Neue Zürcher Zeitung - 05.10.2019

(Steven Felgate) #1

Samsta g, 5. Oktober 2019 MEDIEN 9


«Natürlich ist es meine Aufgabe,


Journalisten zu drohen»


Der deutsche Medienanwalt Ralf Höck er vertrat schon Erdogan, Jörg Kachelmann und die AfD


Herr Höcker, Sie haben den ehemaligen
Chef des deutschenVerfassungsschutzes,
Hans-Georg Maassen, als «Of counsel»
eingestellt.Was ist das genau?
Das ist ein seniorigerKollege, typischer-
weise ein Quereinsteiger mit hohem
Fachwissen, der weder alsPartner noch
als Angestellter in der Kanzlei tätig ist.
Er ist ein sehr freier, projektbezogener
Mitarbeiter, der in der Kanzlei ein und
aus gehen kann, wie er will.


Warum haben Sie ausgerechnet Herrn
Maassen engagiert?
Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf
Medienrecht, das ist zu 98 ProzentZivil-
recht. Alle Kanzleien, die in diesemFeld
in Deutschland tätig sind, sind Zivil-
rechtskanzleien. Nun gibt es aber nicht
nur das zivileÄusserungsrecht,sondern
auch das öffentlicheÄusserungsrecht.
Dagehtes etwa umFragen wie:Darf
ein Staatsanwalt in einer Pressekon-
ferenz den Namen eines Bürgers und
Details aus seiner Privatsphäre nen-
nen? DiesesRechtsgebiet ist zwar win-
zig – in Deutschland gibt es wohl weni-
ger als 500Fälle proJahr –, aber es ist
stark wachsend. Unser Problem war bis-
her, dass wirkeinen Öffentlichrechtler
am Start hatten. Herr Maassen soll ge-
nau diese Lücke schliessen. Er ist ein
Glücksfall für uns.


Sie haben den SchweizerWetterfach-
mannJörg Kachelmann vertreten, den
türkischen Präsidenten Recep Tay-
yip Erdogan, das deutsche Mannequin
Heidi Klum und verschiedeneParteien.
Besonders gern wird nun in den Medien
auf die AfD hingewiesen. Sind Sie der
einzige grössere und bekannte Medien-
anwalt, der diesePartei vertritt?
Puh, das weiss ich nicht. Sicher ist, dass
sich in Deutschlandviele Kanzleien da-
vor hüten werden, die AfD zu vertreten,
weil sie einen Imageverlust fürchten.


Sie haben einmal gesagt, Ihre Kanzlei
sei vollkommen schmerzfrei:«Wir ver-
treten jeden, der sich an unswendet,
egal,welche politische Gesinnung er
hat. EinAnwalt mitBerufsethos muss
bereit sein, Hitler gegen Stalin und Sta-
lin gegen Hitlerzu vertreten, und zwar je
nachdem,wer als Erster anruft.»
Genau, aber ich sage das immer mit
dem Hinweis darauf, dass wir uns als
Anwälte weder mit derWeltanschau-
ung noch mit denTaten unserer Man-
dantengemeinmachen.


Wie kommt es zu diesem Credo? Als An-
walt könnten SieAnfragenauch ablehnen.
Davon halte ich nichts. Ich gebe Ihnen
ein Beispiel. 20 16 gab es eine grosse Pro-
Erdogan-Demo inKöln mit 40 000 Teil-
nehmern.WenigeTage vor derVeran-
staltunghat derKölnerPolizeipräsident
verboten, dass vorne auf der Bühne ein
Grossbildschirmaufgestellt wird. Die
Polizei befürchtete, die Veranstalter wür-
den eineRede von Erdogan live über-
tragen – und das wollte man nicht. Aber
nur weil man die Übertragung einer
Redevon Erdogan verhindern will, muss
man ja nicht gleich den Grossbildschirm
verbieten.


Was hatten Sie mit der Sache zu tun?
Die Organisatoren haben mich sofort
angerufen, denn zu jener Zeit waren
wir gerade die Erdogan-Kanzlei – wir
waren auch schon die Heidi-Klum-
Kanzlei, derzeit sind wir für die Medien
die AfD-Kanzlei. Ich sagte den Orga-
nisatoren jedenfalls gleich, dass ich das
Verbotdes Grossbildschirms fürrechts-
widrig halte, ich aberkein Experte für
öffentlichesRecht sei. Ich habe dann
anderthalbTage herumtelefoniert und
bestimmt dreissig Kanzleien angerufen



  • keine einzige wollte dieses Mandat.
    Alle fürchtetenReputationsprobleme.
    Danach habe icheinenAufruf aufFace-
    book gemacht. Schliesslich hat ein jun-
    gerKollege, einJungsozialist übrigens,
    der seineJuristenausbildung noch nicht
    einmal abgeschlossen hatte, denFall


übernommen. Die Grossbildschirme
wurden schliesslich erlaubt.

Was wollen Sie damit sagen?
Stellen Sie sich vor, ich hätte diesenKol-
legen nicht gefunden:Dann hätte aus-
ge rechnet der Mann, der in derTürkei
denRechtsstaat abschafft, in Deutsch-
landkeinrechtsstaatlichesVerfahren
bekommen, weil er nicht einmal einen
Anwalt gefunden hätte. Das ist der
Grund, warum es zum Berufsethos eines
Anwalts gehören muss, jeden zu vertre-
ten. Es kann nicht sein, dass gesellschaft-
licher Druck auf Anwälte ausgeübt wird,
keineTerroristen, Nazis oder Kinder-
schänder zu vertreten.Darum machen
wir das. Das ist das feste Credo mei-
ner Kanzlei.

Haben Sie als Anwalt eine besondere
Affinität zuBad Guys?
Wir haben wirklich schon alles durch:
Mörder, Vergewaltiger,Kinderschän-
der,Salafisten, Terrorverdächtige,
Nazis.Ich will auch nicht verhehlen,
dass es interessant ist, solchen Leu-
ten einmal live gegenüberzusitzen und
ihnen hinter die Stirn zu blicken.Tr otz-
dem kann ich Sie beruhigen:Wir ver-
treten auch gern und sogar überwie-
gend die Guten.

Mal sind Sie die Kachelmann-Kanz-
lei, wie Sie sagen, mal die AfD-Kanz-
lei. Sehen Sie solche Labels vor allem
alsWerbung, oder haben sie auch eine
imageschädigendeWirkung?
Jedes neueLabel hat neue Mandanten
gebracht, und jedes neueLabel hat alte
Mandanten vertrieben. Aber unter dem
Strich sind wir immer weitergewachsen.
Also muss es einenWerbeeffekt haben.
Über diePolarisierung bin ich mir völ-
lig im Klaren: Man hasst uns, oder man
liebt uns.Aber immerhin wecken wir
Emotionen.

Sie sind ja auch noch ehrenamtlicher
Pressesprecher derWerteunion, einer
Vereinigung konservativer CDU- und
CSU-Mitglieder. Dazu twitterten Sie im
Juni 2019:«Ich gratuliere mir ganz herz-
lich zurWahl zum neuen Bundesspre-
cher derWerteunion!»
Wenn es sonstkeiner macht.

Ist Selbstdarstellung ein massgebender
Antrieb Ihrer Arbeit?
Ich war einmalFernsehmoderator und
sogar mit einem Comedy-Programm
aufTour.Wenn ichkein Selbstdarsteller
wäre, hätte ich das nie gemacht.

Schadet Ihr politisches Engagement
nicht Ihrer anwaltschaftlichenTätigkeit?
Ich habe in meinem Leben oft gedacht,
dass das, was ich als Nächstes mache,
ein Handicap für mich als Anwalt sein
würde. Ich bin mit bunten Söckchen
in einerTV-Show gesessen und habe
mich aufComedy-Bühnen über Bei-
schlafpflicht in derEhe unterhalten.
Jeder geistig gesunde Mensch würde sa-
gen: Das ist der berufliche Untergang.
Aber es hat nicht nur nicht geschadet,
es hat sogar genützt. Ichkönnte auch ins
Dschungel-Camp gehen und müsste da-
nach die Kanzlei nicht schliessen.

Ist das eineAnsage?
Nein,keine Sorge.

Ihre Methoden gelten als unzimperlich.
Die StiftungWarentest schreibt: «Ralf
Höcker hält es für seinenJob, Journa-
listenzu beeinflussen, indem er sie be-
droht.»Würden Sie das unterschreiben?
Die StiftungWarentest war sauer, weil
wir ihr ein Heft verboten haben. Sie
hat einenrechtswidrigenFinanztest ge-
macht,und dagegen sind wir vorgegan-
gen, und zwar erfolgreich. Daraufhin
waren die Stiftungsleute natürlich sauer

und haben zumMittel derschwarzen PR
gegriffen.Das sollen sie machen, das ge-
hört doch dazu. Die StiftungWarentest
beansprucht für sich ja schon fast Be-
hördenstatus.Wenn man einer solchen
Organisation auf dieFüsse tritt, wird das
natürlich gereizt aufgenommen. Eine
solche Möchtegernbehörde ist noch
empfindlicher, als esJournalisten sind.

SindJournalisten besonders empfindlich?
Klar.Aber sie sind es im Gegensatz zur
StiftungWarentest schon gewohnt, dass
sie abgemahnt werden und einstweilige
Verfügungen kassieren.

Sie selber haben einmal erklärt, dass
es völlig in Ordnung sei,wenn man
gegenüber einemJournalisten «nach-

drücklicher»werde. Was meinen Sie
damit genau?
Damit meine ich Drohungen. Natür-
lich ist es meineAufgabe, Journalisten
zu drohen.Warum solltenJournalisten
der einzige Berufsstand sein, dem man
nicht drohen darf?

Wie weit gehen Sie da?
Ich schickekeine Killerkommandos in
dieRedaktionen,keine Sorge.Aber ich
drohe natürlich an, dass esrechtliche
Konsequenzen gibt, wenn das Recht
verletzt wird. Deswegen gehe ich mit
denJournalisten in den Clinch. Bevor
ein Bericht erscheint, versuche ich zu er-
gründen, wie der Bericht aussehen wird
und was da anRechtswidrigem drinste-
henkönnte. Und dann versuche ich zu
verhindern, dass das passiert.Ich zeige
Journalisten die Grenzen auf, definiere
das Zulässige. Das heisstkonkret:Ich
drohe mit einstweiligenVerfügungen,
Gegendarstellungen, Schmerzensgeld,
Schadenersatz, was auch immer.

In wie vielenFällen sind diese Drohun-
gen wirksam in derWeise, wie Sie es sich
wünschen?
Ich kriegeJournalisten sehr oft dazu,
dass sie von einerrechtswidrigen Be-
ri chterstattung absehen.Das funktio-
niert im präventiven Bereich sehr gut.
Ich schaffe es, Falschbehauptungen zu
verhindern oder eine Berichterstattung
ausgewogener zu machen.Allzu oft ver-
breitenJournalisten einfach Gerüchte
oder schildern bei einemVerdachtsfall
nur die belastenden Aspekte.VieleJour-
nalisten schreiben gern ganzklarund
miteindeutigem Spin. AllesRelativie-
rende verwässert aus ihrer Sicht die Ge-
schichte. MeinAuftrag ist es, dasRelati-
vierende in die Artikel zu bringen und
damit ihre Qualität zu erhöhen.

Das klingt ja geradezu wunderbar:
Eigentlich helfen Sie denJournalisten,
ihre Arbeit besser zu machen?
Absolut, das ist ein gerade bei Ihren
Kollegen leider viel zu selten geschätz-
ter Nebeneffekt meiner Tätigkeit.

Ist es nicht eher so, dass Sie kritischen
Journalismus in vielenFällen geradezu
verhindern, nicht um derWahrheit wil-
len,sondern im Interesse Ihrer Klienten?
Nein, ich versuche ja auch nur in den sel-
tenstenFällen, eine Berichterstattung
komplett zu unterbinden.Aber natürlich
bin ichkein Altruist, ich bin einfach der
Interessenvertreter meiner Mandanten.
Interview: Benedict Neff

IN MEDIAS RAS


Die Revoluti on


begann vor


vierzig Jahren


Rainer Stadler·Was für einAuflauf. Und
das wegen einesThemas, das sonstkeine
Massen zu bewegen vermag: Medien-
politik. Mit Cars und einem Extrazug
fuhren sie am 26. Dezember1979 nach
Bern, um vor dem Bundeshaus die Zu-
lassung vonRadio 24 zu fordern. Inner-
halb einerWoche hatte man 212 000
Unterschriften gesammelt. Der Nach-
wuchsrebellierte gegen die alte Ord-
nung, was im folgendenJahr auch in den
Jugendunruhen manifest wurde. Radio-
piraten begannen damals das Sende-
monopol der SRG zu stören. Einer er-
wies sich bald als der Erfolgreichste:
Roger Schawinski. Ende November
1979 hatte erRadio 24 gestartet, um
vom italienischen Pizzo Groppera aus
den Zürcher Grossraum zu bestrahlen.
Die Behörden intervenierten, Schawin-
ski mobilisierte sein junges Publikum
für Protestaktionen.
VierJahre später war der Kampf um
mehr Medienfreiheit gewonnen. Lokal-
radios bekameneineKonzession. Es war
der Beginn einerRevolution, welche
wesentlich durch den technischenFort-
schritt geprägt wurde.Aus heutiger Sicht
kann sich kaum noch vorstellen, wie eng
einst der Medienmarkt war. Die Produk-
tion undVerbreitung von Presseerzeug-
nissen war schwerfällig und schmälerte
die Spielräume für dieVerleger und die
Leserschaft.
Die Elektrifizierung des Medien-
sektors löste eine ungeheure Dynamik
aus. In der ersten Phase brachen Kabel-
netze und Satelliten die altenVerhält-
nisse auf. Das in den Haushalten ver-
fügbare Medienangebot wuchsrapide.
Mobile Empfangsgeräte und dieFern-
bedienung steigerten die Wahlfrei-
heit derKonsumenten. Es entstand ein
Nachfragemarkt: DerWurm musste nun
demFisch und nicht mehr dem Angler
schmecken, wie einst derRTL-Pionier
HelmutThoma süffisant bemerkte.
Das Internet beschleunigte den
Tr endradikal. Seitdem die Smartphones
zum ständigen Begleiter der meisten
Zeitgenossen geworden sind, sehen sich
die Informationsanbieter einer brutalen
Konkurrenz ausgesetzt.Vor vierzigJah-
ren mag mancher mangels einer Alter-
native eine Zeitung in die Hand genom-
men haben.Das Smartphone hat jede
Knappheit beseitigt. Sein Besitzer hat
jederzeit und an jedem Ort dieWahl,
ob er einen Leitartikel lesen, einVi-
deo anschauen, ein Spiel machen oder
chatten will. Umso mehr sind die In-
formationsanbieter dem Zwang ausge-
setzt, möglichst mundgerechte Stücke
zu servieren. Unterhaltungdurchdringt
di eInformation.
Die Lokalradios sind von diesen fun-
damentalen Umwälzungen bisher we-
nig tangiert worden. Sie operieren im
Windschatten der Diskussionen um die
Zukunft.Das vor vierzigJahren ent-
wickelte Geschäftsmodell funktioniert.
Schawinski verdiente mitRadio 24 gutes
Geld. Er nutzte es alsBasis, um vor 25
Jahren zusammen mitTamedia und Rin-
gier denLokalsenderTele Züri zu star-
ten. Später holte er die Credit Suissean
Bord. ImAugust 20 01 verkaufte er die
Stationen zu einemgünstigen Zeitpunkt
anTamedia – für 92 MillionenFranken.
Das Zürcher Medienhaus wurde da-
mit nicht glücklich und stiess die Sen-
der zehnJahre später an den Aargauer
VerlegerPeterWanner ab. Dieser baute
seither mit vier Lokalradios und vier
Lokalfernsehstationen einen Deutsch-
schweizer Gegenpol zur SRG auf – da-
für gibt es jährlich 14 MillionenFran-
ken aus dem Gebührentopf. DieLokal-
sender schufen für dieJournalisten neue
Karrierechancen. Einige wechseln nun
zu Blick-TV,das mit seinemrein digita-
len Kanal eine neue Phase einleitet.

Ich schaffe es, Falsch-
behauptungen zu
verhindern oder eine
Berichterstattung aus-
gewogener zu machen.

«Wenn die Medien die vierte Gewaltwären, dannwäre ic hdie fünfte Gewalt»,sagt Medienanwalt RalfHöcker. VALENTINA KURSCHEID

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