Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1
THE NEWYORKTIMES/REDUX/LAIF / TOM BRENNER/THE NEW YORK TIMES

D


er 25. Juli 2019 ist nach allem,
was man weiß, ein erfreulicher
Tag im Leben des Donald Trump.
Der Präsident ist an diesem Don-
nerstagmorgen wieder einmal sehr früh
aufgewacht. Um kurz nach vier twittert er
einige Schnipsel aus dem Programm seines
Lieblingssenders Fox News, die ihm be-
sonders gut gefallen haben. Ausnahmswei-
se hält auch die Titelseite der »New York
Times« gute Nachrichten für ihn bereit.
Dort ist zu lesen, dass der Auftritt des Russ-
land-Sonderermittlers Robert Mueller vor
dem Kongress am Tag zuvor so kläglich
war, dass Trump wohl kein Amtsent -
hebungsverfahren fürchten muss.
Die Welt stellt sich für den Präsidenten
an jenem Morgen so dar: Es ist erwiesen,
dass russische Hacker im US-Wahlkampf
2016 eine riesige Desinformationskampa-
gne lostraten, um ihn, Donald Trump, zu
unterstützen und Hillary Clinton zu scha-
den. Es ist erwiesen, dass Trump bereit
war, die Hilfe der Russen in Anspruch zu
nehmen. Belegt sind zudem mehr als
100 Kontakte zwischen Trumps Wahl-
kampfteam und den Russen.
Außerdem köcheln viele kleinere Ver-
fehlungen. Da ist die Tatsache, dass Trump
Schweigegeld an eine Pornodarstellerin
zahlte, um eine Affäre zu verheimlichen,
da ist auch Trumps früherer Anwalt, der
von seinem Boss aufgefordert wurde, das
amerikanische Volk zu belügen.
In normalen Zeiten würde womöglich
schon einer dieser Skandale genügen, um
den Präsidenten zu Fall zu bringen. An
Trump indes perlt alles ab, als wäre er un-
verwundbar. Als stimmte sein Spruch, er
könnte auf der Fifth Avenue in New York
einen Mann erschießen und würde doch
keinen einzigen Wähler verlieren. Wohl
in dieser Stimmung führt Trump ein Tele-
fonat mit dem neuen ukrainischen Präsi-
denten Wolodymyr Selenskyj.
Das Gespräch zwischen Selenskyj und
Trump wird zum Beginn der Ukraine -
affäre, die lange schwelt und sich dann, in
dieser Woche, in einer politischen Explo-
sion entlädt. Das Telefonat wird zum Ur-
knall des Skandals, der nun ziemlich si-
cher in ein Amtsenthebungsverfahren ge-
gen den 45. Präsidenten der Vereinigten
Staaten münden wird. So haben es die De-


mokraten um Nancy Pelosi entschieden,
die Vorsitzende des US-Repräsentanten-
hauses.
Trump und Selenskyj sind zwei Männer,
deren Karrieren unterschiedlicher kaum
sein könnten. Selenskyj ist seit Mitte Mai
im Amt, 41 Jahre alt, er hat bis vor Kurzem
als Schauspieler und Komiker gearbeitet.
Die Präsidentschaftswahlen gewann er
auch deshalb, weil sein Volk genug von
dem quälenden Krieg in der Ostukraine
hat. Selenskyj tritt als Reformer auf, er will
die Ukraine nach Jahren der Krise und
Korruption aufpäppeln, er will auch unab-
hängiger von Russland werden. Dafür
braucht er die Unterstützung der USA.
Vor allem: Er braucht Geld.
Trump ist 73 und das Gegenteil eines
Reformers. Nicht lange vor dem Telefon-
gespräch wies er sein Außen- und sein Ver-

teidigungsministerium an, knapp 400 Mil-
lionen Dollar an Finanzhilfen einzufrieren,
die für die Ukraine vorgesehen waren.
Sein eigentliches Ziel ist offenbar Joe
Biden, der frühere Vizepräsident, der laut
Umfragen die größte Chance auf eine No-
minierung als Präsidentschaftskandidat
der Demokraten hat. Trump glaubt, dass
Biden eine entscheidende Schwachstelle
hat: seinen Sohn Hunter Biden, der Ge-
schäfte in der Ukraine machte. Trump will,
dass Selenskyj ihm in dieser Angelegenheit
hilft. Er hofft wohl auf einen Deal mit der
Ukraine: Geld gegen Wahlkampfhilfe.
Der Präsident macht sich nicht die
Mühe, für das Gespräch ins Oval Office
zu gehen, er beginnt es um 9.03 Uhr in
seiner Privatwohnung im Weißen Haus.
Er habe die ukrainische Parlamentswahl
verfolgt, sagt Trump zu Selenskyj: »Groß-
artiger Sieg.«
Selenskyj bedankt sich. Er habe hart für
den Triumph gearbeitet, »aber ich darf Ih-
nen gestehen, dass ich die Gelegenheit hat-
te, von Ihnen zu lernen«.

Dann kommt Trump auf sein eigent -
liches Anliegen zu sprechen. »Ich möchte,
dass Sie uns einen Gefallen tun«, sagt er.
Es gebe viel Gerede um den Sohn von Joe
Biden. Da sei das Gerücht, dass Biden als
Vizepräsident staatsanwaltschaftliche Er-
mittlungen in der Ukraine behindert habe.
»Wenn Sie sich das also einmal ansehen
könnten – für mich jedenfalls klingt das
furchtbar.« Er werde seinen Justizminister
sowie seinen persönlichen Anwalt beauf-
tragen, mit Selenskyjs Leuten in Kontakt
zu treten. Nach 30 Minuten legen die bei-
den auf.
Das Telefonat wird von Mitarbeitern
des Weißen Hauses protokolliert – und ein
Whistleblower sorgt später dafür, dass die
Sache bekannt wird.
Das Erinnerungsprotokoll des Telefo-
nats, das vom Weißen Haus am Mittwoch
dieser Woche veröffentlicht wurde, ist fünf
Seiten lang. Es ist ein bizarres Dokument
der Zeitgeschichte. Es entlarvt einen US-
Präsidenten, der seine Macht nutzt, um ei-
nem politischen Widersacher zu schaden.
Die Finanzhilfe für die Ukraine, die er ein-
frieren ließ, erwähnt Trump nicht, muss
er aber auch nicht. Die Botschaft dürfte
angekommen sein: Trump erwartet, dass
Selenskyj über Biden alles liefert, was er
bekommen kann. Sonst fließt kein Geld.
Er sitzt am längeren Hebel, das hat der
US-Präsident unmissverständlich klarge-
macht, als er von Selenskyj einen »Gefal-
len« verlangte. Trump, der Erpresser.
Die Frage ist nun, ob das Telefonat nur
eine weitere Skandalgeschichte bleibt, die
an Trump abperlt. Oder ob der Präsident
in seiner Hybris den entscheidenden Schritt
zu weit gegangen ist. Wenn ihm zweifelsfrei
nachzuweisen sein sollte, dass er von einer
fremden Regierung verlangte, Schmutz ge-
gen seinen Kontrahenten zu sammeln, wäre
das ein Verstoß gegen die Verfassung.
Schon jetzt ist das Telefonat mit Kiew zu
einem wichtigen Indiz für das korrumpie-
rende Verhalten Trumps geworden.
Erst zweimal in der Geschichte der USA
wurde formal ein Impeachment-Verfahren
gegen einen Präsidenten eröffnet. Pelosis
Botschaft war klar: Das wird die große,
wahre Schlacht gegen Trump.
Was nun beginnt, ist ein Nervenkrieg.
Auf der Bühne stehen ein bislang nament-

12 DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019


Titel

American Roulette


USABislang überstand Donald Trump sämtliche Affären. Nun könnte ihm ein Telefonat


mit dem ukrainischen Präsidenten zum Verhängnis werden. Die Demokraten
wollen ein Amtsenthebungsverfahren einleiten – mit enormem Risiko für beide Seiten.

Trump hofft wohl auf
einen Deal mit der
Ukraine: Geld gegen
Wahlkampfhilfe.
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