Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

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W


ährend der Applaus verebbt, blei-
ben die Preisträger noch minuten-
lang im Scheinwerferlicht stehen.
Von einer Jury sind sie zu den weltweit
bedeutendsten Erfindern unter 35 Jahren
gewählt worden; für viele ist es die wich-
tigste Auszeichnung in ihrer jungen For-
scherkarriere. Während die anderen noch
Selfies machen, eilt einer der Gewinner
schon von der Bühne. »Kommen Sie«,
sagt Qichao Hu, 33 Jahre, »ich zeige Ihnen
etwas.«
In eine Ecke des Festsaals am MIT in
Cambridge hat er seinen Rucksack auf ei-
nen Stuhl gestellt, sodass er ihn im Blick
behalten kann. »Dort drin«, erklärt er
stolz, »befinden sich unsere Bat-
teriezellen.« Dann kramt er
eine Box mit drei roten Kästen
heraus, jede etwa so groß wie
ein Backstein, aber so leicht wie
ein Paket Butter.
Doppelt so viel Energieinhalt
bei gleichem Gewicht – das hat
er geschafft. Seine Zellen ma-
chen Hu, Gründer der US-Fir-
ma SolidEnergy, zum jüngsten
Star der weltweiten Batterie -
forschung.
Doch er bewegt sich in einem
hart umkämpften Feld. Aus der
Suche nach dem neuen Super-
akku ist ein weltweiter Wettlauf
geworden. Laut der Unterneh-
mensberatung McKinsey haben
Automobilfirmen, Risikokapi-
talgeber und Philanthropen
Start-up-Firmen seit dem Jahr
2010 mit mehr als 14 Milliarden
Dollar ausgestattet – in den
USA, in China, Israel, aber auch
in Deutschland.
Gegenseitig überbieten sie
sich in ihren Versprechen. Erst
vor einigen Monaten veröffent-
lichte die deutsch-schweizeri-
sche Firma Innolith eine spek-
takuläre Meldung: Sie entwick-
le die erste wiederauflad bare
Batterie mit einer Energiedichte
von 1000 Wattstunden pro Ki-
logramm – ein unfassbar hoher
Wert, weit entfernt von allem,
was bisher machbar schien.
Bei der Akkuforschung geht
es um eine Schlüsseltechnologie


der Energiewende. Leistungsfähigere Bat-
terien sind eine Voraus setzung, um Strom
aus Sonne und Wind zu speichern, vor al-
lem aber um der Elektromobilität zum
Durchbruch zu verhelfen. Ein Akku für
E-Autos gilt als Königs disziplin, er soll
nicht nur möglichst viel Strom speichern,
sondern auch sicher sein und eine lange
Lebensdauer haben. Forscher wie Qichao
Hu sagen, sie stünden kurz vor dem Ziel.
Der Physiker wurde in Zentralchina ge-
boren. Als er zwölf Jahre alt war, zogen
seine Eltern, der Vater Ingenieur, die Mut-
ter Ärztin, mit ihm nach New York. Ihr
großer Wunsch: dass ihr Sohn es auf eine
der amerikanischen Eliteuniversitäten

schafft. Der junge Qichao arbeitete hart,
war bald der Beste in seiner Klasse. »Ich
habe früh begriffen«, sagt er, »welches Op-
fer meine Eltern für mich gebracht haben.«
Schon für seine Doktorarbeit forschte
er am MIT an neuen Batteriezelltechno-
logien. Anfangs hatten die Prototypen
aber einen gravierenden Mangel: Fiel die
Temperatur auf unter 85 Grad Celsius,
funktionierten sie nicht mehr. Mithilfe von
flüssigen Salzlösungen gelang es ihm, die
Betriebstemperatur immer weiter abzu-
senken.
Batterien sind eigentlich simpel auf -
gebaute Geräte. Sie bestehen aus zwei
Elektroden, die durch einen sogenannten
Elektrolyten voneinander getrennt sind.
Wird eine geladene Batterie an einen
Stromkreis angeschlossen, geben die Ato-
me in der negativ geladenen Elektrode
Elektronen ab, die dann zur positiven
Elektrode wandern – auf diese Weise fließt
Strom, der Handys oder Motoren antreibt
(siehe Grafik).
Für die Komponenten steht eine riesige
Auswahl an Materialien zur Verfügung. In-
genieure experimentieren mit Natrium,
Magnesium und Schwefel, mit
Zink, Eisen und Blei, mit festen
und flüssigen Elektrolyten. Jede
Variante wirkt sich auf die Ener-
giedichte der Batterie aus, die
Lebensdauer, die Sicherheit
und die Kosten. Die Kunst be-
steht darin, die Energie zu er-
höhen, ohne dadurch große Ein-
bußen bei den anderen Eigen-
schaften zu erleiden.
Die letzte Innovation auf
dem Gebiet der Akkus liegt fast
drei Jahrzehnte zurück. 1991
brachte der japanische Sony-
Konzern die erste aufladbare Li-
thium-Ionen-Batterie auf den
Markt. Diese Akkus stecken
heute in jedem Handy, in jedem
elektrischen Rasenmäher und
E-Auto. Doch seit der Serienrei-
fe hat sich ihre Energiedichte ge-
rade einmal verdoppelt.
Bei Lithium-Ionen-Akkus
werden die Lithiumatome in
dem Elektrodenmaterial einge-
lagert wie Bücher in einem Re-
gal. Wenn Forscher ein anderes
Material wählen, können sie
mehr Platz im Regal schaffen:
also mehr Lithiumatome, das
bedeutet mehr gespeicherte
Energie. Manche Forscher hof-
fen, dass sie die Energiedichte
von Lithium-Ionen-Batterien so
mit Mühe um die Hälfte oder
sogar noch mehr hochschrau-
ben können. Doch in einem
sind sie sich einig: Mit dieser
Technologie wird ein Auto

Technik

Unter Strom


MobilitätWissenschaftler und Start-ups forschen an der
Superbatterie der Zukunft, um erneuerbaren

Energien und Elektroautos zum Durchbruch zu verhelfen.


PATRICK JUNKER / DER SPIEGEL
Innolith-Geschäftsführer Borck
Geheimes Rezept
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