Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1
435 Sitze

198 Republikaner

Krise in Washington
Wie ein »Impeachment« funktioniert

Repräsentantenhaus
Das Repräsentantenhaus kann Vorwürfe gegen
den US-Präsidenten wegen Amtsmissbrauch
untersuchen und dem Rechtsausschuss vorlegen.

Senat
Der Senat führt den
Impeachment-Prozess durch.

Da die Demokraten in der Mehrheit sind, könnte
einem Impeachment gegen Donald Trump durch
das Repräsentantenhaus zugestimmt werden.

Falls die Senatoren den Präsidenten für
schuldig befinden, ist er des Amtes enthoben –
ohne Berufungsmöglichkeit. In diesem Fall würde
Vizepräsident Mike Pence das Amt übernehmen.
Bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen
im Senat ist das eher unwahrscheinlich.

Abstimmung
Es reicht eine einfache Mehrheit (218 Stimmen),
um ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten.

Abstimmung
Es ist eine Zweidrittelmehrheit
(67 Stimmen) nötig, um den Präsidenten
zu verurteilen.

falls die
Ergebnisse belastend
sind

235 Demokraten

100 Sitze

53 Republikaner 45 Demokraten

parteilos: 1
vakant: 1

parteilos: 2

Weiterleitung
der Anklage

am Ende
des Prozesses

Entscheidung

schung beruht dem Schreiben zufolge auf
Auskünften »mehrerer US-Beamter«.
Mit anderen Worten: In der Regierung
wuchs nach dem Telefongespräch die
Sorge, dass dies politisch gefährlich wer-
den könnte. Der Whistleblower nutzt den
vorgeschriebenen Weg, um sich zu be-
schweren.
Atkinson, der Generalinspekteur, be-
kleidet seinen Posten erst seit knapp ein-
einhalb Jahren, gilt aber über Parteigren-
zen hinweg als kompetent und fair. Nach
einer Prüfung der Beschwerde kommt er
zu dem Schluss: Sie ist glaubhaft, und der
ihr zugrunde liegende Sachverhalt sei eine
»dringliche Angelegenheit« (»urgent con-
cern«). Atkinson tut, was das Gesetz vor-
sieht: Er leitet die Beschwerde an Joseph
Maguire, den kommissarischen Nationa-
len Geheimdienstdirektor, weiter.
Maguire wurde von Trump im August
als Nachfolger des zurückgetretenen Da-
niel Coats ernannt, er koordiniert sämt -
liche Nachrichtendienste der USA. Eigent-
lich sollte Maguire die Beschwerde des
Whistleblowers binnen sieben Tagen an
die Geheimdienstausschüsse des Kongres-
ses weiterleiten, so sieht es das Gesetz vor.
Maguire weigert sich aber, das zu tun. Die
Begründung: Die Beschwerde des Whistle -
blowers sei nicht statthaft, da sie nicht aus
der Geheimdienst-Community stamme.
Außerdem würde eine Herausgabe an den
Kongress das Recht des Präsidenten ver-
letzen, selbst über die Weitergabe vertrau-
licher Informationen zu entscheiden.
Was sich entfaltet, ist ein politisches Dra-
ma. Die Demokraten sehen in Maguires
Entscheidung einen Verstoß gegen das Ge-
setz, wenn nicht einen Anschlag auf die
Gewaltenteilung. Adam Schiff, Vorsitzen-
der des Geheimdienstausschusses im Re-
präsentantenhaus, entschließt sich zu ei-
nem spektakulären Schritt: Er macht den
Vorgang öffentlich. So erfährt die Welt die
Umrisse des Skandals.


Impeachment-Poker:
Alles oder nichts

Es gibt keinen Menschen in der westlichen
Welt, der über mehr Macht verfügt als der
Präsident der Vereinigten Staaten. Als
Chef der Exekutive herrscht er über das
Militär, die Außenpolitik, den Beamten -
apparat und die Geheimdienste. Die Grün-
dungsväter der Republik wollten daher si-
cherstellen, die Machtfülle einzuhegen.
Der Präsident soll stets alle Gesetze achten
und sein Amt gewissenhaft ausüben, steht
in der Verfassung von 1787. So ist es auch
im Amtseid niedergeschrieben, den alle
Präsidenten ablegen.
Trumps Versuch, den Präsidenten eines
anderen Landes zu Ermittlungen gegen
einen politischen Rivalen anzustacheln,
kann als Verstoß gegen die Verfassung ge-

sehen werden. Die Aufforderung an Selen-
skyj, gegen Biden zu ermitteln, erfolgte
mit dem Ziel, einem politischen Wider -
sacher im Wahlkampf zu schaden.
Dass Trump womöglich auch noch staat-
liche Gelder einsetzte, rund 400 Millionen
Dollar Militärhilfe für die Ukraine, um sein
Ziel zu erreichen, macht die Sache nur bri-
santer. Hinzu kommt ein anderer mögli-
cher Verfassungsverstoß: Die Einmischung
äußerer Mächte in die inneren Angelegen-
heiten der USA ist laut Gesetz strikt un-
tersagt. Wenn Trump ein fremdes Land
dazu auffordert, die US-Wahlen durch Er-
mittlungen gegen einen Kandidaten zu be-
einflussen, kann dies ebenfalls einen Ver-
stoß gegen den Amtseid darstellen.
Reicht das alles, um Trump des Amtes
zu entheben? Vor 21 Jahren versank Wa-
shington schon einmal im Fieber eines Im-
peachment-Verfahrens. Im Januar 1998 pu-
blizierte der Internet-Klatschreporter Matt
Drudge die Affäre von Präsident Bill Clin-
ton mit der Praktikantin Monica Lewinsky.
Clinton verstrickte sich in Lügen, auch un-
ter Eid. Im Dezember 1998 stimmte die
republikanische Mehrheit im Repräsentan-
tenhaus dafür, ein Impeachment gegen
Clinton einzuleiten.
Impeachment ist die einzige in der US-
Verfassung verankerte Methode, mit der
das Parlament einen Präsidenten oder Vi-
zepräsidenten außerhalb der Wahlen ver-
suchen kann abzusetzen. Dem Amtsinha-
ber müssen dafür »Landesverrat, Beste-
chung oder andere schwere Verbrechen
und Vergehen« (»high Crimes and Mis -
demeanors«) nachgewiesen werden.
Das Votum der Abgeordneten ist der
erste Schritt in einem zweistufigen Prozess.
Der zweite Schritt ist ein Verfahren im Se-
nat. Am Ende müssen einer Verurteilung
zwei Drittel dieser Kammer zustimmen,
also mindestens 67 von 100 Senatoren.
Erst dann kann ein Präsident seines Amtes
enthoben werden.
Das Problem ist, dass die Impeachment-
Klauseln selten in der Praxis getestet wur-
den. Vor Trump gab es erst zwei Präsiden-
ten, gegen die ein Amtsenthebungsverfah-
ren eingeleitet wurde: Im Jahr 1868 traf
es Andrew Johnson, den Nachfolger von
Abraham Lincoln, 1998 Bill Clinton. Ri-
chard Nixon, der in die Watergate-Affäre
verstrickt war, entzog sich einer drohen-
den Amtsenthebung 1974 durch seinen
Rücktritt. Sein Fall weist Parallelen zur
Gegenwart auf: Auch Nixon sammelte In-
formationen über seine Gegner, auch er
unterschätzte die Gefahr der Ermittlungen.
Sowohl Johnson als auch Clinton überstan-
den das Verfahren, weil sich im Senat nicht
die notwendige Zweidrittelmehrheit fand.
Als Clinton 1998 auf ein Impeachment
zusteuerte, legte sich eine dunkle Wolke
über Washington. Über Monate hinweg ab-
sorbierte der Skandal die Aufmerksamkeit

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