Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1
rin des US-Außenministeriums damals.
Hunter Biden berichtete dem »New Yor-
ker«, sein Vater habe ihn nur ein einziges
Mal auf Burisma angesprochen: »Vater
sagte, ich hoffe, du weißt, was du tust. Und
ich sagte: Ja.«
Joe Bidens Strategie war es offenbar, die
Eskapaden seines Sohns zu ignorieren.
Wahrscheinlich wäre das gut gegangen,
hätte Biden dieses Frühjahr nicht beschlos-
sen, für das Amt des Präsidenten der Ver-
einigten Staaten zu kandidieren – und
wäre sein Gegner nicht Donald Trump.

Wolodymyr Selenskyj:
Im ukrainischen Sumpf

Im Mai 2019 bricht in Kiew eine neue Ära
an, die Zeit der Sauberkeit – zumindest
wenn es nach Wolodymyr Selenskyj geht.
Selenskyj ist ein junger TV-Comedian
ohne jede Regierungserfahrung, der ins
höchste Amt des Landes stolpert, ins Prä-
sidentenamt. Ein Mann hat nun ein Pro-
blem: Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko.
Im Wahlkampf hat Selenskyj verspro-
chen, die ausufernde Korruption im Land
zu bekämpfen, was Luzenko bis dahin al-
lenfalls halbherzig getan hatte. Schon da
ahnt Luzenko, dass er mächtige Freunde
braucht, wenn er seinen Job auch unter
dem neuen Präsidenten behalten will. So
dient er sich dem mächtigsten Fürsprecher
an, den man sich in der Ukraine denken
kann: US-Präsident Donald Trump.
Luzenko behauptet in einem Interview
mit einem konservativen US-Journalisten,
seine Behörde prüfe, ob ukrainische Be-
amte und Politiker Hillary Clinton im US-
Wahlkampf 2016 heimlich gefördert hätten.
Es gibt zwar kein Ermittlungsverfahren.
Aber allein die Behauptung ist Munition
für Trump: Nicht Russland hätte demnach
zugunsten der Republikaner in den Wahl-
kampf eingegriffen, sondern die Ukraine
zugunsten der Demokraten. Es ist eine
Verschwörungstheorie, die Trumps Leute
von nun an verbreiten.
Noch wichtiger für das Team des US-
Präsidenten wird eine zweite Unterstel-
lung Luzenkos: dass Joe Biden versucht
habe, Ermittlungen gegen Burisma zu ver-
hindern, jenen Gaskonzern, für den sein
Sohn arbeitete. Er würde Hinweise darauf
gern dem US-Generalstaatsanwalt zulei-
ten. Tatsächlich hat Luzenkos Vorgänger
im Amt, Wiktor Schokin, Ermittlungen ge-
gen Burisma geführt. Und Schokin wurde
auf Betreiben von US-Vizepräsident Joe
Biden gefeuert. Der drohte der ukraini-
schen Führung damals, andernfalls würde
er dem Land eine Milliarde Dollar an Kre-
ditgarantien zu streichen.
Es gibt ein Video, auf dem Biden auf ei-
ner Podiumsdiskussion Jahre später unter
dem Lachen des Publikums davon erzählt,
wie er die Ukraine unter Druck setzte. Er

habe seine Verhandlungspartner in Kiew
angeschaut und ihnen gesagt: »Ich fliege
in sechs Stunden ab. Wenn der General-
staatsanwalt bis dahin nicht entlassen ist,
bekommt ihr euer Geld nicht. Nun, ver-
dammt. Er wurde entlassen. Und sie haben
an seine Stelle jemanden gesetzt, der den
Job damals ausführen konnte.«
Zwar gibt es keine Hinweise, dass Bidens
Intervention in einem Zusammenhang mit
den Burisma-Ermittlungen stand. Auch die
EU und der Internationale Währungsfonds
waren mit Schokin als Generalstaatsanwalt
unzufrieden, da er als korrupt und refor-
munwillig galt. Luzenko nimmt seinen Ver-
dacht gegen die Bidens später sogar selbst
zurück. Aber für Trumps Umfeld bleibt die
Geschichte willkommen – besonders für
Rudolph Giuliani, Trumps persönlichen An-
walt. Mit ihm hat sich Luzenko mindestens
zweimal getroffen.
Für Luzenko zahlt sich seine Gefälligkeit
gegenüber der US-Regierung trotzdem
nicht aus. Präsident Selenskyj betreibt im
Juni seine Entlassung als General staats -
anwalt. Für Trump ist der Fall hingegen
zunächst ein Geschenk: Er kann Joe Biden,
seinen wichtigsten Gegner im Präsident-
schaftswahlkampf, als korrupten Clanchef
diskreditieren. Es verwundert deshalb
nicht, dass Trump den Juristen Luzenko
im Telefonat mit Selenskyj als »sehr guten
Staatsanwalt« preist, dem übel mitgespielt
worden sei.

Donald Trump:
Der Überlebenskünstler

Als Trump am Mittwoch in New York am
Rande der Uno-Vollversammlung vor die
Presse tritt, wirkt er wie ein Boxer, der
nach einem schweren Treffer durch den
Ring wankt. Er spricht gedämpft und vol-
ler Selbstmitleid über die Schlechtigkeit
der Welt. »Ich bin von morgens bis abends
auf den Beinen und treffe mich mit all die-
sen Ländern zum Wohle der USA, und die
Presse berichtet nicht einmal darüber«,
jammert der Präsident.
Trump hat sich schon aus viel aussichts-
loseren Lagen befreit. Mehrmals stand er
kurz vor dem Bankrott, sein Wahlkampf
im Jahr 2016 schien gelaufen, als ein Au-
diomitschnitt auftauchte, in dem er damit
prahlte, Frauen anfassen zu können, wo
und wann er wolle.
Seine Popularitätswerte bei den Ameri-
kanern mögen schlecht sein, aber die meis-
ten Republikaner beten ihn geradezu an.
Er profitiert von der tiefen Spaltung, die
die Vereinigten Staaten schon seit Jahren
durchzieht; Trump fördert und nutzt sie
für seine Zwecke aus. Jeden Angriff auf
seine Person, jede Kritik verkehrt er mit
ein paar Tweets ins Gegenteil: Lügen, Be-
trug und Korruption sieht er allein bei sei-
nen politischen Gegnern, bei Hillary Clin-

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IN DER SPIEGEL-APP Titel

Die Spuren


des NSU


Die Terrorgruppe »Nationalsozialis -
tischer Untergrund« ermordete


von 2000 bis 2007 zehn Menschen,
verübte Raubüberfälle und Spreng-


stoffanschläge. Die Fotografin
Paula Markert spürt in ihren Bildern


den Verbrechen des NSU nach.
Zweieinhalb Jahre lang, von Herbst


2014 bis Frühjahr 2017, fuhr sie durch
Deutschland, fotografierte Tatorte,


sprach mit Angehörigen, arbeitete
Akten durch. Ihre Arbeit wirft Schlag-


lichter auf das anfängliche Versagen
der Sicherheitsbehörden – und doku-


mentiert die Trauer und Beklommen-
heit, die der rechte Terror auslöste.


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