Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

CARLOS BARRIA / REUTERS


des Landes, vergiftete das politische Klima
und riss Gräben zwischen Demokraten, Re-
publikanern und den Medien auf.
Pelosi erklärte am Dienstag, dass die
sechs Ausschüsse im Repräsentantenhaus
die Vorwürfe gegen Trump prüfen sollen,
bevor die Demokraten formell das Im -
peach ment einleiten. Dass es so weit kom-
men wird, daran gibt es kaum noch einen
Zweifel. Hat das Repräsentantenhaus erst
einmal abgestimmt, beginnt im Senat ein
»Prozess« gegen den Präsidenten. Den
Vorsitz führt dabei der jeweilige Oberste
Richter am Supreme Court.
Im Falle Clintons war das der Jurist Wil-
liam Rehnquist. Republikanische Kon-
gressabgeordnete fungierten damals als
»Ankläger«, Clintons Anwälte als »Vertei-
diger«, die Senatoren als »Geschworene«.
Es gab eine öffentliche Verhandlung, doch
am Ende fand sich in der Kammer nicht
die notwendige Zweidrittelmehrheit.
Derzeit hat die Partei von Donald
Trump mit 53 Sitzen eine Mehrheit im Se-
nat. Es müssten also mindestens 20 repu-
blikanische Senatoren zur Gegenseite
überlaufen. Das kann man bislang nahezu
ausschließen.
Die Frage ist, ob das Verfahren über-
haupt bis in den Senat gelangt. Eine

obsku re, aber nicht total abwegige Option:
Mitch McConnell, der Mehrheitsführer im
Senat, könnte womöglich den Prozess vor
der Präsidentschaftswahl im Herbst 2020
gar nicht erst auf die Tagesordnung brin-
gen. Trump würde die zweite Stufe des
Verfahrens einfach aussitzen.

Nancy Pelosi:
Das Dilemma der Demokraten

Wie werden wir Trump los? Keine Frage
beschäftigt die Demokraten derart dring-
lich wie diese. Seit der Wahl Trumps im
November 2016 erwartet die Partei fast
wöchentlich, dass die Präsidentschaft ein
vorzeitiges Ende finden wird. Die Hoff-
nungen hängen zunächst an Robert Muel-
ler, dem ehemaligen FBI-Chef, der als Son-
derermittler in der Russlandaffäre fast
zwei Jahre lang rund 500 Zeugen verneh-
men lässt.
Die Erwartungen an Mueller werden
aber spätestens am 24. Juli 2019 zer-
schmettert, als der Sonderermittler vor
zwei Ausschüssen des Repräsentantenhau-
ses aussagt. Mueller ist fahrig, stolpert
über seine eigenen Sätze und wirkt nicht
wie ein schneidiger Ermittler, sondern wie
ein alter Mann im falschen Film.

Kaum etwas hat die Demokraten so de-
moralisiert wie dieser Auftritt. Muellers
schriftlicher Bericht, mehrere Hundert
Seiten, hatte ja alle Zutaten, um den Prä-
sidenten ins Wanken zu bringen: Der Son-
derermittler wies nach, dass Trump mas-
sive Wahlkampfunterstützung aus Moskau
erhalten hatte. Er belegte, wo der Präsi-
dent gelogen hatte, und sprach ihn aus-
drücklich nicht von dem Vorwurf frei, die
Justiz behindert zu haben. Was jedoch in
den Köpfen vieler Amerikaner hängen
bleibt, ist der stotternde und bisweilen ver-
wirrt erscheinende Mueller.
Über Monate hat die Arbeit des Son-
derermittlers den Richtungsstreit bei den
Demokraten überdeckt. Nun, nach seinem
Auftritt vor dem Kongress, bricht er offen
aus. Linke Abgeordnete treten dafür ein,
den Kampf gegen Trump in die eigene
Hand zu nehmen und ein Amtsenthebungs -
verfahren einzuleiten. Zu den Rädels -
führern dieses parteiinternen Aufstands
zählt die New Yorker Abgeordnete Ale-
xandria Ocasio-Cortez, die von ihren Fans
AOC genannt wird, ein Star der Linken,
29 Jahre alt.
Es dauert nicht lange, bis Ocasio-Cortez
sich in offenem Konflikt mit Nancy Pelosi
befindet. Pelosi, 79, sitzt seit 1987 im Kon-

DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019 17

Unternehmer Hunter Biden, Vizepräsident Joe Biden 2009: »Es war, als würde man ihn zutiefst verletzen«
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