Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

Brinkhaus:Richtig, deswegen bin ich auch
für eine Generalrevision des Haushalts.
Wir haben rund 6000 Einzeltitel, da sind
noch einige Moorleichen, die seit Jahr-
zehnten schlummern.
SPIEGEL:Klingt sehr poetisch. Hätten Sie
mal ein Beispiel?
Brinkhaus:Das klären wir besser erst
intern. Klar ist aber, dass wir derzeit keine
neue Umverteilungsdiskussion brauchen.
SPIEGEL:Worauf spielen Sie an?
Brinkhaus:Eine Grundrente einzuführen,
die uns in den nächsten Jahren Milliarden
mehr als geplant kosten würde, ist einfach
nicht zeitgemäß. So schön dieses Bild von
der Grundrente auch sein mag. Wir müs-
sen jetzt priorisieren, und da geht es jetzt
um das Klima, um Technologie und Inno-


vation, um die Wettbewerbsfähigkeit un-
seres Wirtschaftsstandorts.
SPIEGEL:Das heißt, die SPD bekommt
beim Thema Grundrente nichts? Sie steht
doch im Koalitionsvertrag.
Brinkhaus:Wir führen derzeit Verhand-
lungen, denen möchte ich nicht vorgreifen.
Aber wir werden darauf dringen, dass
nicht Milliarden mit der Gießkanne ver-
teilt werden. Davon steht nämlich nichts
im Koalitionsvertrag.
SPIEGEL:Das klingt nicht, als hätte der
Klimakompromiss die Große Koalition sta-
bilisiert.
Brinkhaus:Wie es mit der Koalition wei-
tergeht, ist eine andere Frage. Wenn die
SPD sich jetzt weiter links positionieren
will, dann ist das ihr gutes Recht. Aber das

wird nicht dazu führen, dass die Große
Koalition nach links verschoben wird.
SPIEGEL:Sie sind seit einem Jahr Frak -
tionschef. Was ist dadurch besser ge -
worden?
Brinkhaus:Wir haben die Hierarchien fla-
cher gemacht, die Abgeordneten haben
mehr Verantwortung. Es ist anstrengender
geworden in den Fraktionssitzungen.
Mehr Kollegen fühlen sich jetzt auch er-
mutigt, kontrovers zu diskutieren. Bisher
ist es immer gelungen, das am Ende zu-
sammenzubinden.
SPIEGEL:Sie sind auch gewählt worden,
um der Fraktion gegenüber dem Kanzler-
amt mehr Gewicht zu verschaffen.
Brinkhaus:Wir verlangen als Fraktion
von der Bundesregierung, wesentlich frü-
her einbezogen zu werden als in der Ver-
gangenheit. Wir beteiligen uns wesentlich
früher am Gesetzgebungsprozess. Und
wir sagen auch sehr selbstbewusst: Das
reicht uns nicht. Nicht jedes Ressort ist
davon begeistert, aber das kann ich nicht
ändern.
SPIEGEL:In der Fraktion wünschen sich
manche mehr Führung vom Vorsitzenden.
Brinkhaus:Ich bekomme viele gute Rück-
meldungen. Auch weil wir als Team spie-
len. Ich habe sehr gute Stellvertreter, und
wir haben kompetente Sprecher und Be-
richterstatter. Wir stimmen die Linie vor-
her ab, und dann verhandeln die jeweils
Verantwortlichen die Dinge selbstständig.
Ich greife dann ein, wenn es nicht mehr
weitergeht. Das ist meine Spielidee.
SPIEGEL:Woran liegt es, dass trotz dieser
Erfolgsgeschichte die Union in den Umfra-
gen und auch bei Wahlen immer noch
unter 30 Prozent bleibt?
Brinkhaus:Sicherlich nicht an der Frak -
tion. Die Fraktion ist ein stabilisierender
Faktor in dieser ganzen politischen
Konstellation. Wir haben in turbulenten
Zeiten geliefert, etwa bei den Migrations-
gesetzen und der Grundgesetzänderung
für moderne Schulen und sozialen Woh-
nungsbau. Aber auch bei vielen anderen
Projekten, wie uns ja sogar die Bertels-
mann-Stiftung in ihrer kürzlich veröffent-
lichten Studie zur Arbeit der Großen
Koalition bestätigt hat.
SPIEGEL:Es liegt also am Führungsperso-
nal der Partei?
Brinkhaus:Nein, denn wenn man sich die
Entwicklung in Europa anguckt, ist es ganz
generell schwierig geworden für Volks -
parteien. Wir sehen ja überall eine Granu-
lierung der politischen Landschaft. Vor die-
sem Hintergrund hat sich die Union noch
ganz gut gehalten. Aber damit kein Miss-
verständnis entsteht, 30 Prozent kann
nicht unser Anspruch sein. Unser An-
spruch ist wesentlich höher.
Interview: Florian Gathmann,
Ralf Neukirch

DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019 35


STEFFEN ROTH / DER SPIEGEL
CDU-Politiker Brinkhaus: »Die Große Koalition nicht nach links verschieben«
Free download pdf