Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

ten? Oder läuft die Suche nach einem
neuen Vorsitzendenduo aus dem Ruder?
Montagabend, die SPD überträgt per
Livestream die Regionalkonferenz in der
Schlossgartenhalle im baden-württember-
gischen Ettlingen. Der Moderator ruft zur
üblichen Vorstellungsrunde, fünf Minuten
pro Duo. Genügend Zeit, um sich an der
Union abzuarbeiten, an der Großen Koa -
lition – oder halt an Olaf Scholz.
Der Vizekanzler, der auch Vorsitzender
werden will, hat aus Sicht etlicher Genos-
sen viel Schlechtes zu verantworten, von
den miesen Umfragen bis zum Klimakom-
promiss. Das Klimapaket sei »ein Witz«
und »nicht hinnehmbar«, ruft Nina Scheer,
die mit Lauterbach antritt. Die Erhöhung
der Pendlerpauschale sei »nicht sozial -
demokratisch«, kritisiert Norbert Walter-
Borjans, der Ex-Finanzminister aus Nord-
rhein-Westfalen. Es wirkt, als wäre die SPD
nicht beim Kandidatencasting, sondern
beim Dreh für die Soap »Alle gegen Olaf«.
Auch Boris Pistorius und Petra Köpping
sind wieder da, Niedersachsens Innen -
minister und seine Co-Kandidatin, die
sächsische Integrationsministerin. Bislang
war Pistorius ein ruhiger Bewerber, in
Ettlingen tritt er aggressiver auf. Manche
würden fragen, warum ausgerechnet sie
anträten, ruft er. Sie seien schließlich
»nicht ganz so jung« und »nicht ganz so
links« wie manch andere im Feld. »Und
wir gehören auch nicht schon 15 Jahre
oder länger dem Parteivorstand oder dem
Bundestag an wie Ralf, Michael, Olaf oder
Karl.« Gemeint sind die vor ihm sitzenden
Rivalen Stegner, Roth, Scholz und Lauter-
bach.
Im Feld der Bewerber macht sich ein
gewisser Lagerkoller breit. Knapp vier Wo-
chen touren die Kandidaten bereits durchs
Land, aber keines der Duos hat ein Gefühl
dafür, wo es steht. Es gibt weder Umfragen
noch Testabstimmungen, und ob die At-
mosphäre in den Sälen in irgendeiner Wei-
se repräsentativ ist für jene in der Partei,
kann niemand sagen. Alle Beteiligten wol-
len sich profilieren, aber das Format lässt
dafür wenig Spielraum. Wer sich streng an
die Regeln hält und immer nur nett lächelt,
fällt nicht weiter auf. Wer mal auf eigene
Rechnung agiert, setzt sich dem Vorwurf
aus, der Partei in den Rücken zu fallen.
So wie Walter-Borjans. Mit seiner Tan-
dempartnerin Saskia Esken streute er vor
den entscheidenden Klimaverhandlungen
Ende vergangener Woche ein Papier mit
eigenen klimapolitischen Ideen. Das sorgte
in der Partei ebenso für Ärger wie Lauter-
bachs Einlassun gen. Wie solle eine Partei-
führung seriös verhandeln, »wenn sie je-
derzeit damit rechnen muss, vor allem von
den eigenen Leuten Knüppel zwischen die
Beine zu kriegen«, schimpfte Ex-Partei-
chef Martin Schulz in der jüngsten Sitzung
der Bundestagsfraktion. Es gab, so heißt


es, so lauten Beifall, als hätte Schulz die
Kanzlerin auseinandergenommen.
Das wachsende Misstrauen dürfte auch
an der schwindenden Zeit liegen, gut zwei
Wochen bleiben bis zur ersten Abstim-
mung der knapp 430 000 Mitglieder. Jeder
Punkt zählt jetzt – und jeder Fehler. Ent-
sprechend streng beäugen sich die Teams.
Als Ralf Stegner neulich einen Text über
den »Geflügelfarm«-Angriff auf Klara
Geywitz twitterte, rüffelte ihn Wolfgang
Schmidt, der Vertraute von Konkurrent
Scholz. »Findest Du es wirklich richtig, so
was ohne Einordnung zu retweeten?«,
schrieb Schmidt, ebenfalls öffentlich. »Viel-
leicht hättest Du genauer hinsehen sollen«,
schrieb Stegner und verwies auf Posts, in
denen er Geywitz verteidigt habe.
Im Lager von Stegner führt man
Schmidts Maßregelung auf die Nervosität
unter Scholz’ Leuten zurück. Noch immer
gilt der Vizekanzler als Favorit im Rennen,
aber er hat die undankbarste Rolle in dem
Verfahren. Der Vizekanzler, seit mehr als
40 Jahren in der Partei, wirkt auf der Büh-
ne häufig so, als müsste er belegen, über-
haupt Sozialdemokrat zu sein.
Scholz will mit seiner Regierungserfah-
rung punkten, aber auch die haben seine
Konkurrenten als mögliche Schwachstelle

ausgemacht. Je länger das Verfahren an-
dauert, desto lauter wird im Kandidaten-
feld der Ruf danach, künftig die Partei -
ämter von Regierungsämtern zu trennen,
damit die nächsten Vorsitzenden ihre gan-
ze Kraft darauf verwenden können, die
SPD aus dem Tief zu holen.
Normalerweise sei eine Bündelung der
Ämter richtig und wichtig. »Das gilt aber
gegenwärtig nicht«, sagt der niedersächsi-
sche Kandidat Boris Pistorius. »Nach zwei
Großen Koalitionen und dem absehbaren
Ende dieser Form von Regierungsbeteili-
gung muss es jetzt darum gehen, die SPD
zu führen und zu stärken und sich darauf
und ausschließlich darauf zu konzentrie-
ren. Deshalb kann ich für mich in der ak-
tuellen Situation der SPD ein Amt in der
Bundesregierung ausschließen.«
Ralf Stegner sieht es ähnlich. »In der
schwierigen Lage, in der die SPD derzeit
ist, sollte niemand die Partei führen, der
gleichzeitig Minister in der Bundesregie-
rung ist«, sagt der Parteilinke. »Es funk-
tioniert nicht, montags bis mittwochs mit
Angela Merkel am Kabinettstisch Kompro-
misse zu machen und donnerstags bis frei-
tags zu sagen: Jetzt mache ich 100 Prozent

SPD. Die künftige Parteispitze muss un-
abhängig von der Regierung sein.«
Die Konkurrenz um den Vorsitz hat
mittlerweile auch zum Bruch eines Bünd-
nisses geführt, das lange funktionierte: je-
nem von Stegner und Kevin Kühnert. Mo-
natelang hatten sich der Parteivize und der
Juso-Vorsitzende eng abgestimmt, Themen
besprochen, Strategien für den linken Flü-
gel entworfen. Die Suche nach einer neuen
Spitze führte nun zum Zerwürfnis. Stegner,
der auf die Unterstützung der Jusos hoffte,
kommt seit Wochen an Kühnert nicht mehr
heran. Alle Versuche, mit ihm zu sprechen,
seien gescheitert, berichtete er Vertrauten.
Kühnert antworte nicht auf SMS, gehe
nicht ans Telefon, komme nicht zu Treffen.
Ein Kontaktabbruch aus dem Nichts. Fast
unheimlich, finden Stegners Leute.
Kühnert will dazu öffentlich nichts sa-
gen. Aber Vertraute berichten, der Kon-
taktabbruch sei eine bewusste Entschei-
dung gewesen. Zuletzt habe er das Gefühl
gehabt, nicht durchzudringen, wenn er mit
Stegner rede. Dieser habe das Bündnis mit
ihm einseitig interpretiert, stets Ratschläge
erteilt, aber wenig Selbstkritik gezeigt.
Und Stegners Kurs, im Zweifel doch im-
mer Kompromisse zu machen, könne sich
die Parteilinke nicht mehr leisten. Die bei-
den kämpfen jetzt auf unterschiedlichen
Seiten: Stegner kandidiert mit Gesine
Schwan für den Vorsitz. Kühnert hat sich
ins Lager von Walter-Borjans geschlagen.
So geht die Partei nun in die entschei-
denden Wochen. Noch wichtiger als die
Atmosphäre vor der Mitgliederabstim-
mung dürfte die Zeit danach werden. So-
bald ein Duo gewählt ist, wird es darauf
ankommen, ob die Unterlegenen und ihre
Anhänger bereit sind, sich hinter den
neuen Vorsitzenden zu versammeln.
Wie es nicht geht, hat die CDU vorge-
macht. Nachdem Annegret Kramp-Kar-
renbauer den Dreikampf um den Vorsitz
gewonnen hatte, hörten die Sticheleien ge-
gen sie nicht etwa auf – sie nahmen noch
zu. Ob ausgerechnet die ewig streitsüchti-
ge SPD das besser hinbekommt?
Der ICE 1538 von Berlin nach Erfurt,
Mittwochnachmittag vor zwei Wochen. In
der zweiten Klasse sitzt der Kandidat Mi-
chael Roth, erledigt ein bisschen Arbeit
und beantwortet Fragen einer spanischen
Reporterin. Im Bordbistro sitzen die Kan-
didatinnen Scheer und Hilde Mattheis.
Auch Scholz sitzt in diesem Zug.
Natürlich haben die Kandidaten keine
Lust, ständig aufeinanderzuhängen. Und
doch passt die Fahrt mit dem ICE zur Er-
furter Regionalkonferenz gut als Symbol
dafür, wie es gerade läuft.
Alle haben das gleiche Ziel. Aber am
Ende fährt eben doch jeder für sich selbst.
Christoph Hickmann, Veit Medick,
Christian Teevs

DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019 39

Deutschland

»In dieser schwierigen
Lage sollte niemand die
Partei führen, der
gleichzeitig Minister ist.«
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