Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus
ist auf Distanz zu den Plänen von Bun-
desinnenminister Horst Seehofer zur
Aufnahme von Bootsflüchtlingen ge-
gangen. Horst Seehofer kann dies wie
auch die Kritik seiner CSU-Parteifreun-
de nicht nachvollziehen.
VON MANUEL BEWARDER, JOHANNES BOIE,
RICARDA BREYTON UND JACQUES SCHUSTER
WELT AM SONNTAG:Herr Seehofer,
Ihre Entscheidung, künftig ein Viertel
der in Seenot geratenen Menschen
aufzunehmen, haben einige Ihrer
Freunde in der Union ablehnend quit-
tiert. Fühlen Sie sich missverstanden?
HORST SEEHOFER:Wir nehmen seit
knapp eineinhalb Jahren von jedem
Boot, das vor Italien oder Malta anlegt,
Flüchtlinge in Deutschland auf. In den
letzten 15 Monaten haben wir 225 Perso-
nen übernommen. Das ist kein Geheim-
nis, und darüber gab es bisher keine De-
batten. Die Regelung, die wir in Malta
als Vorschlag ausgearbeitet haben, soll
dieses Engagement in einem geordne-
ten Verfahren fortführen. Die aus See-
not Geretteten sollen zügig an Land ge-
hen dürfen und sollen dann in den Mit-
gliedstaaten verteilt werden, wo sie ein
ergebnisoffenes Asylverfahren durch-
laufen.
Und wenn es immer mehr werden?
Ich will keine Pull-Effekte. Wir wollen
mit dem Mechanismus auch in keinem
Fall das menschenverachtende Geschäft
der Schleuser unterstützen. Sollte der
Notfallmechanismus falsche Anreize
setzen oder missbraucht werden, kann
ich ihn jederzeit ohne weitere Konsulta-
tion einseitig für Deutschland beenden.
Ich bin entschlossen, bei Bedarf davon
Gebrauch zu machen.
Vor einem Jahr haben Sie gesagt, man
müsse das Rettungsschiff „Lifeline“
festsetzen. Heute bezeichnen Sie es
als „unglaublich“, sich für die Seenot-
rettung rechtfertigen zu müssen.
Haben Sie Ihre Meinung inzwischen
geändert?
Damals wie heute halte ich es für un-
glaublich, dass man sich als Politiker für
die Rettung von Ertrinkenden rechtfer-
tigen muss. Die Verantwortung dafür,
dass keine falschen Anreize an die
Schleuser ausgesendet werden, liegt
aber nicht allein bei den Regierungen.
Deswegen hat die neue italienische In-
nenministerin recht, wenn sie sich bei-
spielsweise um einen Verhaltenskodex
für NGOs bemüht. Wir werden einen
solchen Verhaltenskodex ausarbeiten,
auch wenn er sich derzeit nur auf ein
Schiff bezieht, das unter deutscher
Flagge fährt.
Welchen Verhaltenskodex müssen die
privaten Seenotretter einhalten?
Sie sollten sich auf die Seenotrettung
beschränken. Eine Zusammenarbeit
von NGOs mit Schleusern darf es nicht
geben. Das würde das Engagement der
Seenotretter massiv diskreditieren.
Wie viele der Menschen, die auf dem
Mittelmeer gerettet werden, haben
Anspruch auf Asyl?
Wir haben dazu noch keine belastbaren
Zahlen. In den 225 Fällen, die wir bis-
lang übernommen haben, lag der Wert
etwa bei 47 Prozent. Da kann es aber
starke Schwankungen geben, weil das
von vielen Faktoren abhängig ist.
Wenn Migranten wissen, dass ein
Viertel der Bootsflüchtlinge in
Deutschland aufgenommen wird,
könnte das ein Grund sein, sich in ein
Boot zu setzen.
Die Quoten sind noch gar nicht festge-
Bundesinnenminister Horst Seehofer über die neuen
Fluchtwege auf der Balkanroute, Regeln der Seenotrettung
und Hasstiraden im Internet. Den Rechtsradikalismus
hält er für eine der größten Gefahren in Deutschland
U
„Hass hat nichts
mit freier
Meinung zu tun“
10 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR.40 6.OKTOBER