Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

E


s ist kurz nach der Mittagspause,
in der Kantine standen Westerwäl-
der Kartoffelsuppe und Wirsing-
roulade zur Auswahl, als Oberst
Michael Nold, Referatsleiter ZA3.2, Raum
132, einen kleinen Ausbruch hat. Nold,
58 Jahre alt, ist gelernter Raketenartillerist,
über seinem Schreibtisch hängt die heilige
Barbara, die Schutzpatronin der Artillerie.
Hier, im Koblenzer Rüstungsamt, ist er so
etwas wie der militärische Personalchef,
also auch dafür zuständig, dass offene
Dienstposten besetzt werden, so schnell
wie möglich. Da fängt das Problem an.
»Es will ja erst mal keiner hierher«, sagt
Nold, ein lebhafter Mensch mit Halbglatze.
Ȇber dieses Amt kann man ja beinahe
täglich irgendwo was Negatives nachlesen,
dies funktioniert angeblich nicht und jenes
nicht, und das spricht sich natürlich rum,
so schnell können wir gar nicht gucken.
Und dann sagen die Leute sich: Ich? Da
hin? Nach Koblenz? Die denken ja auch
daran, was das für ihre Karriere heißt.«
Nold macht die Augen noch ein bisschen
weiter auf als ohnehin. »Und dann muss
ich die Leute überzeugen.«
Im Amt gibt es etwa 1700 militärische
Dienstposten, nur 1420 sind derzeit be-
setzt, also wäre es dringend nötig, dass
Oberst Nold ein paar Leute überzeugt.
Aber das, und da steigert sich sein Ärger
zum Zorn, ist gar nicht mal so einfach.
»Natürlich kann man immer Dinge ver-
bessern, und natürlich läuft hier nicht alles
perfekt«, sagt er. »Aber gebt uns doch mal
die Chance, Dinge über eine gewisse Zeit
auszuprobieren! Lasst diesem Amt mal
etwas Ruhe zum Arbeiten. Nehmt zur
Kenntnis, dass die Leute, die hier arbeiten,
auch alle ihre Empfindungen haben. Und
dass die allermeisten von ihnen einfach
versuchen, ihre Arbeit gut zu machen!«
Dieses Bemühen ist in den vergangenen
Jahren ein bisschen untergegangen. Statt-
dessen ist Koblenz, ist das Amt, in dem
Oberst Nold sitzt, zum Symbol der großen
deutschen Rüstungsmisere geworden, für
Flugzeuge, die am Boden bleiben, Panzer,
die nicht fahren, U-Boote, die nicht tau-
chen, für Projekte, die erst mit jahrelanger
Verspätung fertig werden. Und kürzlich
wurde bekannt, dass die Soldaten der
Bundeswehr ebenfalls seit Jahren auf neue
Stiefel warten. Ja, genau: Stiefel.
Deutschland, heißt es immer wieder,
müsse eine andere Rolle in der Welt spie-
len, mehr Verantwortung übernehmen,
dazu gehöre im äußersten Fall die Bereit-
schaft, Soldaten einzusetzen. Die brauch-
ten dafür aber funktionierende Waffen.
Die Truppe ist zu einer Art Lachnum-
mer geworden, Ambition und Ausrüstung
passen nicht zusammen, auf der Suche
nach Gründen wird am Ende meist nach
Koblenz gezeigt. Dort, heißt es, liege die
Wurzel allen Übels, das Epizentrum des


Versagens. Koblenz ist schuld, dass die
Bundeswehr nicht das ist, was sie sein soll-
te, darauf können sich meist alle einigen.
Es geht um das Bundesamt für Ausrüs-
tung, Informationstechnik und Nutzung
der Bundeswehr, abgekürzt BAAINBw.
Allein der Name setzt im Kopf einen klei-
nen Gruselfilm über deutsche Bürokratie
in Gang. Aufgabe des Amtes laut Selbst-
beschreibung: die Bundeswehr »mit leis-
tungsfähigem und sicherem Gerät« auszu-
statten, vom Kampfjet über den Klappspa-
ten bis zur Druckerpatrone, alles läuft hier
durch. Wobei das mit dem »leistungsfähig
und sicher« zuletzt eben so eine Sache war.
Zählt man die nachgeordneten Behör-
den mit, kommt das BAAINBw auf etwa
11 400 Dienstposten, allein im Amt selbst
sind es 6800, also deutlich mehr als die
Zahl der rein militärischen Dienstposten,
die Beamten überwiegen klar. Pro Jahr
schließt das Amt Verträge über vier bis
fünf Milliarden Euro. Es ist ein Koloss.
Die Leitung sitzt in Koblenz am Rhein-
ufer, im ehemaligen Preußischen Regie-

rungsgebäude, das mit seinen Türmen eher
etwas von der Zauberschule Hogwarts hat
als von einem Amt. Aber das täuscht.
Drinnen liegt graues Linoleum auf den
Fluren, man könnte sich auch in einer
Oberfinanzdirektion befinden. Gezaubert
wird hier nicht, stattdessen schwitzen An-
fang August Menschen in Kurzarmhem-
den vor ihren Rechnern.
Das Amt hat noch weitere Standorte,
etwa im Koblenzer Stadtteil Rauental, wo
die Behörde auch von außen grau aussieht.
Gleich nebenan in Lahnstein, wo ebenfalls
ein Teil des Amtes sitzt, fahren die Mit -
arbeiter in eine Kaserne. Für die Tausen-
den Mitarbeiter wäre das hübsche Gebäu-
de am Rhein allein viel zu klein.
In der vergangenen Woche war Anne-
gret Kramp-Karrenbauer in Koblenz, die
Verteidigungsministerin hielt vor den Mit-
arbeitern eine Rede. Im Raum stand die
Frage, ob und wie das Amt reformiert wür-
de, ob die neue Ministerin jenen großen
Wurf wagen würde, den ihre Vorgängerin
Ursula von der Leyen immer vermieden
hatte. Die Antwort lautet: Nein.
»Mein Ehrgeiz ist es nicht, in die Ge-
schichte einzugehen als die Verteidigungs-
ministerin, die wie so viele andere vor ihr
auch irgendeine Reform gemacht hat«,
sagte die Ministerin. Stattdessen brauche
es »viele kleine Schritte«, 58 sogenannte
Einzelmaßnahmen. Wobei, auch das sagte
die Ministerin, noch gar nicht klar sei, ob
überhaupt alle 58 umgesetzt würden.
In Koblenz waren sie darüber eher
nicht böse, den großen Wurf will hier
kaum jemand. In Behörden finden sich
selten Fans von großen Veränderungen.

Aber kann das genügen?Kann das Elend
des deutschen Rüstungswesens, können
Verzögerungen, Verteuerungen, Pannen
abgestellt oder zumindest reduziert wer-
den, ohne dass diese Behörde einmal kom-
plett umgekrempelt wird?
Im Amt haben sie ein Interesse daran,
das Ganze mal aus ihrer Sicht zu schildern.
Für den SPIEGELhaben sie die Türen auf-
gemacht, im August, eine Woche lang. Die
Absicht dahinter: zu zeigen, dass dieses
Amt nicht so schlecht ist wie sein Ruf.
Aber stimmt das?
Raus aus Koblenz, rüber nach Lahn-
stein, ein paar Minuten mit dem Auto, auf
das Kasernengelände, Stopp vor einem
der vielen Gebäude, endlose Gänge, Li-
noleum, Zimmernummer 206. Hier sitzt
die Sachbearbeiterin Kristina Breitenborn,


  1. Neben dem Schreibtisch steht eine
    Sammlung von Quietscheentchen, eines
    in Tarnfarben, zwei in Matrosenuniform,
    eines mit Krone auf dem Köpfchen.
    Breitenborn gehört zur Abteilung E wie
    Einkauf, genauer zur Gruppe E2, die sich
    wiederum in die Referate E2.1 bis E2.4
    gliedert, wobei sich beispielsweise die


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Deutschland

»Eurofighter«

Quelle: Verteidigungsministerium

* letzte Tranche
** derzeitiger Planungsstand bis zum Ende der Auslieferung (»Puma«)
bzw. zur finalen Konfiguration und Einsatzfähigkeit (A 400 M)

Kosten
Lieferzeit

+6,8 Mrd. € (+ 38 %)

Schützenpanzer
»Puma«
+1,6 Mrd. € (+ 50 %)

Unterstützungs-
hubschrauber
»Tiger«
+1 Mrd. € (+ 23 %)

Transportflugzeug
A400M
+1,5 Mrd. € (+ 19 %)

+ 154 Monate* (2019)

+57 Mon.** (2020)

+80 Monate (2018)

+ 148 Monate** (2022)

durchschnittliche Einsatzbereit-
schaft der 128 »Eurofighter«

Teurer und später
Kostensteigerungen und Verzögerungen
bei Rüstungsprojekten

31 % (2017)

durchschnittliche Einsatzbereit-
schaft der 176 »Puma« 27 % (2017)

durchschnittliche Einsatzbereit-
schaft der 52 »Tiger« 24 % (2017)

durchschnittliche Einsatzbereit-
schaft der 8 Transporter A 400 M 38 % (2017)

A. RAIN / DPA

P. STEFFEN / DPA

ULLSTEIN-PHOTOTHEK

G. V. D. SCHAAF

Fotos: Hannes Jung für den SPIEGEL
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