Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

E


s ist kurz vor neun Uhr am Mon-
tagmorgen, als die Stimmung in
der SPD-Spitze kippt. Die Partei-
führung hat sich zu einer Telefon-
schalte verabredet, in der Leitung ist auch
der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.
Seit er für den SPD-Vorsitz kandidiert,
geht er einigen Genossen an der Spitze
gehörig auf die Nerven, weil er nur noch
über die Große Koalition nörgelt.
Am Telefon geht es um das Klimapaket,
das die Bundesregierung ein paar Tage
zuvor geschnürt hat. Lauterbach hatte den
Kompromiss schon kritisiert, bevor er
überhaupt stand. Nun nutzen einige Par-
teifreunde den Moment, um ihren Ärger
über den Kandidaten loszuwerden. Man
könne nicht immer die Arbeit der eigenen


Leute kaputtreden, schimpft laut Teilneh-
mern der Schalte Hubertus Heil, der Ar-
beitsminister. Das gehe so nicht, ruft auch
Thorsten Schäfer-Gümbel in den Hörer,
der kommissarische Parteichef. Wenn man
ohne jede Sachkenntnis einen Kompro-
miss kritisiere, um sich politisch zu profi-
lieren, sei das schlicht unanständig. Die
Botschaft an den linken Kandidaten: Es
reicht, stell die Querschüsse ein.
Die Telefonkonferenz vom Montag
markiert einen Bruch. Bislang war es im
Rennen um den Parteivorsitz harmonisch
zugegangen, so weit das möglich ist, wenn
machtbewusste Menschen um hohe Pos-
ten konkurrieren. Die SPD hatte die
Tour ihrer Kandidaten als leuchtendes Bei-
spiel innerparteilicher Demokratie ver-

kauft, als Beleg dafür, dass die angeschla-
gene Partei noch eine Leichtigkeit besitzt.
Keine Schlammschlachten, keine Fouls,
stattdessen die Atmosphäre einer Klassen-
fahrt. Nun sind gut zwei Drittel der 23 Re-
gionalkonferenzen absolviert, und die
Stimmung ändert sich. Es wird zuneh-
mend giftig.
Einige Bewerber sind des starren For-
mats überdrüssig, andere mögen die im-
mer gleichen Standardsätze der Konkur-
renz nicht mehr hören. Vergangene Woche
dann wurden im Kandidatenrennen zum
ersten Mal größere Geschütze aufgefahren.
Der Brandenburger SPD-Schatzmeister
Harald Sempf attestierte der ebenfalls aus
Brandenburg stammenden Kandidatin
Klara Geywitz, sie könne »von der zwi-
schenmenschlichen Wärme her auch eine
10 000er-Geflügelfarm leiten« (SPIEGEL
39/2019). Der Angriff erschreckte die Par-
tei. »Da sollten sich einige schämen«,
schimpfte der Hamburger Bundestags -
abgeordnete Johannes Kahrs.
Die Frage ist, wie es nun weitergeht.
Schaffen die Genossen es, bis zum Mitte
Oktober beginnenden ersten Wahlgang
trotz der Spannungen zusammenzuhal-

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FOCKE STRANGMANN / EPA-EFE / REX

Es wird giftig


SPDLange lief die Kandidatenshow der Sozialdemokraten für den
Vorsitz harmonisch. Inzwischen wächst hinter den Kulissen das

Misstrauen. Zwei prominente Genossen haben sich bereits überworfen.


Bewerberduos Scholz / Geywitz, Scheer / Lauterbach in Hamburg: Ein gewisser Lagerkoller macht sich breit
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