Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

gress. Es war der Triumph ihres Lebens, als
sie mit ihrer Partei im Herbst 2018 die Mehr-
heit im Repräsentantenhaus zurückeroberte.
Aus ihrer Sicht lag der Sieg nicht in ra-
dikalen Ideen begründet, sondern in nüch-
terner Sacharbeit. Pelosi hört lieber auf
Umfragewerte als auf das Herz der linken
Basis. Umfragen geben ihr recht: 56 Pro-
zent der Amerikaner wollen nicht, dass
gegen Trump ein Amtsenthebungsverfah-
ren eingeleitet wird.
Im Lauf des Sommers spitzt sich der
Streit zwischen Ocasio-Cortez und Pelosi
zu. AOC macht keinen Hehl daraus, dass
sie Pelosi für eine ängstliche Machtkräme-
rin hält. Pelosi findet, dass AOC und ihre
Leute selbstverliebte Twitterhelden sind,
die nur an ihr Image denken, nicht an das
Wohl der Partei.
Der Profiteur des Streits ist Trump. Er
versucht AOC zum Gesicht der Demokra-
ten zu machen, eine Frau, die in seiner
Erzählung aus den USA ein zweites Kuba
formen will. Trump geht so weit und for-
dert die junge Abgeordnete, die in New
York geboren wurde, auf, in ihr Heimat-
land zurückzukehren. Erst jetzt raufen sich
AOC und Pelosi zusammen.
Die Enthüllungsstory sorgt dafür, dass
sich selbst moderate Abgeordnete öffent-


lich für ein Impeachment aussprechen –
auch solche, die aus umkämpften Wahlkrei-
sen stammen. Am Dienstag sammelt Pelosi
ihre Spitzenleute um sich und tritt dann vor
die Kameras. In ihrer Ansprache erinnert
sie an Benjamin Franklin, der bei der Ver-
abschiedung der amerikanischen Verfas-
sung im Jahr 1787 von den Bürgern gefragt
wurde, welche Regierungsform es denn nun
werde: Monarchie oder Republik? Franklin
antwortete: »Eine Republik, wenn wir in
der Lage sind, sie zu schützen.«
Inzwischen sind mindestens 217 der
235 Demokraten im Repräsentantenhaus
für die Einleitung eines Amtsenthebungs-
verfahrens. Pelosi geht einen riskanten
Weg. Er kann Trump das Amt kosten, er
kann aber auch Joe Biden als Präsident-
schaftskandidaten verhindern. Biden ist
immer noch der Favorit im Feld der demo-
kratischen Bewerber und hat – im Gegen-
satz zu den meisten seiner Konkurrenten –
lange kein Amtsenthebungsverfahren ge-
gen Trump gefordert. Eine Frau, die von
der Affäre profitieren könnte, ist Bidens
Widersacherin Elizabeth Warren, Sena-
torin aus Massachusetts, deren Wahlkampf
allmählich an Fahrt gewinnt, auch wenn
sie als Linke gilt. Sollte sie zur Kandidatin
der Demokraten nominiert werden, müss-

18 DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019


te sie vor allem moderate Wähler überzeu-
gen, ihre Stimmen einer linksliberalen Poli -
tikerin zu geben. Ihre Chancen auf einen
Wahlsieg sind schwer einzuschätzen.

Hunter Biden:
Die Schwachstelle

Joe Biden und seine Frau Neilia hatten drei
Kinder: Hunter, seinen ein Jahr älteren
Bruder Beau und die Tochter Naomi. 1972
starben Mutter Neilia und Tochter Naomi
bei einem Autounfall, Hunter und Beau
überlebten verletzt. Die Tragödie schweiß-
te Joe und seine Söhne zusammen.
Die Rollen waren in der Familie klar
verteilt. Beau war der Überflieger. Absol-
vent einer Eliteuniversität, erfolgreicher
Staatsanwalt in Philadelphia, der sich auf
eine Karriere in der Politik vorbereitete.
»Joe Biden 2.0« nannte ihn sein Vater.
Hunter war der Hallodri. Er experimen-
tierte mit Drogen, wollte Schriftsteller wer-
den, studierte dann letztlich doch Jura wie
sein Bruder.
Wie viele Kinder einflussreicher Eltern
in Washington nutzte Hunter die Kontakte
seiner Familie. Er arbeitete als Anwalt bei
einem Großspender seines Vaters, später
als Lobbyist. Im Juni 2009, fünf Monate DREW ANGERER / AFP

Trump-Vertrauter Giuliani: Verbreitung einer Verschwörungstheorie
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