Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

Kino


Diabolisch schön


 In einem verwunschenen Garten mit
Zauberwald und Giftpilzen steht das
prächtige Herrenhaus, das die beiden
jungen Heldinnen in dem Film »We Have
Always Lived in the Castle« fast allein
bewohnen – bis ein strahlend gut aus -
sehender Schönling sich zwischen die bei-
den Schwestern drängt. Die Schauer -
romane der US-amerikanischen, 1965 im
Alter von 48 Jahren gestorbenen Autorin
Shirley Jackson werden von Schriftsteller-
kollegen wie Stephen King schon lange
verehrt und kamen in jüngster Zeit durch
die auf einer Jackson-Vorlage beruhen-


den Netflix-Serie »Spuk in Hill House«
zu neuem Ruhm. Nun hat die Regisseurin
Stacie Passon einen wunderbar altmodi-
schen und diabolisch schönen Mystery-

film aus Jacksons Klassiker »We Have
Always Lived in the Castle« gemacht.
Die 18-jährige Merricat (mit Greta-Thun-
berg-Grimmigkeit: Taissa Farmiga) und
ihre wenig ältere Schwester Constance
(Alexandra Daddario) werden von den
Bewohnern einer amerikanischen Klein-
stadt schief angesehen, weil man sie
verdächtigt, ihren tyrannischen Vater per
Giftmischerei entsorgt zu haben. Die
Regisseurin Passon zeigt in tückisch ruhi-
gen, präzise komponierten Bildern, wie
die Spießergemeinschaft und ein plötzlich
auftauchender Cousin (Sebastian Stan)
den Schwesternbund attackieren – und fei-
ert die Verteidigungsschlacht der Frauen
mit surrealem Witz. HÖB

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Kultur

Musik


Deichzitronen


 Irgendwann steckt sich Lars Eidinger zwei kleine Maiskolben
in die Nase und einen Oktopus in den Mund, lässt die Tentakeln
baumeln und stiert in die Kamera wie ein Monster von H. P.
Lovecraft – ein Cthulhu des Konsums. Auf den Clip zu »Richtig
gutes Zeug« folgt nun mit »Wer sagt denn das?« das siebte


Album von Deichkind, Spaßguerilla und Künstlerkollektiv aus
Hamburg. Ihr Elektropunk ruft »Party!« und erinnert an Scoo-
ter, ihre Texte rufen »Revolution!« und erinnern an die Golde-
nen Zitronen. Es geht um Fake News, Binge Watching, Algorith-
men und autonomes Fahren. Zu den Gästen zählen Jan Böhmer-
mann und Olli Schulz, deren Beitrag man aber kaum erkennt.
Dafür klingt »1000 Jahre Bier«, als wäre es von Rammstein – ist
aber ohne Till Lindemann entstanden. Der Humor von Deich-
kind ist eben nicht jedermanns Sache.FRA

Der moderne Mensch ist der Autor seines Körpers. ‣S. 130

DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019

TIM BRUENING

Deichkind-Musiker,
Eidinger (nackt hinten)

KINOSTAR
Farmiga in »We Have Always Lived ...«
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