Frankfurter Allgemeine Zeitung - 07.10.2019

(Dana P.) #1

SEITE 2·MONTAG, 7. OKTOBER 2019·NR. 232 F P M Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


B


evor die Polizei in Hongkong mit
Tränengas auf die Demonstranten
schießt, hebt sie in der Regel zur War-
nung eine schwarze Flagge. Auch am
Sonntag wehte Presseberichten zufolge
dieses Zeichen wieder in den Straßen
der Wirtschafts- und Finanzmetropole.
Kurz vor fünf Uhr nachmittags began-
nen an mehreren Orten die Tränengas-
salven. Die Szenen erinnerten an die bis-
her schwersten Ausschreitungen am
Sonntag und Dienstag vor einer Woche.
Doch seither ist ein weiterer Streitpunkt
hinzugekommen. Am Freitag hatte Re-
gierungschefin Carrie Lam zum ersten
Mal ein Vermummungsverbot für öffent-
liche Versammlungen erlassen.
Der Schritt wird von der Protestbewe-
gung verurteilt. Nicht nur, weil die De-
monstranten damit leichter zu identifizie-
ren sind und sich nicht mehr mit Gasmas-
ken vor dem Tränengas schützen dürfen.
Sondern auch, weil die Regierung dazu
zum ersten Mal seit 1967 ein altes Not-
standsgesetz bemüht hat, das den Behör-
den theoretisch weitere weitreichende

Kompetenzen verleiht. Sie könnten zum
Beispiel Ausgangssperren verhängen,
strenge Zensur üben und einfacher Fest-
nahmen und Hausdurchsuchungen durch-
führen. Die Protestbewegung fürchtet,
dass die Regierung als Nächstes die sozia-
len Netzwerke blockieren könnte, mit de-
ren Hilfe sich die Demonstranten abstim-
men. Carrie Lam hatte die Maßnahme
mit dem wachsenden Chaos in der Stadt
begründet. In einer fünfminütigen Video-
mitteilung verurteilte sie am Samstag die
„schockierende Gewalt“. Lam sprach
von einer „sehr dunklen Nacht“, nach
der die Stadt paralysiert sei.
Die abschreckende Wirkung, die das
Vermummungsverbot entfalten sollte, ist
aber weitgehend ausgeblieben. Seit Frei-
tag sind wieder Zehntausende Menschen
auf die Straße gegangen. Am Sonntag
trotzten sie mit Schirmen dem starken
Regen. Die meisten trugen Gesichtsmas-
ken. Laut einem Bericht der „South Chi-
na Morning Post“ waren am Samstag zu-
nächst 13 Personen aufgrund von Verstö-
ßen gegen das Gesetz festgenommen

worden. Am wenigsten dürften sich die
gewaltbereiten Demonstranten davon ab-
geschreckt fühlen. Sie riskieren ohnehin
schon höhere Gefängnisstrafen.
Protestteilnehmer hatten in der Nacht
zum Samstag und auch am Sonntag an
U-Bahnhöfen randaliert und Feuer ge-
legt. Auch Geschäfte mit Verbindungen
zu Festland-China wurden angegriffen.
Die Protestierenden warfen zudem wie-
der Brandsätze auf die Polizei. Wegen Si-
cherheitsbedenken blieb das gesamte
U-Bahn-Netz der Stadt mit sieben Millio-
nen Einwohnern am Samstag außer Be-
trieb. Viele Geschäfte, Banken und Ein-
kaufszentren öffneten nicht oder schlos-
sen vorzeitig. Auch am Sonntag war das
öffentliche Leben teilweise lahmgelegt.
Zudem gab es am Wochenende wieder
einige Verletzte. Am Sonntag wurde ein
Taxifahrer zusammengeschlagen, nach-
dem er sein Auto in eine Menge von Pro-
testlern gelenkt hatte. Bei einem Unfall
mit einem U-Bahn-Waggon wurde außer-
dem eine größere Zahl von Passagieren
verletzt. Der Zug war Presseberichten zu-

folge auf einen Prellbock gefahren. Es
gab zunächst keinen Hinweis darauf,
dass der Unfall mit den Protesten, die in
anderen Teilen der Stadt stattfanden, in
einem Zusammenhang stand. Am Frei-
tag war einem 14 Jahre alten Schüler von
einem Polizisten in Zivilkleidung mit
scharfer Munition ins Bein geschossen
worden. Es ist schon das zweite Mal,
dass ein Demonstrant von einer scharfen
Patrone getroffen wurde.
Die prodemokratische Opposition ver-
sucht, mit juristischen Mitteln gegen das
Vermummungsverbot vorzugehen. Sie
wirft der Regierungschefin vor, sie habe
das Parlament bei der Verabschiedung
der Notstandsgesetzgebung übergangen.
Außerdem widerspreche das Notstands-
gesetz aus der britischen Kolonialzeit
Hongkongs Grundgesetz, das seit der
Rückgabe an China 1997 in der Sonder-
verwaltungszone gilt. Am Sonntag lehn-
te ein Gericht eine einstweilige Verfü-
gung ab. Es erlaubte aber eine ausführli-
che richterliche Überprüfung der Maß-
nahmen Ende Oktober. (fäh.)

Dunkle Tage und Nächte in Hongkong


Trump verschiebt den moralischen Kompass
Die „Neue Zürcher Zeitung am Sonntag schreibt über
den amerikanischen Präsidenten Donald Trump:
„Eigentlich sollte auch China eine Untersuchung ge-
gen die Familie von Präsidentschaftskandidat Joe Biden
starten, sagte er am Donnerstag. Damit rief er vor lau-
fenden Kameras eine ausländische Macht dazu auf, sich
in den amerikanischen Wahlkampf einzumischen. Ein
ungeheuer dreister Schritt eines ausgefuchsten Populis-
ten. Wo liegt das Problem?, sagt er damit und macht aus
einem Skandal eine Lappalie. Wo liegt das Problem?,
werden auch seine Unterstützer fragen. Er versucht ja
nur, den Sumpf in Washington trockenzulegen. Trump
verschiebt damit den moralischen Kompass für Richtig
und Falsch. Solange die republikanischen Senatoren hin-
ter ihm stehen, kann er sich ein solches Verhalten leis-
ten. Und das kann noch lange, lange so bleiben.“


Europa will nur in Ruhe gelassen werden
Der „Tagesspiegel am Sonntag“ kommentiert die Rei-
se von Innenminister Seehofer nach Ankara, wo er


sagte, Europa und die Türkei müssten zusammenste-
hen, um eine Wiederholung der Krise zu vermeiden:
„Viel mehr als Appelle an Gemeinsamkeiten und
mehr Geld hatte der gewandelte Seehofer der Türkei al-
lerdings nicht zu bieten. Den Europäern haben ihre Feh-
ler viele politische Einflussmöglichkeiten genommen.
Nun konfrontiert sie Erdogan mit dem Wunsch nach Rü-
ckendeckung für die Errichtung einer ‚Sicherheitszone‘
im Norden Syriens. Sie soll eine Massenrückführung
von Flüchtlingen aus der Türkei nach Syrien ermögli-
chen und vor allem die syrische Kurdenmiliz YPG aus
dem Grenzgebiet zurückdrängen. Seehofer lehnte das
Vorhaben ab – aber was die Europäer stattdessen tun
wollen, sagt er auch nicht. Denn im Grunde will Euro-
pa nur in Ruhe gelassen werden, auch wenn die vergan-
genen Jahre überdeutlich gezeigt haben, dass diese
Ruhe nicht eintreten wird.“

Die Welt der Minuszinsen ist zu Lasten der Sparer
Die „Welt am Sonntag“ übt heftige Kritik an der Poli-
tik der Europäischen Zentralbank:

„Die schädlichen Wirkungen ihrer jahrelangen
Schocktherapie aus Negativzinsen, Anleihekäufen und
langfristiger Zinsbindung werden immer größer, wäh-
rend der positive Effekt auf Wachstum und Preise nur
noch gering ist. Das trifft die Banken, Stützen der Wirt-
schaft, deren Geschäftsmodell erodiert. Und es trifft die
Sparer, denen eine Geldpolitik außer Rand und Band
die Chance auf eine auskömmliche Altersvorsorge
nimmt. In einer Welt der Minuszinsen wird Wohlstand
umverteilt – zugunsten der Eigentümer und zulasten der
Sparer.“

Keine veralteten Technologien schützen
Die „Rheinpfalz am Sonntag“ aus Ludwigshafen be-
fasst sich mit der Zukunft der Automobilindustrie:
„Was ist mehr wert? Das Wohl aller oder das Wohler-
gehen einer Industrie, die Jobs schafft mit einer Techno-
logie, die dem Gemeinwohl schadet? Wie kurzatmig
und lobbygetrieben Deutschland inzwischen ist, zeigt
sich am Verbrennungsmotor ganz besonders: Denn er
ist eine Technologie, mit der sich nicht mehr lang Geld

verdienen lässt. Benziner und Diesel stehen auf der Ab-
schussliste. Ab 2030 wollen die Chinesen auf das
E-Auto umsteigen. Frankreich, Dänemark, Schweden,
Irland, Norwegen, Großbritannien und der US-Bundes-
staat Kalifornien haben ihren Ausstieg aus dem fossi-
len Verkehr erklärt. Jeder zweite Verbrenner weltweit
ist davon betroffen. Das bedeutet: Der Markt für das
deutsche Auspuffwunder löst sich auf. Das bedeutet
auch: Wer veraltete Technologie schützt, der wird ganz
schnell von den anderen überrollt.“

Wir müssen auf Elektroantrieb umsteigen
Der Londoner „Telegraph“ schreibt dazu:
„In den nächsten zehn Jahren wird die überwiegende
Mehrheit von uns vom Verbrennungsmotor auf Fahr-
zeuge mit Elektroantrieb umsteigen. Das müssen wir,
da alle Hersteller ihre Modellreihen entsprechend än-
dern, um die schlecht durchdachten europäischen Emis-
sionsziele zu erreichen. Dass umweltfreundliche Elek-
troautos aber Strom und Batterien brauchen, wollen
wir für den Moment ignorieren.“

STIMMEN DER ANDEREN


Keine abschreckende Wirkung:Trotz des von der Regierung verhängten Vermummungsverbots gehen auch am Sonntag zahlreiche Demonstranten auf die Straße. Foto Getty

Foto AFP

WASHINGTON, 6. Oktober


M


itt Romney ist nicht der einzige
Republikaner, der es gewagt hat,
Donald Trumps Verhalten in der
Ukraine-Affäre zu kritisieren. Doch auf
die Äußerung des Senators aus Utah rea-
gierte der amerikanische Präsident beson-
ders empfindlich. Romney hatte auf Twit-
ter geschrieben: „Wenn der einzige Ameri-
kaner, den der Präsident herausgreift, um
ihn zum Gegenstand chinesischer Ermitt-
lungen zu machen, sein Gegenspieler von
den Demokraten inmitten parteiinterner
Vorwahlen ist, fällt es schwer, zu glauben,
dass es nicht politisch motiviert ist.“
Dann fügte er hinzu: Der scham- und prä-
zedenzlose Appell an China und die
Ukraine, gegen Joe Biden zu ermitteln,
sei „falsch und empörend“.
Trump offenbarte daraufhin, wie es
um sein Nervenkostüm bestellt ist. Er
fluchte über den Präsidentschaftskandida-
ten von 2012: Romney habe nie gewusst,
wie man gewinne. Er sei ein „aufgeblase-
ner Arsch“, der ihn, Trump, von Beginn


an bekämpft habe – außer als er um seine
Fürsprache im Senatswahlkampf bat und
als er ihn angefleht habe, ihn zum Außen-
minister zu machen. Romney sei schlecht
für die Republikaner. Später legte Trump
nach: Er höre, dass man in Utah die Wahl
des „aufgeblasenen Romney“ für einen
Fehler halte. Dem stimme er zu. Er sei
ein Narr, der den Demokraten in die Kar-
ten spiele.
Trumps Ärger erklärt sich nicht allein
dadurch, dass beide seit langer Zeit in ge-
genseitiger Abneigung verbunden sind.
Dass der Präsident sich Romney jetzt vor-
knöpfte, dürfte mit einer Verschwörungs-
theorie zusammenhängen, welche Rush
Limbaugh, der einflussreiche rechte Ra-
diomoderator, seinem Millionenpubli-
kum dieser Tage erzählte: Romney, so
Limbaugh, habe sich nach dem Bekannt-
werden der Beschwerde des Whistleblow-
ers mit Nancy Pelosi, der „Sprecherin“
des Repräsentantenhauses, getroffen be-
ziehungsweise mit ihr telefoniert. Und er
habe der Demokratin versichert, es gebe
Unterstützung der Republikaner dafür,
Trump abzusetzen. Erst dieser Hinweis
habe Pelosi bewogen, ihren Kurs zu än-
dern und ein Amtsenthebungsverfahren
vorzubereiten. Romneys Büro wies diese
Darstellung umgehend zurück.
Sollte das Repräsentantenhaus – wo-
nach es aussieht – ein Impeachment be-
schließen, bedürfte es der Stimmen von
zwanzig Republikanern, um die Zweidrit-
telmehrheit von 67 Senatoren zu erhalten.
Die ist nötig, um den Präsidenten wegen
Amtsmissbrauchs schuldig zu sprechen
und ihn seines Amtes zu entheben. Der
frühere republikanische Senator Jeff Fla-
ke, der im Streit mit Trump aus der zwei-
ten Kammer ausgeschieden war, sagte

jüngst, er wisse, in geheimer Abstimmung
würden 35 republikanische Senatoren für
eine Amtsenthebung stimmen. Die Ab-
stimmung ist aber nicht geheim. Öffent-
lich haben bislang nur wenige Kritik am
Präsidenten geäußert – und von Impeach-
ment hat noch kein republikanischer Man-
datsträger in Washington gesprochen.
Da ist etwa Ben Sasse, ein fraktions-
übergreifend geschätzter Senator aus Ne-
braska, der nach der Lektüre des Telefon-
protokolls Trumps mit dem ukrainischen
Präsidenten Wolodymyr Selenskyj äußer-
te, das Gespräch sei besorgniserregend.
Er wurde unmittelbar nach der Bemer-
kung auf der in rechts-
populistischen Krei-
sen beliebten Website
Big League Politics be-
schuldigt, Trump „von
hinten zu erdolchen“.
Da ist zudem Chuck
Grassley, der konser-
vative Senator aus
Iowa, der sich schon
in früheren Zeiten ei-
nen Namen als jemand gemacht hatte, der
die Whistleblower-Rechte stets verteidige.
Nachdem Trump verlangt hatte, die Identi-
tät der Person offenzulegen, und nahege-
legt hatte, deren Verhalten grenze an Ver-
rat, stellte Grassley sich demonstrativ vor
den Whistleblower. Auch er wurde von
rechtspopulistischen Bloggern attackiert:
„So viel zu den Führungsfiguren im Senat,
die Präsident Trump gegen die Fortset-
zung des Putschversuchs verteidigen.“
Weder Romney noch Sasse noch Grass-
ley haben sich öffentlich dafür ausgespro-
chen, Trump seines Amtes zu entheben.
Trotzdem gilt die Devise: Wer nicht für
uns ist, ist gegen uns. Trump und seine

Unterstützer mobilisieren so ihre Basis
und richten eine implizite Drohung an
potentielle Abweichler: Es sei jederzeit
möglich, einen loyalen Trumpisten ge-
gen die Schwächlinge in die nächste Vor-
wahl um einen Senatorensitz zu schi-
cken, lautet die Botschaft. Derlei Drohun-
gen sind freilich Ausdruck des tiefen
Misstrauens, das Trump hegt. Er weiß,
die Gefolgschaft der Republikaner endet
da, wo seine Fähigkeit, Wahlen zu gewin-
nen, aufhört.
Amtsenthebungsverfahren sind Kämp-
fe um die öffentliche Meinung. Und im
Weißen Haus wird sehr wohl wahrgenom-
men, dass die öffentliche Zustimmung für
ein Impeachment steigt. Vor allem im La-
ger der Demokraten, aber auch – wenn-
gleich auf niedrigem Niveau – unter Repu-
blikanern. Gegenwärtig ist nicht erkenn-
bar, dass der öffentliche Stimmungswan-
del ein Ausmaß erreichen könnte, das Ab-
setzbewegungen unter den Senatoren be-
wirken würde. Doch haben die Impeach-
ment-Ermittlungen gerade erst begon-
nen. Hinzu kommt, dass unter Republika-
nern im Kapitol die Meinung verbreitet
ist, Trumps Verteidigungsstrategie sei
kontraproduktiv: Er sitze im Loch und
höre einfach nicht auf, zu buddeln.
Als in der vergangenen Woche die
Ukraine-Affäre Mike Pence erreichte,
wurde es interessant. Der Vizepräsident
war anstelle Trumps am 1. September zu
den Gedenkfeierlichkeiten für den Aus-
bruch des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jah-
ren nach Warschau gereist. Pence nutzte
den Aufenthalt, um sich mit Selenskyj zu
treffen, so wie Trump es ursprünglich ge-
plant hatte. Kurzfristig hatte der Präsi-
dent seinen Besuch in Polen abgesagt –
angeblich wegen des Hurrikans Dorian.

Pence überbrachte die Botschaft, man er-
warte, dass Kiew energischer gegen die
Korruption im eigenen Land vorgehe. Se-
lenskyj wusste da längst, dass Trump Er-
mittlungen gegen Biden wünschte. Als
Mitarbeiter Pence’ in der amerikani-
schen Presse mit dem Hinweis zitiert wur-
den, der Vizepräsident habe keine Kennt-
nis darüber gehabt, dass Trump kompro-
mittierendes Material über Biden
wünschte, wurde dies in Washington als
Distanzierung bewertet.
Es verging nur kurze Zeit, bis Pence öf-
fentlich äußerte, der Fall Biden verdiene
eine genauere Betrachtung. Der Vizeprä-
sident ist immerzu darauf bedacht, den
Eindruck zu erwecken, zwischen den Prä-
sidenten und ihn passe kein Blatt Papier.
In diesem Fall, in dem Trump der Gedan-
ke kommen könnte, Pence setze auf eine
Amtsenthebung, um selbst Präsident zu
werden, war es ihm besonders wichtig,
Loyalität zu bekunden.
Für den wahrscheinlichen Fall eines
Scheiterns der Amtsanklage im Senat
wird schon spekuliert, dass sich vier Re-
publikaner in der zweiten Kammer fin-
den, um eine Resolution zu verabschie-
den, in der das Verhalten Trumps förm-
lich missbilligt wird. Dafür bedarf es nur
eines Mehrheitsvotums. Und für den
höchst spekulativen Fall, dass Trump
zwar das Verfahren im Senat übersteht,
die Republikaner aber nicht mit einem
beschädigten Kandidaten ins Rennen zie-
hen wollen, geistert auch schon ein
Name herum. Nicht an die Außenseiter-
kandidaten, die Trump in Vorwahlen her-
ausfordern, wird dabei gedacht, sondern
an Nikki Haley, die frühere UN-Botschaf-
terin, die sich rechtzeitig aus der Regie-
rung zurückgezogen habe.

bub.BERLIN, 6. Oktober.Vor dem
Ratstreffen der EU-Innenminister am
Dienstag in Luxemburg hat Bundesin-
nenminister Horst Seehofer (CSU)
abermals seine Pläne für eine Quotenre-
gelung zur Aufnahme von Bootsflücht-
lingen verteidigt. Er halte es für „un-
glaublich, dass man sich als Politiker
für die Rettung von Ertrinkenden recht-
fertigen muss“, sagte Seehofer der
„Welt am Sonntag“. „Ich will keine
Pull-Effekte. Wir wollen mit dem Me-
chanismus auch in keinem Fall das men-
schenverachtende Geschäft der Schleu-
ser unterstützen“, so der Minister. Soll-
te der Notfallmechanismus miss-
braucht werden, könne er jederzeit
ohne Konsultationen einseitig von
Deutschland beendet werden. „Ich bin
entschlossen, bei Bedarf davon Ge-
brauch zu machen.“ Seehofer hob her-
vor, dass es eine Festlegung auf eine be-
stimmte Quote noch nicht gebe. Im Sep-
tember hatte er von einem Viertel der
aus Seenot Geretteten gesprochen.
Zuvor war abermals Kritik an den
Vorschlägen von Seiten der Union laut
geworden. „Das war eine Initiative des
Innenministers, nicht der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion“, sagte Ralph Brink-
haus, Vorsitzender der Unionsfraktion
im Bundestag, den Zeitungen der Fun-
ke Mediengruppe. „Welches Signal sen-
det man, wenn man pauschal 25 Pro-
zent der geretteten Flüchtlinge aufneh-
men will“, so Brinkhaus. „Wir dürfen
Schlepperorganisationen nicht ermuti-
gen, mehr zu machen.“ Mike Mohring,
Vorsitzender der CDU in Thüringen,
sagte, das Risiko dieser Zwischenlösung
sei, dass sie „zur Dauerlösung wird“.
Ziel der EU müsse bleiben, „die Gerette-
ten an die afrikanische Küste zurückzu-
bringen“. Der stellvertretende CDU-
Vorsitzende Thomas Strobl sagte, die
Politik dürfe kein „Konjunkturpro-
gramm für Schlepper“ schaffen.
Seehofer hofft, beim Rat der Innen-
minister weitere EU-Länder dazu zu
bringen, sich dem Verteilmechanismus
anzuschließen. Thema wird auch die
steigende Anzahl an Migranten auf den
griechischen Inseln sein. Seehofer for-
dert mehr Solidarität. „Wir müssen un-
seren europäischen Partnern bei den
Kontrollen an den EU-Außengrenzen
mehr helfen. Wir haben sie zu lange al-
leine gelassen“, sagte Seehofer nach sei-
ner Rückkehr aus Griechenland und
der Türkei der „Bild am Sonntag“. An-
dernfalls drohe „noch eine größere
Flüchtlingswelle“ als 2015.


LONDON, 6. Oktober. Obwohl die Signa-
le aus Brüssel und Dublin wenig ermuti-
gend klingen, hat Boris Johnson am Sonn-
tag an die Europäische Union appelliert,
auf der Grundlage seiner Vorschläge ei-
nen neuen Deal zu vereinbaren. „Wir
scheiden in 25 Tagen. Wir können das mit
einem Deal tun, wenn die Europäische
Union dazu bereit ist“, schrieb der Pre-
mierminister in zwei britischen Sonntags-
zeitungen. Auch Brexit-Minister Stephen
Barclay fordert Brüssel am Sonntag auf,
„Flexibilität“ zu zeigen und die Verhand-
lungen zu intensivieren. Zugleich deutete
er Kompromissbereitschaft in umstritte-
nen Punkten an.
Zwei Tage zuvor hatte Brüssel die Bitte
der britischen Regierung abgelehnt, auch
am Wochenende über das Abkommen zu
verhandeln. Nach Gesprächen mit John-
sons Unterhändler David Frost hatte es in
der Kommission am Freitag geheißen,
dass die Vorschläge aus London „keine
Grundlage bieten, um ein Abkommen ab-
zuschließen“. Johnson dringt darauf, die
Korrekturen am Austrittsabkommen auf
dem EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober
unter Dach und Fach zu bringen. Dann
blieben noch zwei Wochen, um das Ab-
kommen von den Parlamenten in Straß-
burg und London ratifizieren zu lassen –
in Letzterem zeichnet sich eine Zustim-
mung zu Johnsons Vertragsentwurf ab.
Um diesen Zeitplan einzuhalten, müsste
das Abkommen aber bis spätestens Ende
dieser Woche auf Arbeitsebene besiegelt
sein. Daran glaubt kaum noch jemand.
Die Europäische Union vertritt die Posi-
tion, dass Londons neue Vorschläge zur
Lösung der irischen Grenzfrage nicht
praktikabel seien. In London vermuten
manche, dass Brüssel formal weiterver-
handeln werde, weil es nicht für ein Schei-
tern der Bemühungen um einen Brexit-
Vertrag verantwortlich gemacht werden
wolle. Andere glauben, die EU könnte die
Gespräche an diesem Montag mit dem
Vorwurf beenden, dass sich London wei-
gere, das Angebot substantiell zu verbes-
sern. Laut einem Bericht der „Financial
Times“ setzt die EU nicht mehr auf einen
Durchbruch in den kommenden Tagen,
sondern auf eine Verlängerung der Aus-
trittsfrist und eine spätere Neuwahl, wenn
nicht ein zweites EU-Referendum.
Johnson versucht, dieses Kalkül zu
durchkreuzen, indem er einen „No-Deal-
Brexit“ am 31. Oktober weiterhin zur ein-
zigen Alternativoption zu gescheiterten
Verhandlungen erklärt. Auch am Sonntag
versicherte er wieder, dass es keinen Auf-
schub des Austrittstermins geben werde.
Wie er dies verhindern will, bleibt indes
Westminsters ungelöstes Rätsel. Die Re-
gierung hat inzwischen zugesagt, das ge-
gen ihren Willen verabschiedete „No-
Deal-Verhinderungsgesetz“ zu befolgen
und am 19. Oktober eine Fristverlänge-
rung in Brüssel zu beantragen, sofern bis
dahin kein neues Abkommen steht. Bis-
lang ist aus Brüssel nichts anderes zu hö-
ren, als dass die EU einen solchen Antrag
bewilligen wird.
Der „Daily Telegraph“, Johnsons Haus-
zeitung, berichtete am Sonntag von Über-
legungen in Downing Street, die Europäi-
sche Union womöglich durch Sabotage-
Drohungen zu einer Ablehnung des Auf-
schubs zu bringen. So könnte Johnson an-
deuten, mit dem britischen Veto den
nächsten EU-Haushalt zu blockieren,
oder aber einen EU-feindlichen Kommis-
sar entsenden. Besonders grimmige Mi-
nister sollen schon an Nigel Farage, den
Chef der Brexit Party, gedacht haben. An-
dere bezweifeln, dass Johnson noch ein
Ass im Ärmel hat.
In der Regierung denken manche
schon über den 31. Oktober hinaus und
warnen davor, dass Brüssel einer „erns-
ten strategischen Fehlkalkulation“ zum
Opfer falle. Die Europäische Union könn-
te irren, wenn sie glaube, dass sie nach ei-
ner Neuwahl im (aus ihrer Sicht)
schlimmsten Fall – einer absoluten Mehr-
heit für Johnson – vor derselben Situation
und demselben Deal-Angebot stehen wer-
de. Sollte Johnson vor einem Brexit in
Neuwahlen ziehen müssen, könnte er we-
gen der Konkurrenz von der Brexit Party
gezwungen sein, seine Haltung zu ver-
schärfen und für einen Austritt ohne Ver-
trag zu werben, hieß es.
Unterstützung findet die Haltung der
Europäischen Union bei der britischen
Opposition. Der Deal, den Johnson an-
strebe, „kommt nicht gut an, weder in
Brüssel noch in Dublin noch bei uns“, sag-
te Shami Chakrabarti von der Labour Par-
ty am Sonntag. Die Schottische National-
partei (SNP) verknüpfte ihre Ablehnung
mit einer Drohung. Am Wochenende rief
sie zu einer Demonstration für die schotti-
sche Unabhängigkeit in Edinburgh auf,
an der nach Veranstalterangaben 200 000
Menschen teilnahmen. Laut Umfragen
hat der Brexit dem schottischen Unabhän-
gigkeitslager Wähler zugeführt, die für ei-
nen Verbleib Großbritanniens in der EU
sind. Allerdings, schränkte der in Glas-
gow lehrende Politikwissenschaftler John
Curtice am Sonntag ein, seien die Zu-
wächse „marginal“ und SNP-Chefin Nico-
la Sturgeon noch weit davon entfernt, das
Risiko eines zweiten Unabhängigkeitsre-
ferendums einzugehen.

Seehofer verteidigt


Vorschläge zur


Migrationspolitik


Sonntags ist


Brexit-frei


Warum Brüssel nicht mit


Johnson verhandeln wollte


Von Jochen Buchsteiner


Die Nerven des Präsidenten liegen blank


Mitt Romney

Trump duldet nicht den


Hauch von Kritik aus


den eigenen Reihen.


Die Republikaner


fürchten, dass seine


Strategie die Lage nur


verschlimmert.


Von Majid Sattar

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