Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

E


s war nur ein kurzer Wortwechsel,
aber für Bundesumweltministerin
Svenja Schulze reichte er aus, um zu
begreifen, wie groß ihre Rolle in Zukunft
sein würde.
Am vergangenen Freitag verkündete
Angela Merkel vom Podium des Berliner
Futuriums herab die Inhalte des neuen
Klimaschutzprogramms der Bundesregie-
rung. Die Rede kam auf Schulze, die unten
in der ersten Reihe saß. Die Sozialdemo-
kratin werde die Umsetzung des Pakets
kontrollieren, kündigte die Kanzlerin an.
Und: »Die Ministerin ist da streng.«
Was die vielen Kameras in dem Getüm-
mel nicht einfingen, war ein Ausruf, eher
ein Seufzer, den der Mann neben Schulze
ausstieß. »Viel zu streng«, sagte Andreas
Scheuer, der Bundesverkehrsminister von
der CSU laut genug, dass die SPD-Frau es
hören konnte.
Zwar war die Umweltministerin bei
dem 19-stündigen Verhandlungsmarathon,
der jener Pressekonferenz vorausging,
nicht die ganze Zeit anwesend. Trotzdem
ist sie seit dieser Nacht aufgestiegen, von
einer Randfigur im Kabinett zu einer ent-
scheidenden Person für das wohl bedeu-
tendste Projekt der Großen Koalition: den
Klimaschutz.
66 Einzelmaßnahmen hat die Koalition
vereinbart, sie sollen in den kommenden
Monaten in mehr als ein Dutzend Geset-
zesvorhaben münden, von der Abwrack-
prämie für Ölheizungen bis zu einem hoch-
komplexen Regelwerk für einen Emis -
sionshandel.
Kaum ein Vorhaben einer Bundesregie-
rung greift so stark in den Alltag der Bürger
ein, wie es dieses Projekt tun wird, auch
wenn die Härten nicht über Nacht kom-
men, sondern schrittweise. Geschätzt
40 Milliarden Euro müssen dafür im Bun-
deshaushalt bereitgestellt oder umgeschich-
tet werden. Und über allem wird ein Kli-
maschutzgesetz stehen. Darin ist nicht nur
das Einsparziel von 55 Prozent für Treib-
hausgase bis ins Jahr 2030 festgeschrieben,
sondern erstmals in der Geschichte der
Bundesrepublik auch ein Kontrollmecha-
nismus, der in jedem Jahr eine Prüfung al-
ler Schritte vorsieht. Federführendes Haus:
das Ministerium von Schulze.
Genau dies wollten Scheuer und eine
ganze Reihe meist konservativer Unions-
leute verhindern: eine Umweltministerin,
die das Kabinett kontrolliert, womöglich


kujoniert. Bis in die Nacht hatten schwarze
Verhandler vergebens gegen Kontrollen
und für die üblichen Absichtserklärungen
gekämpft.
Doch nun hat Schulze die Aufsicht über
das Projekt, mit dem die GroKo die de-
monstrierenden Schüler von den Straßen
holen und nebenbei die Grünen zurück-
drängen will. Und für Angela Merkel geht
es darum, ihren Ruf als Klimakanzlerin zu
retten. Da soll Schulze, die Sozialdemo-
kratin, helfen.
Die sitzt keine 24 Stunden nach der
GroKo-Einigung im Flugzeug nach New
York, zum Klima-Sondergipfel der Uno, der
parallel zur Generalversammlung stattfin-
det. Bei einem Glas Weißwein genießt Schul-
ze ihre erste Verschnaufpause, um ein wenig
zu reflektieren, was da gerade passiert ist.
Sie ist euphorisch. »Ich bin jetzt die Ner-
vensäge«, sagt Schulze, und sie gefällt sich
sichtlich in dieser Rolle. Kaum jemand hät-
te ihr diese Metamorphose zugetraut. Um-
weltminister, das ist kein mächtiger Posten.

Man darf sich um Insekten kümmern und
renaturierte Bachläufe. Mit diesem Ressort
wird man auf der Straße nicht erkannt, zu-
mal Schulze völlig überraschend von ihrer
Partei nach Berlin entsandt wurde. Blond,
niedlich, ungefährlich, so wurde sie in der
Hauptstadt anfangs eingestuft.
»Das Bild wird sich jetzt drehen«, hofft
Schulze. Sie habe schon bei Amtsantritt
gewusst, wie gewichtig ihr Amt sein würde.
Denn auf europäischer Ebene hat sich
Deutschland schon vor Jahren verpflichtet,
Kohlendioxid einzusparen. Wenn es seine
Ziele verfehlt, müsste man sich in anderen
Ländern Verschmutzungsrechte kaufen –
ein milliardenschweres Strafsystem, das
bereits 2021 greifen wird.
Schon im vergangenen November skiz-
zierte Schulze deshalb vor Studierenden
der Humboldt-Universität in Berlin die
Idee eines Preises auf Kohlendioxid. Damit
warf sie einen Stein ins Wasser, der einen
Tsunami auslöste. Die Ministerin fand sich
auf der Titelseite der »Bild«-Zeitung wieder.

Der Gegenwind war so heftig, dass
Schulze erst einmal bis zum Februar ab-
wartete – um dann auf Attacke zu schalten.
Sie legte kurzerhand ihren eigenen Ent-
wurf für ein Klimagesetz vor, ohne ihn
groß vorher anzukündigen. Ein Über -
raschungsangriff. »Das war wohl die beste
Idee meines Lebens«, sagt Schulze.
Das sei ja »Ökoplanwirtschaft«, polterte
damals Verkehrsminister Scheuer. Auch
Wirtschaftsminister Peter Altmaier ver-
dammte die Idee in Bausch und Bogen.
Doch Schulze hatte eine Verbündete in
der Regierung, und zwar ganz oben: An-
gela Merkel. Die Kanzlerin berief ein Kli-
makabinett ein, um den aufziehenden
Streit im Regierungskollegium zu bändi-
gen. So bekam Schulze ein Forum, in dem
sie plötzlich den anderen Ministern das
Prinzip der Strafzahlungen erläutern konn-
te. Die hörten zähneknirschend zu.
Politisch fand sich Schulze in der glück-
lichen Lage, dass die drei Ministerien für
die drei größten Klimasünder – Verkehr,
Landwirtschaft und Bauen – in der Hand
der Union liegen. Die Umweltministerin
passte ihr Klimaschutzgesetz an: Strafzah-
lungen sollten nicht aus dem Gesamthaus-
halt bedient werden, sondern nur von dem
Ressort, das nicht geliefert hatte.
In New York ist Schulze schon früh auf-
gestanden, die Zeitverschiebung kommt
ihr gelegen. In der ständigen Vertretung
Deutschlands bei der Uno warten schon
um acht Uhr Frauen aus aller Welt, die
sich um Umweltprojekte kümmern. Der
Termin ist ganz nach dem Geschmack der
Genossin: Es geht um Umwelt und um
Frauenrechte. »Bislang fließt das meiste
Geld an Hilfsprojekte für Männer«, sagt
sie, dabei sei doch klar, dass vor allem die
mit Frauen am besten funktionieren.
Die Reise ist für Schulze auch eine Ent-
lastung: Der Atlantik liegt zwischen ihr
und der aufgeregten Debatte daheim. So
stolz die Ministerin auf ihre neue Rolle
ist – für die Kernklientel ihres Hauses, die
Umweltschützer, Klimaforscher und die
umweltbewegte Öffentlichkeit gehen die
GroKo-Beschlüsse nicht weit genug. Vor
allem der geplante Preis auf CO²-Emissio-
nen von zehn Euro sei viel zu gering.
Auf der anderen Seite toben Klimaskep-
tiker und AfD-Anhänger. Eine Facebook-
Gruppe »Fridays for Hubraum« fand bin-
nen vier Tagen fast 400 000 Mitglieder –
zum Vergleich: »Fridays for Future
Deutschland« hat nur rund 78 000. Die
Freunde großer Autos mit viel Hubraum
kämpfen gegen »Klimahysterie« und den
Verlust »Tausender Arbeitsplätze«, man-
che posteten Bilder von Waffen und Base-
ballschlägern, bis der Initiator sich gezwun-
gen sah, das Forum zu schließen.
Sollte aus dieser Gruppe eine Gelbwes-
ten-Bewegung wie in Frankreich entste-
hen, dürfte sich die Wut auch gegen Schul-

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Deutschland

Mit ihrer Idee eines CO
²


  • Preises warf sie einen
    Stein ins Wasser, der
    einen Tsunami auslöste.


»Ich bin die Nervensäge«


KlimaUmweltministerin Svenja Schulze führte lange ein Schatten -
dasein im Kabinett. Jetzt hat die SPD-Frau eine umstrittene Aufgabe:
Sie überwacht ihre Kollegen im Kampf gegen die Erderwärmung.
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