Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

ohne Zwischenstopp niemals 1000 Kilo-
meter weit fahren.
Um noch mehr Lithium in ihrer Elek-
trode, dem Bücherregal, unterbringen zu
können, bedienen sich Forscher wie Hu
deshalb eines Tricks: Sie bauen das Regal
selbst aus Lithium. Im Vergleich zu den
derzeit besten Akkus ließe sich die Ener-
giedichte dadurch vervielfachen – und da-
mit die Reichweite eines E-Autos.
Die Idee einer solchen Lithium-Metall-
Batterie ist nicht neu. Bisher scheiterten
Ingenieure jedoch an den Tücken der Che-
mie: Lithium ist hochreaktiv. Kommt es
mit dem Elektrolyten direkt in Berührung,
entlädt sich der Akku selbst. Auch besteht
die Gefahr, dass es zu Kurzschlüssen
kommt und der Akku sogar explodiert.
Qichao Hu ist allerdings davon über-
zeugt, dass er den schwierigen Stoff im-
mer besser in den Griff bekommt. Die
Zentrale seiner Firma liegt in einem Flach-
bau im Industriegebiet der Stadt Woburn,
einige Kilometer nördlich von Boston. Im
dortigen Labor tüftelte Hu an einer spe-
ziellen Schutzschicht für die Lithiumelek-
trode. Vor allem aber feilte er mit seinen
Mitarbeitern jahrelang an der richtigen Re-
zeptur des Elektrolyten. Inzwischen ist er
sicher, die Zauberformel gefunden zu haben.
Der Physiker Hu scheint stets in Eile zu
sein. Er spricht mit einer Geschwindigkeit,
als wollte er auch dabei einen Rekord
aufstellen. Seine Frau und sein Kind sieht
er im Moment nur am Wochenende, sie le-
ben mehrere Autostunden von Woburn ent-
fernt. Und zur Preisfeier nach Cambridge
brachte Hu seine Batterien deshalb mit, weil
er von dort direkt weiter nach China flog.
In der Technologiestadt Shen zhen baute er
seine Batterien in eine Drohne ein und prä-
sentierte sie potenziellen Kunden. »Mit un-
seren Zellen können wir die Flugzeit von
Drohnen auf eine Stunde steigern«, sagt er.
In China lässt Hu derzeit auch eine
Fabrik für die Serienproduktion seiner Bat-
terien errichten, zunächst für den Droh-
neneinsatz. Bereits Ende des Jahres sollen
die ersten Zellen in Shanghai vom Band
laufen. »Wir liefern die leichtesten auflad-
baren Akkus der Welt«, sagt Hu.
Für jede Anwendung muss die Zellche-
mie indes neu justiert werden. Während
die Batterien für Drohnen vor allem leicht
sein müssen, ist beim E-Auto die Lebens-
dauer wichtiger. Im Laborversuch ist es
bereits gelungen, die Zahl der Ladezyklen
auf 600 zu erhöhen. In den kommenden
zwei bis drei Jahren sollen bis zu 1000 La-
dezyklen erreicht werden. »Das ist auf der
technologischen Seite unsere größte He-
rausforderung«, gibt Hu zu.
Ob sie diese Hürde meistern, entschei-
det über das Schicksal der Firma. »Unter-
nehmen wie unseres sind fragil«, räumt
Hu ein. »Die einen starten durch, die an-
deren scheitern.«


DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019 117


Energie in Schichten Funktionsweise der Lithium-Metall-Batterie


Entladen
Die Lithium-Atome geben Elektronen ab.
Diese treiben einen Verbraucher an. Die positiven
Lithium-Ionen wandern von der Anode durch
eine Trennschicht, den Elektrolyten, zur Kathode.

1

Kathode
beispielsweise
Schwefel

Anode
Lithium-
Metall

Elektronen

Aufladen
Die Lithium-Ionen wandern durch den
Elektrolyten zurück, um wieder die Elektronen
zu binden, die von einer externen Stromquelle
zurück befördert werden.

2

Elektrolyt

Lithium-Ionen

Die Szene der Batterie-Start-ups ist
schnelllebig. Allein in Woburn, wo die
Raummiete günstig und die nächste Auto-
bahn nah ist, haben sich etliche Unter -
nehmen angesiedelt. Neben SolidEnergy
sitzen hier Ionic Materials, das an einem
Feststoff-Elektrolyten arbeitet, und Pellion
Technologies. Vor einem Jahr schrieb ein
Onlinemagazin über Pellion, eine »große
Innovation könnte bevorstehen«.
Auch Pellion setzte auf Lithium-Metall-
Batterien. Doch wer heute am Firmenge-
bäude vorbeifährt, findet die Halle verlas-
sen vor. Im Eingangsbereich stapeln sich
Briefe und Kataloge. Das Telefon hebt nie-
mand ab, E-Mails an die Firmengründer
bleiben unbeantwortet. Was aus dem Un-
ternehmen geworden ist: unklar.
Markus Borck weiß, wie schwierig es
ist, in der Batteriebranche Erfolg zu haben.
Er musste schon zweimal wieder von vorn
anfangen. Borck ist Chef der Firma Inno-
lith Science & Technology – jenes Batterie-
Start-ups aus dem baden-württember -
gischen Bruchsal, das die revolutionäre
Batterie mit 1000 Wattstunden pro Kilo-
gramm angekündigt hat.
Anders als Hu ist Borck ein bedächti-
ger Redner. In den Neunzigerjahren stu-
dierte er in Karlsruhe Elektrotechnik. Er

trägt die langen Haare zusammengebun-
den, um den Arm Lederbändchen. In
seiner Freizeit spielt er E-Bass Рȟber
Kopf hörer, um meine Partnerin nicht zu
nerven«.
Seine letzte Insolvenz erlitt Borck mit
seinem Vorgängerunternehmen Alevo. Er
sagt, an der Technologie habe es nicht
gelegen. Doch die Investoren hätten zu
schnell auf Massenfertigung gedrängt: »Im
Rückblick muss man sagen: Das war zu
hoch gesprungen.«
Borck sagt, er habe aus dem Fehler ge-
lernt. Auch die Wissenschaftler von Inno-
lith arbeiten wie SolidEnergy an Lithium-
Metall-Batterien, setzen aber auf ein völlig
anderes und natürlich geheimes Rezept für
den Elektrolyten. In einem Großspeicher
kommt er schon zum Einsatz. Borck verrät
nur so viel: Die Flüssigkeit enthalte keine
Kohlenwasserstoffe und damit »nichts, was
sich entzünden lässt«.
In einem Laborraum zeigt er eine luft-
dicht verschlossene Box. Darin führen die
Forscher die Komponenten ihres Akkus
zusammen. »Als wir zum ersten Mal die
darin gespeicherte Energie gemessen ha-
ben, wich das Ergebnis weit von unseren
Erwartungen ab – nach oben.«
Noch funktioniert die Wunderbatterie
nur im Reagenzglas. Ein unabhängiges
Prüflabor, versichert der Ingenieur, habe
aber die sagenhafte Energiedichte be -
scheinigt.
Die Firma hat sich die Rezeptur paten-
tieren lassen, in drei bis fünf Jahren soll
der Wunderakku marktreif sein. Aber so
lange muss die Firma erst einmal durch-
halten. Der Vorstandsvorsitzende von In-
nolith sagt, das Unternehmen sei solide
mit Geld ausgestattet, dank einer privaten
Vermögensgesellschaft mit Sitz in Monaco.
Ein weiteres Mal, sagt Borck, möchte er
keinen Insolvenzverwalter treffen.
Physiker Hu Martin Schlak
»Wir liefern die leichtesten Akkus der Welt«
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