Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

ze richten. Denn die Umweltministerin
sagt, sie hätte sich auch gut 20 Euro als
CO²-Preis vorstellen können. Und man
könne nachschärfen.
Schulzes New Yorker Publikum reagiert
mit Neugier auf das Klimapaket. Deutsch-
lands internationaler Ruf als Vorreiter im
Kampf gegen die Erderwärmung hat zu-
letzt arg gelitten. Die Welt bewundere
Deutschland zwar für die Energiewende,
sagt Schulze, aber registriere genau, wie
wenig seither passiert sei.
»Aber nicht viele andere Länder werden
ein Gesetz haben, wie wir es bekommen«,
sagt sie. Und immerhin wird sie in New
York feierlich in das Bündnis jener Staaten
aufgenommen, die den Kohleausstieg be-
schlossen oder vollzogen haben.
Nun geht es rüber zur Uno am East
River, in einen Konferenzsaal gleich neben
der Generalversammlung. Vor Schulze
liegt ein iPad, über das sie wischt, um ihre
Rede zu lesen. Schulze hasst es, Papier
herumzuschleppen. Mit dem Gerät ist sie
schneller.
Sie ist keine klassische Berufspolitikerin,
hat bei Beratungsfirmen gearbeitet. Doch
die Instrumente von damals passen auch
zur Politik von heute. Schulze hat gelernt,
sich strategische Etappenziele zu setzen,
im Stillen zu arbeiten.


»Politik war für mich lange ein Hobby«,
sagt sie. Aber aus der Jugendlichen, die
beim Naturschutzbund aktiv war, hätte
auch eine Grüne werden können. Als Kind
habe sie Feuersalamander aufgepäppelt
und die Eltern gedrängt, ihr ein Terrarium
für die Pflege der Amphibien zu bauen.
Dass sie Sozialdemokratin wurde, habe
daran gelegen, wie die SPD sich um sie als
Schülersprecherin bemüht habe, auch
wenn sie der Parteiprominenz auf die Ner-
ven ging. Bei einem Treffen mit Johannes
Rau, erzählt Schulze, habe sie als Juso-
Landeschefin dem NRW-Ministerpräsi-
denten gesagt: »Wenn du so weitermachst,
dann kannst du deine Mitglieder bald im
Rollstuhl reinschieben lassen.«
Der Landesvater habe geantwortet, sie
solle ihm doch mal ein junges Team
präsentieren. Die Leute, mit denen sie zu
Rau kam, zählen heute noch zu ihrem
engsten Netzwerk, etwa Ulrich Kelber,
Ex-Staatssekretär im Justizministerium
und jetziger Bundesdatenschutzbeauftrag-
ter. Aus Dank, Rau Unterstützer organi-
siert zu haben, sei sie auf die Liste für den
Landtag gekommen, weit hinten, und
dann doch reingerutscht.
Nach vier Jahren in Düsseldorf wechsel-
te Schulze in die Beraterbranche. Einer ih-
rer Förderer damals war der für seine Strip-

penzieherei berüchtigte Genosse Matthias
Machnig. Er holte sie zu Booz Allen Ha-
milton. Doch richtig Spaß machte Schulze
der Job bei den US-Beratern nicht, und so
stellte sie sich im Jahr 2010 wieder mit Fly-
ern in die Fußgängerzone von Münster, wo-
hin sie wegen ihres Mannes gezogen war.
Zu ihrer Überraschung gelang ihr über
die Landesliste der Einzug ins Parlament.
Weil Hannelore Kraft damals gezwungen
war, eine Minderheitsregierung mit den
Grünen einzugehen, waren genügend
Ministerposten zu verteilen. Jetzt halfen
Schulze ihre Netzwerke, sie wurde Wis-
senschaftsministerin in Nordrhein-West -
falen – ihr Sprungbrett nach Berlin.
Die Tage in New York sind für die Um-
weltministerin so etwas wie Schonzeit ge-
wesen. Jetzt fängt der Kampf um das Kli-
maschutzgesetz erst richtig an. Den ersten
Entwurf hat Schulze schon vorgelegt. Ur-
sprünglich hatte sie geplant, länger bei dem
Uno-Treffen zu bleiben. Doch dann dis -
ponierte sie um, wollte lieber persönlich am
Mittwochmorgen im Bundeskabinett sitzen.
Für den Rückflug konnte sie keine bes-
sere Verbindung finden: Sie nahm den Re-
gierungsflieger, gemeinsam an Bord mit
der Kanzlerin, ihrer neuen Verbündeten.
Gerald Traufetter

DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019 33


ERCIN TOP / ANADOLU AGENCY / GETTY IMAGES
Politikerinnen Merkel, Schulze bei Uno-Generalversammlung in New York: Die Verbündete der Kanzlerin
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