Neue Zürcher Zeitung - 05.10.2019

(Steven Felgate) #1

40 KUNSTHANDEL/AUKTIONEN Samstag, 5. Oktober 2019


In Wien geben die Frauen den Ton an


Während der ViennaContemporary gibt sichdie Galerienszene der Donaustadt weiblich


SUSANNAKOEBERLE, WIEN


Wien ist anders. Zum Beispiel finden
dortVernissagen in Hamams statt, wo
man sich dann in der Sauna mitBade-
mäntel tragendenKünstlerinnen und
Kuratoren überKunst unterhält. Dies
ganz ohne Kreislaufprobleme, denn die
Sauna ist ausser Betrieb. «Kreislaufpro-
bleme» heisst allerdings eine Schau in
der Galerie Croy Nielsen, die imRah-
men von «Curated by» stattfindet – auch
dies eineWienerKunstspezialität. In sei-
nem elftenJahr steht dasFormat unter
dem Motto «Circulation». Und um noch
eineWiener Eigenheit zu nennen: In
dieser Stadtgeben in derKunstwelt die


Frauen denTon an. Nun aber derReihe
nach.
Der Hamam ist eine ArtAussen-
stelle der «Zone 1», einer Sonderprä-
sentation derWiener Modernemesse
Vienna Contemporary. Darin stellt die
WienerKuratorinFiona LiewehrPosi-
tionen vonKünstlerinnen undKünst-
lern unter vierzigJahren vor, die eine
Verbindung (über Herkunft,Ausbil-
dung oder Arbeit) zu Österreich haben.
Eine davonist die albanischeKünstlerin
Marina Sula (Galerie Gabriele Senn),
die mit ihrer Installation den Bildrecht
SoloAward gewann. DieKünstlerin, die
seit achtJahren inWien lebt, verwan-
delte den Messestand in einWartezim-

mer undkombiniert damit auf subtile
Weise Ortsbezug, Reflexion über ge-
sellschaftlicheThemen und Interaktion
mit dem Publikum.Von den zehn teil-
nehmenden Galerien stammen sechs
aus demAusland.

Dorado fürKunstschaffende
DieseVermischung steht paradigma-
tisch für denWunsch,Wien als Stand-
ort auf der internationalenKunstland-
karte zu etablieren. Die Bemühungen
scheinen in derTat Früchte zu tragen.
Die Stadt zieht nicht zuletzt dank tie-
fenRaummieten vieleKünstler an. Und
auch die Galerienszene blüht. Neben

den bereits bekanntenWiener Urge-
steinen – viele dieser Galerien entstan-
den in densiebziger undachtzigerJah-
ren – zeichnet sich seit kurzem imWie-
nerKunstuniversum eine neue Dynamik
ab. So ziehen Galerien aus demAusland
nachWien wie etwa Croy Nielsen vor
dreiJahren aus Berlin, und laufend er-
öffnen junge Galeristinnen neueRäume.

Freud lässtgrüssen
Auch Offspaces gibtesinWien en
masse: über sechzig in einer Stadt mit
knapp zwei Millionen Einwohnern!Ver-
mehrt beobachte sie unterKünstlerin-
nen neueFormen deskollaborativen
Arbeitens, sagt dieWienerKuratorin
Fiona Liewehr. Diese würden eine pro-
duktiveDurchmischung schaffen.Dazu
gehören eben auchRäume, in denen der
Kunstgenuss in einem sozialen Umfeld
geschehen kann, wie in dem erwähn-
ten Hamam. Hier begegnet man auch
Künstlern, die an der «ParallelVienna»,
einer alternativenKunstmesse, ausstel-
len und die einem in tausendWorten
ihre Installation an der Messe erklären,
so dass man sie quasi vor dem inneren
Auge schon gesehen hat.
Worte schaffenRealitäten, und es ist
spannend zu sehen, dass Sprache auch
in derKunst immer wieder zumAus-
gangspunktvon künstlerischenRecher-
chen wird. In der von Anna Gritz kura-
tiertenAusstellung bei Croy Nielsen ist
es dieKurzgeschichte «Indecency» von
RitaValencia. Über einenVersprecher


  • die Heldin sagt «bag» (Sack) statt
    «back» (Rücken)– geschieht eine Art
    kafkaeskeVerwandlung. Der amorphe
    Behälter wird zum Sinnbild einer pro-
    duktiven Schnittstelle;in dengezeigten
    Arbeiten werden Sprache, Körper und
    Fehlleistungen (Freud lässt grüssen) zu
    neuenFormen und Bildern gefügt.
    Die Galerieräume,die übrigens wie
    vieleWiener Galerien in einem oberen
    Stockwerk und nicht im Erdgeschoss
    domiziliert sind, werden zuTr aumland-
    schaften, in welchen sich Alltag und
    Imaginationvermischen.DasBeleben
    des eigenen Programms durch fremde
    Kuratoren schafft einen Nährboden für
    Begegnungen – und zieht im Idealfall
    auch neueKunden an.Auch wennWien
    in den letztenJa hren eher mit einem
    Aderlass an Sammlungen von sichre-
    den machte, könnte diese Entwicklung
    schon bald wieder derVergangenheit
    angehören.
    Es fällt auf, dass viele der «Curated
    by»-Ausstellungen Gegenläufiges wa-
    gen und mutige Statements in denFokus
    stellen. «Assistenten der Leere» in der
    Galerie nächst St. Stephan ist eine sur-
    real anmutende und narrative Schau, die


eher untypisch ist für die auf minimalis-
tische undkonzeptuelleKunst speziali-
sierte Galerie. Auch derKuratorAdam
Budak liess sich von Literatur inspi-
rieren, nämlich vonRoberto Bolaños
Reisebericht «Die wilden Detektive».
DerTitel der Schau stammt aus einem
Zitat von SophiePodolsky (1953–1974);
die Zeichnungen derKünstlerin und
Poétesse maudite sind beeindruckend.
In der GalerieCharimhat derPariser
Kurator AmiBarak dasThema der dies-
jährigenAusgabe ausgedehnt und dyna-
misiert. «Eine Kausalschleife» nennt er
seineAusstellung. Im Zentrum vieler
Positionen stehen textileTechniken, die
mit kulturellen und sozio-ökonomischen
Fragen verwoben werden.DassWeben
auf einer «permanenten Schleife zwi-
schenKopf undHand» beruht,so der
Kurator, wirddurch dieKunstwerke
physisch erfahrbar.Auch bei Sophie
Tappeiner begegnen wir weiblichen
Strategien derWeltaneignung. «Radi-
cal Self Love», kuratiert von Nicoletta
Lambertucci, stellt die Arbeiten dreier
Künstlerinnen vor,die in ihrer Arbeits-
weise neue künstlerische Strategien aus-
loten.Was etwa beiTabitaRezaire auf
denersten Blick trashig daherkommen
mag, entpuppt sich als spirituelleAus-
einandersetzung mit Herkunft,Körper
und Individualität.Kunst kann heilen.
Oder sie kann auch wachrütteln, denun-
zieren und provozieren.

Experimentierlust
DerKünstlerKendell Geers hat beider
Galerie Mario Mauroner Contempo-
rary ArtVienna eine mutige Präsenta-
tion mit 26Künstlern (allein zwanzig da-
von sindFrauen) geschaffen.Dabei wird
mit einer Arbeit vonValie Export auf
die historische BedeutungWiens für die
feministischeKunst hingewiesen. Lei-
der hat sich die Situation fürKünstle-
ri nnen bis heute nicht gross geändert.
Deswegen darf es durchaus als Beson-
derheit derWienerKunstszene gelten,
dass esFrauensind, welche die hiesige
Landschaft prägen.
Das betont auch ChristineKönig, die
ihre Galerie bereits vor dreissigJah-
ren eröffnete.Vorbilder für ihreTätig-
keit seien Galeristinnen gewesen wie
etwa Heike Curtze (Düsseldorf/Wien)
oder ElisabethKübler (Zürich, Gale-
rie Maeght Lelong). Seit 20 17 werden
im ProjektraumKoenig2 byrobbygreif
junge und experimentellePositionen
gezeigt, die erstmals inWien zu sehen
sind.Auch damit beweist die Galeris-
tin Mut. NichtVorsicht treibt dieKunst
voran, sondern Experimentierlust. So
etwas kann auch in einer Slow City
wieWien passieren.

Die zwei Welten der Londoner Frieze-Kunstmessen


Die Frieze mit Gegenwartskunst ist erfolgreich. Der Frieze Masters, ander auch alte Kunst gezeigt wird, fehlt aber zum Erfolg ein zwingendes Profil


STEPHANIE DIECKVOSS, LONDON


DieFrieze und dieFrieze Masters schei-
nen in diesemJahr nicht wirklich zu-
sammenzugehören. DieFrieze selber,
die ursprüngliche Messe für zeitgenös-
sischeKunst, gibt sich in alterFrische:
Tr otz den Unsicherheiten imVereinig-
tenKönigreich verhalfen die zahlreichen
europäischen Besucher der Messe zu
einem erfolgreichenAuftakt, was aller-
dingsvorallem den Platzhirschen unter
den Galerien zugutekommt. So berich-
ten Hauser&Wirth von einemRekord-
jahr, in den ersten Stunden sollen sie
bereitsKunst für 14 Millionen Dollar
verkauft haben.
Auch Gagosiankonnte an seinem
Stand punkten, und zwar mit grellen
neuen Bildern von SterlingRuby, die
schnell ausverkauft waren. Die südafri-
kanische Goodman Gallery, die trotz
Brexit in London gerade eine grosse
Dépendanceeröffnet hat, macht Um-
satz mit schweren Bronzen vonWil-
liamKentridge,und beiThaddaeusRo-


pac klingelt die Kasse dank einer ganzen
Reihe vonBaselitz-Werken.

Ein Teich vonUrs Fischer
Besonders spannend ist die Messe aber
natürlich bei den Galerien, die mit
jungenKunstschaffenden und neuen
Arbeiten aufwarten. Das dauert dann
zwar manchmal länger bis zu einem
Verkauf, macht aber den Messebesuch
erst richtig interessant.Peter Kilch-
mann aus Zürich etwa zeigt Arbei-
ten des IrenWillie Doherty, die sich
ebenso mit Grenzziehungen befassen
wie eine historische Arbeit am sel-
ben StandvonMajaBajevic von1999,
die das ehemaligeJugoslawien thema-
tisiert. Lisson Gallery ehrt die gerade
verstorbene NewYorkerinJoycePen-
sato, deren unverkäufliche Arbeiten im
Dialog mitWerken von StanleyWhit-
ney gezeigt werden. Max Hetzler wagt
es, einenTeich von UrsFischer zu instal-
lieren, eine neue Arbeit, die eigentlich
nur Sinn ergäbe,wenn es auf der Messe

ga nz still wäre. Aber einenVersuch wert
ist die Präsentation dieser poetischen
Installation allemal.
Und die Preise?Für alle Geldbeutel
und Geschmäcker findet sich etwas, die
Preise fangen schon bei 20 00 Euro an,
reichen aber bis in Millionenhöhe. Ent-
täuschend ist hingegen die neue Spe-
zialsektion«Woven»,die unterbewer-
teteTextilarbeiten ins Blickfeld rückt.
Das wirkt beliebig und einengend, vor
allem weil die Arbeiten in den kleinen
Ständen kaum Platz haben.

Der letzte Botticelli
Die schon lange etablierte Sektion
«Spotlight» auf derFrieze Masters ist da
schon eher erfolgreich. Hier zeigtVic-
tor Gisler von Mai 36 aus Zürich eine
Hommage an seine letzteAusstellung
1994 mit Arbeiten von General Idea,
einer kanadischenKünstlergruppe, die
sich durch den Aids-Tod von zwei der
drei Mitglieder damals auflöste. Gisler,
der bisher jedesJahr auf derFriezeaus-

stellte, erhofft sich von der Sektion ein
besseres Umfeld und mehrFokus. Ob er
wieder auf dieFrieze zurückkehrt, weiss
er nicht. Überhaupt fällt gerade bei der
Frieze Masters auf, wie viele Galerien
aus demVorjahr nichtmehr mit dabei
sind. Blain Southern stellt nicht aus, der
AntikenhändlerRupertWace fehlt, und
der NewYorkerPeterFreeman, der
währendJa hren mit demKunstkabi-
nettLaue einen Stand gemeinsam be-
spielte, betont, dass sie beide ein Sabba-
tical brauchten.
Auch Marian Goodman vermisst
man diesesJahr. Unter den Neuzugän-
gen figuriertindesPearlLam aus Asien,
die einekoreanischeKünstlerin zeigt.
Der italienischeKunsthändler Bruno
Botticelli lamentiert derweil über die
Unwissenheit der Messebesucher. Die
GalerieBacarelli Botticelli aus Florenz,
spezialisiert auf historische Malerei und
Skulptur, ist zum ersten Mal in London
dabei und teilt sich den Stand mit der
Galerie Continua für zeitgenössische
Kunst. In einer faszinierenden Installa-

tion stehen Skulpturen derRenaissance
und desBarocks im Dialog mitKünst-
lern wie Daniel Buren. Die meisten
Galerien setzen auf Namen von kano-
nisiertenKünstlern, allen voranTr inity
Fine Art, die für 30 Millionen Dollar
den letzten Sandro Botticelli in Privat-
besitz, dasPorträt eines jungen Man-
nes,anbietet. Die Arbeit zieht Massen
von Besuchernan.
Weniger bekannt ist hingegen die
Tatsache, dass die aus Spanien stam-
mende Arbeit nur temporär exportiert
wurde und alsKunstobjekt von natio-
nalem Interesse mit einem Exportver-
bot versehen werden kann. Nicht gerade
eine verlockendeAussicht für einen
möglichen neuen Besitzer. DerFrieze
Masters fehlt dasKonzept. Die Idee des
eklektischen Sammelns funktioniert nur,
wenn Galerien Ungewöhnliches brin-
gen und Risiken wagen.Ineiner Zeit
der finanziellen Ungewissheit ist solche
Risikobereitschaft aber nicht vorhan-
den, und das sieht man der Messe lei-
der an. (Beide Messen bis 6. Oktober).

Eine Arbeitvon Liz Magor in der Schau «Kreislaufprobleme» beimWiener Galeristen Croy Nielsen. KUNST-DOKUMENTATION

Free download pdf