Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

nachdem Joe Biden Vizepräsident unter
Barack Obama geworden war, gründete
Hunter die Beraterfirma Rosemont Seneca
Partners, gemeinsam mit einem Spross der
Heinz-Dynastie und einem ehemaligen
Model.
Hunter begleitete seinen Vater 2013 auf
einem Staatsbesuch nach China und schloss
dort wohl mit der Bank of China einen
Deal ab. Schon damals waren Berater des
Vizepräsidenten besorgt, Hunters Geschäf-
te könnten auf den Vater zurückfallen. Of-
fenbar traute sich jedoch niemand im Wei-
ßen Haus, darüber mit Biden zu reden.
Der Vizepräsident sei »zutiefst melancho-
lisch« geworden, wenn man ihn auf seine
Familie angesprochen habe, erzählte ein
Geschäftsfreund Joe Bidens dem Magazin
»New Yorker«. »Es war, als würde man ihn
zutiefst verletzen.«
2015 starb Beau Biden an Krebs – das
zweite Kind, das Joe Biden verlor. Hunter,
der seit Jahren mit Alkoholproblemen
kämpfte, geriet endgültig aus der Bahn. Er
griff zu Drogen, unter anderem zu Kokain,
ließ sich scheiden, um wenig später eine
Affäre mit der Witwe von Beau zu begin-
nen. »Ich war in der Dunkelheit. Ich war
im Tunnel. Du kommst darüber nicht hin-
weg. Du lernst nur, damit umzugehen«, er-
zählte Hunter Biden später.
Schon vor dem Tod des Bruders inten-
sivierte Hunter Biden seine Kontakte in
die Ukraine. Das Land befand sich damals
im Umbruch, die Maidan-Proteste hatten
die Regierung von Präsident Wiktor Janu-
kowytsch hinweggefegt, Politik, Wirt-
schaft, Gesellschaft sortierten sich neu.
Sein Geschäftspartner Devon Archer
brachte ihn mit dem Oligarchen Mykola
Slotschewskyj zusammen. Slotschewskyj
war eine mächtige Figur in der Ukraine,
er war Mitgründer des Burisma-Konzerns,
des größten privaten Gasproduzenten des
Landes. Zudem hatte er unter Januko -
wytsch als Umweltminister gedient.
Slotschewskyj hatte ein Problem: Mit
dem Sturz Janukowytschs drohten auch
ihm juristische Schwierigkeiten. Um sich
als Vorkämpfer für Transparenz zu prä-
sentieren, holte Slotschewskyj klanghafte,
internationale Namen in sein Unterneh-
men. Eines der Mitglieder im Aufsichtsrat
wurde Hunter Biden. Der Sohn des Vize-
präsidenten erhielt dafür offenbar bis zu
50 000 Dollar im Monat – eine fast vulgä-
re Summe, wenn man bedenkt, dass er
keine besonderen Qualifikationen für den
Job hatte. Hunter Biden sollte helfen, den
Ruf von Burisma zu polieren.
Zur gleichen Zeit war sein Vater in der
Obama-Regierung unter anderem für die
Ukrainepolitik verantwortlich. Weder
Obama noch das US-Außenministerium
sahen darin ein Problem. Es gebe keinen
Interessenkonflikt, da Hunter Biden als
»Privatmann« agiere, sagte eine Spreche-


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 Humor und die Fähigkeit zu beißender
Ironie sind die Eigenschaften, die Wolo-
dymyr Selenskyj in der Ukraine als Kaba-
rettisten beliebt gemacht haben – und
auch in seinem Amt als ukrainischer Prä-
sident verzichtet Selenskyj nicht auf
Witze. Jüngst brachte er die Teilnehmer
der Konferenz »Yalta European Strategy«
mit einem fingierten WhatsApp-Chat
zum Lachen.
Wie das Werk eines Satirikers liest sich
auch das Protokoll des Telefonats zwi-
schen Selenskyj und Donald Trump.
Etwa wenn der Ukrainer damit prahlt,
dass er bei seinem letzten New-York-
Besuch in Trumps Hotel abgestiegen sei.
Oder als er sagt, er habe im Wahlkampf
einige von Trumps Methoden verwendet:
»Sie sind für uns ein großartiger Lehrer.«
Was Trump und Selenskyj besprachen,
war nie für die Öffentlichkeit bestimmt,
gerade deshalb muss man die Sätze ernst
nehmen. Das gilt auch für die Passage,
in der die beiden die Bundesregierung
kritisieren. An gela Mer kel rede viel,

tue aber wenig, sagte Trump demnach.
Antwort Selenskyj: »Sie haben voll kom -
men recht. Nicht nur zu 100 Pro zent,
son dern wirk lich zu 1000 Pro zent.«
»Wir kommentieren das nicht«, sagt
ein Regierungssprecher in Berlin. Die
Bundesregierung betont aber folgende
Zahlen: 1,4 Milliarden Euro seien seit
Beginn der Ukrainekrise nach Kiew ge -
flossen, heißt es, darunter 544 Millionen
Euro Entwicklungshilfe, 110 Millionen
humanitäre Hilfe sowie ein Kredit von
500 Millionen Euro.
Die Vorhaltungen Trumps seien »in
keiner Weise gerechtfertigt«, kritisiert
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. »Die
Europäer haben der Ukraine Gelder im
zweistelligen Milliardenbereich zur Ver-
fügung gestellt und ein Sanktionspro-
gramm gegen Russland verhängt, das es
so selbst im Kalten Krieg nicht gegeben
hat«, sagt Norbert Röttgen, Vorsitzender
des Auswärtigen Ausschusses.

Trump und Selenskyj ärgern sich vor
allem darüber, dass Merkel keine klare
Kante gegenüber Russland zeigt und
dass sich Deutschland und Frankreich
weigern, Waffen an die Ukraine zu
liefern. Die USA lieferten hingegen Pan-
zerabwehrwaffen und »nicht tödliche«
Rüstungs güter nach Osteuropa.
Die Ironie der Geschichte: Joe Biden,
der aussichtsreichste Bewerber um die
Präsidentschaftskandidatur der Demo-
kraten, teilt Trumps Kritik an Merkel. In
seinen Memoiren berichtet er von einem
Treffen mit der Kanzlerin auf der Münch-
ner Sicherheitskonferenz 2015. »Ich war
enttäuscht, als sie nach ihrer Rede ent-
schieden ablehnte, irgendwelche echten
Waffen an das unterlegene Militär der
Ukraine zu liefern«, schreibt Biden.
Merkels diplomatische Bemühungen
werden in Trumps Telefonat mit keinem
Wort gewürdigt – zum Unmut Berlins.
»Es waren vor allem die Bundeskanzlerin
und der damalige Außenminister Stein-
meier, die alles dafür getan haben, damit
es in der Region nicht zu einem militäri-
schen Flächenbrand kommt«, sagt SPD-
Fraktionschef Mützenich.
Andrij Melnyk, der ukrainische Bot-
schafter in Berlin, versucht nun, die
Scherben aufzukehren. Präsident Se -
lenskyj schätze »das enorme persönliche
Engagement der Bundeskanzlerin«, so
der Botschafter.
Bislang hoffte die Bundesregierung,
dass sich der Minsker Prozess mit dem
neuen ukrainischen Präsidenten beleben
lässt. Im Oktober sollte es nach langer
Pause wieder einen Gipfel der Staats-
und Regierungschefs des Normandie-For-
mats geben. Doch bei den Verhandlun-
gen, etwa über Wahlen in den besetzten
Gebieten der Ostukraine, hakt es.
Trotz des Ärgers über Selenskyj – den
Urheber der Affäre verortet die Bundes-
regierung in Washington. Das Gespräch
zeige, wie Trump seine Macht »für seine
privaten Interessen, seine Wahlkampf -
interessen sowie gegen Deutschland und
Europa einsetzt«, sagt CDU-Mann Rött-
gen. Sein SPD-Kollege Mützenich findet,
Trump sei dem Motto treu geblieben,
»lieber Unfrieden zu stiften als an einem
gemeinsamen Verständnis und Lösungen
unter Partnern zu arbeiten«.
Melanie Amann, Christiane Hoffmann,
Christoph Schult

AußenpolitikDer ukrainische Präsident Selenskyj biedert sich
bei US-Präsident Trump an – und beleidigt die Bundesregierung.

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»Das Gespräch zeigt,
wie Trump seine Macht
für seine privaten
Interessen einsetzt.«
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