demonstrations-
zug lenkte, wie die Oberstaatsanwalt-
schaft schreibt. Soweit ersichtlich, habe
sich zum Zeitpunkt der Beschleunigung
keine Drittperson vor oder unmittelbar
neben demAuto befunden. Bei dieser

Ausgangslagesei auchkeine unmittel-
bare Lebensgefahr für Dritte erkennbar.
Verurteilt wurde derPorschefahrer
aber wegen mehrfacher vorsätzlicher
Verletzung der Verkehrsregeln. Die
Staatsanwaltschaft brummte ihm eine
Busse von 300Franken auf. Der Grund:
Um sich einenWeg aus derKundgebung
zu bahnen, liess er den Motor absicht-
lich mehrmals laut aufheulen und steu-
erte denWagen dann hochtourig und mit
viel Lärm durch die Strasse. Der Straf-
befehlwurdeMitteJuliausgestelltundist
mittlerweilerechtskräftig,ebensodieEin-
stellungsverfügung zur Gefährdung des
Lebens. Die Verfahrenskosten muss der
Porschefahrer übernehmen.

BEZIRKSGERICHT ZÜRICH


Amtsschimmel lässt Seifenblase platzen


Gunnar Jauch, Strassenkünstler mit einer Mission, wird erneut ve rurteilt


STEFANHOTZ


«Was, wenn nicht gerade Seifenblasen,
vermag dieVergänglichkeit der mensch-
lichen Existenz, zugleich aber auch ihre
Schönheit besser zum Ausdruck zu
bringen?» DerVerteidiger nahm ange-
sichts des Zusammenpralls vonKunst
und Justiz Zuflucht zu einem kultur-
philosophischen Exkurs. Die von sei-
nem Mandanten produzierten Seifen-
blasen seien eine «stille Metapher des
menschlichenLebens».
Rechtlich ist es am Freitag vor
dem Bezirksgericht Zürich indes um
den sperrigen Begriff des «gesteigerten
Gemeingebrauchs» gegangen.Konkret:
Wann bewegt sich die Benützung des
öffentlichenRaums noch im üblichen
Rahmen? Und ab wann geht sie dar-
über hinaus und wird damit bewilli-
gungspflichtig?


Die Kinder freut es


Der Urheber des Prozesses, von einem
Übeltäter spricht niemand, ist be-
kannt. Der74-jährige ehemaligeArchi-
tekt Gunnar Jauch erzeugt mithilfe
von Angelruten seit einigenJahren an
öffentlichen Plätzen in Zürich riesige
Seifenblasen, zum Gaudi der Kinder,
aber auch zurFreude der Erwachsenen.
Mehrfach hat man ihn bereits ge-
büsst. Im Februar 2016 stand er schon
einmal vor dem Bezirksgericht, da er
sich weigerte,Bussen zu bezahlen, die
das Statthalteramt Zürich ausgestellt
hatte .Jauch hatte jeweils die Anord-
nung derPolizei verweigert,keine Sei-
fenblasen steigen zu lassen, etwa auf
dem Mühlesteg über der Limmat. In
diesemJahr sind wieder zwei Straf-
befehle mit insgesamt zwölfVorfällen
eingegangen.
Jauch liess vor der Einzelrichterin
freundlich, aber bestimmtkeinen Zwei-
fel aufkommen, dass er nicht aufgibt. Er
zitierte Luthers angebliches Diktum am
WormserReichstag:«Hierstehe ich und
kann nicht anders.» Er habe in seinem
Leben noch nie etwas gemacht, das mit
so einfachen Mitteln derart vielFreude
bereite.«Deshalb mach ich weiter.»


Seifenblasenbra uchen Platz


Anders als vor dreiJahren hatte Gun-
nar Jauch diesmal vor Gericht einen
Rechtsbeistand. Der Anwalt kriti-
sierte, wie Strassenkünstler in der Stadt
Zürich über einen Leisten geschlagen
würden. Die Seifenblasenkunst be-
nötige vielFreiraum, damit sie sich
entfaltenkönne. Deshalb sei die See-
promenade, wo dieBäume einen wei-
ten Flug derWerke verhinderten, nicht
ideal.Vom Mühlesteg aus schwebten
die Seifenblasen oft bis zur Gemüse-
brücke. Mit dem Alpenpanorama im
Hintergrund ergebe das ein Gesamt-
kunstwerk, sagte derVerteidiger.
Das Problem: Am See ist Strassen-
kunst grundsätzlich auch ohne Bewilli-


gung erlaubt, auf dem Mühlesteg nicht.
Der Verteidiger führte dagegen sach-
liche Gründe an.Dieser Steg diene nicht
nur alsVerbindung fürFussgänger und
Velofahrer über die Limmat. Die insge-
samt vier halbmondartigenAusbuchtun-
gen zeigten, dass er auch zum Innehal-
ten gedacht sei.
IndemJauch auf einerder Ausbuch-
tungen Seifenblasen habe steigen las-
sen, habe er denVerkehr nicht gestört
und nur minim öffentlichen Grund in
Anspruch genommen.Damit sei seine
Aufführung nicht bewilligungspflichtig
gewesen. Die ausgesprochenen Bussen
seien durch das Gericht aufzuheben.
Schon GunnarJauch hatte in der
Befragung gesagt, immer wieder hät-
ten ihn Polizisten von der Haupt-
wache der Stadtpolizei gleich neben
dem Mühlestegauf dem Gang ins Nie-
derdorf gegrüsst.Für seinenVerteidiger
ist das ein Beleg, dass derKünstler da-
von ausgehen durfte, dass seinTun auf
dem Mühlesteg zulässig war.

Busse nach fast zwei Jahren
Ausserdem rügte er, dass einer der
beiden Strafbefehle, obwohl die darin
ausgeführten Vorfälle sich imWin-
ter 2016/17 abgespielt hätten, erst im
November 2018 ausgestellt worden sei.
Der zweite Strafbefehl bezieht sich auf
Ereignisse im Sommer 2018,als Jauch
davon ausging, seine Darbietungen
seien auch vom Amtsschimmel akzep-
tiert. Wenn schon wäre die Strafverfol-

gung verpflichtet gewesen, alleFälle
in einem einzigen Befehl zu erledigen,
sagte der Anwalt.
Jauch wurde zudem gebüsst wegen
Seifenblasen am Bürkliplatz. Die Be-
gründung lautet hier, er habe es ver-
säumt,die Örtlichkeit alle dreissig Minu-
ten zu wechseln.Für dieseVorschrift
zeigte er in der Befragung ein gewis-

ses Verständnis, wenn es zum Beispiel
um einenDudelsackpfeifer gehe. Der
könne nach einer halben Stunde auf die
Nerven gehen. DieVorschriftkönne er
schon deshalb nicht einhalten,weil er ei-
nige Zeit brauche, um sich einzurichten.
Sein Anwalt wandte dazu ein, man
könne Strassenmusiker, die akustische
Immissionen verursachten,nicht mit der
lautlosenKunst der Seifenblasen gleich-
setzen. Überdies habe sich Zürich ge-
öffnet. Niemand hätte sich einst vorstel-
len können, dass der in den1980er Jah-
ren verurteilte Graffiti-Künstler Harald
Naegeli eingeladen würde, im Gross-

münsterturm seineFiguren zu sprayen.
Vielleicht geschehe das in ein paarJah-
ren auch mit der Seifenblasenkunst,
sagte er hoffnungsfroh.

Nicht verwerflich
So weit ist es noch nicht. Nach kurzer
Beratungverkündete die Einzelrichte-
rin , dass GunnarJauch schuldig sei. Die
Kriterien für die nichtbewilligte Nut-
zung des öffentlichen Grundes seien
erfüllt. Es gebe auch ein Interesse an
einem geordneten Zusammenleben.Ein
Verbot künstlerischer Betätigung liege
nicht vor, da es einige Plätze in der Stadt
gebe, wo man legal Seifenblasen stei-
gen lassenkönne.Weil das Statthalter-
amt das Beschleunigungsgebot verletzte,
reduzierte sie die Busse um die Hälfte
auf 600Franken.
Die Richterin sagte ebenfalls, Jauchs
Betätigung sei nicht verwerflich. Aber
auch wer Gutes tue, müsse sich an die
Regeln halten, meinte sie direkt zu ihm
gewandt. Sie äusserte denWunsch, dass
es demKünstler gelinge, in Zukunft
seine Liebe und seine Seifenblasen zu
verbreiten, ohne dass es zu weiteren
Strafverfahrenkomme.
Gunnar Jauch trug das Gerichts-
urteil, das er wohl so erwartet hatte,
mit Fassung. Geärgert hat ihn die Be-
gründung, wenn man ihn laufen liesse,
täten andere das Gleiche – und dann
entstünden Probleme. Das sei doch
Blödsinn, sagte Zürichs wohl einziger
Seifenblasenkünstler.

«Es gibt auch
ein Interesse
an einem geordneten
Zusammenleben.»
Bezirksgericht Zürich

GunnarJauchmacht Seifenblasen vor demBezirksgericht, als dieses sichimFebruar2016 erstmals mit ihm befasst. ADRIAN BAER / NZZ

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