Frankfurter Allgemeine Zeitung - 07.10.2019

(Dana P.) #1

SEITE 8·MONTAG, 7. OKTOBER 2019·NR. 232 Zeitgeschehen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


D


ieGrünen versuchen, sich mit ei-
ner „radikal realistischen“ Politik
wieder an die Spitze der Klima-Bewe-
gung zu setzen. Wie alle anderen eta-
blierten Parteien sind auch die Grü-
nen, offenbar unter dem Eindruck vor-
übergehender allzu realistischer Mäßi-
gung, von „Fridays for Future“ abge-
hängt worden. Mit dem Leitantrag des
Vorstands zur Klimapolitik soll es des-
halb, um das „Fundi“-Wort zu vermei-
den, wieder „radikal“ zugehen. In der
Tat lässt das Programm nichts zu wün-
schen übrig: raus aus der Kohle, am
besten sofort, anschließend raus aus
dem Erdgas; sofort raus aus der Ölhei-
zung, dann raus aus der Gasheizung,
raus aus dem Verbrennungsmotor. Kei-
ne Kernkraft, keine Kohle, kein Erdgas



  • konsequent radikal ist der Entwurf
    des Leitantrags, in dem das Wort Ver-
    sorgungssicherheit erst gar nicht mehr
    auftaucht. Dafür wird die Illusion ge-
    nährt, Deutschland lasse sich schon
    mittelfristig zu jeder Zeit überall zu
    hundert Prozent mit erneuerbaren
    Energien versorgen. Nicht zu Unrecht
    bezeichnet der Grünen-Vorstand eine
    solche Vorstellung als „gigantisch“.
    So weit der radikale Teil des Pro-
    gramms, das dennoch durchaus realis-
    tisch ist. Zwar werden die Klimaschutz-
    Pläne der Bundesregierung kritisiert,
    aber in vielen Passagen werden diesel-
    ben bis ähnliche Vorschläge für ein Kli-
    maschutzgesetz gemacht: verbindliche
    Ziele, „dichte Kontrolle“, Klimaschutz
    in die Verfassung und ein Preis für die
    Tonne Kohlendioxid, der zwar wesent-
    lich höher als der vom Kabinett be-
    schlossene, aber nicht in Utopia liegt.
    Gerne verweisen die Grünen an dieser
    Stelle auf die CO 2 -Steuer in Schweden,
    obgleich dort Wasserkraft und Kern-
    kraft eine nahezu CO 2 -freie Energiever-
    sorgung garantieren, das Land im Ver-
    kehr auf Diesel und Biokraftstoff setz-
    te, Fernwärme aus Biomasse und Müll-
    verbrennung entsteht. Wie die SPD
    misstrauen die Grünen aber einer Preis-
    bildung, die den Unternehmen das Feld
    von Kostenmanagement und Technolo-
    gie überlässt und dem Staat allein die
    Kappung der Emissionen überträgt.
    Die Grünen sind sich dennoch gewiss,
    dass sie das Sprachrohr einer Gesell-
    schaft sind, die „viel weiter“ sei als die
    Bundesregierung. Radikal realistisch
    ist in diesem Fall wohl ein Synonym für
    wohlhabend radikal.


P


räsident Trump wütet wie ein „Ab-
bruchunternehmer“, so beschrieb
ihn ein angesehenes britisches Ma-
gazin. Das „andere“ Amerika könnte sei-
ne Wiederwahl im Jahr 2020 verhin-
dern. Es gilt, sich auf beide Eventualitä-
ten einzustellen, ein Verbleib Trumps im
Weißen Haus wie auch seine Abwahl.
Dafür sind Lehren zu beherzigen, die
Trumps Präsidentschaft bereithält.
Die Vereinigten Staaten werden nie
mehr so sein wie vor Trump: Der Nährbo-
den seiner Wahl und – trotz Ukraine-Af-
färe und drohendem Impeachment –
möglichen Wiederwahl ist ein polarisier-
tes und demoralisiertes Land mit einer
erbitterten politischen Konfrontation.
Das muss nicht so bleiben. Die amerika-
nischen Kräfte zur Wiederbesinnung auf
Optimismus und Pragmatismus sollten
nicht unterschätzt werden. Aber die Ver-
einigten Staaten verändern sich: der An-
teil der Bevölkerung mit europäischem
Migrationshintergrund schrumpft, welt-
politisch richten sie sich auf den Rivalen
China aus. Washington erwartet zuneh-
mend, dass Europa reich und reif genug
sein sollte, für sich selbst zu sorgen.
China muss auch durch Europa einge-
hegt werden: Mehr als Obama fordert
Trump China heraus. Wie er das macht,
kann man kritisch sehen. Dass er es
macht, ist angezeigt. China gebührt

nach seinem phänomenalen Aufstieg
weltpolitisch ein Platz in der allerersten
Reihe. Aber seine autoritäre Führung
muss, da hat Trump recht, auch durch
Gegenmacht zu Kooperation und Regel-
treue angehalten werden.
Der globalisierte Kapitalismus muss
und kann gezügelt werden: Trump wäre
ohne die Verlierer der kapitalistischen
Globalisierung nicht Präsident gewor-
den. Zwar nicht für sie, aber in ihrem Na-
men legt sich Trump mit seinem Neo-
merkantilismus mit amerikanischen
Großunternehmen an, die von Handels-
und Lieferketten, von Kapital- und Da-
tenverkehrsfreiheit leben. So zeigt er
auf seine destruktive Art auf, dass es po-
litische Spielräume zur Zügelung des
globalisierten Kapitalismus gibt.
Der alte Westen ist tot, für einen neuen
muss sich Europa ertüchtigen: Jeder ame-
rikanische Präsident wird künftig die Be-
deutung Europas daran messen, wie es
sich in der amerikanisch-chinesischen Ri-
valität positioniert und ob es mehr Eigen-
verantwortung schultert. Deshalb sollte
man sich durch Trumps berserkerhaftes
Auftreten nicht täuschen lassen: Eine
tragfähige transatlantische Partnerschaft
gibt es nur mit einem erstarkten Europa.
Europa muss strategisch autonom wer-
den: Ein solches Europa braucht Macht-
parität mit anderen Globalakteuren.

Wirtschaftlich, technologisch und kultu-
rell hat Europa das Potential dazu. Seine
Achillesferse ist sicherheitspolitisch: Eu-
ropa ist ungleich abhängiger vom ameri-
kanischen Beistand als umgekehrt. Auch
ohne Trump gilt: Abhängigkeit hat selbst
unter Freunden ihren Preis. Europa
muss abwägen, ob er geringer ist als die
Risiken und Kosten, die mit einer sicher-
heitspolitischen Emanzipation von den
Vereinigten Staaten verbunden wären.
Klar ist jedoch: Weltmacht auf Augenhö-
he mit Washington und Peking gibt es
nicht ohne eine solche Emanzipation.
Ein autonomes Europa braucht eine
deutsch-französische Achse: Dem Dilem-
ma, dass ihre kollektive Führung ge-
braucht und zugleich beargwöhnt wird,
können Deutschland und Frankreich
nicht entkommen. Sie können es jedoch
erträglich machen: durch vorbildliche
Regeltreue und Kompromissbereitschaft
gegenüber ihren europäischen Partnern.
Für ein autonomes Europa muss
Deutschland über seinen Schatten sprin-
gen: Bundeskanzlerin Merkel hat gefor-
dert, Europa müsse sein Schicksal selbst
in die Hand nehmen. Das geht nur mit
Deutschland, aber nicht allein zu deut-
schen Bedingungen und Befindlichkei-
ten. Nicht nur in der Eurozone wird
Deutschland mehr Solidarität zeigen
müssen. Die größere Bewährungsprobe
liegt in der sicherheitspolitischen Ertüch-

tigung Europas. Deutschland wird nicht
nur finanziell mehr investieren, sondern
sich auch bei Rüstungsexporten und der
Rolle des Militärs bewegen müssen.
Dass militärische Mittel keine Konflikte
lösen, ist eine richtige Ermahnung, prio-
ritär auf Prävention und Politik zu set-
zen. Aber Deutschland disqualifiziert
sich für eine von ihm gewollte Europäi-
sche Verteidigungsunion, wenn, wie im
April 2018 nach einem syrischen Che-
miewaffeneinsatz, begrüßt wird, dass
die Vereinigten Staaten, Frankreich und
Großbritannien militärisch reagieren, es
selbst aber nicht dazu bereit ist.
Darf man Trump dankbar sein, dass er
uns die Dringlichkeit eines mündigen Eu-
ropas peinigend vor Augen hält? Selbst
wenn man es täte, es würde ihn nicht da-
von abhalten, sich auf seine egomanische
Weise treu zu bleiben. Der Ball, so könn-
te er jedoch zu Recht sagen, liegt nicht in
meinem, sondern im europäischen Feld.
Deutschland und Frankreich sollten da-
für sorgen, dass die willigen Europäer
ihn aufnehmen und ihr Schicksal in ihre
Hände nehmen. Denn Trump hin oder
her – das ist der einzige Weg, der sich auf-
recht und auf Augenhöhe mit anderen ge-
hen lässt. Deshalb: Thank you, Mr. Presi-
dent – auch wenn’s zu sagen schwerfällt.
Der Autorist Botschafter a. D. und Gastwissen-
schaftler bei der Stiftung Wissenschaft und
Politik in Berlin.

D


ie Aufregung war groß in der ver-
gangenen Woche. Ein neues Vi-
deo über Anis Amri, den Attentäter
vom Berliner Breitscheidplatz, sei auf-
getaucht, hieß es. Darin habe Amri sei-
ne blutige Tat vom Dezember 2016 we-
nige Wochen zuvor angekündigt. Re-
flexartig empörte sich die Opposition.
Der Vorwurf lautete, wie schon so oft
zuvor: Die Bundesregierung habe dem
Untersuchungsausschuss wichtiges Be-
weismaterial vorenthalten. Doch der
Eifer war blind, denn schnell war klar:
Die Bundesregierung hat nichts ver-
heimlicht, in den Akten findet sich
eine detaillierte Beschreibung des Vi-
deos, die Abgeordneten wissen mittler-
weile auch, auf welchen der Hundert-
tausenden Seiten. Es gibt einen guten
Grund, warum die Abgeordneten das
Video bislang nicht anschauen dürfen:
Der ausländische Dienst, der das Vi-
deo nach Berlin schickte, hat sein Ein-
verständnis noch nicht gegeben. Opfer
und Angehörige sind bis heute trauma-
tisiert. An sie vor allem sollten Politi-
ker denken, bevor sie das nächste Mal
einen üblichen Vorgang zum Skandal
aufbauschen.


RadikaleGrüne


Von Jasper von Altenbockum

BlinderEifer


Von Helene Bubrowski

An diesem Montag wird Bundespräsi-
dent Alexander Van der Bellen den
Wahlsieger Sebastian Kurz empfangen
und ihm den Auftrag zur Regierungs-
bildung erteilen. In der Woche nach
der österreichischen Nationalratswahl
ist es nicht Kurz gewesen, der die ers-
ten Gespräche geführt hat, sondern
der Bundespräsident. Nacheinander
hat er die Vorsitzenden der Parteien,
die es ins Parlament geschafft haben,
zu sich in die Wiener Hofburg gebeten
und mit ihnen in seinem Büro hinter
der berühmten Tapetentür das Wahler-
gebnis besprochen.
Denn bei der Regierungsbildung
kommt es ein Stück weit auf den Präsi-
denten an. Anders als in Deutschland
wird in Österreich der Regierungschef
nicht vom Parlament gewählt. Viel-
mehr ernennt das Staatsoberhaupt den
Bundeskanzler und die Minister, so
steht es in der Verfassung. Daraus er-
gibt sich die Gepflogenheit, dass der
Präsident jemanden mit der Regie-
rungsbildung beauftragt. Das wird er
selbstverständlich unter Berücksichti-
gung des Wahlergebnisses tun. Kein
Zweifel besteht, wer der nächste Kanz-
ler sein wird. So groß wie jetzt war in
Österreich noch nie der Abstand zwi-
schen dem Ersten und dem Zweiten,
keiner kommt an Kurz vorbei. Aber
der braucht eine Koalition, und alle
denkbaren Partner sind für den ÖVP-
Vorsitzenden schwierig. Der frühere
Grünen-Chef Van der Bellen hat einst
selbst über eine schwarz-grüne Koaliti-
on verhandelt; gescheitert ist das da-
mals nicht an ihm, sondern an dem lin-
ken Wiener Flügel seiner Partei. Wenn
jetzt eine Neuauflage der Gespräche
über diese Konstellation, die von den
Wählern unerwartet möglich gemacht
worden ist, erfolgreicher wäre, würde
Van der Bellen gewiss nicht im Wege
stehen. Vielleicht würde man bei sto-
ckenden Verhandlungen sogar mal ein
Hüsteln aus der Hofburg vernehmen.
Außerdem hat der Bundespräsident
die Möglichkeit, einzelne Minister abzu-
lehnen, die ihm vorgeschlagen werden.
So jedenfalls wird die Verfassung inter-
pretiert, seit Thomas Klestil im Jahr
2000 einen Präzedenzfall geschaffen
hat. Vor zwei Jahren hat auch Van der
Bellen vorab kundgetan, zwei bestimm-
te FPÖ-Männer auf keinen Fall zu Mi-
nistern zu machen. Nach dem Ibiza-
Skandal durfte er sich bestätigt fühlen,
denn der darin verwickelte Johann Gu-
denus war einer der beiden. Die Haupt-
figur von „Ibiza“ allerdings, den damali-
gen FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian
Strache, hatte er zum Minister und Vize-
kanzler ernannt: „Ja Kruzitürken,
wenn mir nichts anderes übrigbleibt.“
Van der Bellen wurde 1944 als Kind
einer baltendeutschen Familie in
Wien geboren. In den achtziger Jahren
hat Peter Pilz den damaligen Volks-
wirtschaftsprofessor in die Politik und
zu den Grünen geholt. Van der Bellen
führte die Partei elf Jahre lang zu Er-
folgen, dann zog er sich in Richtung ei-
nes vermeintlichen Ruhestands zu-
rück. Sein sensationeller Sieg in der
Direktwahl zum Bundespräsidenten
2016 machte eine neue Lebenspla-
nung nötig. Seine unaufgeregte Art
und persönliche Glaubwürdigkeit kam
Österreich in den Wirren der Ibiza-
Krise im Mai zugute. Beides wird auch
jetzt wieder gefordert werden.
STEPHAN LÖWENSTEIN

Alexander VAN DER BELLEN

Foto AFP

TEHERAN, im Oktober
Im Konflikt mit den Vereinigten Staa-
ten und Saudi-Arabien hat die Islamische
Republik Iran im Mai einige Gänge höher
geschaltet. Es sei ein Wechsel von „strate-
gischer Geduld zu aktivem Widerstand“
gewesen, sagt Foad Izadi, Professor für Po-
litikwissenschaft an der Universität Tehe-
ran. Der Auslöser war, dass der amerika-
nische Präsident Donald Trump für die
letzten Länder, die Erdöl aus Iran bezo-
gen durften, die Ausnahmegenehmigun-
gen zurückgezogen hat. Seither ist der ira-
nische Ölexport auf nahe null gesunken.
„An einem langsamen Tod sind wir
nicht interessiert“, sagt Izadi. Iran habe
nichts mehr zu verlieren und verfolge nun
die Strategie, „der anderen Seite Kosten
zuzufügen“ – also Amerika und jenen, die
Washington zu diesem Schritt gedrängt
haben und nun Irans Lücke füllten. „Wir
können nicht zusehen, wie andere Ge-
schäfte machen und wir daran gehindert
werden.“ Eine militärische Auseinander-
setzung wolle Iran jedoch nicht, betont
Izadi. Die sei unter diesen Bedingungen
aber auch nicht auszuschließen. Solange
jedoch auch Trump keinen Krieg wolle,
werde es keinen geben.
Izadi gibt damit die Stimmung im irani-
schen Parlament, dem Madschles, wieder.
Es sei doch eine völlig natürliche Reakti-
on, wenn Präsident Hassan Rohani forde-
re, dass aus dem Persischen Golf nie-
mand Erdöl ausführen dürfe, solange Iran
daran gehindert werde, sagt Mohammad
Dschawad Dschamali, Mitglied im außen-
politischen Ausschuss im Madschles.
Iran will jedoch nicht derjenige gewe-
sen sein, der am 14. September die Rake-
ten auf die Ölanlagen des saudischen Öl-
konzerns Aramco abgefeuert und fünf Pro-
zent der globalen Ölversorgung vorüberge-
hend ausgeschaltet hat. Die Iraner sind
sich einig, dass für den Anschlag als Ver-
geltung für den saudischen Angriffskrieg
allein die jemenitischen Houthi-Rebellen
in Frage kommen. Izadi zeigt auf seinem
Smartphone ein Foto der getroffenen Öl-
verarbeitungsanlage. Die Einschläge seien
vom Westen her erfolgt, sagt er. Raketen
der Houthis hätten die Wüsten Saudi-Ara-
biens überflogen und die schwächste Seite
der Anlage im Visier gehabt.
„Was an dem Angriff soll ein Kriegs-
verbrechen sein, da, anders als bei den
saudischen Angriffen im Jemen, doch
kein einziger Zivilist getötet worden ist“,
fragt Dschamali. Iran werde aber dafür

bestraft, dass es Waffen an die Houthis
liefere. Endlich sollten auch jene bestraft
werden, die Waffen an die Saudis liefer-
ten, fordert der Abgeordnete. Izadi ist
überzeugt: Washington und seine Verbün-
deten würden ihre Politik gegenüber der
Islamischen Republik nie ändern, solan-
ge ihnen Iran keine Kosten zufüge. Je
mehr Kosten Teheran ihnen aber zufüge,
desto eher seien sie bereit, ihre Politik zu
ändern.
Irans strategisches Ziel ist es, das Joch
der Sanktionen abzuschütteln, die dem
Land zwar erheblich schaden, nicht aber
zum Kollaps der Islamischen Republik
führen. In Teheran ist allen Gesprächs-
partnern klar, dass die amerikanischen
Sanktionen allein auf dem Verhandlungs-
weg aufgehoben werden können. Derzeit
aber steht die Islamische Republik mit
dem Rücken zur Wand, denn die Sanktio-
nen beschleunigen den wirtschaftlichen
Niedergang. Iran muss daher seine Ver-
handlungsposition deutlich verbessern,
bevor Verhandlungen beginnen können.
Daher hat Teheran am 8. Mai die Politik
der „strategischen Geduld“ für beendet
erklärt.
Die Eskalation erfolgte auf drei Gebie-
ten. So verstößt Iran, erstens, gegen die
Verpflichtungen, die es im Atomabkom-
men von 2015 eingegangen ist. Schrittwei-
se hebt es den Grad seiner Urananreiche-
rung an, aber nur in einem geringen Um-

fang, der rasch zurückgenommen werden
kann, und es baut dazu neue Zentrifugen
auf. Zudem erhöht es den Bestand an an-
gereichertem Uran. Zweitens erhöht Iran
die Spannungen im Persischen Golf – zu-
nächst mit einem Angriff auf eine saudi-
sche Ölpipeline, dann mit der Festset-
zung von Öltankern in und nahe der Meer-
enge von Hormuz. Eine weitere Eskala-
tionsstufe war Mitte September der An-
griff auf die saudischen Ölanlagen, bei
dem die meisten Staaten außerhalb Irans
davon überzeugt sind, dass allein Iran ihn
ausgeführt haben kann. Iran versteckt
sich jedoch unverändert hinter den Hout-
hi. Unbestritten bleibt, dass iranische
Waffentechnik eingesetzt wurde.
Drittens will Teheran seine Verhand-
lungsposition stärken, indem es ausländi-
sche Staatsbürger festnimmt und Washing-
ton einen Gefangenenaustausch anbietet.
Ende September erneuerte der Sprecher
des iranischen Außenministeriums, Abbas
Mousavi, das Angebot. Anlass war, dass
eine iranische Staatsbürgerin nach 27 Mo-
naten Haft, die sie wegen Verstößen gegen
die amerikanische Iran-Sanktionen in aus-
tralischen und amerikanischen Gefängnis-
sen verbracht hatte, vorzeitig entlassen
wurde. Es ist nicht bekannt, wie viele west-
liche Bürger, die meisten von ihnen sind
Doppelstaatler, aus politischen Gründen
in iranischen Gefängnissen inhaftiert
sind. Allein in diesem Jahr kamen drei wei-
tere Fälle hinzu, unter ihnen eine Kommi-

litonin des französischen Präsidenten Em-
manuel Macron.
Befürchtet wird, dass sich bis zu dem
Zeitpunkt, an dem es zu Verhandlungen
kommt, die Eskalationsschraube weiter
dreht. Die Entscheidungen dazu fällt of-
fenbar Revolutionsführer Ali Chamenei.
Noch am 22. Mai hatte er erklärt, es sei
ein Fehler gewesen, dass er die Verhand-
lungen zugelassen habe, die im Juli 2015
zum Atomabkommen geführt hätten. Die-
sen Fehler werde er nicht noch einmal ma-
chen. Als Präsident Macron Ende August
den iranischen Außenminister Dschawad
Zarif zum G-7-Gipfel nach Biarritz einge-
laden und eine neue diplomatische Initia-
tive angestoßen hat, schloss Chamenei
dieses Fenster überraschenderweise
nicht. Er sagte, im Rahmen von Gesprä-
chen aller Unterzeichnerstaaten des Ab-
kommens würde sich Iran auch mit den
Vereinigten Staaten an einen Tisch set-
zen. Damit gesteht er Rohani und Zarif ei-
nen weiteren, möglicherweise letzten An-
lauf zu, ihr Großprojekt zu retten, über
das Atomabkommen die Sanktionen abzu-
werfen – und Iran zu öffnen.
Fachleute in Teheran können sich eine
Formel vorstellen, die auch die Aufhe-
bung der Sanktionen enthält. Dafür müsse
das Atomabkommen um zwei Punkte er-
gänzt werden. Zum einen habe Iran zu ak-
zeptieren, dass die zeitlichen Befristungen
im Abkommen – etwa Uran 15 Jahre lang
bis höchstens 3,67 Prozent anzureichern
oder ebenso lange nicht an Schwerwasser-
reaktoren zu forschen – dauerhaft gelten
sollen. Das gilt als machbar, da Chamenei
ausdrücklich erklärt, dass Iran nicht nach
Atomwaffen strebe. Zum anderen müsse
sich Iran aus benachbarten arabischen
Staaten zurückziehen.
Das wird schwieriger durchzusetzen
sein. Schließlich ist Iran davon überzeugt,
nach dem Scheitern der amerikanisch-
saudischen Nahost-Politik durch sein Han-
deln jeweils Schlimmeres verhindert zu ha-
ben, sagt der Politikwissenschaftler Izadi:
in Syrien und im Irak, um den „Islami-
schen Staat“ zu bekämpfen, und im Je-
men, um den bedrängten Houthis zur Sei-
te zu stehen. Zudem stimme es keines-
wegs, dass sich die arabischen Nachbar-
staaten vor Iran fürchteten, sagt der Abge-
ordnete Dschamali. Spannungen gebe es
wegen der extremistischen Politik von
Kronprinz Muhammad Bin Salman allein
mit Saudi-Arabien. Bis es eine Verständi-
gung der beiden Nachbarn gibt, werden
die Spannungen am Persischen Golf wohl
noch zunehmen.

Fremde Federn:Eckhard Lübkemeier


Thank you, Mr. President


Glaubwürdig


Kontrollierte Eskalation


Wie Iran seine Position für den Tag stärken will, an dem Verhandlungen beginnen / Von Rainer Hermann


ImPlenarsaal:Abgeordnete des iranischen Parlaments in Teheran Foto Helmut Fricke

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