DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019 49
Deutschland
D
ie Fragestunde im Bundestag plät-
scherte am Mittwoch vor sich hin,
da trat gegen 15 Uhr der FDP-Ab-
geordnete Oliver Luksic ans Mikrofon.
Der Verkehrspolitiker hatte einige Fragen
zum Debakel um die Pkw-Maut an die Re-
gierung, die wichtigste davon: Was es mit
den vertraulichen Treffen des Verkehrs -
ministers mit Managern der Betreiberfir-
men Kapsch und Eventim auf sich habe,
die der SPIEGELaufgedeckt hatte.
Der Verkehrsminister ließ sich im Bun-
destag von einem Staatssekretär vertreten,
doch der FDP gelang ein Coup: Sie über-
rumpelte die Regierungsfraktionen mit
einem Antrag, dass Andreas Scheuer per-
sönlich erscheinen müsse.
Eine halbe Stunde später tauchte der
Minister sichtlich genervt im Plenum auf.
Es folgte ein heftiger Schlagabtausch. Die
Opposition wollte wissen, ob es tatsächlich
das Angebot von Eventim gegeben habe,
den Mautvertrag erst nach dem alles ent-
scheidenden Urteil des Europäischen Ge-
richtshofs (EuGH) zur deutschen Pkw-
Maut zu unterzeichnen.
Scheuer verneinte – und spielte die Be-
deutung der Treffen mit den Managern
herunter. Bei dem Termin am 22. Novem-
ber 2018 sei es nur um die Umsetzung der
Maut und organisatorische Fragen gegan-
gen, am 19. Juni um das negative EuGH-
Urteil vom Tag zuvor. Im Übrigen seien
die Treffen »nicht geheim« gewesen, son-
dern »ganz normal«.
Das sieht die Opposition anders. In
mehr als 50 Aktenordnern, die der Minis-
ter dem Verkehrsausschuss zur Verfügung
stellte, konnten Grüne und FDP keine
Hinweise auf die Treffen finden. Auf An-
frage räumte ein Ministeriumssprecher
denn auch ein, dass zu den Treffen »weder
vorbereitende noch nachbereitende Ver-
merke« erstellt worden seien. Der Grü-
nenabgeordnete Sven-Christian Kindler
hält die fehlende Veraktung für einen
Rechtsbruch. »Für mich lässt das nur den
Schluss zu, dass der Minister etwas vertu-
schen wollte. Zum wiederholten Male hat
Andreas Scheuer den Bundestag gezielt
belogen.«
Ein Untersuchungsausschuss zur Pkw-
Maut wird immer wahrscheinlicher. Dort
würde es zum Showdown kommen, wenn
Scheuer und die Chefs der Betreiberfirmen
unter Eid die Details ihrer Treffen offenlegen
müssten. So würde die Frage geklärt, warum
der Vertrag zur Pkw-Maut unbedingt noch
2018 unterschrieben werden musste, als der
EuGH noch nicht ge urteilt hatte, ob das Pro-
jekt mit europäischem Recht vereinbar ist.
Mit der Entscheidung riskierte Scheuer hor-
rende Schadensersatzzahlungen.
Beteiligte hatten berichtet, dass Scheuer
auch von wahltaktischen Gründen getrie-
ben gewesen sei. Die Maut sollte kommen,
damit die CSU ihr Wahlversprechen recht-
zeitig einlösen konnte. Das Ministerium
hat dieser Behauptung widersprochen.
Eine weitere Entscheidung allerdings
stützt die Vermutung. Es geht um ein Ver-
gabeverfahren vor der bayerischen Land-
tagswahl am 14. Oktober 2018, das sich
aus den Akten rekonstruieren lässt.
In den Monaten vor dem Urnengang in
Bayern verzögerte sich der Abschluss des
Hauptvertrags zur Erhebung der Pkw-
Maut. Viele Bieter sprangen ab, für die
übrigen wurden Fristen verlängert.
Doch es gab noch ein zweites Vergabe-
verfahren, das zur »automatischen Kon-
trolle« der Maut. Der Auftragnehmer soll-
te prüfen, ob die Autofahrer auch bezahlt
hatten. Die Verhandlungen zu diesem Ver-
trag waren im Herbst abgeschlossen. Am
- Oktober 2018, vier Tage vor der baye-
rischen Landtagswahl, benachrichtigte das
Ministerium die Firma Kapsch über den
»erfolgreichen Ausgang des Verfahrens«.
Tatsächlich war der Deal zu diesem Zeit-
punkt allerdings noch nicht wasserfest.
Aus rechtlichen Gründen müssen öffent-
liche Auftraggeber mindestens zehn Tage
mit der Vertragsunterzeichnung warten,
damit unterlegene Bieter den Zuschlag an-
fechten können. Das hätte auch der Minis-
ter wissen können. Eine Vorlage klärte auf:
»Der früheste Termin zur Zuschlagsertei-
lung ist der 22. Oktober 2018.«
Trotzdem preschte Scheuer offenbar
vor. Am 10. Oktober suggerierte ein Arti-
kel im »Münchner Merkur«, alles sei unter
Dach und Fach. Darin wird Scheuer zitiert:
»Wir haben einen Riesenschritt zur tech-
nischen und organisatorischen Umsetzung
gemacht.« Die Nachricht verbreitete sich
schnell über die Medien, wenige Tage vor
dem Wahlgang in Bayern hatte Scheuer
die gute Meldung, die er brauchte.
Insider wundern sich bis heute über den
Vertragsabschluss. Scheuer habe den Auf-
trag für die Kontrolle der Pkw-Maut ver-
geben, bevor überhaupt klar war, ob sie
jemals eingetrieben wird. Normalerweise
sei es andersherum. Das Ministerium sagt,
die Entscheidung für Kapsch sei »auf Basis
des Vergabeverfahrens und nicht orientiert
an Wahlterminen« erfolgt.
Acht Monate nach dem erfolgreichen
Geschäft war der Höhenflug des Ministers
allerdings vorbei: Am 18. Juni stoppten
die Richter des EuGH das gesamte Maut-
projekt. Seitdem verstrickt sich der Minis-
ter immer tiefer in Widersprüche.
Bei der Fragestunde am Mittwoch woll-
te der Grünenabgeordnete Matthias Gas-
tel wissen, warum sich Scheuer in das
Risiko gestürzt habe, »ohne die ganzen
Warnungen zu hören«. Scheuer entgegne-
te, man habe das Risiko eines negativen
EuGH-Urteils in »Hunderten von Work-
shops« besprochen. In den Unterlagen fin-
den sich aber nur Hinweise auf sechs »Ri-
sikoworkshops«. Auf Nachfrage sagte ein
Sprecher: »Der Minister hat in diesem Fall
bildhaft-umgangssprachlich gesprochen.«
Sven Becker, Gerald Traufetter
Fehlende
Vermerke
AffärenIm Skandal um die Pkw-
Maut steht die Glaubwürdigkeit
von Verkehrsminister Scheuer
auf dem Spiel. Die Opposition
bezichtigt ihn der Lüge.
CHRISTIAN DITSCH / IMAGO IMAGES
Minister Scheuer im Bundestag: Von wahltaktischen Gründen getrieben