Der Spiegel - 28.09.2019

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30 DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019


Deutschland

E


s kann in der Politik auch eine Bürde
sein, umworben zu werden. Die
kommissarische SPD-Vorsitzende
Malu Dreyer will in der Klimafrage »offen
mit den Grünen darüber sprechen, wie
man zusammenkommen kann«. Unions-
fraktionschef Ralph Brinkhaus lädt die Par-
tei zur Kompromisssuche ein. Und die
CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Kar-
renbauer erneuert ihren Wunsch nach
einem nationalen Klimakonsens.
So viel Zuwendung bringt die Grünen
in eine schwierige Situation. Einerseits ist
sich die Partei einig, dass das Klimapaket
der Großen Koalition unzureichend ist
und auch durch ein paar Korrekturen nicht
gerettet werden kann. Andererseits will
man sich nicht in die Rolle des Blockierers
drängen lassen.
Entsprechend konfus waren die ersten
Reaktionen auf den Kompromiss. Zu-
nächst verkündete Parteichefin Annalena
Baerbock, die Grünen würden im Bundes-
rat »jede Möglichkeit nutzen, aus dem We-
nigen ein Mehr an Klimaschutz herauszu-
holen«. Kurz darauf erklärte sie, der Bun-
desrat sei kein Gestaltungsgremium, das
Gesetze inhaltlich massiv nachbessern
könne. Verwirrt wirkte auch Baerbocks
Kollege Robert Habeck, als er in einem
Fernsehinterview die Erhöhung der Pend-
lerpauschale kritisierte und Wissenslücken
offenbarte.
In der Partei herrscht große Unsicher-
heit darüber, wie man auf die Offerte der
Großen Koalition zur Zusammenarbeit
reagieren soll. Eine Totalblockade gilt
nicht als ernsthafte Option. Eine allzu be-
reitwillige Kooperation käme wiederum
bei vielen Wählern und in der Klimabewe-
gung nicht gut an. Wie soll sich die Partei
positionieren?
Im Fraktionsvorstand herrschte am
Montag Einigkeit darüber, dass man zu-
nächst die Interpretationshoheit über
das Klimapaket behalten müsse. Man
dürfe der Koalition nicht durchgehen
lassen, dass sie die Erhöhung des Wohn-
gelds und der Pendlerpauschale sowie die
Senkung der EEG-Umlage zur Förderung
des Ökostroms als soziale Tat rühme.
Fraktionschef Anton Hofreiter wies da-
rauf hin, dass die Einnahmen aus dem


CO²-Preis entgegen den Ankündigungen
nicht vollständig an die Bürger zurück -
gegeben würden.
Das sind berechtigte Einwände, aber sie
lösen das strategische Dilemma der Grü-
nen nicht. Zwar ist noch offen, wie ein
Energiekonsens überhaupt aussehen könn-
te und welchen Gesetzen der Bundesrat
zustimmen soll. Aber klar ist, dass die Grü-
nen ein Angebot zum Gespräch nicht aus-
schlagen können.
Die Parteispitze geht davon aus, dass
die Grünen in Bundestag und Bundesrat

In der


Falle


ParteienDas Klimapaket bringt
die Grünen in eine schwierige
politische Lage. Sollen sie
kooperieren oder blockieren?

STEFFEN ROTH / DER SPIEGEL

Grünenchefin Baerbock

Baden-Württ. 6 Niedersachsen 6

Bayern 6 Nordrhein-Westf. 6

Berlin 4 Rheinl.-Pfalz 4

Brandenburg* 4 Saarland 3

Bremen 3 Sachsen* 4

Hamburg 3 Sachsen-Anhalt 4

Meckl.-Vorp. 3 Thüringen 4

Hessen 5 Schl.-Holstein 4

Mehrheiten gesucht
Stimmenverteilung im Bundesrat

* aktuelle Stimmenverteilung; Regierungsneubildung nicht abgeschlossen

CDU SPD Freie
CSU Grüne FDP Wähler

Linke

insgesamt 69 Stimmen,
absolute Mehrheit: 35 Stimmen

einigen Gesetzen zustimmen werden,
auch wenn sie nur kleine Fortschritte beim
Klimaschutz bringen. Das entspricht dem
eigenen grünen Selbstverständnis als
»Quasi-Regierungspartei«, wie Habeck
das nennt. Die »Süddeutsche Zeitung«
schrieb nach der Klimaeinigung schon von
einer »Bundesrepublik Kenia« aus Union,
SPD und Grünen. Wie aber soll man unter
diesen Umständen erklären, dass die Grü-
nen die Koalitionsbeschlüsse weiterhin
grundsätzlich ablehnen? Es wird nicht ein-
fach werden, das der Öffentlichkeit zu ver-
mitteln.
Die Union gibt sich alle Mühe, dieses
strategische Dilemma noch zu verschär-
fen. Dazu zählt nicht nur das wiederholte
Angebot, gemeinsam etwas zur Rettung
des Klimas zu tun. In der Spitze der
Unions fraktion gibt es weitergehende
Überlegungen. Warum alle Verhandlun-
gen nur im Bundesrat oder im Vermitt-
lungsausschuss führen? Man könnte Grü-
ne und FDP doch auch zu einem großen
Klimagespräch einladen, um Gemeinsam-
keiten auszuloten.
Aus Perspektive der CDU hätte das aus
doppelter Hinsicht Charme. Zum einen
bestünde die Hoffnung, gegen die sich
bislang widerstrebende CSU doch noch
einen höheren CO²-Preis durchzusetzen,
den sich auch in der CDU-Führung
viele gewünscht hätten wie auch die Kanz-
lerin. Zum Zweiten würden die Grünen
für den Klimakompromiss mithaftbar
gemacht.
Die Grünen wissen aber, was eine zu
enge Kungelei mit der Großen Koalition
bedeuten würde. Bisher haben sie massiv
von der »Fridays for Future«-Bewegung
profitiert. Schon jetzt merken sie jedoch,
dass sich die Enttäuschung der Klima -
demonstranten auch gegen sie wendet.
Auf dem baden-württembergischen
Grünenparteitag am vorigen Wochenende
sagte ein Aktivist von »Fridays for Future«
zum Klimaleitantrag der Landespartei:
»Wenn das die grüne Antwort auf die
Klimakrise ist, sorry. Dann hat man Sie
Ihrer viel beschworenen DNA beraubt.«
Man kann sich vorstellen, wie die Bewe-
gung auf die Unterstützung der Grünen
für Klimagesetze der Großen Koalition
reagieren wird.
Auf der anderen Seite will die CSU da-
rauf achten, die Grünen nicht aus der Ver-
antwortung zu entlassen. Parteichef Mar-
kus Söder frohlockt bereits. »Die Grünen
laufen uns gerade in die Falle.« Die Dro-
hung mit einem Stillstand im Bundesrat
bedeute den Stillstand in der Klimapolitik.
Wenn die Grünen zum Beispiel weiter die
energetische Gebäudesanierung blockier-
ten, »dann sind sie für jedes nicht einge-
sparte Gramm CO²verantwortlich«.
Ralf Neukirch
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