Die Welt Kompakt - 06.10.2019

(John Hannent) #1

Reicher


Geldsegen


vom Staat


14 DEUTSCHLAND & DIE WELTDEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR.40 6.OKTOBER


as Wahljahr ist noch nicht zu Ende – die
Abstimmung in Thüringen kommt ja noch
–, doch klar ist: 2019 ist ein Jahr großer
Stimmenverschiebungen. Aber sorgen
diese auch für Verschiebungen bei den
Parteifinanzen? Die Regeln sind kompliziert: Jedes
Jahr fließt Staatsgeld an die Parteien auf Basis der
Wahlergebnisse der Vorjahre. So wird Anfang 2020 für
jede Partei ihr Stimmenkonto zum Ende des Jahres
2019 ermittelt. Zusammengezählt werden die absolu-
ten Listenstimmenzahlen bei den jeweils letzten Eu-
ropa-, Bundestags- und Landtagswahlen – also immer
von insgesamt 18 Wahlen. Für die ersten vier Millio-

nen Stimmen gibt es 1,02 Euro pro Stimme, für jede
weitere 84 Cent. Zudem bekommen die Parteien 45
Cent für jeden Euro, den sie als Mitgliedsbeitrag oder
Spende im vorangegangenen Jahr eingenommen ha-
ben. Dies gilt allerdings nur für maximal 3300 Euro je
natürlicher Person und Jahr.
Auch darf der Staatszuschuss nicht höher sein als
die Partei-Einnahmen, zu denen neben den Beiträgen
und Spenden in jeder Höhe auch sonstige Gewinne
zählen. Hat also eine Partei nur vier Millionen Euro
selbst eingenommen, so bekommt sie maximal vier
Millionen dazu. Dies gilt unabhängig davon, ob die
Partei ein hohes Landtagswahlergebnis erreicht hat,

wie etwa die AfD in Sachsen. Zwar zahlt das Bundes-
land 50 Cent pro Stimme an den AfD-Landesverband.
Die Summe wird jedoch der Bundespartei wieder ab-
gezogen.Der staatliche Zuschuss für alle Parteien ist
pro Jahr auf gut 190 Millionen Euro begrenzt. Über-
steigen die rechnerischen Ansprüche diese absolute
Obergrenze, werden die Beträge für alle Parteien pro-
portional gekappt. 2018 haben SPD und Union für eine
Anhebung der Obergrenze um 25 Millionen Euro ge-
sorgt. Die Oppositionsfraktionen haben dagegen beim
Bundesverfassungsgericht geklagt. Sollte Karlsruhe
die Erhöhung kippen, müssten die Parteien die Zu-
satzeinnahmen zurückzahlen. Matthias Kamann

Der große Kassensturz


Wahlergebnisseahlergebnisse


wirken sich auchirken sich auch


auf die staatlicheuf die staatliche


Finanzierung derinanzierung der


Parteien aus. Diearteien aus. Die


Regeln, nach denenegeln, nach denen


gezahlt wird, sindezahlt wird, sind


kompliziert – ompliziert –


und umstrittennd umstritten


Die SPD zählte in den letzten Jahren stets zu
den Hauptprofiteuren der staatlichen Par-
teienfinanzierung. In diesem Jahr erhielt sie
knapp 57 Millionen Euro – so viel wie keine
andere Partei. Das liegt daran, dass der Staat
nicht nur die Zahl der Wählerstimmen hono-
riert, sondern auch Einnahmen, die die Parteiriert, sondern auch Einnahmen, die die Partei
selbst erwirtschaftet. Die Summe der Mit-selbst erwirtschaftet. Die Summe der Mit-
gliederbeiträge und Spenden ist bei den
Sozialdemokraten traditionell hoch.
Doch der Puffer schwindet.Doch der Puffer schwindet.
Wie hoch die Einbußen genau ausfallen
werden, will die Partei nicht mitteilen. Derwerden, will die Partei nicht mitteilen. Der
Rechenschaftsbericht für 2018 sei noch nichtRechenschaftsbericht für 2018 sei noch nicht
fertig, heißt es. Schon jetzt soll aber derfertig, heißt es. Schon jetzt soll aber der
Parteivorstand von mehr als 40 auf 34Parteivorstand von mehr als 40 auf 34
Mitglieder beschränkt, die Zahl der stell-Mitglieder beschränkt, die Zahl der stell-
vertretenden Vorsitzenden von sechs aufvertretenden Vorsitzenden von sechs auf
drei halbiert werden. Im Willy-Brandt-drei halbiert werden. Im Willy-Brandt-
Haus sollen, so berichten es Mitarbeiter,Haus sollen, so berichten es Mitarbeiter,
in den kommenden drei Jahren mindestensin den kommenden drei Jahren mindestens
15 Prozent der Stellen wegfallen15 Prozent der Stellen wegfallen. Die Zahl
der Beschäftigten würde dann von knappder Beschäftigten würde dann von knapp
über 200 auf 170 sinken. Besonders schwie-über 200 auf 170 sinken. Besonders schwie-
rig wird es für manchen Landesverband.rig wird es für manchen Landesverband.
Die Sachsen-SPD etwa erhält im GegensatzDie Sachsen-SPD etwa erhält im Gegensatz
zur Bundespartei kaum Spenden, brauchtzur Bundespartei kaum Spenden, braucht
also das Geld vom Staat. „Klar ist, dass sichalso das Geld vom Staat. „Klar ist, dass sich
die miesen Wahlergebnissemiesen Wahlergebnisseim Land und in
Europa merkbar auf unsere Einnahmen aus-Europa merkbar auf unsere Einnahmen aus-
wirken werden“, sagt Landesgeschäftsführerwirken werden“, sagt Landesgeschäftsführer
Jens Wittig. Künftig müsse man bei „Per-Jens Wittig. Künftig müsse man bei „Per-
sonal und Rücklagen für Wahlkämpfe“ spa-sonal und Rücklagen für Wahlkämpfe“ spa-
ren. Zwar habe man Negativszenarien „bis zuren. Zwar habe man Negativszenarien „bis zu
einem gewissen Grad“ einkalkuliert. Sinkeneinem gewissen Grad“ einkalkuliert. Sinken
die Mittel noch weiter, geht es aber ir-die Mittel noch weiter, geht es aber ir-
gendwann an die Substanz.gendwann an die Substanz.

Der Puffer


schwindet


langsam


Mehr Geld für den nächsten Bundeswahl-
kampf. Die Parteizentrale wird ausgebaut.
Eine Wahlkampf-App und Intranet für Mit-
glieder – Michael Kellner, Bundesgeschäfts-
führer der Grünen, hat viele Pläne für den
Geldsegen aus der „staatlichen Grund- oder
Teilfinanzierung“. Knapp fünf Millionen Euro
mehr als im Vorjahr werden die Grünen vo-mehr als im Vorjahr werden die Grünen vo-
raussichtlich erhalten, raussichtlich erhalten, 24,6 Millionennach
19,9 Millione. Und die anrechenbaren Zu-19,9 Millione. Und die anrechenbaren Zu-
wendungen aus Mitglieds- und Mandats-wendungen aus Mitglieds- und Mandats-
beiträgen sowie Spenden bis 3300 Euro probeiträgen sowie Spenden bis 3300 Euro pro
Person lagen 2018 bei 20,4 Millionen Euro,Person lagen 2018 bei 20,4 Millionen Euro,
höher als im Bundestagswahljahr 2017. An-höher als im Bundestagswahljahr 2017. An-
fang September zählten die Grünen 90.000fang September zählten die Grünen 90.
Mitglieder, von denen allein im ersten Halb-Mitglieder, von denen allein im ersten Halb-
jahr 10.000 beigetreten waren. Das machtjahr 10.000 beigetreten waren. Das macht
2020 eine halbe Million Euroeine halbe Million Eurozusätzlich.
Laut Kellner betrug der WahlkampfetatLaut Kellner betrug der Wahlkampfetat
bislang nur rund ein Drittel der Summe,bislang nur rund ein Drittel der Summe,
die Union und SPD zur Verfügung ste-die Union und SPD zur Verfügung ste-
hen. „Bei der nächsten Wahl auf Bun-hen. „Bei der nächsten Wahl auf Bun-
desebene wollen wir zumindest aufdesebene wollen wir zumindest auf
die Hälfte der Etats der beidendie Hälfte der Etats der beiden
Dickschiffe kommen.“ 2018 hat dieDickschiffe kommen.“ 2018 hat die
Grünen-Bundestagsfraktion mitGrünen-Bundestagsfraktion mit
FDP und Linken eine FDP und Linken eine Verfas-
sungsklagesungsklagegegen die von Union
und SPD beschlossene Erhöhungund SPD beschlossene Erhöhung
der Parteienfinanzierung von 165 aufder Parteienfinanzierung von 165 auf
gut 190 Millionen Euro beschlossen.gut 190 Millionen Euro beschlossen.
Darum packen sie 13 Prozent der Steu-Darum packen sie 13 Prozent der Steu-
ergelder auf ein Sperrkonto: Entwederergelder auf ein Sperrkonto: Entweder
nun gibt Karlsruhe ihrer Klagenun gibt Karlsruhe ihrer Klage
recht. Oder die Partei er-recht. Oder die Partei er-
reicht nicht ihr Prozessziel –reicht nicht ihr Prozessziel –
verfügt aber über das Geld.verfügt aber über das Geld.

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