Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1
etwa 30 Mitarbeiter in E2.2 um die Be-
schaffung sogenannter Querschnittsteile
kümmern, von Schläuchen, Kupplungen,
solchen Dingen, während die etwa 30 Leu-
te von E2.4 nicht nur für Papier und Me-
dizinprodukte zuständig sind, sondern
auch für Kraftstoffe. Funktioniert in der
Abteilung E etwas nicht, bekommt die
Bundeswehr rasch ein Problem.
Breitenborn sitzt am Rechner, vor
sich die hellblaue Oberfläche des SAP-
Systems, zu bearbeiten ist eine Banf, also
eine Bestellanforderung mit der Nummer
33321587, es geht um 50 Antennen für den
Spähwagen »Fennek«. Sie klickt, auf dem
Bildschirm erscheint die nächste Maske,
sie scrollt sich durch die verschiedenen Ar-
tikelbezeichnungen: Dichtungen, Gebläse,
Abschirmbleche – und die Antennen. Es
ist das Material der Bundeswehr, zerlegt
in Tausende, Zehntausende Einzelteile.
Die nächste Maske, der nächste Auftrag,
vor Breitenborn stehen die nächsten Arti-
kelbezeichnungen: Kühlflüssigkeit für den
Verbrennungsmotor, Schweröl, ein Wär-
metauscher, zehn Stützen, alles für den
Kampfpanzer »Leopard«. Es ist eine
sogenannte Sammelbestellung, in etwas
mehr als einer Woche endet die Zuschlags-
und Bindefrist, danach kann der Auftrag
erteilt werden. »Fast fertig«, sagt sie.

Im Verteidigungsministeriumhat es in
der Vergangenheit viele Klagen über die
Einkaufsabteilung gegeben. Die Abläufe,
hieß es, seien nicht klar standardisiert, was
dazu führte, dass zum Teil ein und das -
selbe Produkt zu verschiedenen Preisen
bei einem Anbieter gekauft wurde. Mitt-
lerweile wurde einiges umgestellt. Welche
Wirkung das hat, muss sich noch zeigen.
Schaut man Kristina Breitenborn eine
Weile über die Schulter, begreift man al-
lerdings, dass es in diesem Organismus un-
endlich viele Möglichkeiten gibt, wo und
wie Dinge falsch laufen können. Es muss
also auch eine ganze Menge richtig laufen.
Das kommt natürlich draußen nicht an.
Was dort ankommt: dass in dieser August-
woche ein Kampfpilot der Bundeswehr in
der »Bild«-Zeitung anonym klagt, dass er
seit anderthalb Jahren nicht geflogen sei.
Es gebe zu wenige einsatzfähige Jets.
Breitenborn sagt, es mache ihr Spaß
hier, das Schöne sei, dass man sehr eigen-
ständig arbeiten könne. Aber natürlich fra-
ge man sich manchmal, wenn etwas über
einen neuen Rüstungsskandal zu lesen sei:
»Ach Gott, was ist da wieder passiert?«
Im Kern gab es all diese Probleme
schon, als Ursula von der Leyen Ende 2013
Verteidigungsministerin wurde. Ihre erste
Mission bestand darin, mögliche interne
Gefahrenherde zu identifizieren. Von der
Leyen beauftragte eine Truppe von Unter-
nehmensberatern damit, das Rüstungs -
wesen zu durchleuchten.


Die Diagnose fiel verheerend aus: Fast
alle größeren Projekte der Bundeswehr
waren verzögert und teurer als geplant.
Das Amt in Koblenz, so urteilten die Be-
rater, sei der Industrie mit ihren speziali-
sierten Juristen hoffnungslos unterlegen.
Seither galt die Behörde als Risikofaktor.
Eine Reform sollte her, beauftragt wurde
von der Leyens rechte Hand, Staatssekre-
tärin Katrin Suder. Die kam von der Unter-
nehmensberatung McKinsey und war der
Meinung, dass sich solche Behörden nur mit
einem Rundumschlag reformieren lassen.
Also ließ Suder Ideen ausarbeiten, wie man
das Amt in eine moderne Agentur umbauen
könnte, schlank, flexibel, als GmbH. In der
Logik von McKinsey lässt sich so ziemlich
alles mit der Gründung einer GmbH lösen.

Entstehen sollte eine Beschaffungsagen-
tur, die Experten und Projektleiter frei und
zu branchenüblichen Preisen einstellen
sollte. Statt auf Lebenszeit wären diese
Fachleute nur auf bestimmte Projekte ge-
setzt worden, etwa einen neuen Panzer.
Danach wären sie wieder gegangen, um
neuen Experten Platz zu machen.
Aber von der Leyen zauderte. Sie wuss-
te, welche Wucht der Widerstand aus dem
Amt entfaltet hätte. Statt einer Revolution
wählte sie einen Mittelweg.
Für mehrere zentrale Großprojekte hol-
te sie Unternehmensberater ins Amt. In
eigens aufgestellten Projektteams arbeite-
ten bis zu 180 externe Mitarbeiter gemein-
sam mit den Beamten. Zwei Kulturen
prallten aufeinander: Auf der einen Seite
die Berater, auf der anderen Seite Men-
schen, die gern pünktlich in die Kantine
gehen.

Trotzdem blieb der Aufstand aus. Über
die Monate lernten die Beamten die Qua-
litäten der Externen sogar zu schätzen.
Der Mittelweg funktionierte, zumindest
besser als das meiste in den Jahren zuvor.
Aber er führte nicht weit. Aus den mas-
senhaften Berateraufträgen wurde ein
politischer Skandal, von der Leyen ent-
schwand nach Brüssel, das Amt steht vor
denselben Problemen wie zuvor.
Aber liegen die Probleme wirklich nur
hier, in Koblenz, im Amt?
Axel Hoffmann, 54, ist Leitender tech-
nischer Regierungsdirektor in der Abtei-
lung L, wobei L für Luft steht, also alles,
was fliegt. Bevor er Beamter wurde, war
er 15 Jahre lang Soldat, Hubschrauberpilot,
in München hat er Luft- und Raumfahrt-

technik studiert. Er leitet das Referat L 5.2.
Vor vier Jahren sollte er eine Drohne für
die Marine beschaffen, für die Korvette
K130. Das Problem: Die Marine hatte sich
genau überlegt, was sie haben wollte.
»Die Marine war von einem bestimmten
Modell überzeugt und wollte, dass dieser
Typ durch Direktbeauftragung beschafft
wird«, erzählt Hoffmann. »Sie hatte sich
dabei zu sehr auf die Aussagen der Indus-
trie verlassen, obwohl wir von Anfang an
klargestellt hatten, dass dieses Modell
nicht für den Einsatz auf einem Schiff ge-
eignet ist.«
Es ist ein typischer Fall: Die Verantwort-
lichen in der Truppe haben eigene Kon-
takte zur Industrie, lassen sich alles Mög-
liche versprechen, das Amt darf es aus -
baden. So jedenfalls sieht man es im Amt.
In der Truppe sieht man es eher so: Wir
wissen am besten, was wir brauchen. Aber

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Deutschland

Fassade des Amtes, Postfächer: Hier wird nicht gezaubert
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