Mittwoch, 2. Oktober 2019 FINANZEN 29
Riskante China-Investments
DieUS-Regierung überlegt angeblich, chinesischen Firmen den Zugang zur Wall Street zu erschweren
CHRISTOF LEISINGER, NEWYORK
Im Handelsstreit mit China traut man
der amerikanischenRegierung inzwi-
schen anscheinend alles zu.Tatsächlich
hat amFreitag eine Meldung an derWall
Street für gewisseKursturbulenzen ge-
sorgt, dieTr ump-Administration über-
lege, den Zugang chinesischer Unterneh-
men zum US-Kapitalmarkt strikter als
bisher zuregulieren.Daraufhin sind die
Kurse der in den USA gehandeltenWert-
papiere(American DepositaryReceipts,
ADR) vonFirmen wie Alibaba, JD.com,
Netease,Baidu oder auchWeibo und Nio
um bis zu 11% eingebrochen. Angeblich
überlegt dasWeisse Haus, wie man Ka-
pitalflüsse nach China begrenzenkönnte.
China vom Kapital abschneiden
Unter anderem werde darüber diskutiert,
chinesischeFirmen von den US-Börsen
auszuschliessen oder amerikanischen
Pensionsfonds Investitionen mit China-
Bezug zu untersagen. In diesemRah-
menkönnten unter anderem bekannte
Indexanbieter wie etwa MSCI gezwun-
gen werden, chinesischeWertpapiere aus
ihren Benchmarks zu verbannen oder
wenigstens deren Gewicht darin zu be-
grenzen.MSCI bildet unter anderem den
All-Countries-World-Index (ACWI) ab,
in dem dieWertpapierechinesischerFir-
men seit nicht allzu langer Zeit einen An-
teil von 3,6% haben und damit die fünft-
grösstePosition bilden.
Solche Überlegungen mögen die
Investoren kurzfristig nervös machen,
immerhin müssten Investoren, die den
Index nachbilden, diePapiere der chine-
sischenFirmen verkaufen, wenn es tat-
sächlich so weitkommen sollte.Aller-
dings ist es noch lange nicht so weit.Fak-
tisch hat die amerikanischeRegierung
entsprechende Berichte dementiert.Tat-
sächlich ist die Sachlage zukomplex,als
dass sich eine solche Entscheidung über
das Knie brechen liesse.Denn es ist zu
einfach, zu sagen, US-Investoren unter-
stützten chinesischeFirmen – darunter ei-
nige mit hohem Staatsanteil – mit ihrem
Kapital,wenn der amerikanische Staat
auf der anderen Seite auf Kapitalimport
aus China wenigstens in Ansätzen ange-
wiesen ist.Wie die TIC-Daten (Kapital-
verkehrsstatistik des US-Schatzamtes)
zeigen, hielten Investoren aus China im
Juli US-Staatsanleihen im Gegenwertvon
110 0Mrd.$. Damit gleichen sich die bei-
den Argumente auf den ersten Blick weit-
gehend aus. Die amerikanischeRegie-
rung dürfte sich also zweimal überlegen,
was sie tut.
Damit sind die Anlegerjedoch noch
nichtaus dem Schneider.Denn dieWert-
papiere chinesischerFirmen, die an den
amerikanischen Börsen gehandelt wer-
den, sind vom Status her nicht mit Aktien
gemäss westlichem Standard zu verglei-
chen.Es handeltsich um sogenannte
ADR bzw.American Depositary Shares.
Das sind Zertifikate, die von einem ameri-
kanischen Kreditinstitut ausgestellt wur-
den, das die zugrunde liegenden Aktien in
Verwahrung genommen hat. Solche ADR
dienen in den USA seit etwa1920 der Er-
leichterung von Geschäften mit ausländi-
schenWertpapieren.
Im Zweifel kein Zugriff möglich
Das Problem im Zusammenhangmitden
ADR vieler chinesischerFirmen isters-
tens, dass derenRechnungslegung von
der Substanz und derTr ansparenz her
nicht mit westlichen Standards zu verglei-
chen ist. Es besteht also grundsätzlich das
Risiko, operativeFehlentwicklungen nicht
oder nichtrechtzeitig erkennen und die
Wertpapiere abstossen zukönnen. Zwei-
tens sind ziemlich viele davon über soge-
nannte Zweckgesellschaften mitSitz zum
Beispiel auf den Cayman Islands ausge-
geben worden, so dass der Investor im
Zweifel juristisch gar nicht auf das chinesi-
sche Mutterunternehmen und die dortigen
Strippenzieher zurüc kgreifen kann.Das ist
zum Beispiel bei Alibaba so, einem Inter-
netriesen mit einem Marktwert von etwa
430 Mrd.Fr., beimKonkurrenten JD.com,
beim Überflieger Netease oder auch beim
SuchmaschinenbetreiberBaidu.
Das sind Risiken, die die internatio-
nalen Investoren in den vergangenen
Jahren einfach billigend in Kauf genom-
men haben. Ob das Billiggeld der Noten-
banken oder die Gier nach überdurch-
schnittlicherPerformance der entschei-
dendeTr eiberwaroder eineKombination
aus beidem,spieltkeineRolle. Sollten die
USA auf gleich lange Spiesse drängen,
liessen sichKonsequenzen im Zweifel
kaum vermeiden. Der Blick auf diePer-
formance derWertpapiere chinesischer
Firmen an den amerikanischen Aktien-
märkten zeigt ohnehin, dass Glück oder
Können nötig ist, um die richtigen auszu-
wählen. Denn viele mussten seit der Erst-
kotierung massiveKursverluste hinneh-
men – zum Beispiel die ADR desTesla-
Konkurrenten Nio, diePapiere vonYingli
Green Energy Holding, von Lentuo, von
JMU, von China ZenixAuto Internatio-
nal oder auch vonVisionchina Media.
Die Beziehungen zwischen den USA und China sind im Moment alles andere als harmonisch. ALY SONG / REUTERS
Nasdaq strenger
bei IPO aus China
gru.· Der Betreiber der US-Technolo-
giebörse Nasdaq will die Bedingungen
für chinesische Unternehmen, die ihre
Aktienkotieren lassen wollen, verschär-
fen. Die Anforderungen sollen erhöht
und der Prozess verlangsamt werden.
Dies berichtete die Nachrichtenagen-
turReuters.Auf derWebsite der Nas-
daq findet sichkeine entsprechende
Meldung. Die Agentur beruftsichauf
Investmentbanker und Unternehmens-
manager. Laut diesenPersonen bleibe
der Hauptteil der Aktien von kleinen
chinesischenFirmen nach derKotie-
rung in den USA in den Händen von
Chinesen. Das führe zu tiefen Handels-
umsätzen und einer ungewollt hohen
Volatilität.
Erster Vermögenswert traut sich auf die Blockchain
Vontobel bietet als erster Emittent ein strukturiertes Produktals Asset-Token an
WERNER GRUNDLEHNER
Nach eigenen Angaben ist Vontobel
weltweit der erste Emittent, derFinanz-
intermediären ein strukturiertes Produkt
inForm eines Asset-Tokens anbietet. Hat
dieBank damit dasRennen um dieToke-
nisierung vonVermögenswerten gewon-
nen? ZahlreicheBanken, die Schweizer
Börse und neueFinanzinstitute wie Seba
Bank oderSygnum arbeiten noch an der
Digitalisierung von Aktien und Co.
Bei diesem strukturierten Produkt
liegt derFall etwas anders als beikotier-
ten Aktien und Obligationen.Vontobel
emittiert die Derivate undkontrolliert da-
mit dasVolumen. DieToken bleiben im
Digital AssetVault beiVontobel verwahrt
- und wechseln bei einerTr ansaktion nur
vomVostro- ins Nostro-Wallet oder um-
gekehrt. Der Handel wird auf dem Smart
Contract, welcher dasFinanzprodukt
auf der Ethereum-Blockchain abbildet,
dokumentiert und abgewickelt.«Wir be-
halten dieKontrolle über dasToken»,sagt
Marco Hegglin, Head Business Manage-
ment desVontobel-Investment-Banking.
Bei Unstimmigkeitenkönnte dasToken
über den Smart Contract pausiert wer-
den, so dasskein Missbrauch möglich sei.
ImVisier hatVontobel über 1 00
Finanzintermediäre,die bereits heute
Global-Execution- und Custody-Dienst-
leistungen desTr ansaction-Banking, dar-
unter den Digital AssetVault, nutzen.
Damitkönnen Intermediäre ihre digita-
lenVermögenswerte wie herkömmliche
Anlageklassen innerhalb der Infrastruk-
tur kaufen und verwahrenmit Vontobel
als Depotstelle.
Als erster Finanzintermediärbie-
tet die Privatbank Lienhardt &Partner
die Möglichkeit, diese Blockchain-Stru-
kis zu handeln.DadiePartnerinstitute
untereinander bereits traditionell ab-
wickeln, werdenkeine Krypto-Franken
als Abrechnungswährung nötig, wie dies
bei derTokenisierung von herkömm-
lichen Aktien erforderlich wäre. Dies ist
ein weiterer Grund, wieso dieTokenisie-
rung für Strukis schneller erfolgte.Als
erstesToken-Produkt bietetVontobel
einTr acker-Zertifikat an, das auf dem
SwissResearchBasket basiert. DieKos-
ten für denKunden bestimmt die Haus-
bank, welche die Strukis bezieht. Dabei
der Emission über die Blockchainkeine
Börsengebühren und Courtagen anfal-
len, sollten die Blockchain-Strukis güns-
tiger sein als traditionelle Produkte.
WALL-STREET-NOTIZEN
Der IPO-Markt
sträubt sich
endlich
Absage des Wework-Börsengangs
hat Auswirkungen auf andere
KRIM DELKO, SAN FRANCISCO
Was in den letztenTagen am Markt für
Börsengänge (IPO-Markt) geschehen
ist,kann man sehr wohlals Ohrfeige an
dieBanker und Unternehmer bezeich-
nen, die ihre Startupsteils ohneRücksicht
auf Risiken undRenditen verschachern
wollten. Zuerstmusste der offenbarmil-
liardenschwereBörsengang vonWework
abgesagt werden, und später folgte der
IPO-Flop vonPeloton, einemkontrover-
senFitnessunternehmen.InWall-Street-
Kreisen wird dieReaktion der Anleger als
gutes Zeichen gedeutet, zumal diese IPO
von vielen als fragwürdige Investitionen
angesehen werden.
Enttäuschende Entwicklung
Doch die vergangeneWoche bot noch an-
dereSignale, dass der IPO-Markt in den
letztenJahren nicht ganzrichtig funktio-
niert hat. Zwei ehemalige Stars, oder Uni-
corns, Dropbox und Uber, haben sich mit
neuen strategischenAusrichtungen an die
Anleger gewendet.Das ist an sich nicht
ungewöhnlich. Doch in beidenFällen
haben sich die Aktien seit dem IPO ent-
täuschend entwickelt. Insofern sind die
Verantwortlichen gezwungen, Neues zu
bieten, um die nach wie vor hohe Markt-
kapitalisierung zurechtfertigen.
Dropbox- CEO Drew Houston hat als
Student am MIT in Boston eine Idee um-
gesetzt,bei der digitale Dokumenteeffi-
zienter gespeichert und unterFreunden
geteilt werdenkönnen.Daraus ist ein
Unternehmen geworden, das mit mehre-
ren Milliarden bewertet wurde. Doch mit
dem blossenAustausch von Dokumen-
ten lässt sich die massive Bewertung von
Dropbox nicht mehrrechtfertigen.Dazu
kommt, dassKonkurrenten wie Google
oder Microsoftmittlerweileebenfalls sehr
gute Alternativen bieten.
Houston hat deshalb letzteWoche zu
einer Show im Hafenquartier von San
Francisco geladen, bei der sein Unter-
nehmen den neuen strategischenFokus
vorstellte. Dabei soll Dropbox nicht mehr
nur dem Dokumentenaustausch dienen,
sondern das Zentrum des «SmartWork-
place» werden. Solche Pivots, wie stra-
tegische Richtungsänderungen imVal-
ley genannt werden,sind zwar nicht un-
gewöhnlich. Doch sie passieren meist in
der Startup-Phase. Problematisch werden
sieallerdings, wenn das Unternehmen mit
knapp 10 Mrd. $ Marktkapitalisierung
bereits an der Börse gehandelt wird.
Auch in der Chefetage von Uber nur
wenige Blocks entfernt vom Dropbox-
Hauptsitz ist letzteWoche ein Pivot an-
gekündigt worden.Dabei soll der Mit-
fahrdienst nicht mehr bloss zum Mitfah-
ren dienen, sondern in denWorten von
CEODaraKhosrowshahi zum «Betriebs-
system des Alltags» werden.Was Khos-
rowshahi damit meint,bleibt offen. Klar
ist , dass der Zwang zur Erneuerung bei
Uber grösser ist als bei Dropbox, zumal
Uber immer noch sehr viel Geld verliert.
Gesunde Ernüchterung
Khosrowshahi muss daher so schnell wie
möglich einenWeg finden, aus demWirr-
warrvon Dienstleistungen ein profitables
Geschäft zu machen. Uber und Dropbox
sind laut Analytikern Beispiele von IPO,
die zu früh an den Markt gekommen sind.
Sie haben ein gutes Geschäft, das jedoch
langfristig problematisch ist. Nun müs-
sen sie sich etwas Neues einfallen lassen.
Dasist jedoch umso schwerer, wenn man
bereits an der Börsekotiert ist und den
Geschäftsverlauf im Quartalstakt erklä-
ren muss. Zu hoffen bleibt, dass dieVor-
kommnisse der letztenWoche zur gesun-
den Ernüchterung am IPO-Markt führen.
Alibabaüberragt sie alle
Die grössten inNew York alsADR gehandelten
chinesischen Unternehmen
UnternehmenMarktkap. inMrd. $
Alibaba 428,6
JD.com 33,8
Netease 33,1
Baidu 27,8
Pinduoduo2 0
New Oriental Education &Technology 16,6
Ctrip.com International 16
TAL Education 12,7
ZTO Express 11,8
Autohome 10,1
QUELLE:FACTSET
Euro/Fr.
1,0854-0.20%
Dollar/Fr.
0,9925-0.54%
Gold($/oz.)
1479,000.91%
SMI
9952,50-1.25%
DAX
12263,83-1.32%
DowJones
26573,04-1.28%
Stand 22.1
2Uhr
Erdöl(Brent)
58,97-0.77%