Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1
24 DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019

Medien

»Nero« Schirrmacher


Die Aufarbeitung der Geschichte der
»Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (»FAZ«)
durch den Würzburger Historiker Peter
Hoeres ist zu einer Abrechnung mit dem
verstorbenen langjährigen »FAZ«-Heraus-
geber Frank Schirrmacher (1959 bis 2014)
geworden. In diesem Herbst feiert die
»FAZ« ihren 70. Geburtstag, und Hoeres
durfte für seine Studie über die »Zeitung
für Deutschland« (Benevento Verlag) als
Erster im »FAZ«-Hausarchiv recherchieren.
Er hat zudem mit vielen Zeitzeugen
gesprochen. Danach trug Schirrmacher


redaktionsintern die Spitznamen »Caligula«
und »Nero«, sein Führungsstil ist laut
Hoeres »herrisch, unberechenbar, illoyal
und misstrauisch« gewesen. Bei seinen Re -
cherchen stieß Hoeres auch auf einen Ver-
merk, den ein »FAZ«-Redakteur nach einem
Gespräch mit Schirrmacher 1995 an fertigte.
Demzufolge hat dieser behauptet, als Baby
in Äthiopien entführt worden zu sein. Tat-
sächlich wuchs Schirrmacher in Wiesbaden
auf. Nach Hoeres’ Recherchen neigte Schirr-
macher zu »Maßlosigkeit und Rachsucht,
Lügen und Hochstapeleien«. Allerdings kon -
zediert der Wissenschaftler, dass es Schirr-
macher gelungen sei, das »FAZ«-Feuilleton
als »Agenda-Setter« zu etablieren. KLW

TIM WEGNER / LAIF
Schirrmacher 2013

Hauptstadtflughafen BER

Millionen für Bauberatung


 Die Berliner Flughafengesellschaft
hatte im vorigen Jahr 174 Millionen Euro
für Berater- und Gutachterleistungen
bereitgestellt, aber nicht bilanziert. Ein
Jahr zuvor waren es sogar 346 Millionen
Euro. Die Summen werden nur im Anhang
des Geschäftsberichts als »außerbilan -
zielle Geschäfte« erwähnt, sind also nicht
Bestandteil der Konzern bilanz. Ein Spre-
cher sagt, es handle sich im Wesentlichen
um Leistungen für den BER, etwa Tech -
nische Infrastruktur und die Ausbaupro-
jekte. Mangelnde Trans parenz hat auch
der emeritierte Wirtschaftsprofessor Hans
Georg Gemünden festgestellt. Er hat das
Rechenwerk der Flughafengesellschaft
analysiert und mit den Unterlagen ande-

rer deutscher Airports verglichen. Wäh-
rend die Flughafengesellschaften Ham-
burg und Düsseldorf mit der Luftfahrt
immerhin kleine Gewinne erwirtschaften,
produziert der Berliner Flugbetrieb seit
2006 nur Verluste – bis heute 1,59 Milliar-
den Euro. Der bilanzierte Wert des seit
mehr als sieben Jahren brachliegenden
BER habe sich aber von 2011 bis 2018
nahezu verdoppelt, von 2,5 Milliarden auf
4,9 Milliarden Euro. Gemünden hält das
für womöglich »weit überhöht«. Er rech-
ne damit, dass die Manager zur Inbetrieb-
nahme des BER eine erhebliche Wert -
berichtigung vornehmen müssen, »weil
zwar viel verbaut, aber schließlich kein
neuer Flughafen seitdem gebaut wurde«.
Die Betreiber beteuern dagegen, korrekt
nach »handelsrechtlichen Vorschriften«
gehandelt zu haben. WAS

Verfassung

Schäuble für Nachhaltigkeit


 Bundestagspräsident Wolfgang Schäub-
le (CDU) will Nachhaltigkeit und Ver -
antwortung für kommende Generationen
im Grundgesetz verankern. Zuvor hatte
sich der altgediente Unionsmann gegen
Verfassungsänderungen ausgesprochen,
zuletzt im Mai in der
»Frankfurter Allgemeinen
Zeitung«. In einem eigenen
Beitrag warnte Schäuble
davor, »alles, was man poli-
tisch gestalten möchte, im
Grundgesetz festzuschrei-
ben«. Dadurch würde eine
Spirale in Gang gesetzt wer-
den, die die Verfassung auf-
blähe, nach dem Muster:
»Ist erst mal der Tierschutz
verankert, müssen erst
recht die Kinderrechte min-
destens als Staatsziel auf -
genommen werden.« Am


Dienstag sagte Schäuble bei einer
SPIEGEL-Diskussion im Hamburger
Thalia Theater überraschenderweise:
»Wir sollten jetzt das Grundgesetz um die
Dimension der Nachhaltigkeit erweitern«,
denn, so der 77-Jährige: »Wir können
nicht mehr nur in unserer Zeit denken.«
Vor 70 Jahren, bei der Verabschiedung
des Grundgesetzes, habe der Parlamen -
tarische Rat nicht geahnt,
»dass wir Menschen die Din-
ge so übertreiben können,
dass alles außer Balance
gerät«. Damit hat sich
Schäuble die Unionslinie zu
eigen gemacht. Zuvor plä-
dierten bereits die Vorsitzen-
den der beiden Unions -
parteien Annegret Kramp-
Karrenbauer und Markus
Söder dafür, Nachhaltigkeit
als Staatsziel ins Grund -
gesetz zu schreiben, um bis
2050 Klimaneutralität in
Deutschland zu erreichen. RED

EU-Kommission

Frankreichs Kandidatin


wankt


 Unmittelbar vor Beginn der Anhörun-
gen der Mitglieder der künftigen EU-
Kommission unter Ursula von der
Leyen nehmen prominente Europapar-
lamentarier die französische Kandidatin
Sylvie Goulard ins Visier. Die frühere
EU-Abgeordnete, die 2017 kurzzeitig
französische Verteidigungsministerin
war, musste im Sommer an das EU-
Parlament 45 000 Euro zurückzahlen,
weil sie nicht nachweisen konnte, dass
einer ihrer Mitarbeiter tatsächlich für
sie als Parlamentarierin gearbeitet hatte.
Zudem gibt es Ärger, weil Goulard
neben ihrer Abgeordnetendiät von
Oktober 2013 bis Ende 2015 monatlich
mehr als 10 000 Euro als »Sonder -
beraterin« für einen »Europäischen
Zukunftsrat« im Thinktank des deutsch-
amerikanischen Milliardärs Nicolas
Berggruen erhalten hatte. Was genau sie
dafür leistete, ist unklar. »Europaabge-
ordnete sollten solche Nebenverdienste
weder anstreben noch annehmen«,
findet Philippe Lamberts, Fraktionschef
der Grünen im Europaparlament. »Es
gibt kein generelles Okay«, sagt auch
der Fraktionschef der Europäischen
Volkspartei Manfred Weber (CSU) über
Goulard. Wie alle Kommissare müsse
sie das Parlament nun ȟberzeugen,
fachlich und menschlich«. Vor dem
Rechtsausschuss musste Goulard zuletzt
Missverständnisse über zahlreiche Akti-
vitäten bei wissenschaftlichen Instituten
oder Thinktanks ausräumen. Sie sei
zu »voller Transparenz« bereit, schrieb
Goulard. Die EU-Parlamentarier kön-
nen nach den Anhörungen, die am
Montag starten, die Kommission von
der Leyens als ganze ablehnen. Goulard
soll sich künftig um das wichtige
Binnenmarktressort kümmern. MP, WAS

FABIAN HAMMERL
Schäuble
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