Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

SPIEGEL:Herr Brinkhaus, außer den Be-
teiligten ist niemand vom Klimapaket der
Großen Koalition überzeugt. Warum ist
der große Wurf nicht gelungen?
Brinkhaus:Das ist ein großer Wurf. Wir
haben mit dem CO²-Bepreisungssystem
bei Verkehr und Mobilität einen Paradig-
menwechsel eingeleitet, dessen Wirkung
komplett unterschätzt wird. Der Streit ent-
zündet sich doch im Wesentlichen an dem
Einstiegspreis für Kohlendioxid. Aber das
ist nur ein Teil eines großen Pakets.
SPIEGEL:Ottmar Edenhofer, der Leiter
des Potsdam-Instituts für Klimafolgen -
forschung, nennt das Paket ein »Doku-
ment der Mutlosigkeit«.
Brinkhaus:Herrn Edenhofers Konzept
des Zertifikatehandels ist immerhin we-
sentlicher Teil des Pakets. Seine Enttäu-
schung über den Einstiegspreis für Koh-
lendioxid kann ich nachvollziehen. Aber
es ist die Aufgabe von Politik, das Land
zusammenzuhalten und eine breite Ak-
zeptanz in der Bevölkerung zu erreichen.
Deshalb starten wir das Zertifikatesystem
mit einem niedrigen und dann wachsen-
den Festpreis für CO²und öffnen es immer
weiter Richtung Markt und höherer Preise.
So können sich die Bürger auf die Verän-
derungen einrichten, denn ab Mitte des
nächsten Jahrzehnts wird es teuer.
SPIEGEL:Die CO²-Abgabe wird das Ben-
zin in den nächsten Jahren um wenige
Cent pro Liter verteuern. Wie soll das zu
einer Verhaltensänderung führen?
Brinkhaus:Die Lenkungswirkung wird da-
durch eintreten, dass nun jeder weiß: Der
CO²-Verbrauch wird nach 2025 erheblich
teurer. Bis dahin sollen die Bürger Investi -
tionsentscheidungen treffen können, die sie
entlasten. Zum Beispiel durch den Aus-
tausch einer Ölheizung, den wir fördern wer-
den, oder den Kauf eines verbrauchsfreund-
licheren Autos. Gleichzeitig gibt es dem
Staat zum Beispiel die Zeit, bis dahin die In-
frastruktur für Elektromobilität und den
Nahverkehr auszubauen. Und wir glauben,
dass durch dieses Preissignal eine große Dy-
namik im Bereich von Technologie und In-
novation entstehen wird. Auch wenn man-
che einen höheren Einstiegspreis fordern.
SPIEGEL:Wären Sie dafür gewesen?
Brinkhaus:Das ist jetzt nicht entschei-
dend. Wichtig war für mich, dass wir uns


auf das sogenannte Monitoring-Verfahren
geeinigt haben: Das bedeutet, dass wir je-
des Jahr überprüfen werden, was an Zielen
in den Bereichen der einzelnen Ministe-
rien erreicht wurde – und wenn das nicht
der Fall ist, muss sehr schnell sehr konse-
quent nachgearbeitet werden.
SPIEGEL:Und wenn etwa der Bundes -
verkehrsminister seine Ziele nicht erreicht,
gibt es eine Strafe, wie es Umweltministe-
rin Svenja Schulze angekündigt hat?
Brinkhaus:Es geht nicht um Strafen, es
geht um Konsequenzen in der Sache. Ich
werde mich dafür einsetzen, dass wir jedes
Jahr ähnlich wie bei den Haushaltsbera-
tungen eine mehrtägige Zukunfts- und Kli-
madebatte im Bundestag haben. Dabei
können wir über jedes einzelne Ministe -
rium reden, so wie wir das in der Haus-
haltsdebatte auch tun. Jedes Ressort muss
sich vor dem Plenum politisch verantwor-
ten, wenn es die Ziele nicht einhält. Ich

bin überhaupt dafür, dem Deutschen Bun-
destag mehr Mitsprache beim Monitoring
der Klimazielerreichung einzuräumen.
SPIEGEL: Ihre Parteichefin Annegret
Kramp-Karrenbauer strebt einen nationa-
len Klimakonsens an. Die Grünen haben
aber schon angekündigt, über den Bundes-
rat noch Veränderungen erreichen zu wol-
len. Wie viel Spielraum gib es dafür?
Brinkhaus:Die Aufgabe ist so groß, dass
wir das nur in einem nationalen Konsens
hinbekommen. Klimaschutz darf keine
Fragen von aktuellen Mehrheiten sein und
die Gesellschaft nicht spalten. Natürlich
werden wir versuchen, so viel Rücken -
deckung wie möglich für das Klimapaket
zu organisieren. Und am Ende müssen
dann auch die Grünen zeigen, ob es ihnen
nur um ihre reine Lehre geht – oder ob sie
auch an einem gesamtgesellschaftlichen
Kompromiss interessiert sind. Dass sie da-
bei nicht gleich rufen: »Ah prima, wo kön-
nen wir unterschreiben«, das verstehe ich.

SPIEGEL:Und wenn die Grünen von der
reinen Lehre abrücken, sind auch Ihre Be-
schlüsse nicht in Stein gemeißelt?
Brinkhaus:Ich stehe zu unserem Klima-
paket. Aber es ist doch klar: Wenn wir
einen größeren Konsens wollen, um die
Akzeptanz in der Bevölkerung zu verstär-
ken, werden wir uns zusammensetzen
müssen. Dafür werden auch die Bundes-
länder schon sorgen. Ich bin da vielleicht
idealistisch. Aber die Bundesrepublik
kann beim Thema Klima mal wieder zei-
gen, dass sie, wenn es richtig wichtig wird,
in der Lage ist, über Parteigrenzen hinweg
zusammenzustehen. Denn genau das war
in den letzten 70 Jahren das Erfolgsmodell
für unser Land.
SPIEGEL:Sie haben von mehreren Hun-
dert Milliarden Euro gesprochen, die in
den kommenden Jahren für Klimaschutz
investiert werden müssten. Nun sollen es
bis 2023 lediglich 54 Milliarden Euro sein.
Brinkhaus:Das sind nur die Belastungen
des Bundes, die sich dann bis 2030 schon
auf weit mehr als hundert Milliarden Euro
belaufen werden. Dazu kommt, was Län-
der und Kommunen zahlen müssen. Und
da haben wir noch nicht über Technologie
und Innovationen gesprochen.
SPIEGEL:Was kommt da noch auf uns zu?
Brinkhaus:Wenn wir zu Recht sagen, dass
Technologie und Innovation der Schlüssel
auch in der Klimapolitik sind, dann reicht
das Klimapaket allein nicht. Dann brau-
chen wir noch ein ziemlich großes Tech-
nik- und Innovationspaket daneben. Dann
müssen wir unsere Mittel auf Fortschritte
in diesem Bereich fokussieren. Darüber
müssen wir als Nächstes reden.
SPIEGEL:Wer Sie hört, hat den Eindruck,
Geld spielt keine Rolle mehr.
Brinkhaus:Doch, eine sehr große. Fast
70 Staaten inklusive Russland haben sich
dazu verpflichtet, bis 2050 CO²-neutral
zu sein. Wir sind gerade in der Klima- und
Umwelttechnologie weiter als andere Län-
der der Welt. Wenn wir jetzt sagen, wir
konzentrieren Ressourcen für Technologie
und Innovation in diesem Bereich, dann
nutzt das nicht nur dem Klima. Wir ent-
wickeln auch ein Geschäftsmodell für
unsere Wirtschaft.
SPIEGEL:Olaf Scholz hat gesagt: Dieses
Klimapaket schaffen wir ohne neue Schul-
den. Wenn Sie jetzt noch Milliarden drauf-
setzen, wie wollen Sie dann die schwarze
Null halten?
Brinkhaus:Wir haben es geschafft, entge-
gen allen Erwartungen das Klimapaket
ohne Neuverschuldung zu regeln. Es geht
jetzt darum zu fragen, ob wir unser Geld
wirklich überall sinnvoll ausgeben oder ob
wir es nicht besser in Klima- und Energie-
forschung und -innovation stecken.
SPIEGEL:Es ist immer viel einfacher, neue
Förderungen zu bewilligen, als alte zu strei-
chen. Woran haben Sie denn gedacht?

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Deutschland

»Das Klimapaket allein


reicht nicht«


KoalitionUnionsfraktionschef Ralph Brinkhaus, 51, hofft auf
Kompromisse mit den Grünen und erklärt,
warum er weitere Milliardenausgaben für nötig hält.

»Im Haushalt sind noch
einige Moorleichen,
die dort seit Jahrzehnten
schlummern.«
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